Die Positionen Johann Gottfried Herders, dessen 200. Todestag sich am 18. Dezember 2003 zum 200. Mal jährt, bilden einen Höhepunkt der deutschen und europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Herders tiefer, universal begründeter Humanismus, seine demokratische Geschichts- und Gesellschaftsinterpretation, seine Ideen von der Gleichheit der Menschen, der Gleichberechtigung und brüderlichen Verbundenheit aller Völker und Nationen, seine Verurteilung des Kolonialismus, seine Ablehnung von Krieg und Gewalt, sein Eintreten für Toleranz und geistige Freiheit enthalten unentbehrliche Orientierungspunkte für die Bewältigung der ungelösten Menschheitsprobleme der Gegenwart. Inspirationen für das philosophische Denken Herders bildeten – in breitem Rückgriff auf antikes Gedankengut und den Humanismus der Renaissance – die intensive Beschäftigung mit der französischen Aufklärung (Montesquieu, Helvétius, Rousseau), die Verarbeitung des reformatorischen und nachreformatorischen Denkens und darüber hinaus des gesamten Spektrums der Sozial- und Religionskritik seit dem 16. Jahrhundert, die Aufnahme des Spinozismus und der Frühaufklärung, besonders Leibnizscher Ideen, die Zusammenarbeit mit Goethe (in der frühen Weimarer Zeit), die Kontakte im Weimarer Freundeskreis, im weiteren besonders die sozialen Erfahrungen am Vorabend der Französischen Revolution und die Revolutionserfahrungen insgesamt. Freilich waren bereits in Herders früher Rigaer Schaffensperiode viele entscheidende Konturen der Weltanschauung Herders ausgebildet: die historische Betrachtung von Literatur und Gesellschaft, die Aufnahme des historischen Sensualismus, die Kritik des traditionellen Christentums, der protestantischen Orthodoxie und der rationalistischen Theologie, die Hinwendung zum Volk und zur Volkskultur, sein Plädoyer für eine volksverbundene Philosophie wie auch die besondere Sympathie für die durch fremde Okkupanten jahrhundertelang unterdrückten kleinen Völker, besonders die Völker des Baltikums. In der geistigen Gemeinschaft mit Goethe entsteht in Weimar – in Korrektur bestimmter Einseitigkeiten seiner Bückeburger Schaffensperiode – in den Jahren 1784-91 Herders geschichtsphilosophisches Hauptwerk, die „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“, in denen er, anknüpfend an Impulse seiner frühen Königsberger und Rigaer Lebensstationen, ein universelles entwicklungsgeschichtliches Weltbild konzipiert, in dem Kosmos, irdische Natur und Mensch integriert sind. Die Humanitätsidee als Kernstück des Herderschen Denkens erlangt hier volle Ausprägung, Reife und zugleich umfassende naturhistorische Fundierung.
Geschichte und Humanität
Kristallisationspunkt des Herderschen Denkens ist die Annahme und Erwartung einer harmonischen, von sozialen Antagonismen befreiten, auf solidarischen Beziehungen der Individuen gründenden Gesellschaftsordnung. Diese demokratische Utopie ist Ausdruck des Protestes Herders gegen den feudalen Despotismus, gegen die repressive, die freie Betätigung der Individuen fesselnde bürokratisch-absolutistische Staatsmaschinerie seiner Zeit wie auch Resultat seiner Erfahrung mit dem frühen Kapitalismus. Das theoretische Pendant des feudalbürokratischen Staats ist nach Herder die von ihm abgelehnte mechanistisch-rationalistische Weltinterpretation. „Jeder Staat als solcher ist eine Maschiene und keine Maschiene hat Vernunft.“[1] Herder steht in der Tradition des sozialen Egalitarismus. Alle Formen der Staatlichkeit, die stets Formen von Unterdrückung und Fesselung der Individuen und künstliche Institutionen sind, gelte es nach Herder zu eliminieren. Der Despotismus sei „räuberisch und bettelhaft“[2]. Noch weitergehend bemerkt Herder: Es ist ein „Grundsatz des Naturrechts“, dass „unsere Erde nämlich ein Gesammt-Eigenthum“[3] sei.
Für Herder gibt es keine geschichtslosen oder geschichtslos gewordenen Völker. In allen steckt Erneuerungs- und Gestaltungspotential. Die naturgegebene Gleichheit der Menschen, Völker und Nationen, die mit dem göttlich-harmonischen Charakter der Natur korrespondiere, muß nach Herder in den Rang der höchsten Staatsdoktrin erhoben werden. Er formuliert: „Die Menschheit ist ein so reicher Entwurf von Anlagen und Kräften, daß, weil alles in der Natur auf der bestimmtesten Individualität ruhet, auch ihre großen und vielen Anlagen nicht anders als unter Millionen vertheilt auf unserem Planeten erscheinen konnten“[4]. Die Verschiedenheit des Menschengeschlechts, die Unterschiedlichkeit der geistigen und kulturellen Existenzformen der Völker machen für Herder wechselseitige Bereicherung und geistig-kulturellen Austausch als ihre Entwicklungsbedingung erforderlich. Herders Geschichtsphilosophie findet im Begriff der Humanität ihren zusammenfassenden Ausdruck. Humanität gründet im Glücksanspruch des Individuums und seinem Vermögen auf volle Ausbildung seiner Kräfte und Fähigkeiten, in seinem Recht auf Genuss seiner Existenz und dem sich darauf ergebenden gleichen Existenzrecht für alle Völker. Herder betrachtet die menschliche Individualität in ihrem Eigenwert, als Selbstzweck, unter dem Gesichtspunkt der Selbstgestaltung der Geschichte unter den jeweiligen konkret-historischen Umständen. Humanität ist Handlungsnorm des Individuums, Inhalt seiner moralischen Entwicklung wie historische Perspektivkonstruktion. Herders Lehre von der Humanität als Dominante des Geschichtsprozesses verallgemeinert Aspekte der fortschreitenden Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur, des Fortschritts von Wissenschaft und Technik, der aufsteigenden Kulturentwicklung in ihren materiellen und ideellen Ausdrucksformen. Orientierungspunkte der Verallgemeinerung sind die Schnittpunkte geschichtlicher Progression aus der sozialen Erfahrung des Bürgertums selbst. Proklamation der Aufklärung ist zugleich ihre Projektion in die Geschichte. Die Unzerstörbarkeit der Humanität erweist sich gerade angesichts der äußerst widerspruchsvollen Natur des Geschichtsprozesses. Herder, der die Folgen der modernen Arbeitsteilung noch nicht zu erfassen vermochte, hält an der Hoffnung auf eine demokratische Gesellschaftsgestaltung „jenseits feudaler Knechtschaftsbeziehungen, aber auch jenseits der Entfremdungsbeziehungen des frühen Kapitalismus, jenseits absolutistischer Machtapparaturen und ohnmächtiger Untertänigkeit, an der Suche nach einem Weg, dessen Ziel nur eine bürgerliche, ja kleinbürgerliche Utopie zeigen kann, in der bürgerliche Aufklärungs- und Persönlichkeits-ideale demokratischer Selbsttätigkeit sich amalgamieren“[5], fest.
