Die aggressiven Angriffe aus Kapital und Politik werden von den Gewerkschaften empört zurück gewiesen. Doch die kapitalfreundliche Standortargumentation von der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bis zur Neuen Sozialdemokratie trifft auch bei so manchem Gewerkschafter auf offene Ohren. Das zeigen Ergebnisse einer Befragung von Betriebsräten in der Metallverarbeitung.
Spätestens seit dem gescheiterten Metallerstreik in Ostdeutschland im Sommer 2003 scheint es für das Maß der Angriffe auf die Gewerkschaften keine Grenze mehr zu geben. Waren sie schon vorher wahlweise zu Blockierern, Aufschwungverhinderern oder zu Fröschen – die man nicht fragt, wenn man einen Sumpf trocken legt – erklärt worden, schien den Strategen der BDA Ende September der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein, selbst das Streikrecht in Frage zu stellen (vgl. BDA 2003). Doch Angriffe auf die Tarifautonomie und den Flächentarifvertrag sind keineswegs Erscheinungen, die wir erst in neuerer Zeit erleben.
Schon seit Beginn der 1990er Jahre stehen die Flächentarifverträge zunehmend unter Druck. Ob ihre weitere Erosion aufzuhalten ist, scheint mehr als fraglich (vgl. Wendel 2002: 537 u. 554). Während betriebliche Bündnisse für Arbeit zunehmend tarifliche Vereinbarungen unterlaufen[1], gerät die Institution Flächentarif von allen Seiten unter Beschuss. Die Flexibilisierung des Flächentarifvertrages fordern nunmehr nicht nur die Unternehmerverbände sowie CDU/CSU und FDP, sondern auch führende Stimmen von SPD und Grünen. Gerhard Schröder zeigt unverhohlen, wie wenig die Neue Sozialdemokratie noch auf die Gewerkschaften angewiesen zu sein glaubt. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement spricht sich für Öffnungsklauseln in Tarifverträgen aus, und der Bundeskanzler fordert die „Tarifpartner” auf, sich „auf betriebliche Bündnisse [zu] einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln haben” (Schröder 2003). Im Klartext: Die Tarifautonomie gilt nur so lange, wie die Gewerkschaften tun, was von ihnen erwartet wird. Die Reaktionen der Delegierten auf dem IG Metall-Gewerkschaftstag im Oktober 2003 waren eindeutig. Noch nie wurde ein sozialdemokratischer Bundeskanzler und Parteivorsitzender auf einem Gewerkschaftstag so zurückhaltend empfangen wie Gerhard Schröder in Hannover. Der IG Metall-Vorsitzende Jürgen Peters konstatierte den „Abschied der SPD von den Arbeitnehmerinteressen” (Peters 2003: 6) und betonte die Konfliktfähigkeit der IG Metall (ebenda: 28). Doch wie konfliktfähig sind die Metaller? Neben einigen Aktionen in den Betrieben und vor den Werkstoren der Autobranche organisierte die IG Metall eine Umfrage unter 3.000 Betriebsräten, bei der sich erwartungsgemäße 97% der Befragten gegen weitere Verbetrieblichungen aussprachen (vgl. direkt 2003: 1-4). Der ehemalige IG Metall-Bezirksleiter in Nordrhein-Westfalen, Harald Schartau, stellte sich als SPD-Landesvorsitzender demonstrativ vor die Tarifautonomie. Die Gewerkschaften sollten für diese allerdings stärker mit dem Verweis auf die schon heute vielfach vorkommenden betrieblichen Abweichungen werben (vgl. einblick 2003: 1). Peter Gasse, der aktuell amtierende IG Metall-Landesbezirksleiter in Düsseldorf, warnt vor dieser Strategie. Wer so argumentiere, bereite den Weg für die gesetzliche Einführung von Öffnungsklauseln (vgl. Gasse 2003: 4). Die Fragestellung, die diesem Diskurs zugrunde liegt, lautet auf den Punkt gebracht: Verteidigen wir die Tarifautonomie in ihrer heutigen Form, weil Widerstand „nicht nur möglich, sondern auch alternativlos” (ebenda) ist? Oder fügt man sich, im Bewusstsein der eigenen Schwäche, der verbreiteten Antigewerkschaftsstimmung in den Medien und versucht, über Zugeständnisse wieder hoffähig zu werden?
