Die kapitalistische warenproduzierende Eigentümer-, Markt- und Konkurrenzgesellschaft ist ihrem Wesen und ihrer Funktionsweise nach eine a-soziale Gesellschaft. Sie hat kein Verhältnis zu einer wie auch immer definierten sozialen Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit, die sie einzig garantieren kann, ist der „gerechte“ Tausch der Waren, zu denen auch die Arbeitskraft gehört, zu ihrem Wert, der gebildet wird durch die in der Ware inkorporierte im gesellschaftlichen Durchschnitt erforderliche Arbeit.[1]
Aus sich heraus ist die kapitalistische Marktwirtschaft nicht in der Lage, Verteilungs- und Zuteilungsmechanismen hervorzubringen, die soziales Elend, soziale Benachteiligung und soziale Ungleichheit verhindern oder abbauen können, sie reproduziert vielmehr stets neu das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit. Die zur Zeit herrschende volkswirtschaftliche neoklassische Lehre, die dies System affirmiert, sieht – insoweit konsequent – ihre Aufgabe denn auch nicht darin, Verteilungsprobleme zu analysieren und gegebenenfalls zu lösen. Ihr Ziel ist, die Bedingungen für ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum aufzuzeigen; dies Wachstum werde, so wird unterstellt, letztendlich für jedes Mitglied der Gesellschaft von Vorteil sein, wenn auch nicht für jedes in gleicher Weise. Soziale Umverteilungseffekte sind einer kapitalistisch organisierten Wirtschaft zwar wesensfremd, nicht aber Umverteilungen an sich. Sie ist eine höchst dynamische Wirtschaft; das unterscheidet sie z. B. von einer feudalen Produktionsweise. Die Umverteilungsprozesse, die eine warenproduzierende Gesellschaft bewirkt, sind beträchtlich und sie verstärken sich, wenn die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit sprunghaft gesteigert wird, wie gegenwärtig durch die Entwicklung der Mikroelektronik. Dann verschärft sich national wie international der Konkurrenzkampf, große Kapitalmassen werden vernichtet oder von den Konkurrenten aufgesaugt und das Heer derjenigen, die ausschließlich vom Verkauf ihrer Arbeitskraft existieren können, wird größer und zugleich damit auch die Zahl der Elenden, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, aber nicht können.[2]
Einzelne Mitglieder der Gesellschaft mögen zwar milde Wohltätigkeit üben, aber das kapitalistische System selbst wird dadurch nicht berührt. Bei Strafe des Untergangs muss der Kapitalist als Kapitaleigentümer agieren, muss seine „Charaktermaske“ aufsetzen. Denn wie Brechts Peachum weiß: „Wir wären gut – anstatt so roh, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.“[3]
Auf die marktwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse allein kommt es allerdings nicht an. Eine Gesellschaft wird nur unzureichend erkannt, wenn sie lediglich als Eigentümer/Nichteigentümergesellschaft betrachtet wird. In ihr vollziehen sich zahlreiche andere Kommunikationen; sie ist stets zugleich politische, kulturelle, religiöse, ethnische, nationale Gesellschaft. Mit dem Begriff der zivilen Gesellschaft wird versucht, einige dieser gesellschaftlichen Strukturen und Kommunikationen zu erfassen. Dieser Begriff wird aber zur Ideologie – oder sogar zum politischen Kampfinstrument – wenn dabei von den Eigentumsverhältnissen abstrahiert wird, die das bestimmende Zentrum[4] und den harten Kern des Ganzen, dessen Wahrheit, ausmachen, von dem aus die hegemoniale Herrschaft sich formiert.
Der Verfassungskompromiss und seine Aufkündigung in der Weimarer Republik
Gesellschaftliche Funktionsgesetzlichkeiten wie die der kapitalistischen Warenproduktion können nicht aufgehoben werden, ohne die Gesellschaft, in der sie sich entfalten, selbst aufzuheben. Aber sie können, wenn einmal erkannt, modifiziert werden
In langen, erbitterten, zähen Kämpfen haben die Arbeiter soziale Verbesserungen der Arbeitsbedingungen durchgesetzt; dabei waren ihre Gegner oft genug nicht nur die Eigentümer der Produktionsmittel, sondern Gegner war auch direkt der Staat, seine bewaffnete Macht, seine Gerichte. Mit dem Wachsen der Arbeiterbewegung und dem Anwachsen ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht konnte es teilweise gelingen, den Staat zu Änderungen der bestehenden Verhältnisse zu bewegen. Die Sozialgesetzgebung des Deutschen Reiches – Gesetz über die Krankenversicherung der Arbeiter 1883, Unfallversicherungsgesetz 1884, Gesetz über die Invaliditäts- und Alterssicherung 1889 – war ein typischer, letztlich erfolgloser Versuch, durch soziale Zugeständnisse die Sozialdemokratie politisch zu schwächen und zu integrieren, nachdem die repressiven Sozialistengesetze, den weiteren Aufstieg der Partei nicht hatten verhindern können.
Das unmittelbare Einfordern sozialer Zugeständnisse im Arbeitskampf mit den Arbeit„gebern“ war und ist jedoch der Grundtatbestand für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der entgeltabhängig Arbeitenden. Isolierte, politische Aktionen, die sich ausschließlich an den Staat, insbesondere an den staatlichen Gesetzgeber richten, bleiben erfolglos, wenn der Wille und die Kraft zum Arbeitskampf und zur Bildung außerparlamentarischer Opposition fehlen.
Der Eingriff in die primären Aneignungs- und Eigentumsverhältnisse durch den Staat im Interesse der Nichteigentümer war in größerem Umfang nur in besonderen, für die bestehenden Eigentumsverhältnisse gefahrvollen Situationen möglich; dann nämlich, wenn solche Eingriffe zugleich im Interesse der Bewahrung dieser Verhältnisse geboten schienen.
Solche Ausnahmelagen haben sich nach den verlorenen beiden Weltkriegen ergeben. Diese waren von den führenden politischen, militärischen und wirtschaftlichen Kräften mit großer Härte und Grausamkeit geführt worden. Von den Vernichtungsschlachten der beiden Kriege wurde nicht nur der äußere Feind getroffen, sondern auch das eigene Volk, das zudem die Folgen der totalen Niederlage zu tragen hatte.
So entstand mit und unmittelbar nach der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches 1918 eine Situation, in der eine grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse möglich schien und große Teile der Arbeiterschaft und der Soldaten bereit waren, sie zu erkämpfen. Herausgekommen ist, so Rosa Luxemburg die „elende halbe Revolution des 9. November“.[5]
Das Elend, das Rosa Luxemburg Ende Dezember 1918 zutreffend benannte, sollte seine ganze Größe sehr bald zeigen. Es gingen zwar der Kaiser, die Könige, die Großherzöge und alle, die ihre Macht nicht auf den Willen des Volkes gegründet hatten, sondern ideologisch auf das dynastische Prinzip und faktisch auf das Machtbündnis mit Adel und Bürgertum. Aber die Generäle, Wirtschaftskapitäne, Richter, Professoren, Priester und Verwaltungsbeamte blieben und damit diejenigen, die in ihrer überwältigenden Mehrheit die Republik ablehnten und sie später dem Nationalsozialismus überantworteten.