Aus der Konstruktion eines naturgesetzlichen Harmoniestrebens und zugleich aus dem realen, in Widersprüchen verlaufenden materiell-kulturellen Fortschritt der Menschheit ergibt sich für Herder das Vertrauen in den Triumph der Humanität, der welthistorische Optimismus der „Ideen“. Jene Beziehungen der Individuen sind die naturgemäßen, die auf unmittelbaren persönlichen Bindungen beruhen, auf wechselseitig-solidarischer Anteilnahme der Individuen gründen. Hieraus ergibt sich Herders besonderes Interesse gerade für das Schicksal kleiner Völker, die in der Gegenwart häufig im Ergebnis der Eroberungspolitik fremder Staaten unterdrückt, verschüttet und vernichtet wurden. Entwicklung zur Humanität bedarf gerade der Reaktivierung, der Regeneration der frühen, naturnahen Kulturzustände. Nach Herder müssen sich dabei naturnahe mit modernen Zivilisationsformen vereinigen. Rückbezug auf die Frühgeschichte der Völker und Kulturen ist bei ihm vor allem Bestandteil einer übergeordneten Perspektivkonstruktion der Gesellschaft, die er der krisenhaften und historisch überlebten Feudalordnung entgegenstellt. Herder hofft, dass es gelingen möge, „die Botschaft der Frühe zu einer neuen Gesinnungsbildung in die zivilisatorisch und tausendfach durch Vermittlungen bestimmte Gegenwart hineinzutragen“[6].
Humanität ist für Herder kein historisches Ideal, sondern immer nach Raum, Zeit, historischen Umständen und geschichtlich gegebenen Anlagen der Individuen und Kollektive konkret bestimmt. Sie umgreift die Erhebung über das Tierische durch aufrechten Gang, Sprache, Vernunft, produktives Wirken, zugleich Befreiung von barbarischen Existenzformen der Menschheit, zunehmende menschliche Kraftentfaltung bis zur Eroberung der Macht über die Natur, Gestaltung solidarischer Beziehungen der Menschen zueinander, bezieht sich stets auf das wachsende Maß der Selbstbestimmung der Individuen, Kollektive und Völker. Humanität betrifft das Fundament menschlichen Seins, die Existenz der Menschengattung in der Vielgestaltigkeit ihrer Erscheinungsformen. Kollektivität menschlichen Wirkens ist für sie unabdingbar. Herder akzentuiert die direkten personalen Beziehungen, die Beziehungen der Geselligkeit, Freundschaft und Solidarität als Konstitutionselemente der Humanität. Artikulation des Glücksanspruchs des Individuums, Ablehnung des Egoismus und Kollektivitätsaspekt finden auf der gesellschaftlich-geschichtlichen Ebene ihre Entsprechung in der Orientierung auf die Völker als geschichtsbestimmende Kräfte, im Betonen des Rechts auf Selbstbestimmung, auf Selbstgestaltung ihrer Geschichte. Herders Gespür für die große Vielschichtigkeit im Leben der Völker, seine Negation eines abstrakten Tugendmodells, die aus der Anwendung des Sensualismus auf geschichtlich-soziale Begebenheiten erwächst, sind Komponenten eines Denkens, die belegen, dass sein Geschichtsbild tendenziell auf die wirklichen historischen Prozesse orientiert ist. Herder plädiert für frei tätige, ihre subjektiven Potenzen voll verwirklichende Individuen, die nicht fremden Zwangsgewalten subordiniert sind, nicht wie Herren und Knechte einander gegenüberstehen, deren Leben nicht in eine Privat- und eine öffentliche Sphäre geteilt ist. Die patriarchalische Frühzeit, die antiken Republiken, die Bürgerfreiheit in den mittelalterlichen Städten bilden für Herder historische Orientierungspunkte demokratischer Gemeinschaftsbeziehungen. Das Demokratiekonzept Herders geht von den Bedürfnissen der Völker aus, von ihrem realen Lebensprozess, und zielt nicht auf die Etablierung spezieller politischer Institutionen.
Radikaldemokratische Gesellschaftsauffassungen im klassischen Weimar
In der deutschen Philosophie und Literatur des 18. Jahrhunderts hat Herder wie kaum ein anderer das bürgerliche nationale Selbstverständnis unter demokratischen Vorzeichen und die Problematik des Nationalen reflektiert und exponiert. Die nationalen Eigenarten sind nach Herder tief in der Geschichte verankert. Die Artikulation der nationalen Problematik ist Bestandteil des Ringens um das Sprengen der universellen absolutistischen Macht. Mit seinen literaturgeschichtlichen Untersuchungen, seinen Volksliedsammlungen und seinen Aufsätzen im „Teutschen Merkur“ zu Repräsentanten der Renaissance hat Herder im Vorfeld der bürgerlichen Revolution maßgeblich zur Formierung des demokratischen deutschen Nationalbewusstseins beigetragen. Herders Volksliedsammlungen sind geistige Bausteine der antifeudal-bürgerlichen Emanzipationsbewegung des 18. Jahrhunderts, Teil des Bemühens um Erhaltung und Neugewinnung der nationalen Identität, um Wiedergeburt, Selbstbesinnung und Selbstbestimmung der Völker, Elemente der Kritik des bestehenden Zivilisationstyps und der überkommenen absolutistischen Herrschaftsstrukturen. Mit der Artikulation der nationalen Spezifik hebt Herder zugleich den Zusammenhang, das wechselseitige Band der Nationen hervor, die Aufhebung der ethnischen und nationalen Differenzen in der Einheit der Menschheit. Die Aneignung fremder Kulturen bereichert die eigene und lässt diese erst verstehen. Herder wirkt mit seiner Konzeption der demokratischen nationalen Selbstbesinnung und Selbstbestimmung, mit seinem Plädoyer für wechselseitige Kenntnis und Annäherung der Nationen, mit seinen Ideen zur Verbindung von Nationalem und Internationalem, mit seinen Gedanken von Solidarität und Toleranz dem nationalen Egoismus, der nationalen Feindschaft zwischen den Völkern in der Periode des sich herausbildenden Kapitalismus entgegen wie er ebenso über jene Ansichten hinausgeht, die die Bindung der Nationen nur aus merkantilischem Interesse begründen, wenngleich für ihn Handel, Wissenschaft usw. integrierende Momente der geschichtlichen Vorwärtsbewegung sind.[7]
Herders radikal-demokratische Überzeugungen führten zur Distanzierung von Goethe und zum Bruch mit ihm. Den antikisierenden klassizistischen Zügen in seinem Denken vermochte Herder nicht zu folgen. Wichtige Impulse verdankt Herder den radikalen gesellschaftskritischen Positionen August von Einsiedels (1754-1837) sowie Inspirationen Karl Ludwigs Knebels (1754-1834). Die Ansichten Einsiedels sind uns nur in Exzerpten Herders überliefert. Mit der philosophischen Antizipation einer Zukunftsgesellschaft, der Kritik am Privateigentum, der Religion und der Geldwirtschaft zählte er zu den Repräsentanten des entschiedensten linken Flügels der deutschen Aufklärung. Mit der Französischen Revolution sympatisierte Einsiedel leidenschaftlich. Bereits in den sechziger Jahren bekannte er sich zum philosophischen Materialismus. Religion ist für ihn Ausdruck unentwickelter Kultur. Die christliche Lehre von der Unsterblichkeit führe zur Abwendung des Menschen von der Wirklichkeit und nehme dem Leben seinen Wert. Der Fortschritt der Kultur gründe gleichsam in der Natur des Menschen, nämlich in der größten Beweglichkeit der „Ideenfibern“. Mit der Aufnahme der Utopie eines goldenen Zeitalters unterzieht Einsiedel die auf sozialer Ungleichheit und großem Privateigentum beruhende Gesellschaft einer prinzipiellen Kritik. Lässt er einerseits das von ihm angestrebte Reich der Gleichheit aus der moralischen Verfassung der Menschen hervorgehen, so sind andererseits für die Schaffung einer Ordnung gesellschaftlicher Freiheit Interventionen des Staats notwendig, die mit den von der Jakobinerdiktatur angewandten Instrumentarien vergleichbar sind. Erlangten die Meinungen Einsiedels zur Überwindung der Religion bei Herder keine Resonanz, so fanden seine gesellschaftskritischen und sozialutopischen Erwägungen vor allem in den unveröffentlichten Textteilen von Herders „Ideen zur Geschichte der Philosophie der Menschheit“ Niederschlag.[8]