Schon wenden sich instinktsichere Vertreter aus den Gewerkschaften an die Öffentlichkeit, um zielsicher auf den „ausgetretenen Trampelpfaden” (Schmitthenner/Urban 2002: 7) der Neuen Sozialdemokratie zu wandeln. Das gegenüber den Gewerkschaften gängige Denunziationsvokabular wird dabei mit gekonnter Apologetik rekapituliert. So fordert der Mitarbeiter des IG Metall-Vorstands Jupp Legrand in der Tagespresse[2] den Abschied der Gewerkschaften von „Feindbildern” und kritisiert eine gewerkschaftliche „Oppositionsmentalität” (vgl. Legrand 2003a: 11). Der Referent der Abteilung Gesellschaftspolitik macht sich über den „allzu fürsorglichen Staat” Gedanken und sorgt sich, wie der Markt davor zu bewahren sei, durch „Überregulierung” stranguliert zu werden. Ja, so die Warnung, die IG Metall dürfe keine „reine Lobby für Arbeitsplatzbesitzer” sein und solle doch bitte „zur Gemeinwohl-Orientierung zurückfinden” (sic!). Ein Mittel dazu scheinen die von Legrand geforderten „betriebsnahe(n) Lösungen” zu sein, womit das Tarifsystem auch hier in den Blick gerät. Der so zur Schau gestellten Mischung aus Neuer Sozialdemokratie und Standortpatriotismus fehlt offensichtlich jedes Verständnis von Gewerkschaft als autonomer Gegenmacht. Die leichtfertige Verwendung des Ausdrucks Arbeitsplatzbesitzer ist reine Demagogie.[3]
Da schallt also der Soundtrack von Rogowski, Merz und Westerwelle aus der Frankfurter Metallerzentrale, und man fragt sich: Hat da nur ein wirrer Solist laut am offenen Fenster gesungen, oder ist hier eine Melodie zu hören, die auch in der gewerkschaftlichen Breite vernommen werden kann? Die vorgestellten Aussagen repräsentieren ein Denken, welches sich die Zukunft der Gewerkschaften nur noch in einer „Wettbewerbskooperation” (Deppe 2003: 28) an der Seite des Kapitals vorstellen kann. Die bei Legrand anzutreffende provozierende Deutlichkeit wird von jenen Gewerkschaftern, die für eine Politik der Anpassung an die Ansprüche des Kapitals stehen, in der Regel zwar vermieden.[4] Für „’Uneindeutigkeiten’” (Urban 2003a: 31) gegenüber den Zumutungen von Kapital und herrschender Politik reicht die Haltung dieser Funktionäre allerdings allemal aus[5]. In einer Situation, in der die gewerkschaftliche Fähigkeit zur „Mobilisierung gesellschaftlichen Protestes und Widerstandes in politischen Konfliktsituationen an Bedeutung” gewinnt (ebenda: 39), tragen solche Positionierungen sicherlich nicht zur notwendigen Mobilisierungskompetenz bei. Wozu Widerstand leisten, wenn die Unterwerfung unter die Zwänge der Standortkonkurrenz als unausweichlich akzeptiert wird?
Erhellend wirkt in diesem Zusammenhang auch die Arbeitnehmerbefragung des DGB zur Agenda 2010 (vgl. DGB 2003).[6] Hier zeigt sich eine große Zustimmung der Gewerkschaftsmitglieder (74%) bei der Forderung nach Kürzung des Arbeitslosengeldes[7]. Aber nur 58% möchten Vermögen und große Erbschaften stärker besteuern[8]. Immerhin 44% der Gewerkschaftsmitglieder stimmen einem Abbau des Kündigungsschutzes in kleinen Betrieben zu[9], und 43% meinen, die Agenda 2010 gehe in die richtige Richtung (ebenda: 31). Dabei erhofft sich gerade einmal ein gutes Drittel von der Agenda 2010 positive Auswirkungen, ja über die Hälfte der Befragten hält sie für sozial ungerecht. Doch nur jedes fünfte Gewerkschaftsmitglied erwartet von seiner Organisation, „Druck zu machen und die Regierung zum Einlenken zu zwingen” (ebenda: 7). Jedes vierte Gewerkschaftsmitglied ist zudem der Ansicht, dass die Gewerkschaften nicht die „Verteidiger sozialer Errungenschaften” seien, sondern „Reform-Verhinderer” (ebenda: 35).
Problematische Sichtweisen sind auch bei gewerkschaftlichen Funktionären an der Basis zu finden. So haben zuletzt Bergmann/Bürckmann/Dabrowski (2002) aufgezeigt, dass bei Betriebsräten und Vertrauensleuten eine große inhaltliche Verunsicherung festzustellen ist.
Für die Entwicklung einer autonomen, gegenmachtorientierten Gewerkschaftspolitik liegt hier, bei der Basis der Gewerkschaftsmitglieder und ihren betrieblichen Funktionären, der neuralgische Punkt[10]. Die im Folgenden vorgestellte Fallstudie setzt an dieser Stelle an und nimmt mit dem Betrieb die zentrale Organisationseinheit der Gewerkschaft zum Gegenstand der Untersuchung.
Das bei den Betriebsräten und Gewerkschaftern vor Ort vorgefundene, ausgesprochen ambivalente Meinungsbild wird in Auszügen präsentiert und kritisch diskutiert.
