Berichte

„Neue Initiative zur Humanisierung des Arbeitslebens?"

Workshop von IG Metall, FIAB und WissenTransfer e.V., 13./14. Juni 2003 in Recklinghausen

Dezember 2003

Am 13. und 14. Juni dieses Jahres versammelten sich in Recklinghausen Industrie­­­­soziologInnen, ArbeitswissenschaftlerInnen, GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen, um unter der Workshop-Leitung des Funktionsbereichs Sozialpolitik des IG Metall Vorstands, des Forschungsinstituts Arbeit, Bildung, Partizipation (FIAB) und der Wissenschaftlichen Vereinigung für Kapitalismusanalyse und Gesellschaftspolitik „WissenTransfer“ verschiedene Problemfelder der Qualität der Arbeit zu erörtern. Die ganz bewusst auf das erste Aktions- und Forschungsprogramm „Humanisierung der Arbeit“ aus den siebziger Jahren anspielende Leitfrage des Workshops lautete: „Benötigen wir eine neue Initiative zur Humanisierung des Arbeitslebens?“

Als kleinste gemeinsame Antwort auf jene Leitfrage ließ sich unter fast allen Diskutanten ein „ja, aber ...“ heraushören. Dabei verband sich die Zustimmung, nach mehreren Jahren der vorrangigen Beschäftigung mit der Sicherung von Arbeit sich endlich wieder stärker ihrer Qualität und Gestaltbarkeit zuzuwenden, mit der weitgehenden Überzeugung, den Fokus der ersten HdA-Initiative deutlich erweitern zu müssen. Erste Anregungen für eine Ergänzung der traditionellen HdA-Themen ‚Arbeitsorganisation’ und ‚Gesundheitsschutz’ hatten bereits Klaus Pickshaus und Hans-Jürgen Urban (beide IG Metall)in ihrem Beitrag „Perspektiven gewerkschaftlicher Arbeitspolitik. Plädoyer für eine neue Humanisierungsoffensive“ (GMH 10-11/2002) geliefert. Darin plädierten sie für die explizite Problematisierung prekärer Beschäftigungsverhältnisse und entgrenzter Arbeitszeit- und Leistungsbedingungen sowie für die fundierte Auseinandersetzung mit einer altersgerechten Arbeitsgestaltung. Auf dem Workshop ging Manfred Moldaschl (TU Chemnitz) in der Frage einer zeitgemäßen Annäherung an das Thema humaner Arbeit noch einen Schritt weiter. Er bezeichnete die alte Humanisierungsforschung als ungeeigneten Anknüpfungspunkt für die Erfassung der gegenwärtigen Phänomene. Das Humanisierungsprogramm habe noch unter der Zielsetzung einer Kompensation und Ablösung des Taylorismus durch Maßnahmen erweiterter und erweiternder Arbeitsgestaltung sowie der Einführung von Partizipation gestanden: „Was sich uns dagegen als neue Aufgabe stellt, ist, die Prozesse der Informalisierung, Entgrenzung und Vermarktlichung von Arbeit zu begreifen (...). Für die Erfassung, Bewertung, politische Regulierung und Gestaltung dieser neuen Verhältnisse sind die Konzepte der Humanisierungsforschung nicht gemacht“, der Humanisierungsbegriff rufe keinen provokanten Effekt hervor, er erinnere zu sehr an einen Aufguss. Alternativ zur Humanisierungsforschung klassischen Zuschnitts schlug Moldaschl vor, sich möglichst interdisziplinär der Problematik anzunähern und sich statt an der Humanisierung der Arbeit am Leitbild „nachhaltiger Arbeit“ zu orientieren. Angesichts der im Vergleich zur ersten HdA-Initiative leicht einsehbaren notwendigen thematischen Erweiterungen in der Auseinandersetzung um eine bessere Qualität der Arbeit bestand unter den Workshop-Teilnehmern weitgehend Einigkeit darüber, den Humanisierungsbegriff vergangener Tage nicht noch einmal zu bemühen. Ansprechender und letztlich wirkungsvoller als den zu „abstrakten“ (Urban) bzw. „abge­droschnen“ (Dörre) Begriff der Nachhaltigkeit fand das Gros der Diskutanten allerdings die zum Zwecke der pointierten Beschreibung der neuen Humanisierungsinitiative von der IG Metall und vom FIAB stark gemachte pro­grammatische Formel der „guten Arbeit“.

Theoretisch und empirisch abgesteckt wurde das weite Feld einer neuen Humanisierungsinitiative auf dem Workshop durch verschiedene Einzelreferate, die mehr oder weniger explizit um die von Seiten der IG Metall vorgeschlagenen Themenfelder der Entgrenzung, Prekarisierung und altersgerechten Arbeitsgestaltung kreisten.