Karl Ludwig Knebel verband mit Herder eine enge Freundschaft. Knebel ging jedoch über Herder hinaus und vermied theoretische Kompromisse und Widersprüche, die sich in Herders Ansichten fanden, so z.B. in der Unsterblichkeitsfrage. Wie Knebel Herder mitteilte, überschätzte dieser nach seiner Ansicht die Bedeutung des Christentums. Unter dem Einfluss Knebels nahm Herder eine radikalisierende Umformung jener „Ideen“-Kapitel vor, die sich auf die Geschichte des Christentums bezogen. Freilich konnte er diese nicht publizieren. Lange Zeit beschäftigte sich Knebel mit der Übersetzung des atheistischen Lehrgedichts von Lukrez’ „De natura rerum“. Der Lukrezübersetzung Knebels war eine intensive Beschäftigung mit dem französischem Materialismus vorhergegangen. Die Natur ist für Knebel der einzige Grund, die ewige Ursache aller Dinge. Knebel verteidigte die Unsterblichkeitslehre Lukrez’ von der Position einer historisch-dynamischen Naturbetrachtung. Herder hatte Knebel bei der Vorbereitung eines Vorabdrucks seiner Lukrezübersetzung empfohlen, von der Aufnahme solcher Abschnitte abzusehen, die auf die Leugnung der Unsterblichkeit abzielten. Gleichwohl erkannte auch Herder das Verdienst des Lukrez an, das darin bestand, sich dem „Joch des Aberglaubens und Pfaffentums“ entgegenzustellen. Knebel identifizierte sich jedoch mit den religionskritischen Meinungen Lukrez’ gänzlich.
Impulse der Französischen Revolution
Die unter dem Eindruck der Französischen Revolution verfassten „Briefe zu Beförderung der Humanität“ (1792-1797) lassen gegenüber den Ansichten der achtziger Jahre eine Radikalisierung der Herderschen Auffassungen erkennen. In ihrer handschriftlichen Urfassung bezeichnete Herder die Französische Revolution ungeachtet vorübergehend distanzierender Beurteilung speziell angesichts der Ereignisse der Jakobinerdiktatur als das wichtigste Ereignis seit der Reformation. Er fasste sie als Indikator des historischen Grundgesetzes wachsender Humanität. In den „Briefen ...“ hielt Herder an den Grundsätzen seiner demokratischen Geschichtsphilosophie mit Entschiedenheit fest. Deutlicher als zuvor betont er die geschichtsbildende Rolle der produktiven materiellen Arbeit im Humanisierungsprozess der Gesellschaft. Die gesamte menschliche Kulturgeschichte untersucht Herder im Hinblick auf ihre Leistungen zur Ausbildung der Humanität. Die Kollektivität menschlichen Wirkens ist eine Grundkomponente ihrer Entfaltung. Nur in „werkthätiger, gegenseitiger Gemeinschaft“ lebe und gedeihe das Menschengeschlecht. Aus dem „Wettkampf menschlicher Kräfte, der immer vermehret werden muß“, der Verbindung der Elemente und Nationen entstehen „gemeinschaftliche Productionen mehrerer Völker“[9]. Herder löst sich von Montesquieus Überzeugung, wonach die konstitutionelle Monarchie allen gesellschaftlichen Institutionen die Freiheit verbürge und die Gegensätze in der Gesellschaft vermittelt würden. Er ersetzt sie durch eine rousseauistische Inspiration: „Denn nur Despotismus oder gemeines Wesen sind die beiden Endpunkte, die Pole, um welche sich die Kugel drehet.“[10] W. Krauss spricht direkt vom „Jakobinismus“[11] Herders. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution und angesichts der Interventionskriege der feudalen Dynastien entwirft Herder in den „Briefen ...“ eine klar umrissene, politisch profilierte Konzeption zur Erlangung eines immerwährenden Friedens. Herder appellierte nicht wie Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ an die Regenten, sondern an die Völker. Unter dem Titel „Abscheu gegen den Krieg“ verurteilt Herder in scharfer Form den Aggressionskrieg, der nicht nur die überfallene Nation, sondern auch die ihn führende Nation mit Not und Elend überzieht. Die Völker haben nach Herder die reale Möglichkeit, ihre Regierungen zum Frieden zu zwingen, wenn sie sich ihrer Kraft bewusst werden und die Waffe der internationalen Solidarität einsetzen. Für Herder ist die Frage eines dauerhaften Friedens nicht wie bei Kant ein staatsrechtliches Problem, sondern eine Frage der Durchsetzung der Humanität, die naturgesetzlich verankert ist und sich zugleich im Handeln der Volksmassen manifestiert. Herder ist davon überzeugt, dass im Gefolge „innere(r) Gesetze“[12] des Menschengeschlechts dereinst eine Zeit der brüderlichen Verbundenheit und Eintracht aller Völker und Nationen anbrechen werde. Macht und Kraft der Völker, in denen sich die Macht der historischen Vernunft artikuliert, seien letztlich die Garantie dafür, dass der Krieg aus dem Leben der Völker verbannt sein wird. Wie W. Krauss hervorhebt, werde wie in der Aufklärung auch in der Sturm-und-Drang-Bewegung der Krieg als kultur- und fortschrittshemmender Faktor und daher als ein naturwidriges Element verworfen. Die ersten Zeichen der Vor- und Frühaufklärung hatten in Frankreich gegenüber den kriegerischen Hegemoniebestrebungen der Regierung Ludwig XIV. begonnen. „Es braucht nicht gesagt zu werden, wie ein solches Motiv in Deutschland ansprechen mußte. Im Sturm und Drang wird an der Verurteilung des Kriegs im allgemeinen nur festgehalten. Herder betont den unversöhnlichen Widerspruch zwischen dem Friedensbedürfnis und der Friedensbereitschaft der Völker und den kriegerisch ausgetragenen Konflikten der rivalisierenden Kabinette.“[13]
Herders Vision einer „europäischen Republik“ und einer demokratischen Wertegemeinschaft
Das nach der Jahrhundertwende entstandene letzte Werk Herders „Adrastea“, ursprünglich konzipiert als Zeitschriftenprojekt unter dem Namen der Zukunftsgöttin „Aurora“, der „Morgenröte des kommenden Jahrhunderts“, wertet W. Krauss als dessen demokratisches Vermächtnis, in dem die „überragenden Erscheinungen des vergangenen Zeitalters als zukunftsweisende Formungsversuche dem neuen Jahrhundert ins Gedächtnis gerufen“[14] werden. Herder resümiert in der „Adrastea“ die geistige, wissenschaftliche und politische Entwicklung Europas vornehmlich der ersten Jahrzehnte des vergangenen 18. Jahrhunderts und betrachtet als deren Fazit die nunmehr umfassende Realisierung von Vernunft und Aufklärung. Das 18. Jahrhundert habe eine „Revolution der Denkart“ bewirkt. Sei noch der Anfang des Jahrhunderts durch die Hoffnung auf ein Tausendjähriges Reich, durch religiösen Fanatismus und Schwärmerei geprägt worden, so entsagt man jetzt Gott und sucht das menschliche Glück auf die Autonomie der Vernunft zu gründen. Die Unausweichlichkeit des geschichtlichen Fortschritts auf allen Feldern der menschlichen Lebensäußerungen, vor allem auf denen der Vernunft und Wissenschaft, und das historische Herangehen sind übergreifende Gesichtspunkte. Die besondere Leistung von Herders „Adrastea“ ist die Artikulation eines neuen Epochebewusstseins. Die Frühaufklärung betrachtet Herder als fundamentalen historischen Einschnitts- und Umschlagspunkt. Das Spektrum des von Herder erfassten Denkens ist außerordentlich weit. Das Freidenkertum nimmt in der Entwicklung der geistigen Emanzipationsbewegung der Menschheit einen besonderen Platz ein. Die Konstrastierung von orthodoxem Christentum und „wahrer Kirche“ ist für Herder wesentlicher Gesichtspunkt. In der antikirchlichen Opposition erblickte er das Korrektiv des entstellten nachreformatorischen Christentum. Jede Spaltung der Gesellschaft in Stände wird von ihm verworfen. „Im Christentum giebts keinen Klerus; die Menschheit ist der erwählte Theil Gottes, kein ausschließender Stand.