Betriebsräte: Nein zur Verbetrieblichung – Ja zu Öffnungsklauseln à la BDA
In einer quantitativen Erhebung waren im Frühjahr 2003 Betriebsräte der Duisburger Metallverarbeitung befragt worden[11]. Ausgehend von der aktuellen Diskussion um die Gewerkschafts- und Tarifautonomie interessiert hier zuvorderst die Haltung der Betriebsräte zum Flächentarif.
Von den Befragten befürchten 58% eine schwächere Position für die Beschäftigten, falls sich die industriellen Beziehungen zunehmend auf die betriebliche Ebene verlagern. Zudem erwarten sie, dass in diesem Fall der Betriebsrat in hohem Maße erpressbar wird. Nur jeder fünfte Betriebsrat teilt diese Ansicht nicht. Eine solche, den Flächentarifvertrag als Schutz interpretierende Sichtweise liegt im großen und ganzen auf der Linie anderer Betriebsrätebefragungen (vgl. Bispinck 2003: 19; vgl. Müller-Jentsch 1998: 77). Interessant wird es dagegen bei der Betrachtung der Gegenprobe. Ohne sie als solche kenntlich zu machen bekamen die Betriebsräte eine programmatische Forderung von BDA-Chef Dieter Hundt vorgelegt: Die Aussage lautete[12]: „Um betriebliche Bündnisse für Arbeit zu ermöglichen, wird durch tarifvertragliche oder gesetzliche Öffnungsklauseln die Möglichkeit geschaffen, dass im Betrieb vom Tarifvertrag abgewichen werden kann, wenn Arbeitnehmer, Betriebsrat und Arbeitgeber dies übereinstimmend wollen” (Hundt 2003). Mehr als die Hälfte der Befragten (53,2%) stimmen dieser BDA-Forderung zugunsten einer weiteren Verbetrieblichung der industriellen Beziehungen zu. Wenn 53,2% der BDA-Forderung zustimmen, jedoch 58% Angst vor einer weiteren Verbetrieblichung haben, dann muss es eine gemeinsame Schnittmenge geben. Geht man dieser nach, so reibt man sich die Augen:
Von allen Betriebsräten, die der BDA-Forderung zustimmen, teilen zugleich 75% die zuvor abgefragten Befürchtungen vor den Folgen einer weiteren Verbetrieblichung. Eine Erkenntnis, die augenscheinlich dazu führt, dass über die Hälfte der Betriebsräte in dieser Gruppe (56,4%) die gewerkschaftliche Forderung nach der Verteidigung der verbindlichen Regeln des Flächentarifvertrages unterstützt, weil diese „für die Arbeitnehmer und die Betriebsräte den wichtigsten Schutz” bedeuten.
Das hier aufgezeigte widersprüchliche Abstimmungsverhalten setzt sich fort. So wurden alle Betriebsräte zusammengefasst, die folgender Aussage zustimmten: „Die IG Metall ist Kampforganisation und Gegenmacht zu den Unternehmern und sollte stärker kämpferisch auftreten (Aktionen, Demonstrationen, Streiks).” Hier stimmen 60% aller Befragten zu. Wie haben diese Betriebsräte bei den anderen Fragen geantwortet?
In dieser Gruppe sehen 77,8% einen „unüberwindbaren Interessensgegensatz zwischen Kapital und Arbeit”, und 78,3% meinen, dass Klassenkampf eine Sache ist, „die objektiv stattfindet”. In dieser Logik bleibend, vertreten 88,6% die Ansicht, Betriebsratsarbeit sei am erfolgreichsten, „wenn sie sich nicht scheut, den Konflikt zu suchen und hart zu kämpfen”.
Doch 50% dieser Betriebsräte geben an, sie würden versuchen, einen Arbeitskampf zu umgehen, wenn er dem eigenen Betrieb schaden könnte. 85,4% der Betriebsräte bejahen folgende Formulierung: „Verteilungskonflikte zwischen Unternehmern und Beschäftigten löst man als Gewerkschafter heute nicht mehr mit lautem Kampfgetöse, sondern man sucht im Dialog eine Lösung, die für beide Seiten vorteilhaft ist”.
Einerseits stimmt die große Mehrheit der Betriebsräte mit Aussagen überein, die für die Einnahme von Gegenmachtpositionen gegenüber dem Kapital stehen. So findet sich die Erfahrung vom Konflikt zwischen Kapital und Arbeit auf betrieblicher Ebene wieder. Die Betriebsräte sehen in ihrer großen Mehrheit die Notwendigkeit von Konfliktstrategien als Voraussetzung für den Erfolg ihrer Arbeit an. Sie identifizieren sich mit dem klassischen gewerkschaftlichen Anliegen der Solidarität zwischen den abhängig Beschäftigten und fordern kämpferische Aktivitäten von der IG Metall, zu deren Duisburger Verwaltungsstelle sie ein auffällig positives und aktives Verhältnis bestätigen.