Im Vordergrund der Entgrenzungsproblematik stand die von Dieter Sauer (ISF München) aufgezeigte Ambivalenz der vor allem seit den 90er Jahren unter den Bedingungen der „Unmittelbarkeit des Marktes“ zu beobachtenden Aufwertung lebendiger Arbeit. Zum einen finde diese unter eindeutig verwertungstaktischem Kalkül der Unternehmen statt, die mit Produktivitäts- und Rationalisierungsabsichten den Beschäftigten eine immer stärker marktgesteuerte Leistungspolitik aufzwingen (Wolfgang Menz, Uni Frankfurt; Hilde Wagner, IG Metall); zum anderen jedoch dürfe nicht aus dem Blick geraten, so eine der Schlussfolgerungen Wilfried Glißmanns (IBM), dass die zunehmende Instrumentalisierung der Beschäftigten für die Unternehmenszwecke und die damit zusammenhängenden höheren Anforderungen (Stichwort „Arbeiten ohne Ende“) mit dem gleichzeitig gewachsenen Bedürfnis vieler Beschäftigter nach mehr Entfaltung in der Arbeit korrespondiere. Ansatzpunkte für einen möglichen Umgang mit dem Spannungsverhältnis zwischen einerseits erzwungener, andererseits durchaus erwünschter Erweiterung und Flexibilisierung der Arbeit oder, mit Nicole Mayer-Ahuja (SOFI) gesprochen, zwischen der „Flexibilisierung von oben und unten“, enthielten die arbeitszeitpolitischen Überlegungen von Alexandra Wagner (FIA) und Thomas Haipeter (IAT). Im Mittelpunkt des Problemaufrisses beider WissenschaftlerInnen stand die sich heutzutage immer deutlicher abzeichnende Re-Kommodifizierung von Arbeitskraft, d.h. die immer stärkere Rückkopplung abhängiger Arbeit an Marktrisiken und ihre Folgen für die Lage, Verteilung und Dauer von Arbeits­­zeit. In dieser Konstellation, so Wagner, würden sich die Beschäftigten mit der doppelten Herausforderung konfrontiert sehen, zum einen unternehmerische Kompetenz zur selbständigen Bewältigung fixierter Leistungsziele aufzubringen, zum anderen – und hierauf lag die Betonung – die Kompetenz zu entwickeln, um „sich selber, d.h. ihre Arbeitskraft und ihre Person zu schützen.“ Denn diese spezifische Ökonomisierungsstrategie von Erwerbsarbeit verkauft die neue Variabilität der Arbeitszeit offensiv als Chance, die Kehrseite aber besteht darin, dass sie Leistung und Entgelt als marktvermitteltes Datum festschreibt. Dementsprechend werden die Erwerbstätigen zum Puffer für Marktschwankungen. Grundlage einer regulierten Arbeitzeitflexibilität, die dieser Herausforderung gerecht wird, muss für Haipeter daher eine „neue Verzahnung der Regulierungsebenen“ sein, „deren Grundprinzip die Verbindung individueller Gestaltungsmöglichkeiten mit kollektiver Sicherheit ist.“ Dreierlei sei dabei zu beachten: die Stärkung individueller Rechte, die Stärkung der Interventionsrechte der Betriebsräte zum Zwecke einer besseren Leistungssteuerung und Personalbemessung sowie die Definition verbindlicher tariflicher Orientierungsmarken (‚Leitplanken’) für die betriebliche Regulierung.

Dass eine intelligente Arbeitszeitgestaltung vor dem Hintergrund der katastrophalen Lage auf dem Arbeitsmarkt für viele Beschäftigte nur ein ‚Luxusproblem’ darstellt und „gute Arbeit“ heutzutage zunächst einmal schlicht sichere Arbeit ist, verdeutlichten die Referate von Tatjana Fuchs (INIFES) und Berthold Vogel (SOFI), die sich mit der Prekarisierung von Arbeit befassten. Grund zur Sorge für Vogel, der in seinem Referat die politisch-ideologische Dimension von Leiharbeit behandelte, gibt die „erstaunliche Karriere“ der Leiharbeit in jüngster Vergangenheit, die sich daran ermessen lässt, dass Leiharbeit ihren lange Zeit stigmatisierten Charakter verloren hat und zum „allseits, mittler­weile auch gewerkschaftlich respektierten Hoffnungsträger“ avanciert ist. Die im Zuge der Hartz-Reformvorschläge zu beobachtende politische und gewerkschaftspolitische Förderung von Leiharbeit sei Ausdruck der sich zunehmend durchsetzenden gesellschaftspolitischen Ideologie ‚besser irgendeine Arbeit als keine Arbeit’, die, so Vogel, im Hinblick auf ein angestrebtes humanes Arbeitsleben gänzlich inakzeptabel sei. Leiharbeit und befristete Beschäftigung mit Normalarbeitsverhältnissen statistisch konfrontierend, vermochte Fuchs den zentralen Stellenwert der Arbeitsplatzsicherheit zu unterstreichen. Unabhängig vom Status der Arbeit, so ihre Erkenntnis, wachse mit zunehmender Arbeitsplatzunsicherheit die Unzufriedenheit mit der Arbeit und den Arbeitsbedingungen. Die daran anschließenden Debatten verdeutlichten: Vor dem Hintergrund wachsender Exklusion vom Arbeitsmarkt und dem damit verbundenen Ausschluss von gesellschaftlicher materieller und symbolischer Partizipation ist es eine conditio sine qua non einer Agenda zur Sicherstellung „guter Arbeit“, für Arbeitsplatzsicherheit und angemessene Entlohnung zu kämpfen.