“[15] Auch sozialutopisches Denken wird reflektiert, freilich unter Abstreifung vorhandener kommunistischer Konsequenz. So erinnert Herder mit Nachdichtungen von Sonetten an den utopischen Sozialisten T. Campanella und seine „Sonnenstadt“ und nimmt Bezug auf D. Hartleys Lehrsatz, dass alle gegenwärtigen bürgerlichen Regierungen einst umgestoßen werden. Über Mandevilles „Bienenfabel“ und die Philosophie Helvétius’ fällt Herder negative Urteile. Sie legitimieren den Egoismus der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft, von dem er sich entschieden distanziert. Eine hohe Wertschätzung erfährt in der „Adrastea“ Leibniz, der „Genius der Wissenschaft“. Mit seinem „Codex des allgemeinen Völkerrechts“ sei er wirklich ein „Lehrer der Völker“ geworden. Er habe das Naturrecht „nicht bloß auf Macht und den Willen des Oberherren, sondern auf die ewigen Principien des Rechts und der Vernunft“ gegründet. „Dies göttlich-positive Völkerrecht nämlich ist das längst vor der Französischen Revolution klare und in ihr mißbrauchte Recht der Menschheit“. Seine Substanz sei „reine Humanität“. Der „Codex des Völkerrechts ist Allem, was Mensch ist, in die Brust geschrieben“. Im Leibnizschen Staat waltet nach Herder „über vernünftige Geister Gerechtigkeit in einer großen Stadt Gottes“[16].
Eine scharfe Kritik erfährt die Verquickung von Christentum, Kolonialismus und Europazentrismus in Herders „Gesprächen über die Bekehrung der Indier durch unsre Europäische Christen“, das in die Form eines Dialogs zwischen einem Europäer und einen Asiaten gekleidet ist und bezeichnenderweise den Titel „Propaganda“ trägt. Die europäische Kultur gründe auf „Macht, Schiffe(n), Geld, Kanonen, Kultur“. Herder lässt den Asiaten für eine „echte Humanität in einer glücklichen Völkerverbindung“[17] plädieren. Aus Herders Argumentation folgt die Legimität aller Kulturen, Religionen und Lebensweisen. Wenn Macht sich nicht mit Weisheit und Güte vereinige, werde sie zudringlich. Eine Überhebung der europäischen Kultur über andere Völker dürfe es nicht geben. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts bleibt für Herder, auch angesichts der einsetzenden kapitalistischen Entwicklung, die Vision einer harmonischen Menschengesellschaft, verwirklicht im Traumland Atlantis, unverrückbarer Bezugspunkt. Als Fazit seines Denkens hält Herder in der „Adrastea“ fest: „Die reine Idee des Wahren, Schönen und Guten ist das einzige Ideal einer Menschengesellschaft, in der alle Kräfte unsrer Natur harmonisch zusammenstimmen und wirken. Dies reine Ideal von barbarischen Hüllen zu befreien..., dahin bestrebten sich theilweise alle Guten und da kein Stillstand in der Natur ist, so erwarten alle eine Zeit, die Alles knüpfe und verbinde, auf einer Atlantis.“[18]
Die Erfahrung von Jakobinismus und Thermidor bricht die geschichtsoptimistische Überzeugung Herders letztlich nicht. Die „Adrastea“ ist nicht, wie die bürgerliche Herder-Interpretation unterstellt hat, ein Ausdruck sinkender Herderscher Schöpferkraft. Sie ist als eine „Enzyklopädie der Frühaufklärung“ ein Dokument von Herders entschieden demokratischer Gesinnung, gerichtet gegen elitäre Tendenzen im Kulturverständnis des bürgerlichen Zeitalters, gegen romantische Resignation, gegen den Egoismus und Utilitarismus, der der bürgerlichen Gesellschaft innewohnt. Herder bewahrt die Grundintention des Aufklärungsdenkens und stellt die Vision einer auf Gleichheit und Freiheit beruhenden harmonischen Gesellschaftsordnung dem sich abzeichnenden Kapitalismus mit seinen tiefen sozialen Spannungen und Ungerechtigkeiten entgegen. Die Interpretation der Geschichte als Aufstiegsprozesses der Menschheit ist für Herder Kernpunkt seines Gesellschaftsverständnisses, der Gedanke der Humanität gilt ihm als fortwährendes Leitbild. In besonderer Weise exponiert er Würde und Wert des Menschen. Von hohem Gewicht sind die Volksverbundenheit des herderschen Denkens und vor allem sein Egalitarismus als Antipoden zu den tiefen sozialen Antagonismen in seiner und unserer Zeit sowie seine über Kant hinausgehende Idee eines immerwährenden Friedens, der von den Völkern getragen und garantiert wird. Humanität hat den Charakter eines Naturgesetzes, weist aber zugleich im Unterschied zum wesentlich überzeitlich konzipierten, vorwiegend ästhetisch und ethisch begründeten Humanismus Goethes und Schillers unmittelbaren Bezug zur geschichtlichen Realität auf. In Herders Programmatik sind völkerverbindende, antichauvinistische und antikolonialistische Postulate als Wesenselemente eingeschlossen. Volksherrschaft ist einzig erstrebenswertes Ziel geschichtlichen Handelns. In Herders Humanitätskonzept besitzt die Toleranzidee einen hohen Rang. Als Vorkämpfer religiöser Toleranz ist Herder Lessing ebenbürtig. Indem er das Christentum differenziert würdigt, zugleich die originären Gehalte des Urchristentums und die späteren klerikalen Deformationen unterscheidet, steht er im Begriffe, zu einer Kennzeichnung der Religion als einer Geschichte menschlicher Mythenbildungen vorzudringen. Religion und Mythen, ihres angeblich zeitlosen und ewigen Scheins entkleidet, werden zu historischen Formen menschlichen Selbstbewußtseins und menschlicher Einbildungskraft. W. Dietze bemerkt, dass Herder als einer der ersten europäischen Denker nicht weniger geleistet hat, gleichzeitig gegen jede Art von „Europazentrismus“ auftretend, als die „Grundlinien einer allgemeinen Geschichte und Theorie menschlicher Kultur“ auszuarbeiten.[19]
Zu den Leistungen des Denkens Herders gehört das tiefe Verständnis der Rolle der Nationen und Nationalkulturen im historischen Prozess. Herders nationales Verständnis kontrastiert grundsätzlich mit heutigen rechtskonservativen Interpretationen des Nationalen, die unter dem Vorzeichen einer angeblichen „nationalen Überfremdung“, des Fremdenhasses und des Rassismus stehen. Indem er die organische Verbindung von Nationalem und Internationalem unter einem demokratischen Grundaspekt betont, ist sein Denken für die Legitimierung kapitalistischer Globalisierung wie auch nationalistischer Überhebung ungeeignet. Herders Ideen können für das Bestreben einer „europäischen Einigung“ unter Profit- und Marktaspekten nicht in Anspruch genommen werden. Im Grunde ist Herder Vordenker einer europäischen Integration unter demokratischem Vorzeichen. Gegründet auf dem Fundament von Vernunft und Humanität, seien zunehmende Kommunikation zwischen den Menschen, Wissenschaft und Kunst, Recht sowie die Einheit von Politik und Moral Wesenszüge einer „Europäischen Republik“[20]. Die nationalen Kulturen, die nationalen Identitäten konstituieren, sich wechselseitig bereichernd und durchdringend, nach Herder ein Europa der Völker und darüber hinaus eine demokratische Weltgemeinschaft. Seine Visionen und Antizipationen übersteigen auch bei diesem Aspekt die historische Realität der bürgerlichen Gesellschaft.