Andererseits zeigt sich eine große Akzeptanz von betriebswirtschaftlich motivierten Argumentationen. Die Kooperation mit den Geschäftsleitungen wird ebenso gewünscht, wie zuvor der Konflikt als konstitutiv bestätigt wurde. Wird Klassenkampf einerseits als objektiv stattfindend erkannt, so wird er dennoch als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Die Betriebsräte wünschen sich eine Zusammenarbeit mit den Unternehmern zum Nutzen aller und des Standortes Deutschland, um gleichzeitig ihre Erfahrungen zu berichten, die von Druck, Erpressung und Ausbeutung durch das Kapital geprägt sind. Die Gewerkschaft wird als notwendige Gegenmacht bejaht, und zugleich finden Forderungen nach dem Rückzug der Gewerkschaft auf Servicetätigkeiten eine breite Zustimmung. Eine damit einerhergehende zunehmende Verbetrieblichung der industriellen Beziehungen wird einerseits mit großer Sorge gesehen, andererseits wird dieser Verbetrieblichung das Wort geredet, wenn sie ökonomisch und korporatistisch begründet wird. Dabei wird sichtbar, inwieweit das Standortdenken, die Logik der realen oder vermeintlichen betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten, in den Köpfen der Betriebsräte verbreitet ist.
Exkurs: Die Funktion der Standort-Ideologie
Im Kontext der zunehmenden Verbetrieblichung (vgl. Deppe 2003: 30) der industriellen Beziehungen sehen manche Beobachter ein Brüchigwerden der Verzahnung zwischen Gewerkschaften und Betriebsräten (vgl. Artus 2001). Dennoch überrascht das Maß an Akzeptanz, mit dem die Betriebsräte in der vorliegenden Befragung Formulierungen und Positionen der Kapitalseite übernehmen. Eine erklärende Sichtweise könnte jene Kritik liefern, die den Gewerkschaften, „Anpassung” (Wendel 2002: 552) an die Unternehmerseite vorwirft. Tatsächlich stellen die mitbestimmungspolitischen Positionen, wie sie auch bei der Hans-Böckler-Stiftung diskutiert werden, im hohen Maße auf Standortnützlichkeit ab. Der Zeitschrift „Mitbestimmung“ der Hans-Böckler-Stiftung wird bescheinigt, sie vermittele „das Bild einer ‚heilen Welt’ der betrieblichen Kooperation von Kapital und Arbeit zum Vorteil beider Seiten” (Deppe 2000: 200). Beispielhaft hierfür sind die speziellen englischsprachigen Ausgaben der Gewerkschaftspublikation, deren Adressaten augenscheinlich auch ausländische Investoren sind[13]. Besorgt stellt die Gewerkschaftsstiftung die Fragen, welche die internationalen Anleger angesichts des ungewohnten deutschen Mitbestimmungsmodells umtreiben müssen. „Does it add to costs or improve performance?” (Hauser-Ditzt 2002: 61) lautet die Überschrift eines Aufsatzes, in dem interessierten Kapitalvertretern dargelegt wird, wie viel effektiver und gewinnbringender ein Unternehmen unter Zuhilfenahme von Betriebsräten und Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat seine „tough decisions”, beispielsweise beim Personalabbau, durchsetzen kann. Wo so viel von den „economic advantages of co-determination” die Rede ist, scheint die politische Dimension der deutschen Mitbestimmung fast peinlich zu sein und wird mit einem Satz offensichtlich pflichtschuldig erledigt: „After all, co-determination is really intended to achieve democratic participation, not economic efficiency” (ebenda). Der Tenor dieser Diskussion bleibt dabei eindeutig: Die betriebliche Partizipation von abhängig Beschäftigten muss sich ob ihrer Leistungsfähigkeit zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit rechtfertigen. Auch der Bericht der gemeinsamen Kommission von Hans-Böckler-Stiftung und Bertelsmann-Stiftung zur Mitbestimmung sieht diese durch ihre Beiträge zur Steigerung der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Standortes Deutschland als Zukunftsmodell legitimiert (vgl. Bertelsmann-Stiftung/Hans-Böckler-Stiftung 1998: 56). Dass Mitbestimmung kein Standortfaktor, sondern „demokratische Gegenmacht” ist (Fiedler 2001: 1), werden die meisten Gewerkschaftsfunktionäre sicherlich jederzeit versichern. Wenn zentrale gewerkschaftliche Quellen die Mitbestimmung jedoch zu einer betriebswirtschaftlichen Nützlichkeitskategorie[14] mit klarer Ausrichtung auf „the benefits [...] bring to a company” erklären (Hauser-Ditzt 2002: 61), dann könnte dies auch bei der Erklärung der Reflexe jener Betriebsräte helfen, die einer zusätzlichen Unterminierung der Flächentarife zustimmen, sobald mit dem ökonomischen Wohl der Betriebe argumentiert wird.