Die Mehrheitssozialdemokratie und die Führungen der Gewerkschaften wollten die Revolution nicht, bekanntlich hasste Friedrich Ebert sie „wie die Sünde“. Sie suchten stattdessen das Bündnis mit den alten Kräften. Die Weichen waren früh gestellt worden durch das Bündnis von Ebert mit der Heeresleitung, und dem Novemberabkommen zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften.[6] Diese Bündnisse wurden von der SPD gesucht, weil die Hoffnung bestand, die beiden wichtigsten Ziele der Sozialdemokratie auch durch Kompromisse erreichen zu können: Die Einführung der parlamentarischen Demokratie, soziale Zugeständnisse und das Offenhalten der zukünftigen Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse für weitere gesellschaftliche Veränderungen. Noch vor der Wahl der Nationalversammlung und des Reichstags wurden durch den Rat der Volksbeauftragten das Wahlrecht der Frauen, der Achtstundentag sowie die Anerkennung der Tarifparteien und ihrer Verträge eingeführt. Alle zu Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen wurden wieder in Kraft gesetzt.
Das parlamentarische Regierungssystem, also die Abhängigkeit der Regierung vom Vertrauen der Parlamentsmehrheit wurde sowohl im Reich als auch in den Ländern durchgesetzt. Die Bismarcksche Reichsverfassung hatte keine Grundrechte enthalten. In der Weimarer Verfassung indes wurden nicht nur die klassischen Freiheitsrechte normiert, sondern auch soziale Grundrechte, soziale Staatszielbestimmungen und soziale Institutionen. Sehr exakt und widerspruchsfrei waren die sozialen Ziele, die dem staatlichen Handeln von der Verfassung vorgegeben wurden, nicht formuliert. Der Art.151, der erste Artikel des Abschnitts über „Das Wirtschaftsleben“ kann insoweit als exemplarisch zitiert werden. „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen zu sichern.“ Aber es gab auch sehr konkrete Gesetzgebungsaufträge, so z. B. der Auftrag, ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten zu schaffen, u.a. zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter und Schwäche. Sehr fortschrittlich war auch die Bestimmung, das Reich solle für eine zwischenstaatliche Regelung eintreten, die ein Mindestmaß an sozialen Rechten für die „gesamte arbeitende Klasse der Menschheit“ anstrebt, Art.162 WRV. Auf die einzelnen sozialstaatlich relevanten Normen kann hier nicht eingegangen werden.[7] Auf die entscheidende Frage aber, was der Staat im Bereich der Wirtschaft, der Arbeit und des Sozialen regeln dürfe, war die Antwort der Verfassung eindeutig: Der Staat kann vor allem durch seine Gesetzgebung eingreifen, planen, gestalten und umgestalten.
Die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung konnte also gemäß dem demokratischen Mehrheitswillen verändert werden. Sie war, auch in ihrem Kernbereich, dem Staat nicht unantastbar vorgegeben. Das zeigte sich deutlich bei der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Privateigentums. Das Eigentum verpflichte, so bestimmte die Verfassung, und sein Gebrauch solle zugleich Dienst sein für das gemeine Beste – das war eine recht leere und reichlich pathetische Norm. Eindeutig war demgegenüber die Aussage, der Inhalt des Eigentums und seine Schranken ergäben sich aus den Gesetzen. Der Inhalt des Eigentums war nicht verfassungsrechtlich als Recht, über das Eigentumsobjekt nach freiem Belieben zu verfügen, festgelegt, sondern er ergab sich aus den Gesetzen. Die Inhaltsbestimmung umfasste auch die Entscheidung darüber, was überhaupt Objekt des Privateigentumsrechts sein kann. Sachen im Allgemeingebrauch, Wasser z. B. oder Meeres- und Seeufern oder einmaligen Kultur- und Naturdenkmälern konnten demgemäss andere, öffentlich rechtliche Eigentumsformen zugewiesen werden, so dass sie nicht dem privaten Nutzen dienen, sondern dem der Allgemeinheit. Auch konnten für die Vergesellschaftung geeignete private wirtschaftliche Unternehmungen in Gemeineigentum überführt werden in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen, die für die Enteignung galten, Art156 Abs.1 WRV. Die Enteignung als die Entziehung eines konkreten Eigentumsobjekts zum Wohle der Allgemeinheit erfolgte zwar gegen angemessene Entschädigung, aber nur, wenn ein Reichsgesetz nicht etwas anderes bestimmte. Eine entschädigungslose Enteignung und Vergesellschaftung war also möglich.[8]
Die Geschichte der Weimarer Republik lehrt aber auch, dass einmal errungene gesetzliche und verfassungsrechtliche Positionen und Möglichkeiten stets in Gefahr sind, verloren zu gehen, wenn die Machtverhältnisse sich ändern und die Kompromisse aufgekündigt werden, deren Ergebnisse diese Rechte waren.
Das zeigte sich in den Angriffen auf das Tarifvertragsrecht und den gesetzlichen Arbeitstag, aber vor allem in den Versuchen zur Umgestaltung der Verfassungsordnung durch die Verfassungslehre. Seitens der Mehrheitssozialdemokratie war die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft aufgegeben und sogar im Bündnis mit den früheren Kräften bekämpft worden, um dafür die Möglichkeit einer gesetzlichen Reform mit dem Endziel des Sozialismus einzuhandeln. Das Bestreben des bürgerlichen Lagers war, diese verfassungsrechtlich garantierte Möglichkeit wieder zu beseitigen. Solange eine Änderung der Verfassung politisch nicht möglich war, wurde versucht, durch eine neue Auslegung die Verfassung zu ändern.
Vor allem durch die neue Interpretation der verfassungsrechtlichen Eigentumsordnung sollten die Handlungsmöglichkeiten des demokratisch gewählten Gesetzgebers beschränkt werden.[9] Dies geschah durch die Behauptung, der Gesetzgeber müsse das Privateigentum als gesellschaftliche Einrichtung, als Institut, bewahren und als grundsätzlich freie, wenn auch einschränkungsfähige Verfügungsgewalt im Interesse seiner „Privatnützigkeit“ erhalten; außerdem sei nicht nur das Sacheigentum geschützt, sondern jedes vermögenswerte Recht. Soweit war der Eigentumsschutz noch nicht einmal im Kaiserreich gezogen worden; vielmehr war ganz herrschende Lehre gewesen, die Grundrechte, also auch das Grundrecht des Eigentums, richteten sich nur gegen die Verwaltung, nicht aber an den Gesetzgeber. Diese neue Lehre,[10] die sich jedoch noch nicht voll durchsetzen konnte, wurde komplettiert durch die Versuche, die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze der Kontrolle durch das Reichsgericht zu unterwerfen.
Radikaler noch ging Carl Schmitt vor. Dabei geht es in diesem Zusammenhang zwar auch, aber nicht in erster Linie um seine vieldiskutierte Demokratie- und Parlamentarismuskritik, auch nicht um seine Auslegung des Art. 48 WRV, des sogenannten Notstandsartikels, oder um seine Inthronisierung des Reichspräsidenten als Hüter der Verfassung.