Um die Erneuerung der Aufklärung und die Perspektive der Menschheit
Die bürgerliche Aufklärung antizipiert, wenn auch in unklarer Form, höhere Stufen der Gesellschaftsgestaltung. Zur Bedeutung der Aufklärung für die Lösung der aktuellen Fragen der Menschheitsentwicklung äusserte W. Krauss: „Der Widerspruch zwischen dem Egoismus der individuellen Interessen und dem Interesse der Gemeinschaft an einer gerechten Gesellschaftsordnung bildet den wesentlichen Inhalt der Geistesbewegung des 18. Jahrhunderts. Dieser Widerspruch war in der Tat auf dem geschichtlichen Standpunkt des unentwickelten Bürgertums unlösbar. Erst die sozialistische Erkenntnis der natürlichen Angewiesenheit aller Menschen auf solidarische Arbeit hat diese unlösbare Fragestellung beseitigt. Der Vorsprung des von dem aufstrebenden Bürgertum geschaffenen ideologischen Überbaues der Aufklärung ging nicht nur über die beschränkten Möglichkeiten der eigenen Zeit hinaus, sondern auch über die künftige Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft.“[21] Auf diesen „universalen und emanzipatorischen Kern von Aufklärung, der auch mit regulativer Idee umschrieben werden kann“, verweist auch M. Buhr[22].
Das positive Verhältnis zur Aufklärung ist Indikator geistigen Fortschritts überhaupt. Dies dokumentieren sowohl der Aufschwung der Aufklärungsrezeption als Komponente demokratischer Bewusstseinsbildung im Vormärz wie auch ihr Beitrag nach dem zweiten Weltkrieg bei der Ausschaltung der faschistischen Ideologie und im Ringen um die Gewinnung antifaschistisch-demokratischer Grundpositionen. Die unverfälschte Aneignung der bürgerlichen Aufklärung ist unabdingbar für die Ausbildung einer humanistischen Weltanschauung, für die Zurückdrängung irrationalistischer und geschichtsskeptizistischer Positionen wie auch positivistischer Denkhaltungen, heute vor allem für die Auseinandersetzung mit den Ansichten der Postmoderne.[23] In der Aufklärung gilt es Ansatz und Vorstufe heutiger progressiver Bewusstseinsbildung zu erkennen.
Die Erfahrungen der Geschichte belegen die besondere Verantwortung der Intelligenz für eine progressive Bewusstseinsbildung als Bedingung einer demokratischen Gesellschaftsveränderung. Höchst aktuell ist in diesem Zusammenhang ein Aufsatz von G. Lukács „Von der Verantwortung der Intellektuellen“ aus dem Jahre 1948, in dem der Verfasser Schlussfolgerungen aus dem Versagen der Mehrheit der deutschen Intelligenz in der Zeit des heraufkommenden Faschismus ableitet und auf die Gefahren einer erneuten reaktionären Entwicklung in der Nachkriegszeit hinweist. Um der Entwicklung der führenden Kulturvölker eine progressive Wendung zu geben, sei „auf ideologischem Gebiet vor allem Klarheit vonnöten“. „Was bedeutet hier Klarheit? Keineswegs den formell klaren, stilistisch vollendeten Ausdruck der Gedanken (dieser ist in der Intelligenz reichlich vorhanden), sondern das klare Wissen dessen: wo wir stehen, wohin der Weg der Entwicklung geht, was wir tun können, um ihre Richtung zu beeinflussen“. In dieser Hinsicht stehe es schlecht um die Intellektuellen der imperialistischen Periode. Jede Epoche hebe bestimmte Wissenschaften, Wissenszweige in den Vordergrund des Interesses. „Es wäre heute dringend notwendig, dass die politische Ökonomie diese Stellung in der Intelligenz einnähme, die Ökonomie im Sinne von Marx als Wissenschaft von den primären ‘Daseinsformen, Existenzbestimmungen’ der Menschen... Die Realität zeigt jedoch gerade entgegengesetzte Tendenzen. Philosophie, Psychologie, Geschichte usw. der imperialistischen Periode sind gleichermaßen bemüht, die ökonomischen Einsichten herabzusetzen, sie als ‘untief’, ‘unwesentlich’, als einer ‘tieferen’ Weltanschauung unwürdig zu diffamieren“. Da die Intelligenz die objektiven Grundlagen ihrer eigenen sozialen Existenz nicht durchschaue, werde sie selbst „zum Opfer der Fetischisierung der gesellschaftlichen Probleme und, durch diese Fetischisierung vermittelt, zum hilflosen Opfer einer beliebigen sozialen Demagogie“. Beispiele hierfür sind u.a. die „Fetischisierung der Demokratie“. Es werde nie gefragt, was die realen sozialen Inhalte einer konkreten Demokratie seien. Die „Fetischisierung der Friedenssehnsucht der Völker“ äußere sich darin, dass der Wunsch nach Frieden sich in Passivität erschöpfe. Ferner gäbe es eine „Fetischisierung der Nationen“, hinter deren Fassade der Unterschied zwischen berechtigten nationalen Lebensinteressen eines Volkes und den aggressiven Tendenzen des imperialistischen Chauvinismus verschwinde. Es sei im Lebensinteresse der Bourgeoisie, die „gesellschaftlich-geschichtliche Orientierungsfähigkeit der Intelligenz zu vernichten“. Sie soll „hilflos, ohne Orientierungsfähigkeit in einer unverstandenen Welt umherirren“[24]. Die Intelligenz, so forderte Lukács 1948, müsse Vorbereiter und Vorkämpfer einer fortschrittlichen Weltwende werden. Auch wenn heute z. B. die Verantwortung großer Teile der Intelligenz in der Friedensfrage gewachsen ist, haben die Worte Lukács’ insgesamt nicht in ihrer Aktualität eingebüßt.