Für Deutschland! Sehnsucht nach dem Standort-Bündnis
Eindeutig reagieren die Duisburger Betriebsräte bei der Frage nach einem nationalen Standortbündnis. So stimmen über 80% der Befragten folgender Aussage zu: „Die IG Metall sollte verstärkt die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Unternehmen suchen und ein starkes Bündnis schmieden, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland stark und unsere Arbeitsplätze sicher werden.” Ein Bündnis mit den Unternehmen für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland kann demnach die Arbeitsplätze sicher machen. Es stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage eine solche Einschätzung erfolgt. Nicht nur in den meisten Gewerkschaftszentralen sieht man das nationale Bündnis für Arbeit als weitgehend erfolglosen Versuch bzw. als gescheitert an (vgl. Sommer 2003: 1ff.; Gasse/Neugebauer/Teichmüller 2003: 1; Urban 2000). Auch die in der Befragung von den Betriebsräten geschilderten Erfahrungen mit ihren eigenen Unternehmern sind mehrheitlich nicht dazu geeignet, korporatistische Wunschvorstellungen, wie sie hier zum Ausdruck kamen, realitätsnah zu unterfüttern.
Wo Fakten fehlen, richtet sich der Blick auf ideologische Motivationen. In einer Denkschrift zur Zukunft der Arbeit von Journalisten stellt der Redakteur und Verdi-Funktionär Siegfried Heim fest: „Mit Hilfe jahrzehntelanger journalistischer Arbeit haben die Unternehmer die Lufthoheit über den Stammtischen errungen, sind gewerkschaftliche Deutungsmuster fast völlig verschwunden” (zitiert nach Knott 2003: 18). Bergmann/Bürckmann/Dabrowski stellten in ihrer Befragung von Betriebsfunktionären der IG Metall ein Set von Einstellungen fest, das auf eine „Bestätigung des verschwiegenen nationalen Standortkorporatismus” hinausläuft, der auch die Politik der IG Metall bestimme (Bergmann/Bürckmann/Dabrowski 2002: 83). Trotz häufiger Detailkritik stoße diese Politik fast ausnahmslos auf grundsätzliche Zustimmung (vgl. ebenda).
Die Akzeptanz der neoklassischen Wirtschaftstheorie ist demnach bis weit in die Gewerkschaften vorgedrungen (vgl. Flassbeck/Spiecker 200: 16) und liefert die Grundlage für jenen Wettbewerbskorporatismus, der bei den in der Studie befragten Betriebsräten, trotz ihrer berichteten praktisch erlebten Erfahrungen vom Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, zu einer Haltung zwischen Hilflosigkeit und Ergebenheit gegenüber den angeblichen oder realen Notwendigkeiten der kapitalistischen Konkurrenz führt[15].
Wo bleibt die Arbeitersolidarität?
Wohin kann die Akzeptanz der Standortideologie durch die Betriebsräte führen, wenn sie auf der betrieblichen Ebene zur Anwendung gelangt? Laufen die betrieblichen Interessenvertretungen in Deutschland Gefahr, „zum integralen Bestandteil des Herrschaftssystem flexibler Unternehmen zu werden” (Dörre 2002: 380)? Was für ein Bestandteil wäre das? Finden sich die Betriebsräte am Standort, laut Lexikon „auch militär. f. Garnison”, in der Rolle der Unteroffiziere wieder? Und was für eine Haltung wäre von ihnen einzunehmen in dieser Garnison, die reindeutsch mit Kaserne zu übersetzen wäre?
In der Duisburger Fallstudie wurden die Betriebsräte nach ihren betriebswirtschaftlichen Sichtweisen befragt. Folgende Aussage wurde zur Abstimmung gestellt: „Kollegen, die nicht mitziehen oder eine ruhige Kugel schieben wollen, können wir uns nicht leisten”. Obwohl sich bei anderen Punkten des Fragenbogens bis zu einem Fünftel der Befragten enthalten, wird hier so gut wie kein Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, sich der Zumutung einer so formulierten Behauptung zu entziehen. Dagegen stimmen 72,9% der Betriebsräte dieser Aussage zu!