Sein grundlegender Angriff auf die Weimarer Verfassung kommt vielmehr im Gewand hochabstrakter verfassungstheoretischer Begrifflichkeit einher. Schmitt unterscheidet die geschriebene Verfassung, das Verfassungsgesetz, von der Verfassung; diese Unterscheidung sei für die Verfassungslehre „der Ausgang jeder weiteren Erörterung.“[11] Die Verfassung im positiven Sinne – im Unterschied zum Verfassungsgesetz – bezieht sich auf die besondere Existenzform der politischen Einheit. Sie enthält „die bewusste Bestimmung der besonderen Gesamtgestalt für welche die politische Einheit sich entscheidet.“[12] Wie jedes Gesetz bedürfe auch das Verfassungsgesetz einer ihm vorhergehenden politischen Entscheidung.[13] Für sich genommen ist dies keine sonderlich neue und zudem eine ziemlich banale Erkenntnis. Neu – und das Verfassungsgesetz radikal seiner normativen Kraft beraubend – war aber die Verselbständigung und Entgegensetzung der durch die verfassunggebende Gewalt getroffenen Entscheidung gegenüber dem Verfassungsgesetz, obwohl das Gesetz und nur dieses die politische Entscheidung ausdrückt und in rechtliche Form bringt.[14] Auch der getreueste Gesetzespositivist weiß, dass dem Gesetz politische Entscheidungen zugrunde liegen und berücksichtigt im Rahmen der subjektiven Auslegung die Motive und Ziele des Gesetzgebers. Erkenntnisquelle für die grundlegende politische Entscheidung ist jedoch, entgegen Schmitt, das Verfassungsgesetz. Schmitt aber löst die politische Entscheidung von ihrem Produkt, dem Verfassungsgesetz, und misst die eigentliche normative Kraft nicht dem Verfassungsgesetz, sondern der Verfassung zu.
So kann er entgegen dem klaren Wortlaut der Weimarer Verfassung zu dem Ergebnis kommen, die Verfassung könne nicht durch die im Verfassungsgesetz vorgesehenen Mehrheiten geändert werden, sie sei unantastbar[15] und somit nur durch revolutionäre Gewalt aufzuheben.
Carl Schmitt kündigte den grundlegenden Kompromiss, der als politische Entscheidung der Weimarer Verfassung zugrunde lag, auf. „Die große Alternative bürgerliche oder sozialistische Gesellschaftsordnung ist scheinbar nur durch einen Kompromiss erledigt.“[16] In Wirklichkeit seien jedoch nur einige Sozialreformen eingeführt oder als Programm aufgestellt worden. Weil aber spezifisch politische Folgerungen aus den Prinzipien des Sozialismus nicht gezogen worden seien, gälte: „Die fundamentale Entscheidung ist durchaus für den bürgerlichen Rechtsstaat und die konstitutionelle Demokratie gefallen.“[17] Und er führt aus: „Die Entscheidung musste für den bisherigen sozialen status quo, d.h. für die Beibehaltung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung fallen, schon deshalb, weil die andere Entscheidung, eine konsequent durchgeführte sozialistische Revolutionierung nach Art der Sowjetverfassung, auch von den Sozialdemokraten ausdrücklich abgelehnt wurde.“[18]
Diese politische Einschätzung Schmitts ist vom politischen Standpunkt aus nicht unrichtig; so ähnlich hatten es ja auch schon Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gesehen. Politisch betrachtet waren durch die nicht erfolgte Umgestaltung der überkommenen Gesellschafts- und Privateigentumsordnung die Weichen für die weitere politische und gesellschaftliche Entwicklung erst einmal gestellt – daran konnten die schönsten in der Verfassung festgehaltenen sozialen Ziele und Programme allein nichts ändern.[19]
Aber waren damit auch der gesellschaftliche status quo und der bürgerliche Rechtsstaat verfassungsrechtlich unveränderbar festgeschrieben, so dass gegebenenfalls diejenigen, die an eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft auch nur zu denken wagten, als Feinde der Verfassung und der Freiheit und als „vaterlandslose Gesellen“ mit neuen „Sozialistengesetzen“ verfolgt werden können? Wie illusionär auch immer die Hoffnung auf eine friedliche, durch Parlamentsgesetz vorangetriebene Sozialisierung der Gesellschaft gewesen sein mag ‑ der Inhalt des politischen Kompromisses, der in der Verfassung seinen Ausdruck fand, war: Dies Ziel kann verfassungsgemäß verfolgt werden.
Der Verfassungskompromiss und seine Aufkündigung in der Bundesrepublik Deutschland
Die Lage nach dem zweiten von Deutschland verlorenem Weltkrieg unterschied sich u.a. aufgrund der bedingungslosen Kapitulation wesentlich von der nach dem ersten Weltkrieg. Vor allem ist festzuhalten: Es hat nicht einmal ansatzweise eine aufständische oder revolutionäre Bewegung gegeben, noch irgendeine Form der résistance, auch nicht in der letzten Phase des Krieges, als dieser offenkundig verloren war. Dies wird von der zeitgeschichtlichen Forschung nicht hinreichend thematisiert, obwohl die weitere Entwicklung davon wesentlich mitbestimmt wurde. Die Soldaten kämpften verbissen unter großen Verlusten und bis zum Schluss; die Rüstungsindustrie arbeitete weiter; die Richter verurteilten noch in den Tagen vor der Kapitulation – und manchmal sogar noch nach dieser – Deserteure, die Verwaltung arbeitete effizient wie während der gesamten nationalsozialistischen Zeit; bis zuletzt noch wurden Brücken gesprengt und Kinder als Flakhelfer und Großväter als Volkssturmmänner in den verlorenen Krieg geschickt.
Die Neuordnung konnte nur von außen, von den Siegermächten, kommen und es war niemand da, mit dem diese hätten verhandeln wollen oder können. Alles politische oder öffentliche Handeln wurde von den Besatzungsmächten angeordnet oder erlaubt; es wurde von ihnen genehmigt und konnte jederzeit von ihnen rückgängig gemacht werden.[20]
Das galt auch von den ersten Verfassungen der wiedererrichteten Länder. Diese Verfassungen enthielten zum Teil sehr umfangreiche sozialstaatliche Bestimmungen. Besonders interessant ist der Art. 41 der hessischen Verfassung vom 1.12.1946. Er enthält die sogenannte „Sofortsozialisierung“ der Betriebe des Bergbaus, der Eisen- und Stahlerzeugung und der Energiewirtschaft sowie des schienen- oder oberleitungsgebundenen Verkehrswesens. Mit dieser Vorschrift wurde nicht lediglich ein Programm aufgestellt, ein Ziel vorgegebenen oder ein verbindlicher Gesetzesauftrag erteilt, vielmehr wurde die „Überführung in Gemeineigentum“ unmittelbar durch die Verfassung selbst vorgenommen.[21] Die Entstehungsgeschichte dieses Artikels gibt auch wichtige Hinweise auf das Verhältnis zwischen der amerikanischen Besatzungsmacht und den wiederentstehenden deutschen öffentlichen Gewalten. Über den Art.41 musste gesondert abgestimmt werden; er bedurfte einer Zweidrittel-Mehrheit. Diese wurde sogar übertroffen, was ein deutlicher Hinweis auf den Willen breiter Bevölkerungskreise war, die wirtschaftlichen Verhältnisse umzugestalten.[22]
Das Beispiel des Art.41 heVerf. zeigt, dass die westlichen Besatzungsmächte zu dieser Zeit deutschen sozialstaatlichen Neuordnungsversuchen zwar grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden, dass sie aber die Neuordnung letztlich nicht zwangsweise verhindern wollten. Das weitere klägliche Schicksal des Art. 41 erwies dann sehr bald, dass die Kräfte, die eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse anstrebten, sich nicht durchsetzten konnten gegen die rasch erstarkenden restaurativen Tendenzen
Nach dem Auseinanderbrechen der Antihitlerkoalition beschlossen die drei westlichen Besatzungsmächte ihre Gebiete staatlich zu organisieren, nachdem schon zuvor mit dem Marshallplan und der Währungsreform die separate wirtschaftliche Entwicklung im Westen eingeleitet worden war.[23] Zunächst zeigte sich, vor allem auf der Ebene der Ministerpräsidenten der Länder, einiger Widerstand gegenüber der Gründung eines Staates, der notwendigerweise die Abspaltung der westlichen Besatzungszonen von der sowjetischen Zone bedeutete. So wurde denn eher ein Staatsfragment angestrebt oder gar nur ein Organisationsstatut, und statt von einer Verfassung sprach man lieber von einem Grundgesetz. Jedoch zeigte sich bald, dass für die maßgebenden Kräfte das Ziel der Erlangung der – notwendigerweise noch eingeschränkten – Souveränität vorrangig war.