Positionen, wie sie von Horkheimer/Adorno in ihrem Buch „Dialektik der Aufklärung“ vertreten wurden, verkehren, obgleich sie sich durch eine scharfsinnige Kritik des Kapitalismus und der kapitalistischen Kulturindustrie auszeichnen, das Anliegen der Aufklärung in ihr Gegenteil. Nach ihnen führe Aufklärung angesichts ihrer Orientierung auf die Vernunft zu Repression und zu totalitären Lebensformen, zu verstärkter gesellschaftlicher Entfremdung, insofern sich Vernunft als bloß instrumentelle Vernunft, als Element geistiger Manipulation erweise. „Die Absurdität des Zustandes, in dem die Gewalt des Systems über die Menschen mit jedem Schritt wächst, der sie aus der Gewalt der Natur herausführt, denunziert die Vernunft der vernünftigen Gesellschaft als obsolet.“[25] Nach Ansicht von Horkheimer/Adorno sei Naturverfallenheit der Menschen vom gesellschaftlichen Fortschritt nicht abzulösen. Beide verstehen Aufklärung nicht als gesellschaftlichen Epochenbegriff, als weltanschauliche Manifestation des aufstrebenden Bürgertums, sondern mehr als allgemeine Geisteshaltung. Bei ihnen geht der Umstand verloren, dass die bürgerliche Aufklärung umfassendes emanzipatorisches Potential aufweist, das zunehmende Ausnutzung der Naturkräfte mit Befreiung von überlebten sozialen Bindungen vereint. In der Interpretation der Hauptvertreter der „kritischen Theorie“ ist Aufklärung bloße „Utopie“, ihr historisch nach vorn gerichteter und partiell durch geschichtliche Erfahrung bestätigter humanistischer Kern verschwindet. Nicht die innere Logik der Aufklärung führt zu diktatorischen Maximen, vielmehr verzichtet die nachrevolutionäre Bourgeoisie auf Vernunft und Aufklärung und geht zu positivistischen Denkhaltungen über bzw. direkt zum Geschichtsskeptizismus oder zu totalitären Geselschaftskonzeptionen. Die ausschließlich negative Haltung der Autoren der „Dialektik der Aufklärung“ zum historischen Fortschritt hat im besonderen die Erfahrung des Faschismus, aber auch das Bewusstsein der Unzulänglichkeit der flachen Fortschrittsauffassungen des liberalen Bürgertums, wie auch der Theoretiker der Sozialdemokratie, zur Voraussetzung. Marx brach generell mit der „gewöhnlichen Abstraktion“ des Fortschrittsbegriffs, wie er formulierte, er betont die Disproportionalität und mit großem Nachdruck den durchgängig antagonistischen Charakter des gesellschaftlichen Fortschritts in der durch Klassenspaltung geprägten Gesellschaft. Die Erhebung der Menschheit aus tierischen Existenzformen, die Höherentwicklung der Produktivkräfte und das intellektuelle Voranschreiten der Menschheit markieren den historischen Fortschritt, wenn er sich auch in höchst einseitiger Form vollzog. Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts und die heutigen existenziellen Bedrohungen der Menschheit, die bis zur Gefahr einer globalen Selbstvernichtung gehen, zwingen zum erneuten Durchdenken der Fortschrittsproblematik. Gesellschaftlicher Fortschritt, der über die Fortschritte auf einzelnen Wissensgebieten und in einzelnen Lebensbereichen hinausgeht, ist heute an die Überzeugung der historischen Möglichkeit und Notwendigkeit einer über die kapitalistischen Profitgesellschaft hinausführenden Entwicklung gebunden und hat unter der Voraussetzung hochentwickelter Produktivkräfte die zunehmende Allianz des Menschen mit der Natur, solidarische Beziehungen der Individuen untereinander und die Entwicklung des Reichtums der menschlichen Natur, die im Marxschen Sinne als Selbstzweck zu fassen ist, zum Kriterium. Die verantwortungsvolle Nutzung der Fähigkeiten der Gattung Mensch ist dabei stete Voraussetzung. Gegen spätbürgerlichen Geschichtsnihilismus bleibt der Fortschrittsbegriff in diesem Sinne unverzichtbar.
In Gegnerschaft zum Neokonservatismus und der mit ihm verbundenen Remythisierung betont Jürgen Habermas in eingeschränkter Weise die Aktualität der Aufklärung. „Das Projekt der Moderne, das im 18. Jahrhundert von den Philosophen der Aufklärung formuliert worden ist, besteht nun darin, die objektivierenden Wissenschaften, die universalistischen Grundlagen von Moral und Recht und die autonome Kunst unbeirrt in ihrem jeweiligen Eigensinn zu entwickeln, aber gleichzeitig auch die kognitiven Potentiale, die sich so ansammeln, aus ihren esoterischen Hochformen zu entbinden und für die Praxis, d. h. für eine vernünftige Gestaltung der Lebensverhältnisse zu nutzen.“[26] Die Explikation und fortwährende innere Ausgestaltung der einzelnen Wertsphären der menschlichen Gesellschaft bzw. Bewusstseinsformen sei Wesenszug des „Projekts der Moderne“. Der überschwengliche Optimismus der Aufklärer vom Schlage eines Condorcet sei heute geschwunden. Entweder gebe man das Projekt der Moderne verloren oder man halte nur in gebrochener Form daran fest. Wo aufklärerische Impulse erhalten bleiben, orientiere man sich nur jeweils auf eins der Momente, in denen sich die Vernunft ausdifferenziert habe, entweder auf Wissenschaft, Kunst oder Moral. Habermas’ Orientierung auf eine Sphäre kommunikativen Handelns, auf kommunikative Vernunft, abgehoben von der Sphäre der gesellschaftlichen Produktion, seine Negation des „Produktionsparadigmas“, birgt zudem eine grundsätzliche Beschränkung des potentiellen Vernunftanspruchs der Aufklärung.
Im Bewusstsein der Mehrheit der Bevölkerung der kapitalistischen Hauptländer ist die bürgerliche Ideologie, verfestigt über Generationen, tief verankert. Im Alltagsbewusstsein findet sie heute besonders im breiten Spektrum des postmodernen Denkens Niederschlag. Das postmoderne Denken als Philosophie der Gegenaufklärung und Reflex kapitalistischen Krisenbewusstseins führt zum Verzicht auf das Erfassen des inneren Geschichtszusammenhangs, zur bloßen Hinwendung zu Singularitäten und Differenzen, zur Ausschaltung der Analyse der Entstehungsursachen von Erscheinungen und Entwicklungszusammenhängen und inneren Gesetzmäßigkeiten der Gesellschaft, zur Preisgabe der Wahrheit und der Ansprüche der Wissenschaft, zur Fixierung bloßer Unmittelbarkeiten, zur Ästhetisierung der Wirklichkeit, in der die realen Zusammenhänge verhüllt werden. In den konstitutiven Elementen des postmodernen Denkens zeigt sich u. a. eine substantielle Adaption Nietzsches, so in der pauschalen Diffamierung der Aufklärung ebenso wie in der Denunziation des Vernunftbegriffs, in der nihilistischen Dekonstruktion des Wahrheitsproblems ebenso wie in einem bodenlosen ethischen Relativismus, in der Irrationalisierung des Geschichtsprozesses wie in der Übernahme eines solipsistischen Freiheitsbegriffs. Heute wirken Elemente des postmodernen Bewusstseins bis in das Denken der Linken hinein.