Im Gespräch mit Betriebsräten wurden Deutungsmuster sichtbar, die eine solche Aussage zu legitimieren suchten. Zentral stehen hier die Erfahrungen von Konflikten zwischen den Beschäftigten, bei denen der Betriebsrat als Schlichter gefordert ist. Zu häufige Arbeitsunfähigkeit oder ein als zu gering angesehener Arbeitseinsatz von Einzelnen führt zum Vorwurf der Unkollegialität. Die Beschäftigten beklagen, die Arbeit der Drückeberger übernehmen zu müssen. Es ist anzunehmen, dass diese Alltagserfahrungen der Betriebsräte in die Bewertung des vorliegenden Fragebogenpunktes mit eingeflossen sind. Dennoch bleibt festzuhalten, dass hier explizit nach einer betriebswirtschaftlichen Sichtweise gefragt wurde. Und dies zudem in einer sehr stark zugespitzten Frageform:
„Wir” können „uns” einen Kollegen „nicht leisten”
So klingt die betriebswirtschaftliche Logik eines Personalchefs. Was bedeutet es für den einzelnen abhängig Beschäftigten, wenn sein Betriebsrat sich dieser Sichtweise annähert? Dass sein Betriebsrat seine Interessen nur vertritt, wenn er Leistung bringt, sich für das Unternehmen als nützliche, profitable Arbeitskraft erweist? Welchen Kündigungen wird ein solcher Betriebsrat zustimmen? Die betriebsverfassungsgemäßen Vorgaben der Sozialauswahl orientieren sich an den schwächeren, den schutzbedürftigen Beschäftigten (vgl. Fitting 2002: 1397). Ein Betriebsrat mit betriebswirtschaftlicher Prioritätensetzung wird versucht sein, die jüngeren, qualifizierteren und leistungsstärkeren Beschäftigten im Betrieb zu halten. Eine solche Haltung aber widerspricht dem Solidarprinzip und birgt die Gefahr, zu „Segmentierungen der Belegschaften” beizutragen (Bergmann/Bürckmann/Dabrowski 2002: 60).
Wird also die interne Konkurrenz und forcierte Selbstausbeutung moderiert, vermittelt oder sogar durchgesetzt von Betriebsräten, zur betrieblichen Realität? Werden wir das Prinzip „Ausgrenzung statt Arbeitersolidarität” (vgl. Schumann 2003: 83), erleben?
So wenig einheitlich die Situation in den Betrieben heute ist, so wenig einheitlich wird sie in der Zukunft sein. Dies gilt ebenso für die Sicht- und Herangehensweisen der Betriebsräte. Vor die Entscheidung gestellt, sich aktiv an Restrukturierungsmaßnahmen wie in einigen Betrieben der Duisburger Metallverarbeitung zu beteiligen oder Konkurse und Arbeitslosigkeit hinzunehmen, werden sich die meisten Betriebsräte und Gewerkschafter für den Weg der Sanierungskooperation entscheiden. Die Ergebnisse der Duisburger Fallstudie zeigen, dass dies nicht zwangsläufig dazu führen muss, dass die Betriebsräte völlig blind für die Widersprüche und Ungerechtigkeiten ihrer Arbeitswelt werden. Dies weisen die Ergebnisse der Fallstudie nach. Über zwei Drittel der Befragten sehen sich an den Rudern arbeiten, während die Eigentümer den Gewinn einstecken. In gleichem Maße wird ein „unüberwindbarer Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit” sowie die Existenz von „Klassenkampf” festgestellt.
Fasst man diese Aussagen mit den zuvor geschilderten standort- und wettbewerbskorporatistischen Positionen zusammen, dann ergibt sich ein offensichtlich widersprüchliches Meinungsbild, welches zwingend die Frage aufwirft: Wo stehen die Betriebsräte heute? Und noch viel entscheidender: Wo werden sie morgen stehen?
Das quantitative und qualitative Mehr an Arbeit, welches von den Betriebsräten in der Befragung fast durchgehend berichtet wird, lässt augenscheinlich kaum noch Zeit, sich über das eigene Selbstverständnis Gedanken zu machen. Dies gilt in gleichem Maße für die Gewerkschaften, die sich in einer Situation befinden, in der „bei schwindenden Ressourcen” und bestenfalls stagnierenden Personalkapazitäten die Arbeit immer umfangreicher wird (Gasse 1998: 14). Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre hecheln durch das Alltagsgeschäft. Für tiefer gehende Reflektion fehlt oft die Zeit, und so lässt der Handlungsdruck mit seinem notwendigen Pragmatismus kaum Platz für seine politische Hinterfragung.
Doch ist es in Duisburg augenscheinlich gerade das intensive Engagement der örtlichen IG Metall sowie deren entscheidende Rolle bei betrieblichen Kriseninterventionen und dem daraus resultierendem Co-Management, welches bisher verhinderte, dass sich hier eine anderen Orts zu beobachtende wachsende Kluft zwischen „betrieblicher Interessenvertretung und gewerkschaftlicher Politik”, wie sie Klaus Dörre konstatiert (2002: 380), aufgetan hat.
Das kooperative verbetrieblichte Krisenmanagement ist in Duisburg gewerkschaftliche Politik. Der sonst bei kooperativen Betriebsräten teilweise festzustellende „Loyalitätsverfall gegenüber gewerkschaftlicher Politik” (ebenda) lässt sich in dieser Eindeutigkeit in der Duisburger Metallverarbeitung nicht konstatieren. Diese Feststellung gilt jedoch nur für den Moment. Die für die gewerkschaftliche Identifikation der Betriebsräte sehr grundlegenden Überzeugungsmuster haben bei den Befragten der Duisburger Fallstudie ihre Festigkeit verloren. Die gleichzeitige Bejahung vieler den gewerkschaftlichen Positionen zuwiderlaufender Aussagen deutet auf einen bei den Betriebsräten tief gehenden Identitäts- und Rollenkonflikt hin. Dies ist eine höchst prekäre Situation für die Gewerkschaften, denen klar ist, dass „der Schlüssel zum Verständnis gewerkschaftlicher Stärke [...] ihre betriebliche Verankerung” ist (Schroeder 2003: 156).