So entstand letztlich doch eine Vollverfassung, die zwar den klassischen Katalog der liberalen, bürgerlichen Freiheitsrechte enthielt, aber keine sozialen Grundrechte, was zum Teil mit dem Festhalten am ursprünglichem Provisoriumskonzept erklärt wird. Angesichts der sozialen Grundrechtskataloge in den Länderverfassungen und der großen sozialen Probleme – Wohnungsnot, Kriegsopfer- und Flüchtlingsversorgung, um nur einige zu nennen – ist dies sicherlich nicht der einzige Grund für das Fehlen sozialer Grundrechte. Die SPD befürchtete angesichts der Mehrheitsverhältnisse im parlamentarischen Rat ihre Vorstellungen nicht durchsetzen zu können und hoffte, wie schon in der Weimarer Republik, im zukünftigen Parlament durch einfaches Gesetz den Sozialstaat gestalten zu können; deshalb wurde auf den Ausbau der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes besonderer Wert gelegt.[24]
Zwar können auch nach dem Grundgesetz Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt werden, Art.15 GG; zwar ist für jedermann und für alle Berufe das Recht gewährleistet, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu bilden, Art.9 Abs.3 GG, ein Recht, das nach allgemeiner Auffassung auch das Streikrecht dieser Vereinigungen umfasst; zwar wurde die Gleichberechtigung der Frau verankert, Art. 3 Abs.3GG, zwar hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft, Art.6 Abs.4 GG, zwar sind den unehelichen Kindern die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten zu verschaffen wie den ehelichen, Art.6 Abs.5 GG, aber diese vereinzelten sozialstaatlichen Normierungen, zu denen auch die ominöse Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums gehört, bleiben weit hinter dem zurück, was zuvor und gegenwärtig an sozialstaatlichen Rechten und Institutionen in anderen Ländern und auf internationaler Ebene galt und gilt.
Dennoch bezeichnet das Grundgesetz die Bundesrepublik als „demokratischen und sozialen Bundesstaat“, Art. 20 Abs.1, und verbietet eine Änderung dieser Norm durch die sogenannte „Ewigkeitsgarantie“ des Artikel 79 Abs.3.
Bei der Auslegung des Sozialstaatspostulats bestand und besteht Einigkeit darüber, damit werde ein „Minimum an sozialer Gerechtigkeit“[25] gewährleistet, das jedem ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen soll. Was darunter im einzelnen zu verstehen ist, hängt ab von dem gesamten kulturellen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen etc. Niveau einer Gesellschaft und vor allem von dem gesamtgesellschaftlichen Reichtum. Entscheidend ist, was als die normale Existenzform ihrer Mitglieder angesehen wird und was als menschenunwürdige Abweichung. So ist unzweifelhaft, dass in der BRD niemand, gleichgültig ob Deutscher oder Nichtdeutscher, ohne Nahrung, Wohnung und minimalmedizinische Versorgung gelassen werden darf. Aber was darüber hinaus als sozial angemessen, richtig und gerecht anzusehen ist, lässt sich, welche Interpretationsmethode auch immer man anwendet, aus dem kleinen Wort „sozial“ nicht erschließen.[26] Inhaltlich wird also im Zusammenhang mit Art.1 GG, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt, und dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 GG durch das Sozialstaatsprinzip lediglich ein soziales Minimum garantiert, und auch dies nicht als unmittelbar einklagbares subjektives Recht, sondern als Rechtsgrundsatz, der eine programmatische „Gestaltungsmaxime“ normiert.[27] Bei der Frage nach der sozialen Gerechtigkeit handelt es sich um eine politische Frage, um eine Frage der politischen Philosophie und der Weltanschauung. Das betont Abendroth ausdrücklich. „Zu diesen Problemen der politischen Philosophie kritisch Stellung zu nehmen und deren jeweiligen Zusammenhang mit den realen und politischen Kräften zu untersuchen, ist im Bereich der Wissenschaft (kursiv W.A.) Aufgabe der Wissenschaft von der Politik und nicht Aufgabe der Wissenschaft vom Verfassungsrecht.“[28]
Die praktisch-politische Umsetzung der jeweiligen sozialstaatlichen und gesellschaftspolitischen Ziele sei Aufgabe der Parteien, aber auch der sozialen Verbände, die in Art. 9 Abs.3 GG genannt werden. Vor allem also der Gewerkschaften, denn „wenn die Vertretungen irgendwelcher Industriellengruppen sich ohne Einschaltung der Öffentlichkeit um Stimmen im Bundestag oder um Einflüsse in Ministerien bemühen, um irgendeine Privilegierung zu erreichen, so liegt das augenscheinlich auf völlig anderer Ebene, als der öffentlich geführte Vorstoß einer breit organisierten Massenorganisation zugunsten der Wahrnehmung der Interessen von Millionen ihrer Mitglieder und derjenigen Nichtmitglieder, die gleichwohl in diesem Verband ihre Repräsentanten erblicken.“[29]
Abendroths Interpretation der Sozialstaatsklausel
In seinem vielzitierten, mehrfach veröffentlichten Beitrag zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaats, der die Sozialstaatsinterpretation der Gewerkschaften und der Linken erheblich beeinflusste, hat Abendroth eindringlich auf den Zusammenhang von Demokratiegebot und Sozialstaatsklausel hingewiesen.[30] Um diese Verbindung des demokratischen mit dem sozialstaatlichen Gedanken geht es zentral in Abendroths Aufsatz, und in immer neuen, einprägsamen, aber inhaltlich identischen Formulierungen wird sie von ihm expliziert. Ein Zitat mag für viele stehen: „Das entscheidende Moment des Gedankens der Sozialstaatlichkeit im Zusammenhang des Rechtsgrundsatzes des Grundgesetzes besteht also darin, dass der Glaube an die immanente Gerechtigkeit der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufgehoben ist, und dass deshalb die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Gestaltung durch diejenigen Staatsorgane unterworfen wird, in denen sich die demokratische (kursiv W.A.) Selbstbestimmung des Volkes repräsentiert.“[31] Durch die Sozialstaatsklausel wird der Gesellschaft die verfassungsrechtliche Möglichkeit eröffnet, „ihre eigenen Grundlagen umzuplanen“.[32] Mit anderen Worten: Der Sozialismus kann verwirklicht werden und wer dafür eintritt, verstößt nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und darf nicht als angeblicher Verfassungsfeind verfolgt werden.
In der gesellschaftlichen Wirklichkeit war auch vor 50 Jahren der „Glaube“ an die „immanente“ Gerechtigkeit der kapitalistischen Produktionsweise keineswegs generell aufgehoben; das behauptet Abendroth selbstverständlich auch nicht. Richtigerweise aber stellt er fest, dass dieser „Glaube“ verfassungsrechtlich nicht geschützt sei.