Gegenüber dem postmodernen Bewusstsein bedarf es einer strategischen Gegenkraft, der, wie Th. Metscher bemerkt, mit dem Begriff einer Neuen Aufklärung benannt werden kann. Er hebt hervor: „Konzeptionell auszuarbeiten ist der Begriff einer Neuen Aufklärung, als gemeinsame Leistung von Künstlern, Schriftstellern, Wissenschaftlern und Philosophen – bewusst konzipiert als Antwort auf die Offensive der aufklärungsfeindlichen Gegenkräfte, für die u.a. der Postmodernismus steht. Neuralgische Punkte sind dabei: die Frage nach einem dialektischen Vernunftbegriff; Weltanschauung und Sinnfrage; kultureller Fortschritt und ökonomische Produktivkraftentwicklung; das Verhältnis zur Natur; Geschlechterfrage und Klassenfrage; Bourgeosie und Proletariat heute; die Frage nach dem ‘Subjekt’ demokratischer Hegemonie und sozialer Erneuerung; das Denken einer neuen Kultur; Rationalität und Phantasie, Utopie und antizipierendes Bewusstsein; die Rolle Europas im Rahmen einer transeuropäischen Orientierung, die Rolle der ehemals Dritten Welt als welthistorische Kraft; Kampf um Gedächtnis; kulturelle Erinnerung und historisches Bewusstsein.“[27] Der Kampf um demokratische Hegemonie in der Gesellschaft schließt, wie Th. Metscher im Anschluss an A. Gramsci feststellt, kulturelle Hegemonie ein. Gramsci hebt gegenüber einer verflachenden Interpretation des Marxismus die „‘Aufwertung’ des kulturellen Faktums, der kulturellen Tätigkeit, einer kulturellen Front als notwendig neben der bloß ökonomischen und bloß politischen“[28] hervor. Diese kulturelle Hegemonie unter demokratischem Vorzeichen erfordert auch die umfassende Erschließung des Vermächtnisses des aufklärerischen Denkens des 18. Jahrhunderts als ihres organischen Bestandteils.
Die neue Aufklärung muss die heutigen Existenzprobleme der Menschheit in ihren ökonomischen, politischen, sozialen und geistig-kulturellen Zusammenhängen artikulieren: die tiefe Krise des Kapitalismus und die Folgen von Globalisierung und neoliberaler Politik, die ambivalenten Wirkungen der wissenschaftlich-technischen Revolution, die Naturzerstörung im Ergebnis kapitalistischen Raubbaus, das friedensgefährdende Wesen des Kapitalismus, die wachsenden sozialen Polarisierungen in der Welt, Eskalation von Gewalt und Terror, die psychisch-geistige Deformierung des Individuums, Kulturzerstörung und kulturellen Verfall, Konsumfetischismus. Aufgabe der neuen Aufklärung muss es sein, die strukturell begründeten Verschleierungsmechanismen kapitalistischer Herrschaft zu untersuchen, die Instrumentarien der Bewusstseinsmanipulation durch die bürgerlichen Massenmedien zu analysieren und zu zeigen, wie das Bewusstsein an der Oberfläche der gesellschaftlichen Erscheinungen fixiert wird und ein passiv-hinnehmendes, resignatives Verhalten der Individuen erzeugt wird. Sichtbar zu machen gilt, wie sich vielstrapazierte Begriffe wie Freiheit und Gleichheit in der heutigen kapitalistischen Realität als Gegenteil ihrer selbst erweisen. Wie der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und noch mehr als dieser kommt es einer erneuerten Aufklärung zu, grundlegende Menschheitsinteressen wie in einem Prisma zu bündeln. Ihre Aufgabe ist es, verfestigte Vorurteile gegenüber Gesellschaftsveränderungen abzubauen, Illusionen vom Kapitalismus als gesellschaftlichem Endzustand zu zerstören und nachzuweisen, dass der Kapitalismus Produkt der historischen Entwicklung und mithin historisch vergänglich ist. Im Unterschied zum Denken des 18. Jahrhunderts bedarf eine erneuerte Aufklärung durchgängig einer zutiefst historischen Dimension. Es bedarf einer qualitativen Vertiefung und Ausweitung des klassischen Vernunftbegriffs im Kontrast zum sich ausbreitenden Irrationalismus und der Betonung von „Differenzen“. Vernunft hat ihre Grundlage im Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse, im planvollen gesamtgesellschaftlichen Handeln, bei dem die Durchsetzung der Menschenrechte, von Freiheit, Gleichheit und Solidarität Kernpunkte sind.[29] Die neue Aufklärung muss, die Fetischisierung des bürgerlichen Alltagsbewusstseins durchbrechend, die prinzipielle Schranke und Grenze der kapitalistischen Profitgesellschaft aufzeigen. Sie muss, bei aller Heterogenität der Begründungen und Ansichten, letztlich auf einen Bruch mit diesem System abzielen.
Th. Metscher weist darauf hin, dass es der Einheit aller oppositionellen demokratischen Kräfte von Arbeit, Wissenschaft und Kultur gegenüber dem stählernen Gehäuse der Kapitalgesellschaft bedarf. Eine neue Aufklärung verlangt die Integration der Möglichkeiten moderner Wissenschaften, Kultur, Philosophie und Publizistik. Sie muss das humanistisch-demokratische Potential der Religion einschließen, der in weiten Teilen der Welt eine Schlüsselrolle im Ringen um die Zukunft zukommt. Sie müsste andererseits dem marxistischen Denken einen wesentlichen Platz einräumen. Eine erneuerte Aufklärung wird zugleich die kritischen Impulse bürgerlicher und linksbürgerlicher Wissenschaft aufnehmen, sofern sie die Grenzen des bürgerlichen Ideenhorizonts tangieren und auf dem Wege sind, diese zu überschreiten. Schließlich gilt es auch der Abwertung der Aufklärung des 18. Jahrhunderts als angeblicher Quelle heutiger Regression entgegenzutreten, die uns heute in einer postmodernen Version entgegentritt.
Der Siegeszug der Rationalität, der mit der Durchsetzung der bürgerlich-kapitalistischen Lebensform verbunden ist, bedeutet, wie W. Seppmann notiert, tatsächlich einen Verlust von Emotionalität und Phantasie als Resultat der Ausbreitung des kapitalistischen Verwertungskalküls. Doch die Postmoderne geht bei der Interpretation dieses Sachverhalts fehl. „Die postmodernistische Konvention ..., aufklärungstheoretische Begründungen der Rationalität für ihre ‘industriegesellschaftliche’ Verselbständigung gegenüber den menschlichen Lebensinteressen verantwortlich zu machen, zeugt für eine hochgradige Ignoranz. Wer sich über die Aufklärungsphilosophie und ihre Entstehungsepoche nicht nur aus zweiter oder dritter Hand informiert hat, wird bei nicht wenigen Autoren des 18. Jahrhunderts die Bedeutung der wissenschaftlichen Rationalität für die Herausbildung einer bisher nicht gekannten ‘sensibilié’ für die Nöte und Leiden der sozial benachteiligten Menschen feststellen können. Der rational begründete Veränderungsanspruch war die Voraussetzung für die Konstituierung eines solch konkreten Humanismus.“[30] Eine neue Aufklärung existiert heute erst in Ansätzen. Die intellektuellen Gegenkräfte zur schrankenlosen kapitalistischen Profitgesellschaft sind zersplittert. Um der Gefahr des Abgleitens der Menschheit in Barbarei zu begegnen und ihre humanistische Perspektive zu begründen, bedarf es bei aller Heterogenität vorhandener Ansichten einer Integration, einer wenigstens parallelen Grundorientierung der geistig-kulturellen Gegenkräfte zur kapitalistischen Globalisierung, des Abbaus wechselseitiger Vorurteile. Die historische Leistung der Aufklärung des 18. Jahrhunderts ist dabei unverzichtbare Orientierung.
