Berichte

Empire – Antonio Negri in Frankfurt

Dezember 2003

Am 3. Oktober kam Tonio Negri, gemeinsam mit Michael Hardt Autor von Empire, auf Einladung des Rosa-Luxemburg-Forums Hessens zu einem abendlichen Vortrag mit anschliessender Diskussion nach Frankfurt. In der von einem gemischten Publikum vollbesetzten Titania, einem ehemaligen Kino in Bockenheim (ein Saal, in dem bereits Rosa Luxemburg sprach), stellte der Frankfurter Soziologe Alex Demirovic Negri als denjenigen vor, der mit Empire den Kommunismus zeitgemäß gemacht habe. Vor allem bringe er Poststrukturalismus und Marxismus zusammen, was in der Bundesrepublik im Vergleich zu Frankreich und Italien immer schwierig war und ist. Nach einer kurzen Erläuterung Demirovics zu Negris intellektuellem Werdegang – vom Spinoza-Forscher zum Linksradikalen und Eingekerkerten zum Autor eines der einflussreichsten Bücher der letzten Jahre – begann Tonio Negri selber mit seinem auf italienisch gehaltenen Vortrag, der Absatz für Absatz von einem Übersetzer ins Deutsche übertragen wurde. Diese sehr mühsame Art des Vortragens und Zuhörens erschwerte das Verständnis des ohnehin schon komplex anmutenden Inhalts noch einmal. Es ist kaum anzunehmen, dass jemand ohne die Lektüre von „Empire“ den Ausführungen Negris oder der anschließenden Diskussion mit intellektuellem Lustgewinn folgen konnte. Zunächst einmal jedoch stellte Negri die Bedeutung Frankfurts und seine Freude darüber heraus, in dieser „legendären Stadt Europas“ zu sprechen. Er wisse nicht, wer sein Publikum sei, was seine Ausführungen erschwere. Biographisch müsse er anmerken, dass man mit „den Frankfurtern“ des Instituts für Sozialforschung philosophisch und politisch nicht einverstanden sein müsse. Jedoch müsse man ihnen zustimmen, dass es notwendig sei, kritisch zu forschen. Negri begann nun, seine Lesart des Begriffs „Kapital“ zu erläutern und stellte insbesondere die Produktion und die lebendige Arbeit in den Mittelpunkt seines begrifflichen Interesses. Allerdings bekam man den Eindruck, dass für Negri fast alles irgendwie unter „Kapital“ zu subsumieren sei, denn auch der Klassenkampf ist für ihn eine Sache der lebendigen Arbeit und jene eine Form des Kapitals. Sodann skizzierte er in einem historischen Abriss die Entwicklung des Kapitalismus seit den siebziger Jahren bis heute, wobei das Hauptaugenmerk den siebziger Jahren und der Interpretation der Klassenkämpfe dieser Zeit zukam. Hier zeigte sich bereits die manchen im Saale hinlänglich bekannte operaistische Interpretationsweise von Arbeiterkämpfen, die einige in ihrer voluntaristischen, streckenweise ruchlos optimistischen Art vor dem Hintergund der gegenwärtigen Gestalt des Kapitalismus dann doch gehörig verblüffte. Dazu trugen Ausführungen Negris bei, in denen er die Globalisierung als einen Sieg des Proletariats beschrieb. Die Reaktion des Kapitals auf diese Entwicklung bestehe eben im Empire: Dem globalen Markt – und damit der potentiell unbegrenzten Bewegung der Multitude – müssten Regeln vorgegeben werden, die der Kapitalismus mit Macht durchsetze. Als die Antriebskräfte der Globalisierung bezeichnete Negri die Natur, die Produktion, die Arbeit und eben die Bewegung der Multitude. Die Arbeit werde zusehends gleichzeitig immaterialisiert und sozialisiert, so dass es zu jener auch von Negri wortreich beschriebenen Informatisierung und Intellektualisierung von Arbeit käme. Am Beispiel von Fiat Torino erläuterte Negri den gleichzeitigen Zuwachs an Produktivität und den Abbau von Arbeitsplätzen; eine Situation, in welcher dann erst der Autonomiediskurs aus der fordistischen Fabrik der sechziger/ siebziger Jahre entstanden sei. Die Erläuterungen Negris über den Widerstand ähnelten jenen in Empire über die Bedeutung regionaler und territorialer Netze und Ebenen. Überhaupt fiel die Verwendung vielerlei Strukturbegriffe auf, mit denen etwas großes erklärt werden sollte: Beispielsweise sei ‚der Krieg das Fundament der Ordnung’. Oder: ‚Biopolitische Strukturen’ wären heutzutage eine Arbeitskraft (Zur Erklärung sagte Negri, dass die Arbeitskraft mittlerweile ein Teil der sozialen Strukturen sei, welche sie produzierten. Da die Arbeitskraft nun ein Teil der sozialen Struktur sei, müsse auch das Kapital parasitärer agieren, um der Arbeitskraft habhaft zu werden. Aber es gelinge dem Kapital nicht, das Produktive im Kopfe der Arbeiter zu bekommen, es zu kolonialisieren. Dieses „kognitive Kapital“, die „freie Arbeitskraft“, sei das Widerständige im gegenwärtigen Kapitalismus. Und auf dieses „kognitive Kapital“ stützte sich Negri in seiner Hoffnung, angesichts der immanenten Kriegsgefahr des Empire-Kapitalismus „nicht zu enden wie im Simplicissimus“.