Es sind die Betriebsräte, die die gewerkschaftliche Funktionärsbasis ausmachen, die als Gewerkschafter in den Betrieben wahrgenommen werden und dort für die Mitgliederrekrutierung sorgen[16]. Verselbständigen sich die Betriebsräte, schreiten Verbetrieblichung und Entpolitisierung weiter voran, dann wird es in Zukunft keine Gewerkschaften in der heute bekannten Form mehr geben. Denn ein reiner Wettbewerbskorporatismus, der zum einen den Standort Deutschland und zum anderen die jeweiligen Betriebsstandorte verteidigen und der Konkurrenz überlegen machen will, ist nicht überein zu bringen mit dem gewerkschaftlichen Grundanliegen, das in der Aufhebung oder zumindest Milderung der Konkurrenz der abhängigen Beschäftigten unter einander liegt.
Eine solche Entwicklung könnte den Gewerkschaften das zentrale Mittel für ihre Durchsetzungsfähigkeit nehmen: die Möglichkeit, überbetriebliche Solidarität und Wirkungskraft zu entwickeln. Soweit diese Fähigkeit schon verloren gegangen ist, geht es zwingend um die „Rückgewinnung der gewerkschaftlichen Autonomie” (Urban 2003b: 29). Gelingt diese nicht, dann werden sich IG Metall und Co deutlich verändern.
Es könnten Gewerkschaften entstehen, die sich als Serviceanbieter für betriebssyndikalistische bzw. assistentialistische[17] Interessen betätigen und darüber hinaus mit hochflexibilisierten, weitgehend durchlöcherten Flächentarifverträgen gerade noch dort als Ordnungs- und Disziplinierungsfaktor agieren dürfen, wo sie der Standortkonkurrenz nützlicher sind als völlig gewerkschaftsfreie Zonen. Solche Gewerkschaften aber verzichten nicht nur auf ihre ursprüngliche Identität und ihre Würde: Letztlich verlieren sie ihr Existenzrecht.
Kontakt: jurihalker@aol.com
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Vellay, C. 2001: Brasilianische Gewerkschaften im Wandel. Der Novo Syndicalismo zwischen Pluralismus und Korporativismus. Köln.
Wendel, M. 2002: Jenseits des Tarifgitters. In: PROKLA. Heft 129. Berlin. S. 537-555.
Zinn, K.G. 2000: Kapital- versus Sozialökonomie. Über die zerstörerische Wirkung der Kapitalkonzentration. In: Bischoff, J. u.a. (Hg.): Die Fusions-Welle. Die Großkapitale und ihre ökonomische Macht. Hamburg. S. 11-21.
[1] Starke Worte lassen sich hierzu selbst beim DGB-Vorsitzenden Michael Sommer finden, der in den „sogenannten betrieblichen Bündnissen für Arbeit” die Tendenz zu einer „Totalaushölung der Tarifautonomie” sieht. Im Ergebnis dieser betrieblichen Bündnisse würden sinkende Löhne und eine schwächere Massenkaufkraft zu einer volkswirtschaftlichen Abwärtsspirale führen. „Schon aus diesem Grund akzeptieren wir keine sogenannten betrieblichen Bündnisse für Arbeit” (Sommer 2003: 1). Demgegenüber sieht die von den Gewerkschaften mitgetragene Realität so aus: In gut 30% der Betriebe mit Betriebsrat finden sich Übereinkünfte zwischen Betriebsräten und Unternehmenseignern mit Titeln wie „Bündnis für Arbeit, Beschäftigungspakt, Standortsicherungsvertrag oder Wettbewerbsbündnis” (Seifert 2002: 7).
[2] Ausführlicher diskutiert Legrand dazu in den Gewerkschaftlichen Monatsheften. Der Beitrag ist über das Internet einzusehen (vgl. Legrand 2003b).
[3] Nicht nur, dass die abhängig Beschäftigten ihre Arbeitsplätze (leider) nicht selbst besitzen. Hier werden Arbeitslose und jene, die ihre Arbeitskraft noch verkaufen dürfen, gegeneinander in Stellung gebracht. Das dabei verfolgte Ziel besteht in der Absenkung von Löhnen und Besitzständen. Und wo die, die Drinnen sind und die, die Draußen stehen sich grimmig anstarren, da bleibt der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit brav außerhalb des Blickfeldes und verharrt „in der neu erfundenen Klassenkampflinie zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitslosen” (Hickel 2003).