Der Humanisierungsthematik im engeren Sinne am nächsten kamen arbeitswissenschaftlich argumentierende Referate, die sich um Fragen menschengerechter Arbeitsgestaltung drehten. Als bereichernde Erweiterung zu früheren Bearbeitungen und ganz im Sinne der von der IG Metall anvisierten Themenschwerpunkte einer neuen Humanisierungsinitiative kann hier die Forderung Ernst Kistlers (INIFES) nach einer altersgerechten Arbeitsgestaltung gesehen werden, die dem Referenten zufolge angesichts der demographischen Herausforderungen nicht nur eine humane, sondern ebenso eine ökonomische Notwendigkeit darstelle. Konkrete Kriterien einer allgemein menschengerechten bzw. „nachhaltigen Arbeitsgestaltung“ nannte Anja Gerlmaier (IAT). Ihr zufolge müsse eine nachhaltige Arbeit Gesundheit und Erholung, Teilnahme am sozialen Leben und weiterführende Qualifikationen ermöglichen. Zudem müsse die Arbeit durch genügend Zeitelastizität gut zu bewältigen und das Arbeitsentgelt mindestens existenzsichernd sein. In historisierender Perspektive stellte Ekkehart Frieling (Uni Kassel) das Postulat auf, wieder mehr arbeitswissenschaftliche Forschung zu betreiben. Seiner Ansicht nach dürfe man sich dabei allerdings auf keinen Fall auf die vorurteilsbelastete HdA-Debatte vergangener Tage stützen, sondern müsse, um anschlussfähig an die forschungsfördernde Politik zu sein, immer auch die Vereinbarkeit humaner Arbeit mit Aspekten der Wirtschaftlichkeit im Auge behalten. Es sei nachzuweisen, so Frielings Überzeugung, „dass die Dinge, die wir unter guter Arbeit verstehen, tatsächlich auch zu effizienten Produktionsprozessen führen, die im Wettbewerb eine Chance haben.“

So sehr die meisten Diskutanten des Workshops immer wieder die Notwendigkeit einer erneuerten Humanisierungsinitiative betonten, so wenig Hehl machten sie gleichzeitig aus ihren Zweifeln in bezug auf die Umsetzung. Die unter den Workshop-Teilnehmern vorherrschende Skepsis über die aktuellen Realisierungschancen einer Initiative „gute Arbeit“ wurde unterschiedlich begründet: So führte Werner Fricke (IRC) die schlechte Ausgangssituation für eine Humanisierungsinitiative nicht zuletzt auf Versäumnisse der Gewerkschaften zurück, die in seinen Augen betriebliche Humanisierungs- und Demokratisierungsprojekte in der Vergangenheit häufiger blockiert als gefördert hätten. Moldaschl wies darauf hin, dass einer Humanisierungsinitiative im 21. Jahrhundert sowohl der Reiz des Neuen als auch der provokative diskursive Effekt der ersten HdA-Initiative abgehe, der darin bestand, die damaligen Arbeitsstrukturen als „inhuman“ zu bezeichnen. Für Paul Oehlke (DLR) und Udo Klitzke (IG Metall) profitierten die HdA-Programme der siebziger Jahre ganz entscheidend von der quasi korporatistischen Konstellation, auf der diese gründeten. Während damals Kapital, Gewerkschaften und Politik an einem Strang zogen, ist die heutige Ausgangssituation aus gewerkschaftlicher Perspektive ungleich ungünstiger. Denn auch wenn man die Verwirklichung von „guter Arbeit“ vor allem als eine auf den Betrieb bezogene Herausforderung begreift, so dürfte doch die dargestellte Einbettung der Thematik die vielfältigen gesellschaftspolitischen Voraussetzungen deutlich machen – die Frage allerdings, wie und auf welchen Politikarenen man vor dem Hintergrund einer strukturellen Machtschwäche sowie ideologischen Defensive der Gewerkschaften und der Aufkündigung des Bündnisses für Arbeit anzusetzen haben, konnte dieser Workshop nur anreißen. Die Gewerkschaften, so Hilde Wagner, müssten sich darüber im klaren sein, dass sie beim Voranschieben des Projekts „gute Arbeit“ allein auf weiter Flur stünden. Das Fehlen eines breiten gesellschaftlichen Konsenses zugunsten einer erneuerten Humanisierungsinitiative würde, so eine der Schlussfolgerungen des Workshops, der Initiative „gute Arbeit“ den Charakter eines „gegentendenziellen Projekts“ (Hilde Wagner) geben, dessen Gegenspieler der scheinbar übermächtige Zeitgeist der ubiquitären Ökonomisierung ist. Eines Projektes aber – auch hier war sich das Gros der TeilnehmerInnen einig –, das zum Kern eines ausstehenden eigenständigen Entwurfs zur Zukunft der Arbeit werden kann.