Etwa zeitgleich mit der Europäischen Erziehungsministerkonferenz in Berlin, die europaweit Bachelor- und Master-Abschlüsse für alle Hochschulen im Rahmen des Bologna-Prozesses verbindlich beschloss und sich nicht dazu durchringen mochte, der Privatisierung und Ökonomisierung der Hochschulen entgegenzutreten, veranstalteten die Rosa-Luxemburg-Stiftung und das Bildungswerk „Helle Panke“ ebenfalls in Berlin einen gut besuchten internationalen Workshop zum oben genannten Thema mit zahlreichen Experten.
Feleknas Uca, PDS-Mitglied des Europäischen Parlaments und Mitglied in dessen Ausschuss für Kultur, Bildung, Jugend, Medien und Sport mahnte „mehr Transparenz im Bildungssektor“ an. „GATS nicht noch einmal verschlafen!“ hieß ihr Eingangsreferat. Damit spielte sie auf die Tatsache an, dass die gewerkschaftliche, parlamentarische wie außerparlamentarische Linke 1994/95, als das erste GATS (General Agreement on Trades of Services) im Rahmen der WTO abgeschlossen wurde, dies total verschlafen und restlos unterschätzt hatte. Sie wies darauf hin, dass die EU spätestens seit dem Lissaboner Gipfel 2000 der Bildung besondere Aufmerksamkeit widmet, weil im kommenden Jahrzehnt die EU zum „dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ gemacht werden soll. In diesem Zusammenhang ist in der Lissaboner Erklärung davon die Rede, dass wir „mit einem Quantensprung konfrontiert sind“: Globalisierung und wissensbestimmte Wirtschaft. „Es bedarf einer globalen Strategie, in deren Rahmen erstens der Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft durch bessere Politiken für die Informationsgesellschaft und für die Bereiche Forschung und Entwicklung sowie durch die Forcierung des Prozesses der Strukturreform im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation und durch die Vollendung des Binnenmarktes vorzubereiten ist, zweitens: das europäische Gesellschaftsmodell zu modernisieren, in die Menschen zu investieren und die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen, und drittens für anhaltend gute wirtschaftliche Perspektiven und günstige Wachstumsaussichten Sorge zu tragen, indem ein geeigneter makroökonomischer Policy-mix angewandt wird.“ Der Umsetzung dieser Strategie soll, so das Zitat aus der „Lissaboner Erklärung“, eine „neue offenen Methode der Koordinierung auf allen Ebenen“ dienen, wobei dem Europäischen Rat dabei eine „stärkere Leitungs- und Koordinierungsfunktion“ zukommen soll. Dies heißt, dass die Umgestaltung auf Regierungsebene verhandelt werden soll, ohne unmittelbare parlamentarische Kontrolle oder Mitwirkung.
Nach Artikel 149 und 150 des EU-Vertrages hat die EU eine ergänzende Kompetenz in Bildungsfragen erhalten: Sie ist für die europäische Dimension der Bildung zuständig, soll die Zusammenarbeit der Staaten fördern und die bereichsübergreifenden Fragen wie Austausch, neue Technologien in der Bildung und Anerkennung von Qualifikationen regeln. Feleknas Uca berichtete, dass gerade im Bereich der Bildung die „Vorgaben der Wirtschaft“ nahezu „kritiklos übernommen werden“, u. a. deshalb, weil die Lobbyisten des ERT (European Round Table of Industrialists) und der europäische Arbeitgeberverband UNICE maßgeblich an den Beratungen der EU-Kommission im Bildungsbereich beteiligt sind. Sie sitzen mit am Tisch, nicht dagegen die nationalen Regierungen. So kommt es denn, dass es auf der Homepage der EU-Kommission zur so genannten „Union des Wissens“ heißt: „Jede Verbesserung im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung ist als Chance zur Stärkung des Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit Europas zu werten. Diese Einschätzung wird allgemein anerkannt, insbesondere seitens der Arbeitgeber.