Gegenwärtig erleben wir eine eifernde Reformulierung, Intensivierung und missionarische Verbreitung des Glaubens an die Richtigkeit und Gerechtigkeit der kapitalistischen Produktionsweise, an die Heiligkeit von Privateigentum, freiem Wettbewerb und globalen Märkten. Mit Feuer und Schwert wird dieser Glaube verbreitet, wie u. a. der völkerrechtswidrige Überfall auf den Irak zeigt; „der Kreuzzug“ wie der Präsident der USA ihn nannte.
Um einen Glauben handelt es sich in der Tat, denn die „immanente Gerechtigkeit“ der bestehenden Wirtschaftsordnung zeigt sich empirisch u. a. in gesteigerter Existenznot und Furcht vor Arbeitsplatzverlust bei großen Teilen der arbeitenden Bevölkerung, in zunehmender Verarmung breiter Schichten bei gleichzeitiger Reichtumsvermehrung bei Wenigen, in einem riesigen Arbeitslosenheer, in Hunger, Krankheit und Verelendung in großen Teilen der Welt und sogar in den USA, diesem wohl glaubensstärksten Land, sowie in Naturzerstörung und Ressourcenverschwendung. Aber die Hohen Priester dieses Glaubens auf den Lehrkanzeln der Universitäten, in den Tagungsschlösschen der Akademien und Stiftungen, auf den Marktplätzen der Medien und in den Sälen der Parteien predigen unerschüttert das immergleiche Glaubensbekenntnis: Abbau der Sozialleistungen, Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung, Abbau der normativen Kraft der Tarifverträge, Konkurrenzprinzip allüberall, Privatisierung der Staatsaufgaben, Abbau der Staatlichkeit insgesamt, Senkung der Steuern, vor allem für die Vielverdienenden und Vielvermögenden, Globalisierung der Märkte, insbesondere der Finanzmärkte – und so weiter und so immerfort.
In dieser Situation ist man gut beraten, wenn man sich der Interpretation der grundgesetzlichen Sozialstaatsklausel von Abendroth erinnert. Als Wissenschaftler, der sehr genau die Bewegungsgesetze und Entwicklungslinien der kapitalistischen Gesellschaft erforscht hat, und als Sozialist, der für eine alternative Gesellschaftsform eintrat, hatte er präzise politische Vorstellungen, wie dieses Ziel zu begründen und zu erreichen sei. Aber diese politischen Vorstellungen legte er nicht in die Sozialstaatsklausel hinein; er behauptete nicht, was nach seiner Überzeugung politisch erforderlich sei, werde auch grundgesetzlich geboten.[33]
Der Begriff des sozialen Staates und die Forderung nach seiner Verwirklichung sind Teil der Geschichte und der Ideenwelt der Arbeiterbewegung. Darauf verweist Abendroth und auf den Beitrag Hermann Hellers,[34] der die Rettung der Weimarer Republik und die Verhinderung der Diktatur nur für möglich hielt, wenn der liberale Rechtsstaat sich in einen sozialen Staat umwandle.[35] Auf Heller bezog sich das Mitglied des Parlamentarischen Rats, Carlo Schmid. So konnte Abendroth den Inhalt des Sozialstaatspostulats als rechtliche Zulässigkeit der Veränderung der Gesellschaft bestimmen.
Ist damit aber rechtlich – und dadurch vermittelt auch politisch – eigentlich viel gewonnen, so kann man einwenden, weil doch auch ohne die Firmierung als Sozialstaat der Staat als demokratischer diese Umwandlungsprozesse organisieren kann, wenn die notwendigen Mehrheiten in den zuständigen gesetzgebenden Gremien es wollen. Um diese Gestaltungsmöglichkeit geht es Abendroth. In einer Demokratie sollte dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Herrschende Lehre: Rechts- statt Sozialstaat
Die ganz herrschende Lehre sieht das anders. Ihr geht es um den Rechtsstaat. Er ist ihr der eherne Garant der bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung, mit dessen Hilfe die Abwehrkräfte gegen umgestaltende Eingriffe organisiert werden können.
Auf der Staatsrechtslehrertagung 1953 hatte Ernst Forsthoff den Sozialstaat aus dem Grundgesetz herauskatapultiert. Das „sozialstaatliche Bekenntnis“ des Grundgesetzes berühre die „strukturelle Verfassungsform der Bundesrepublik“ nicht. Diese sei nach wie vor mit dem Begriff Rechtsstaat erschöpfend bezeichnet. Rechtsstaat und Sozialstaat seien also „auf der Verfassungsebene nicht verschmolzen“.[36] Die Entscheidung für den Rechtsstaat sei „primär und evident“.[37] Sie basiere auf der Autonomie einer vom Staat geschiedenen bürgerlichen Gesellschaft. Die rechtsstaatliche Verfassung gewähre nicht, sie gewährleiste und sei deshalb „in hohem Maße an den gesellschaftlichen status quo gebunden“,[38] eine „Schutzburg der beati possidentes“ solle er aber nicht sein.[39] Daraus ist zu schließen, dass es nach Forsthoff gilt, die bürgerliche, die kapitalistische Gesellschaft zu schützen, nicht den einzelnen Kapitalisten. Verfassungsrechtlich aber gibt es keinen Sozialstaat, sondern nur den Rechtsstaat.
Das sind die gleichen Thesen, die Carl Schmitt, aus dessen Umkreis Forsthoff kam, für die Weimarer Republik aufgestellt hatte. Wie in Weimar wird auch für die Bundesrepublik der Kompromiss aufgekündigt, der darin bestand, im Verzicht auf die Einfügung sozialistischer Elemente in die Verfassungsordnung die rechtliche Möglichkeit zu eröffnen, durch die Gesetzgebung die Entwicklung in Richtung Sozialismus voranzutreiben. So deutlich die Gedankengänge Carl Schmitts auch von Forsthoff rezipiert worden sind, eine Bezugnahme auf Schmitt fand nicht statt. Das war auch in dieser Zeit nicht gerade opportun, denn Schmitt war wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit, seiner Rechtfertigung der Morde beim sogenannten Röhmputsch sowie der Propagierung der Judenverfolgungen nicht wieder in die Vereinigung der Staatsrechtslehrer aufgenommen worden. Erst nach dem Ende der DDR und dem Tod Schmitts begann die noch andauernde umfassende Beschäftigung mit Schmitt[40] und die breitere öffentliche Wiederbelebung seiner Gedanken, die zuvor nur in kleinen, aber einflussreichen Kreisen tradiert worden waren.
Mit der Behauptung der verfassungsrechtlichen Unvereinbarkeit von Rechtsstaat und Sozialstaat sprach sich Forsthoff nicht gegen die soziale Ausgestaltung der Lebensverhältnisse durch den Staat aus – vorausgesetzt aber, der Rahmen der rechtsstaatlichen Gewährleistungen der kapitalistischen Wirtschaftordnung wird beachtet. Als Verwaltungsrechtler hat sich Forsthoff eingehend mit den Problemen der leistenden Verwaltung befasst; er hat früh den Begriff der „Daseinsvorsorge“ geprägt und die Änderungen der Staatstätigkeit von der Fürsorge zur allgemeinen vorsorgenden Bereitstellung von Gütern und Leistungen analysiert. Der Sozialstaat war für ihn insoweit bereits Realität und seine Bewahrung und gegebenenfalls sein Ausbau wurde als legitime Aufgabe der Verwaltung und der Gesetzgebung angesehen. „Unter sozialstaatlichem Aspekt betrachtet bieten somit das Verfassungsrecht und das Verwaltungsrecht ein durchaus verschiedenes Bild. Während sich die überkommene, rechtsstaatliche, gewaltenteilende Verfassung gegenüber den Bestrebungen einer sozialstaatlichen Fortbildung im wesentlichen abweisend zeigt, hat das Verwaltungsrecht einen seine gesamte Systematik ergreifenden, in die Tiefe gehenden Prozess der Umbildung durchlaufen, als dessen Ergebnis heute der Sozialstaat in einer zwar noch nicht abgeschlossenen, aber doch weit fortgeschrittenen Formung vor sich steht.“[41]
Fünfzig Jahre später wird die sozialstaatliche Gegenreform unter Führung der SPD und der Grünen mit Nachdruck betrieben und die selbst von Forsthoff anerkannte staatliche Daseinsvorsorge soll ersetzt werden durch die private Lebensfürsorge, die in vielen Fällen notwendigerweise zur Lebenssorge werden wird.[42] Verfassungsrechtlich ist eine solcher Abbau des Sozialstaats, der noch hinter die Bismarcksche Sozialgesetzgebung zurückzugehen gewillt ist, schwer zu verhindern; es rächt sich nun, dass konkrete soziale Rechte und Institute in das Grundgesetz nicht aufgenommen worden sind.