[4] In der Diskussion um das Zukunftsmanifest der IG Metall stellten Schmitthenner und Urban Positionen fest, die „den Geist der neuen Sozialdemokratie” atmen. Zwar kämen diese Strategieempfehlungen oft „chiffriert” daher, sie markierten aber ein Konzept, das „auf eine andere IG Metall” hinauslaufe (Schmitthenner/ Urban 2002: 7).
[5] Ein illustrierendes Fallbeispiel bietet die Einladung des DGB Niederrhein zu einer Betriebsrätekonferenz mit Berthold Huber. Unter der Überschrift „Hände weg von der Tarifautonomie!” kommt folgende kuriose Verrenkung zu Stande: „Die Bundesregierung ist angetreten, die Arbeitslosigkeit durch nachhaltige Strukturveränderungen zu bekämpfen ... . Zur Umsetzung dieser Reformen benötigt die Rot-Grüne Bundesregierung die politische Zustimmung der Oppositionsparteien. Diese wiederum koppelt ihre Zustimmung an den Abbau weiterer Arbeitnehmer(schutz)rechte und massive Eingriffe in die Tarifautonomie” (DGB Niederrhein 2003). So krude kommt daher, wer aus der Orientierung auf Widerstand gegen die Zumutungen von Rot-Grün einen Solidaritätsaufruf mit der Neuen Sozialdemokratie drehen will.
[6] Ende Mai 2003 wurden 1013 Beschäftigte befragt, von denen 267 Gewerkschaftsmitglieder waren. Zusätzlich wurden weitere 250 Gewerkschaftsmitglieder konsultiert, um die Aussagen auf eine breitere Basis zu stellen (vgl. DGB 2003: 2).
[7] Aussage: „Leistungen für Arbeitslose, die einen angebotenen Arbeitsplatz ablehnen, werden gekürzt” (DGB 2003: 16).
[8] Aussage: „Auf Vermögen und große Erbschaften werden Steuern erhoben” (DGB 2003: 16f.)
[9] Aussage: „Der Kündigungsschutz in kleinen Betrieben mit bis zu fünf Beschäftigten wird gelockert” (DGB 2003: 26).
[10] So ist für Ostdeutschland beispielsweise eine weit gehende Entkoppelung zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften nachgewiesen (vgl. Artus 2003). Dies dürfte mit zu den zentralen Gründen für die Streikniederlage der IG Metall zählen.
[11] Befragt wurden 79 Betriebsräte (BR) aus zehn Betrieben. Dies sind nicht ganz ein Drittel aller BR in der Duisburger Metallverarbeitung. Ein BR war unorganisiert, alle anderen Mitglied der IG Metall. Die BR arbeiten in Klein- und Mittelbetrieben. In sechs Betrieben gab es in den letzten zehn Jahren mindestens eine existenzbedrohende Krise, in der BR und IG Metall über Sanierungskoalitionen intervenierten und als Co-Manager zur Weiterführung der Standorte maßgeblich beitrugen. Über den Vergleich jener co-managenden BR mit ihren Kollegen ohne Erfahrungen im Co-Management wollte die Studie unterschiedliche, sich widersprechende Rollenverständnisse aufspüren. Die Auswertung der erhobenen Daten erbrachte dafür keinen deutlichen Nachweis. Vielmehr lagen co-managende und nicht-co-managende BR in ihrem Meinungsbild nahe bei einander. Größere Differenzen ergab dagegen die Untersuchung des individuellen Abstimmungsverhaltens der BR, das von irritierenden Widersprüchlichkeiten geprägt war und Anhaltspunkte für tiefgehende Friktionen in ihrem Rollenverständnis gab (vgl. Hälker 2004).
[12] Die zur Abstimmung gestellten Aussagen des Fragebogens werden hier und im Weiteren kursiv dargestellt.
[13] Beispielhaft sei hier der Titel des Heftes August 2002 erwähnt: „Taming the market predators. A few proposals from the European arena” (Mitbestimmung 2002: 1).
[14] Die stellvertretende Vorsitzende des DGB, Ursula Engelen-Kefer: „Mitbestimmung ist ein Standortfaktor” (2001: 187).
[15] Karl Georg Zinn: „Es ist wohl keine Übertreibung festzustellen, dass das historische Bewusstsein bei einem großen Teil der arbeitenden Menschen verloren gegangen ist, und sie deshalb ihre Situation als bloße Objekte und Opfer der Kapitalverwertung nicht mehr klar erkennen. Aus solcher Bewusstlosigkeit der eigenen Position folgt dann auch der Mangel an ideologischer Gegenkraft zur Globalisierungs- und Standortpropaganda” (Zinn 2000: 17).
[16] Dies gilt angesichts des Niedergangs der Vertrauensleutearbeit in zunehmendem Maße.
[17] Unter anderen bietet die Geschichte lateinamerikanischer Gewerkschaftsbewegungen, beispielsweise in Brasilien, einen erhellenden Einblick in das Wesen assistentialistischer Gewerkschaftspraktiken (vgl. Vellay 2001).