“ Trotzdem haben die Programme der Kommission durchaus „viele gute Ansätze“: verstärkter Spracherwerb, Förderung von Austauschprogrammen und E-Learning. „Dennoch ist auch deutlich erkennbar, dass die vorgelegten Programme der EU-Kommission im Bildungsbereich neben den vielfältigen, durchaus positiven Aspekten darauf abzielen, den allgemeinen neoliberalen Trend zur Privatisierung und Absenkung von Leistungen der öffentlichen Hand voranzutreiben. Unter der schönen Rhetorik zeichnet sich ein Programm ab, das Bildung zunehmend aus der öffentlichen Verantwortung in den Bereich der privaten Verantwortlichkeit drängt. Dieser Trend spiegelt sich auch in den normativen Grundlagen der EU wider: So gelang es nicht, bei den Beratungen über die Grundrechtecharta der EU einen umfassenden Anspruch auf Bildung in den Text einzufügen. Es heißt zwar in Artikel 14/1: „Jede Person hat das Recht auf Bildung sowie den Zugang zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung.“ Artikel 14/2 besagt jedoch im Anschluss, dass dieses Recht die Möglichkeit umfasst, „unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen“. Diese Klausel lässt Raum für eine Absenkung des allgemeinen Bildungsanspruchs.“ Uca forderte die Herausnahme von Bildung und anderen Gütern der öffentlichen Daseinsvorsorge aus den GATS-Verhandlungen. “Wenn Bildung nicht aus den Verhandlungen herausgenommen wird, wird dies die bisherige Entwicklung in diesem Bereich weiter verschärfen. Bildung wird dann endgültig zweigeteilt werden. Auf der einen Seite ein immer weniger geförderter öffentlicher Sektor, der bestenfalls eine Minimalversorgung aufrecht erhält, auf der anderen ein privater Sektor, der Bildung für eine Elite bietet, die es sich ökonomisch leisten kann. Die Konsequenzen einer solchen Entwicklung liegen auf der Hand: Wissen wird immer mehr zum Herrschaftswissen werden.“
Jürgen Eckel vom Bundesvorstand des DGB, Teilnehmer an der WTO-Konferenz von Cancun (Mexiko), die gerade geplatzt war, berichtete, dass seit der WTO-Konferenz von Seattle bei den Gewerkschaften in aller Welt den Welthandelsabkommen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werde. Die in Cancun zahlreich anwesenden Gewerkschaftsvertreter hätten sich vor allem auf die Übernahme von sozialen Arbeitsnormen wie Arbeitszeit, gewerkschaftliche Betätigung, Tarifvertragsrecht u. a. vor allem im Textilhandel konzentriert. Bei GATS sollte das Bildungswesen ganz herausgenommen werden. Aber GATS hätte in Cancun nur eine Nebenrolle gespielt. Er bewertete das Scheitern der WTO-Runde grundsätzlich als positiv: Es sei den Industrieländern nicht gelungen, ihren Zeitdruck und ihre Schwerpunkte – Investitionsschutz und Erhalt der Agrarsubventionen – so einfach durchzusetzen wie bei früheren Verhandlungsrunden. Vor allem die EU habe zu hoch gepokert (die USA wären nicht besonders aktiv beteiligt, setzen sie doch sowieso mehr auf bilaterale Verhandlungen), denn Brasilien und Südafrika als Wortführer von 20 weiteren Staaten des Südens waren nicht bereit, den Vorgaben der Europäer so einfach zu folgen. Und es gelang den G22-Staaten (den wichtigsten Entwicklungs- und Schwellenländern), die eigene Verhandlungsmacht bis zum Ende durchzuhalten, ohne sich, wie früher, auseinanderdividieren zu lassen. Insofern ist aus den WTO-Verhandlungen insgesamt der Zeitdruck herausgenommen worden, was auch für den GATS-Prozess förderlich sein könne.