[1] J. G. Herder, Sämtliche Werke, hrsg. v. B. Suphan (SWS), Neudruck Hildesheim 1967, Bd. XIII, S. 453.
[2] J. G. Herder, SWS Bd. XIV, S. 520.
[3] J. G. Herder, SWS Bd. XIII, S. 452.
[4] J. G. Herder, SWS Bd. XIV, S. 227.
[5] W. Heise, Realistik und Utopie. Aufsätze zur deutschen Literatur zwischen Lessing und Heine, Berlin 1982, S. 86.
[6] W. Krauss, Der Streit der Altertumsfreunde mit den Anhängern der Moderne und die Entstehung des geschichtlichen Weltbildes, in: W. Krauss, Aufklärung I, hrsg. v. W. Schröder, Berlin und Weimar 1991, S. 45.
[7] Zu Herders nationalem Verständnis vgl. W. Förster, Herders Zivilisationskritik als Bestandteil seiner Auffassung von der Nation, in: Nationen und Kulturen, Zum 250. Geburtstag Johann Gottfried Herders, hrsg. v. R. Otto, Würzburg 1996, S. 165ff.
[8] Vgl. A. v. Einsiedel, Ideen, hrsg. v. W. Dobbek, Berlin 1957, ferner: H. Stolpe, Aufklärung – Fortschritt – Humanität, Berlin und Weimar 1989, S. 372ff.
[9] J. G. Herder, SWS Bd. XVII, S. 118.
[10] J. G. Herder, SWS Bd. XVIII, S. 317.
[11] W. Krauss, Der Weg der deutschen Aufklärung nach Frankreich, in: ders., Aufklärung III, hrsg. v. M. Fontius, Berlin/New York 1996, S. 144.
[12] J. G. Herder, SWS Bd. XVIII, S. 289.
[13] W. Krauss, Über die Konstellation der deutschen Aufklärung, in: ders., Aufklärung III, S. 80.
[14] W. Krauss, Der Weg der deutschen Aufklärung nach Frankreich, a. a. O. S. 144f.
[15] J. G. Herder, SWS Bd. XXIII, S. 104.
[16] Ebenda, S. 475ff.
[17] Ebenda, S. 498.
[18] J. G. Herder, SWS Bd. XIV, S. 176.
[19] W. Dietze, Johann Gottfried Herders historische Stellung in der Geschichte deutscher Literatur und Philosophie, Thesen, in: Johann Gottfried Herder. Sitzungsberichte der AdW der DDR, Nr. 8/G, Berlin 1978, S. 13. – Die bahnbrechenden Leistungen Herders innerhalb der deutschen Aufklärung werden von Hans Dietrich Irmscher in seiner zusammenfassenden Arbeit „Johann Gottfried Herder“ (Stuttgart 2001) verkannt, wenn bei der Erörterung von Herders naturphilosophischen Positionen die religiös-konservativen Aspekte, die sich in einigen Kapiteln der „Ideen“ finden und von denen sich Herder später befreite, einseitig hervorgehoben werden. So wenig von Herders Religiösität abstrahiert werden kann, so wenig kann generell von einer „theologischen Wurzel“ seiner Geschichtsphilosophie gesprochen werden. Herders Denken, wie es sich in den „Ideen“ manifestiert, befindet sich nach Irmscher im Widerspruch zum modernen Weltbild. Die Erde gelte ihm als Mittelpunkt der Schöpfung. Herausragende Leistungen Herders, so seine Ansätze einer naturgeschichtlichen Entwicklungslehre, sein Verständnis des Fortschritts in der Geschichte, auch die radikaldemokratische Orientierung seines Denkens werden ausgeblendet. Nicht zuletzt bleibt die Tiefe und Weite des Herderschen Humanitätsbegriffs unreflektiert, ebenso seine Friedensidee. Ein Herderbild ohne die entschiedene Religionskritik besonders in den unveröffentlichten Teilen der „Ideen“ bleibt unvollständig. Die Widersprüche im Denken Herders als Aufklärer und als Theologe können weder nach der einen noch nach der anderen Seite getilgt werden.
[20] J. G. Herder, SWS Bd. XIV, S. 258.
[21] W. Krauss, Einführung in das Studium der französischen Aufklärung, in: ders., Aufklärung II, hrsg. v. R. Geißler, Berlin und Weimar 1987, S. 5f.
[22] M. Buhr, Thesen zum Universalismus, in: M. Buhr/E. Chitas/M. Fischer (Hrsg.), Universalismus – Universalität, Berlin, Lissabon, Salzburg 1998, S. 67.
[23] Was die bürgerliche Herderrezeption anbelangt, so dominierte im 19. Jahrhundert eine positivistische Philologie, während im folgenden Jahrhundert der Übergang zu einer geisteswissenschaftlichen Interpretation erfolgte, deren Wesenszüge die Konzipierung einer pseudowissenschaftlichen Typologie und die irrationalistische Auflösung der Geschichte waren. C. Träger hat diesen Prozess in aufschlussreicher Weise bis zum zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts in seiner Arbeit „Die Herderlegende des deutschen Historismus“ (Berlin 1979) verfolgt. Nicht zuletzt war die marxistische Herderforschung in der DDR seit den siebziger Jahren für die bürgerliche Herderforschung der BRD Veranlassung, innerhalb der Grenzen ihres Ideenhorizonts zu vertiefenden Sichten zu Herder zu gelangen und das Herderbild erheblich zu bereichern.
[24] G. Lukács, Schicksalswende, Berlin 1956, S. 241ff.
[25] M. Horkheimer/Th. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Leipzig 1989, S. 53.
[26] J. Habermas, Die Moderne - ein unvollendetes Projekt, Leipzig 1990, S. 41f.
[27] Th. Metscher, Zivilgesellschaft und postmodernes Bewusstsein, in: Gescheiterte Moderne?, hrsg. v. H. Kopp und W. Seppmann, Essen 2002, S. 171ff.
[28] A. Gramsci, Philosophie der Praxis, Gefängnishefte 10 und 11, Hamburg 1995, S. 1239.
[29] Zum Vernunftbegriff innerhalb einer neuen Aufklärung vgl.: Th. Metscher, Logos und Episteme. Die Einheit der Vernunft und die Gestalten des Wissens, in: Topos, H. 20, Napoli 2002, S. 54.
[30] Das Ende der Gesellschaftskritik? Die Postmoderne als Realität und Ideologie, Köln 2000, S. 266. – Die Intentionen der Aufklärung werden völlig entstellt, wenn von „Herders Teilnahme an einem Konzept von Modernität, das progressive und emanzipatorische Ideale mit dem globalen kapitalistischen Expansionismus verbindet“, gesprochen wird. In der Interpretation der „Welt als Spielfeld eines permanenten Waren- und Informationsaustauschs“ besteht eine „Gemeinsamkeit Herders mit der Postmoderne“. Vgl.: H.-J. Werlen, Multikulturalismus, Postmoderne und Herder, in: Nationen und Kulturen, a. a. O., S. 317.