Abendroth hat den Thesen Forsthoffs in der Diskussion, die dem Vortrag folgte, mit den Argumenten widersprochen, die er später in dem Sozialstaatsbeitrag näher ausformuliert hat. Mit seinen Ausführungen ist er innerhalb der Rechtswissenschaft isoliert geblieben; einflusslos war er deshalb nicht, vor allem nicht in den Gewerkschaften und in den – kleinen – Kreisen, in denen noch marxistisch und kritisch gedacht wurde.
Aber auch Forsthoff konnte sich mit seiner zentralen Behauptung der Unvereinbarkeit von Rechtsstaat und Sozialstaat nicht durchsetzen. Die harten, präzisen Entgegensetzungen Forsthoffs kann eine Verfassungsrechtswissenschaft und Verfassungsrechtsprechung nicht direkt übernehmen,[43] die sich im Gewoge der Werte und ihrer gegenseitigen Abwägungen schaukelt, deren Lieblingsvokabeln das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Übermaßverbot[44] sind, die Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in Spannungslagen versetzt, um diese dann lage-, aber nicht normgemäß aufzulösen, und deren Ziel es ist, gegensätzliche Normierungen im Wege der Herstellung „praktischer Konkordanz“ miteinander zu versöhnen.[45]
In der Sache aber gab es keinen Widerspruch zu Forsthoff. Als der Kern des sozialen Rechtsstaats wurde in Übereinstimmung mit Forsthoff bezeichnet: Die marktwirtschaftliche Ordnung und das Privateigentum, die freie Entfaltung der Unternehmerpersönlichkeit, die wirtschaftlichen Freiheitsrechte als dem Staat vorausliegende Rechte sowie die verfassungsrechtlich gebotene Trennung von Staat und Gesellschaft,[46] durch die der privatrechtliche Bereich autonom gesetzt und dem umändernden Zugriff der staatlichen Gesetzgebung entzogen wird.[47] Der vor allem von H. C. Nipperdey, dem Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, vorgenommene Versuch, die soziale Marktwirtschaft als die einzig verfassungsmäßig gebotene Wirtschaftsform der Bundesrepublik zu etablieren,[48] fand allerdings keine Zustimmung. Auch das Bundesverfassungsgericht betonte die Freiheit des Gesetzgebers zu Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung – unter Beachtung der Grundrechte allerdings und diese werden so ausgelegt, dass sie die kapitalistischen Aneignungsverhältnisse garantieren.[49]
In den Auseinandersetzungen um das „Wirtschaftsverfassungsrecht“ wurde die Überwindung der Forsthoffschen Auffassung, wenn auch mit unterschiedlichen Akzentuierungen[50], bekräftigt.[51] Exemplarisch die Ausführungen von E. R. Huber, der es übrigens, 1965, in seinem Aufsatz „Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft“, nicht für erforderlich hielt, auf Abendroth auch nur hinzuweisen. Er führt zusammenfassend aus: „Der wahre Sozialstaat setzt Rechtsstaatlichkeit, der wahre Rechtsstaat setzt Sozialstaatlichkeit voraus.“ Es gehe um die „fruchtbare Wechselwirkung des Gegensätzlichen“. Der Sozialstaat müsse sich in den Schranken des die Freiheit gewährleistenden Rechtsstaats halten, der seinerseits die soziale Sicherheit des Einzelnen zu garantieren habe.[52]
Ausbau, Umbau und auch der heutige Abbau des Sozialstaats konnte somit bei erbaulichem verfassungsrechtlichen Sermon und unter Anschmiegung der Verfassungsrechtsprechung und Verfassungslehre an die wechselnden politischen Machtlagen stattfinden. Davon ist hier nicht weiter zu berichten und auch nicht von mangelnder Bauleitplanung und fehlerhaften Bauzeichnungen, vom Pfusch am Bau, von Korruption bei der Auftragsvergabe oder von einstürzenden Neubauten.[53]
Rechtliche Befestigung der kapitalistischen Marktwirtschaft
Der verfassungsrechtliche Normenbestand selbst hat sich seit 1954 nicht wesentlich verändert. Das Grundgesetz ist zwar über vierzig mal und teilweise umfassend geändert worden. Neue soziale Rechte und Institute sind jedoch nicht aufgenommen worden.
Ergebnis der kläglich verlaufenen Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat[54] im Zusammenhang mit dem Beitritt der neuen Bundesländer ist lediglich gewesen, dass niemand seiner Behinderung wegen benachteiligt werden darf, Art.3 Abs.3 Satz2 GG, und dass der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken habe, Art.3 Abs.2 GG.
Art.15 GG betreffend die Sozialisierung hat andererseits alle Änderungen unbeschadet überstanden.
Die neuen Verfassungen der beigetretenen Bundesländer enthalten umfangreiche Kataloge von sozialen Rechten. Bundesverfassungsrechtliche Bedeutung haben diese nicht erlangt und auch nur höchst eingeschränkt landesrechtliche. Sie haben nur geringe rechtliche Wirkungen, wie auch die sozialen Bestimmungen der Verfassungen der alten Länder. Politisch bedeutungslos sind sie nicht, weil sie anzeigen, was von der Mehrheit der Bevölkerung politisch gewollt wird; außerdem enthalten sie Auslegungs- und Ermessensrichtlinien und formulieren politische Programme und Ziele.
Wie auf der unterverfassungsrechtlichen Ebene der Länderverfassungen sind auch oberhalb des Grundgesetzes, auf völkerrechtlicher Ebene zahlreiche sozialrechtliche Normen, Programme und Proklamationen beschlossen worden.[55] Die verfassungsrechtliche Lage in der BRD ist dadurch unmittelbar nicht geändert worden.[56] Die BRD ist andererseits Mitglied der EU und von internationalen Institutionen wie z. B. dem IWF, der Weltbank, der GATT, die sich sehr entschieden für die Herstellung kapitalistischer Marktwirtschaft, für Privatisierungen und für freie Konkurrenz einsetzen sowie für den Rückzug des Staates von wirtschaftlicher Betätigung.
Die marktwirtschaftliche Verfassung der BRD hat dadurch eine internationale Absicherung und Befestigung erfahren.
Die entscheidende verfassungsrechtliche Änderung der wirtschaftlichen Bestimmungen des Grundgesetzes wurde jedoch im Zuge des Vereinigungsprozesses vorgenommen; sie wurde ohne die – notwendige, Art. 79 Abs.3 GG – Änderung des Wortlauts der Verfassung und weitestgehend undiskutiert, gleichsam nebenbei beschlossen.