In der Diskussion wurde gleich zu Beginn Kritik an der Periodisierung Negris laut. Es wurde zu Recht moniert, dass die Analysen sich fast vollständig auf die Situation der siebziger Jahre stützten und bruchlos ohne die achtziger- und neunziger Jahre in die Gegenwart springen würden. Weiter wurde der von Negri vorgetragenen These, die Multitude habe die qualitative Veränderung hin zur Globalisierung gegen den Willen des Kapitals durchgesetzt, das an Gramsci orientierte Konzept der passiven Revolution entgegengehalten. Die veränderte kapitalistische Ordnung des „Empire“ sei als revolutionärer Sprung zu begreifen, dieser sei jedoch von der Multitude passiv erduldet, nicht aktiv gestaltet worden.

Negri erläuterte noch einmal recht biographisch gesättigt seine Einschätzungen, die eben auch auf dem Kontrast der Erfahrungen vom Flugblattverteilen vor den Fiat-Werken 1969 in Torino und seinen Einblicken in Textilfabriken auf der Ile de France in Paris beruhten. Nach 1968/69 habe die ‚Produktion des generellen Intellekts’ eingesetzt; sprachlich-kommunizierende Arbeit wäre eben immer wichtiger geworden. Die materielle Arbeit gebe es zwar auch noch, aber sie falle wenig ins Gewicht. Hier habe auch die Politik des Neoliberalismus in den achtziger Jahren angesetzt – eine Politik, die die internationale Arbeiterbewegung nicht verstanden hätte. Ein wenig foucaultsch argumentierte Negri, dass aus Prozessen der Disziplinierung der Arbeitskraft im Zuge des Neoliberalismus, Prozesse der Kontrolle erwachsen seien. Eine weitere kritische Frage ergab sich aus Negris Unterscheidung von materieller und immaterieller Arbeit – ganz handfest sei es z.B. im Gesundheitswesen empirisch zweifelhaft, solcherlei großklingende Kategorisierungen zu benützen. Hier verwies Negri wiederum auf seine eigenen Erfahrungen in der Textilproduktion; sein Konzept beruhe eben auf seinen französischen und italienischen Erfahrungen. Unbeantwortet blieb die Frage, ob sich die positive Wertung der immateriellen Arbeit, wie sie in Empire vorgenommen wurde, nicht angesichts der realen Ausgestaltung, Stichwort: Präkarisierung, verändern müsse. Weitere Fragen bezogen sich auf den Irak-Krieg im Verhältnis zu den Thesen in Empire: Der Krieg habe schließlich die Tendenz zum unilateralen Handeln eines dominierenden Staates gezeigt und nicht das Entstehen eines Netzwerkes. Hier argumentierte Negri, dass die Strategie der USA im Irak-Krieg eben bisher nicht aufgegangen sei. Eine weitere Frage bezog sich auf das parasitäre Kapital – ob es nicht mehr denn je die Chance gebe, dessen Fesseln zu sprengen. Schließlich argumentierten Horkheimer und Adorno in der Dialektik der Aufklärung ebenso: Das Bürgertum könne die kreativen Möglichkeiten des Kapitals nicht nutzen, sondern lediglich die destruktiven wie den Krieg. Negri nannte es sogleich das Verdienst Adornos und Horkheimers, die Unmöglichkeit des Bürgertums herausgestellt zu haben. Allerdings hätten die kritischen Theoretiker nie die Linie Machiavelli – Spinoza – Marx verfolgt – eine philosophische Linie, die Negri kryptischerweise als diejenige der „absoluten Demokratie“ bezeichnete und zu verfolgen ankündigte: Man kann theoriepolitisch gespannt sein, wenn man möchte.