Prof. Christoph Scherrer (Universität Kassel) stellte systematisch das GATS - Regelwerk vor. Grundlage von GATS ist, dass der GATS-Prozess faktisch unumkehrbar ist, sich als sehr flexibel und kleinteilig erweist und daher in der Lage ist, den gesamten Welthandel abzubilden und zu regeln. „In der derzeitigen GATS-Verhandlungsrunde stehen die Einschränkungen des Geltungsbereiches der GATS-Regeln zur Disposition“. Zunächst zielen die Forderungen nach Marktöffnung „auf eine Aufhebung der staatlichen Verantwortung für das Hochschulwesen ab.“ Da die EU kurz vor Ende der vereinbarten Frist von den USA die Marktöffnung im Bereich privat finanzierter höherer Bildungsdienstleistungen gefordert hat, hat sie „Verhandlungsbereitschaft für den Bildungsbereich bekundet. Dennoch versuchte die EU-Kommission“ (sie verhandelt bekanntlich bei GATS, nicht die nationalen Regierungen), „in der Öffentlichkeit Entwarnung zu signalisieren. (...) Das in Deutschland federführende Bundeswirtschaftsministerium spielte ebenso die Bedeutung der Aufstellung dieser Forderung herunter.“ Im Gegenzug haben 19 Staaten Marktöffnungsforderungen an die EU gestellt, auch dort, wo die EU bisher keine Marktöffnungsverpflichtungen übernommen hat: In der höheren Bildung und Erwachsenenbildung, speziell bei Bildungstest-Dienstleistungen, bei der Behandlung von Zweigstellen von ausländischen Bildungsfirmen (es geht um deren gleiche Behandlung wie bei Inländern) und bei Subventionen (dazu ist wichtig zu wissen, dass Steuerfinanzierung als staatliche Subvention im Sinne von GATS gewertet wird). Das heißt im Klartext: Der öffentliche Sektor des Bildungswesens soll auf breiter Front geöffnet werden, Tochtergesellschaften ausländischer Bildungskonzerne sollen Inländern gleichgestellt und an der staatlichen Finanzierung beteiligt werden können. Prof. Scherrer betonte, dass die Gefahr bestehe, dass in Zukunft ein privater Anbieter unter Berufung auf GATS gegen z. B. öffentlich geförderte Studiengänge vorgehen und Gleichbehandlung einfordern könnte. Insbesondere die USA verlangen darüber hinaus, dass die Einschränkungen für Tochtergesellschaften aufgehoben werden. Die EU wird außerdem aufgefordert, genauer zu definieren, was sie unter „öffentlichen Aufgaben“ im Bildungsbereich verstehe, was insofern bedeutsam ist, als die EU bisher z. B. Lehrtätigkeit nicht in ihrer 1994 zu Protokoll gegebenen Liste öffentlicher Aufgaben aufgeführt hat. Letztendlich wird von der EU verlangt, den 1994 eingetragenen Liberalisierungsvorbehalt, staatliche Subventionen nur EU-Bürgern zukommen zu lassen, aufzugeben. Hier wäre ein GATS-konformer Ausweg, die öffentliche Finanzierung von der Subventionierung der Bildungseinrichtung auf die von Studierenden und Lernenden z. B. durch Bildungsgutscheine umzulenken. Vielleicht ist das der Grund für dessen Beliebtheit bei Neoliberalen aller Couleur. Für Prof. Scherrer sind „weitere Zugeständnisse der EU im Bildungsbereich nicht ausgeschlossen.“
Jürgen Klausenitzer (Bildungsberater, Frankfurt/M.) brachte auf dem Workshop eine Zusammenschau von GATS, PISA und OECD-Bildungspolitik. Er erblickt im GATS einen wichtigen Schritt zu einem „veränderten Modell der Rationalisierung und Privatisierung im Kapitalismus“, und zwar durch Rückführung der Kosten, „Delegitimierung des staatsbürokratischen Bildungswesens“, Verbetriebswirtschaftlichung und Privatisierung von Schulen und Hochschulen. Als Agenturen des globalen Paradigmenwechsels sind IWF, Weltbank, WTO, OECD und EU-Kommission auszumachen, aber auch die Lobbyisten-Organisation NAFTA (North Atlantic Freetrade Association). Sie verfolgen weltweit die Strategie, Wettbewerb zu forcieren und Privatisierung voranzutreiben. Kritisch sei doch zu hinterfragen, ob die zentralen Annahmen für die betriebswirtschaftliche Ausrichtung des Bildungswesens stichhaltig seien: Ob sich der Nutzen des eingesetzten Kapitals maximiere, wenn sich Teilnehmer am Bildungsprozess rational als Kunden verhalten? Ob der Wettbewerb als Ausschaltung ökonomischer Konkurrenz die Qualität weiterentwickele? Ob der unterlegte Effizienzbegriff tatsächlich eine gute Schule ausmache, ob nämlich die Produktion kognitiver Fachleistungen als Bildung ausreiche?
Wie eine Konkretion der generellen Einschätzungen Klausenitzers und der Vorwegnahme der Ergebnisse der GATS-Verhandlungen wirkte dann auf dem Workshop, was Jana Hudorova, Radek Vogl (Bertha von Suttner Gesellschaft, Prag) und Horst Bethge (Bildungspolitischer Sprecher der PDS, Hamburg) berichteten.
In Tschechien schreitet die Ökonomisierung des Bildungswesens schnell voran, beschleunigt durch den drastischen Abbau staatlicher Leistungen, wie wir das auch kennen: Budget- und Stellenkürzungen, Verschlechterungen von Parametern wie Klassenfrequenzerhöhungen, aber auch durch Dezentralisierung und Sponsoring, Einzug betriebswirtschaftlicher Kriterien in die Verwaltung. Steigend auch die von den Eltern aufzubringenden Kosten für Kita, Schule, Hochschule.
Ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt ist die Privatisierung der beruflichen Schulen in Hamburg. Im Dezember 2003 sollen sich Senat und Bürgerschaft mit den erforderlichen Gesetzen und Gesetzesänderungen befassen, die jetzt vorliegen (an 56 Stellen muss das gerade verabschiedete Schulgesetz geändert und ein Stiftungserrichtungsgesetz verabschiedet werden). Ab 1. Juni 2004 soll dann das „Jahrhundertwerk“ in Kraft treten – rechtzeitig, bevor das angelaufene Volksgesetzgebungsverfahren (Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid) abgeschlossen ist. Im Mai hatten GEW, ver.di, DGB, attac, Lehrer-, Eltern- und Schülerkammer die „Volksinitiative Bildung ist keine Ware – gegen die Privatisierung der beruflichen Schulen in Hamburg“ in Gang gebracht und bis jetzt 25.000 Unterschriften gesammelt. Sie hoffen, die bundesweit erstmalige Ausgliederung eines Schulbereichs aus der staatlichen Verantwortung stoppen zu können. Die Diskussion um die Privatisierung der beruflichen Schulen in Hamburg wird immer heftiger, im übrigen Bundesgebiet dagegen wird sie nur von Spezialisten wahrgenommen – zweifellos eine Unterschätzung dieser Maßnahme mit ordnungspolitischer Langzeitwirkung. Seit Januar 2001 schon drängt vor allem die das große Bank- und Handelskapital vertretende Handelskammer Hamburg. „Hamburgs Schulen auf Leistungskurs bringen“, nannte sie ihre Broschüre, in der sie kurz- und langfristige Forderungen auf dem Weg „zu Markt und Wettbewerb im Schulwesen“ artikuliert. Mittelfristig forderte sie die Ausgabe von Bildungsgutscheinen, langfristig die Privatisierung: „Der Staat muss sich auf seine Kernaufgabe, die Sicherung der Standards, beschränken“. Das fand zunächst wenig Beachtung, um so mehr aber nach dem Regierungswechsel, als die FDP im neuen Bürgerblocksenat von CDU/FDP/Schill-Partei den derzeit einzigen FDP-Kultusminister in Person des Konteradmirals a. D. Lange stellen konnte. Er machte sich das Handelskammer-Konzept zu eigen und verankerte im Koalitionsvertrag die stärkere Kooperation von Handelskammer und Schulbehörde, „um bedarfsorientierte Angebote zu entwickeln und berufsspezifisches Spezialwissen besser zu nutzen“, hieß es sybillinisch. Die Unternehmensberatungsfirma Schomerus und Partner legte im Auftrag der Handelskammer ein Gutachten „Wirtschaft unternimmt Berufsschule“ vor, in dem die Berufsschulen auf ein „Mittelstandsinstitut“ unter Regie der Handelskammer übertragen werden, weil „Berufsschulzeiten als subjektive Fehlzeiten betrachtet“ würden – denn das dort Gelernte sei nicht praxisrelevant. Die „Setzung und Kontrolle der schulischen Inhalte/Standards müsse gemäß den Anforderungen der Wirtschaft“ erfolgen. Die Berufsfachschulen, Vollzeit-Berufsschulgänge und Berufsvorbereitungsmaßnahmen würden geschlossen werden, die 48 Berufsschulen mit 56.400 SchülerInnen in 250 Berufsbildungsgängen und 3.000 Lehrkräften würden in 17 Berufsbildungszentren (BBZ) unter Regie des Mittelstandsinstituts geführt werden. „Der Schulträger wird durch die Stadt Hamburg finanziert, sämtliche finanziellen Risiken werden wie bisher von der Stadt übernommen.“ Die Qualitätskriterien sollen laufend überprüft und veröffentlicht werden.
In den „Jesteburger Beschlüssen“ (Ort einer Senatsklausur), in der eine lange Liste zu privatisierender Betriebe und Dienststellen erarbeitet wurde, ist festgelegt: „Die Berufsschulen sollen in Kooperation mit Handels- und Handwerkskammer eine private Trägerschaft bekommen.“ In zahlreichen Arbeitsgruppen bei der Schulbehörde, mit Unternehmensberatungsfirmen, Workshops für alle Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe in Hamburg wurde mit riesigem Aufwand dies Konzept propagiert, diskutiert, modifiziert. Jetzt sollen die 48 Berufsschulen zu BBZs zusammengefasst und in eine Stiftung überführt werden, die einen kaufmännischen Direktor und einen paritätisch zwischen Behörde und Handels- und Handwerkskammern aufgeteilten Vorstand mit Vetorecht der Wirtschaftsvertreter erhält – der direkte Zugriff der Wirtschaft auf einen ganzen Schulbereich.