Bereits im Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990, bestätigt von der Volkskammer durch Gesetz vom 21. Juni 1990,[57] wurde der gemeinsame Wille bekundet, „die Soziale Marktwirtschaft als Grundlage für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung mit sozialem Ausgleich und sozialer Absicherung und Verantwortung gegenüber der Umwelt auch (! P.R.) in der Deutschen Demokratischen Republik einzuführen.“ Art.1 Abs.3 normiert, die Soziale Marktwirtschaft sei für die Wirtschaftsunion die gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien. „Sie wird insbesondere bestimmt durch Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen.“ Die DDR verpflichtete sich in diesem Vertrag, die Rahmenbedingungen zu schaffen „für die Entfaltung der Marktkräfte und der Privatinitiative“ und die Unternehmensverfassung so zu gestalten, dass sie „auf den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft mit der freien Entscheidung der Unternehmen über Produkte, Mengen, Produktionsverfahren, Investitionen, Arbeitsverhältnisse, Preise und Gewinnverwendung beruht“, Art.11 Abs.3. In verbindlichen Leitsätzen wurde von den Vertragspartnern festgehalten, dass wirtschaftliche Leistungen vorrangig privatwirtschaftlich und im Wettbewerb erbracht werden.
Dieser Vertrag bezog sich auf verfassungsrechtliche Fragen; er war ein Verfassungsvertrag, jedenfalls für die DDR, weil für sie die Übernahme von Verfassungsnormen der BRD vereinbart wurde. Dieser Vertrag wurde ebenso wie der Einigungsvertrag von den gesetzgebenden Gremien der BRD und der DDR mit den Mehrheiten, die für ein verfassungsänderndes Gesetz erforderlich sind, beschlossen.
Spätestens seit der Vereinigung ist also eine Auslegung des Sozialstaatspostulats nicht mehr möglich, wonach es „der im demokratischen Staat repräsentierten Gesellschaft“ die Möglichkeit zuweist, „ihre eigenen Grundlagen umzuplanen“ und zwar, dies ist der springende Punkt, durch einfaches Gesetz.
Währungsunion und Beitrittsvertrag bekräftigten nur, was schon in den Jahrzehnten zuvor durch unzählige Akte der gesetzgebenden, der exekutiven und der rechtsprechenden, einschließlich der verfassungsrechtsprechenden, Gewalt sowie durch die Verfassungsrechtswissenschaft tatsächlich und rechtlich zementiert und ausgebaut worden ist: Die Realität und verfassungsrechtliche Geltung der kapitalistischen Marktwirtschaft – mit sozialer Beigabe – als die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes.
Seit der abendrothschen Sozialstaatsinterpretation ist durch die gesamte politische, gesellschaftliche und ideologische und rechtliche Entwicklung in der BRD die kapitalistische Fundierung von Gesellschaft und Staat befestigt worden. Dadurch ist die Sozialstaatsnorm nunmehr durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltungspraxis authentisch interpretiert worden, so dass eine Verfassungsänderung erforderlich ist, wenn die Wirtschaftsordnung mit sozialistischer Zielsetzung umgestaltet werden soll.
Recht und Wirklichkeit
Sein und Sollen, Rechtswirklichkeit und Rechtsnorm müssen allerdings exakt unterschieden werden. Dies ist wichtig bei der Interpretation einer Rechtsnorm, weil anderenfalls eine rechtmäßige von einer rechtswidrigen Wirklichkeit nicht unterschieden werden kann und die Norm ihre Geltung und regulierende Funktion einbüßt.
Aber Sein und Sollen stehen nicht beziehungslos gegeneinander. Auch ein so entschiedener Positivist wie Hans Kelsen, der seine Rechtstheorie, die Reine Rechtslehre, auf die Differenz von Sein und Sollen gründet, verneint die Geltung des Rechts und auch einer einzelnen Rechtsnorm, wenn die Rechtordnung insgesamt und auch die einzelne Rechtsnorm nicht zugleich „im großen und ganzen“ Wirksamkeit entfalten.[58] Das ist gewiss kein sehr präziser Maßstab, aber festzuhalten ist, dass auch der Positivist anerkennen muss, dass ab einer bestimmten Quantität an Unwirksamkeit eine neue Qualität entsteht, Geltung in Nichtgeltung umschlägt.
Für eine materialistische, marxistische Analyse des Rechts wird der Zusammenhang von Recht und Wirklichkeit als der von Basis und Überbau entschlüsselt.[59] Wenn sich über einen relativ langen Zeitraum von fünfzig Jahren hinweg die kapitalistischen Aneignungs- und Produktionsverhältnisse entfalten und festigen können, ist es alles andere als erstaunlich, dass auch im Recht deren Schutz erfolgreich organisiert wird.
Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die von Abendroth festgestellte Offenheit der Wirtschaftsverfassung für das alternative Modell des Sozialismus nicht mehr besteht. Der Kompromiss, der formuliert worden war von „in ihrer Tendenz nicht übereinstimmenden politischen und gesellschaftlichen Kräften“ und auf dem der Rechtsgrundsatz des demokratischen und sozialen Rechtsstaats beruhte, wurde im Lauf der letzten fünfzig Jahre endgültig und mit verfassungskräftiger Wirkung aufgekündigt.
Der spätestens mit dem Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion bestätigte Sieg der Lehre von der verfassungsrechtlichen Verankerung der sozialen Marktwirtschaft – sie wird heute auch, noch weniger präzis, als „Rheinischer Kapitalismus“ bezeichnet – bietet juristisch argumentativ auch gewisse Chancen.
Die soziale Marktwirtschaft wird seit längerem und seit dem Beginn der Regierungen Schröder beschleunigt in eine höchst unsoziale Marktwirtschaft umgeformt. Es wäre deshalb durchaus sinnvoll, die gegenwärtige Gegenreformgesetzgebung auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit mit der „sozialen Marktwirtschaft“ zu überprüfen.
Insbesondere die Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR können sich darauf berufen, dass sie die sozialistischen Eigentumsnormen ihrer Verfassung nicht für eine neoliberale, sondern für eine soziale Marktwirtschaft aufgegeben haben. In der Denkschrift zu dem Vertrag heißt es: „Die Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik sollen teilhaben können an den Chancen einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die durch die Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ihre überragende Leistungsfähigkeit auch für den sozialen Ausgleich bewiesen hat.“ Zu untersuchen wäre, ob nicht die staatsvertragliche Pflicht besteht, alles zu unterlassen, was den bei Vertragsabschluß vorhandenen „sozialen Ausgleich“ mindert.
Dieser Fragen- und Problemkomplex soll hier nicht weiter erörtert werden, denn Wolfgang Abendroth befasste sich in diesem Beitrag nicht schwerpunktmäßig mit dem sozialen Ausgleich, sondern mit der Möglichkeit der grundlegenden gesellschaftlichen Umgestaltung; deren rechtliche Zulässigkeit war Gegenstand seines Beitrags.
Demokratie als Fundamentalnorm
Der Argumentation Abendroths, dass der demokratische und soziale Rechtsstaat der „im Staat repräsentierten Gesellschaft die Möglichkeit zuweist“, ihre eigenen Grundlagen, auch die ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, umzuplanen[60], kommt weiterhin grundlegende Bedeutung zu. Vor allem, weil die Gefahr besteht, dass selbst – nunmehr notwendige – Verfassungsänderungen, die eine Aufhebung oder fundamentale Umänderung der Marktwirtschaft zum Ziel haben, wiederum als verfassungswidrig angesehen werden.