Zwei Rechtsgutachten hatten zuvor das Stiftungsmodell nahegelegt, weil nur so nach § 123a des Beamtenrechtsrahmengesetzes Beamte an Träger mit Dienstherreneigenschaften wie Stiftungen bei dringendem öffentlichen Interesse überwiesen werden können – und ohne LehrerInnen kann auch die Hamburger Wirtschaft die Berufsschulen nicht betreiben. Der große breite Protest, auch von Ausbildungsbetrieben, auf den knapp 50 Workshops, die Besetzung der Bauberufsschule G 19 durch die Azubis und die erfolgreiche Volksinitiative haben bis jetzt zu Modifikationen und Veränderung des Zeitplans geführt – aber noch nicht dazu, dass Senator Lange das Stiftungsmodell aufgibt. Wie auch immer die Einzelheiten in Hamburg gestaltet werden mögen – es wäre der Rückzug des Staates aus der öffentlichen Verantwortung in einem ganzen Schulbereich bei gleichzeitiger voller Finanzierung. Das wäre eine Vorwegnahme von GATS.
Prof. Bernd Fichtner (Uni Siegen) und Silvio Rocha
(Mitinitiator des partizipativen Schulwesens in Porto Alegre
(Brasilien)) berichteten zum Abschluss des Workshops über eine
andere Welt – nämlich die Erfahrungen in Porto
Alegre. Seit 14 Jahren, als in der 1,4 Millionen-Stadt ein
Linksbündnis unter Führung der PT (Arbeiterpartei)
gesiegt hatte, gibt es dort eine wirksame Beteiligung der Menschen
an der Zukunftsentwicklung der Stadt, vor allem an der Aufstellung
des Investitionshaushaltes, der nun auch für die Armen und die
„Favelas“ (Slums) Infrastrukturmaßnahmen
vorsieht. So wuchs z. B. die Zahl der kommunalen Schulen von 13
(1985) auf 89. Bestandteil dieser massenhaften Partizipation ist
die „Schule der Citoyen“. Das heißt, dass Schule
und Unterricht kollektives Instrument des Gemeinwesens sind:
Erfahrungswissen und wissenschaftliches Wissen sind
komplementär, Lernende sind gleichzeitig Lehrende, Gegenstand
sind nicht nur Texte, sondern auch die Wirklichkeit der Umgebung im
Kontext von Entdecken, Kritik und gesellschaftlicher Anwendung. Das
Prinzip der radikalen Demokratie kommt z. B. in den
ausführlichen Bürger-Vollversammlungen in den Stadtteilen
zu Haushaltsfragen zum Ausdruck, wo anschließend Delegierte
zum „orcameto participativo“ (Rat des
Beteiligungshaushaltes) gewählt werden und öffentlich
Gewichtungs- und Prioritätenlisten erstellt werden, wo die
Investitionen erfolgen sollen. Diese wenigen Stichworte mögen
hier genügen – verdienen doch die Erfahrungen in Porto
Alegre, breiter dargestellt zu werden. Deutlich wurde jedenfalls,
dass es zur Privatisierung Alternativen gibt: Demokratisierung zum
Beispiel.
Die Zukunft öffentlicher Bildungssysteme liegt sicher nicht in der Verteidigung des bisherigen Bildungssystems, in der Aufrechterhaltung von Dreigliedrigkeit, Berufsbeamtentum oder Unternehmereinfluss im dualen Berufsausbildungssystem. In Abwehr der Veränderungsvorstellungen der Neoliberalen und der von GATS herkommenden gobalen Tendenzen kann sich die Linke nicht in die Rolle der Verteidiger der bestehenden Verhältnisse treiben lassen. Das wäre zu defensiv, wie Prof. Fichtner zum Schluss richtig anmerkte. Darum ist m. E. der Gegensatz zur Deregulierung die Demokratisierung, das Gegenteil zur Umwandlung von Bildung zur Ware ist die Realisierung des Grundrechts auf Bildung für alle, der Einengung des Bildungsbegriffs auf das lediglich Verwertbare ist die breite Allgemeinbildung für alle in der einheitlichen Schule für alle Kinder bis Klasse 10 entgegengesetzt, der Ausbau, nicht Abbau des Sozialstaates ist alternativ. Doch das muss gründlicher diskutiert werden, als es auf diesem Workshop möglich gewesen wäre. Darum darf man gespannt auf Fortsetzungen sein, denn die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat diese bereits angekündigt.