Die wirtschaftlichen Freiheitsrechte, vor allem das Eigentum[61], werden von der ganz herrschenden Lehre zu dem unabänderlichen Kernbestand des grundgesetzlichen Rechtsstaats gerechnet. Geld ist dann in der Tat „geprägte Freiheit.“ Sind die Eigentumsrechte und die anderen mit ihnen verbundenen wirtschaftlichen Grundrechte durch die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes geschützt, dann ist der soziale Staat, der für den Sozialisten nur durch eine sozialistische Gesellschaft verwirklicht werden kann,[62] auf der Verfassungsebene nicht mit dem so definierten Rechtsstaat zu vereinbaren. Der Sozialismus kann nach dieser Lehre nur durch eine neue revolutionäre Verfassung verfassungsrechtlich verankert werden, durch eine neue grundlegende, existentielle politische Entscheidung über Form und Art des Ganzen der politischen Einheit im Sinne von Carl Schmitt.[63]
Auch wenn die soziale Marktwirtschaft als die verfassungsmäßig gebotene Wirtschaftsordnung der BRD angesehen wird, die durch einfaches Gesetz nicht geändert werden kann, lässt sich daraus keinesfalls schließen, auch der Verfassungsgesetzgeber sei ewig an diese wirtschaftliche Ordnung gebunden. Art. 79 Abs.3 GG gebietet nicht nur den immerwährenden Schutz der sozialen Prägung des Staates und die Garantie eines bestimmten, sozialen Minimums, sodass ein Leben in Würde für jeden und jede möglich ist. Der Staat muss darüber hinaus rechtlich unveränderbar zugleich ein demokratischer Staat sein. Dies aber bedeutet, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit den in der Verfassung vorgesehenen Mehrheiten die Wirtschaftsordnung frei bestimmen kann. Er kann durch Verfassungsänderung somit auch eine Ordnung einführen, die sozialistische Elemente enthält. Die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist Objekt der demokratischen Selbstbestimmung des Volkes. Auf diese grundlegende Bedeutung der Demokratie als Fundamentalnorm der BRD hat Abendroth immer wieder hingewiesen.[64] Die Ausführungen Abendroths zum Verhältnis von Demokratie, Gleichheitssatz und sozialer Selbstbestimmung bilden den argumentativen Kern seines Sozialstaatsbeitrags; sie behalten ihren Wert und ihre Richtigkeit auch, wenn sie unmittelbar auf das demokratische Prinzip gestützt werden und unabhängig davon, dass die Sozialstaatsklausel inzwischen auf eine fürsorgende Minimalversorgung zurechtgestutzt worden ist; ein Prozess, der noch keineswegs beendet ist.
Das rechtsstaatliche Prinzip ist mit dem demokratischen eng verbunden und ihm nicht entgegengesetzt. Ohne die rechtsstaatliche Sicherung der Grundrechte kann die Demokratie nicht begründet und effektiv ausgestaltet werden. Ohne die Möglichkeit des einzelnen, seine Persönlichkeit frei zu entfalten, sich seine Meinung frei zu bilden und sie frei zu äußern, ohne die Freiheit des Gewissens, der Weltanschauung und der Religion, ohne die Wissenschafts- und Berufsfreiheit ist eine demokratische Selbstbestimmung nicht denkbar. Demokratie ist aber sehr wohl ohne Privateigentum, Markt, Wettbewerb möglich; ob nicht sogar nur in einer nicht kapitalistischen Gesellschaft: darüber hat der verfassungsändernde Gesetzgeber zu entscheiden.[65]
Ein Staat kann nicht als demokratisch angesehen werden, der diese für die gesamte gesellschaftliche Organisation und für das konkrete Leben jedes Einzelnen alles bestimmende Entscheidung über die Eigentumsordnung der demokratischen Selbstbestimmung des Volkes entzieht und durch seine Verfassung eine Ewigkeitsgarantie für die kapitalistischen Aneignungs- und Austauschverhältnisse statuiert. Deshalb gilt, was Wolfgang Abendroth 1981 fordert, verstärkt 2003: „Denn die aktuelle Aufgabe in der Bundesrepublik ist noch lange nicht die Verwirklichung des Sozialismus, sondern vorerst die Verteidigung der Demokratie und der sozialen Lage der Arbe
[1] K. Marx, Das Kapital, MEW 23, S.200 ff., 208, 209.
[2] Vgl. zu den Folgen des globalen Existenzkampfs: P. Römer, Globale Gesellschaft, Privateigentum und Staat, Topos H. 21, Menschenrecht, 2003, S.115 ff.
[3] B. Brecht, Die Dreigroschenoper, Stücke, Bd.3, 1955, S.61.
[4] Vgl. P. Römer, Eigentum: Grundlage für das Verständnis von Staat und Recht, in: Recht und Gerechtigkeit, Beiträge zur Rechtsphilosophie. FS G. Haney, 1991, S.174 ff.; ders., Entstehung, Rechtsform und Funktion des kapitalistischen Privateigentums, 1978; ders., Funktions- oder Formwandel des Eigentums? DuR 1/1973, S.48ff.; ders., Die Kritik Hans Kelsens an der juristischen Eigentumsideologie, in: Rechtstheorie Beiheft 4, Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, Hrsg. W. Krawietz, E. Topitsch, P. Koller, 1982, S.87 ff.
[5] A. Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, 1961, S.51.
[6] Vgl. W. Abendroth, Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung, 1977, S.87 ff.; A. Rosenberg, a. a. O., S.27 ff.; E.-W. Böckenförde, Der Zusammenbruch der Monarchie und die Entstehung der Weimarer Republik, in: K. D. Bracher, M. Funke, H.-J. Jacobsen, Hrsg., Die Weimarer Republik 1918-1933, 1987, S. 17 ff.; M. Schneider, Historisch-gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Krise von Weimar. Zu Verfassungsauftrag und -wirklichkeit der ersten deutschen Republik, in: W. Luthardt, A. Söllner, Hrsg., Verfassungsstaat, Souveränität, Pluralismus, FS O. Kirchheimer, 1989, S.27 ff.
[7] Vgl. W. Otter, Die sozialen Bestimmungen in den Grundrechten und Grundpflichten der Deutschen, Diss. Göttingen 1928.
[8] Zum Eigentumsschutz im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vgl. H. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 1975, S.249 ff.
[9] Zu den Versuchen, die wirtschaftlichen Grundrechte dem Zugriff des parlamentarischen Gesetzgebers zu entziehen, vgl. den ‑ diesen Versuchen nachträglich zustimmenden – Beitrag von Chr. Gusy, Die Grundrechte in der Weimarer Republik, ZNR 15/1993, S.163 ff.
[10] Ausgangspunkt dieser neuen verfassungsrechtlichen Lehre war der Beitrag des Zivilrechtlers Martin Wolffs, Reichsverfassung und Eigentum, 1923 in der Festschrift für H. Kahl erschienen.
[11] C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, Neudruck 1957, S.21.
[12] C. Schmitt, ebenda.
[13] C. Schmitt, a. a. O., S.22.
[14] Vgl. P. Römer, Übervater Schmitt – Hüter der Demokratie?, in: querela juris, Gedächtnisschrift für E. Rabofsky, Hrsg. J. J. Hagen,, W. Maßl, A. J. Noll, G. Oberkofler, 1996, S.259 ff.
[15] C. Schmitt, a. a. O., S.26.
[16] C. Schmitt a. a. O., S.30.
[17] C. Schmitt, ebenda.
[18] C. Schmitt a. a. O., S.31.
[19] Vgl. H. Potthoff, Das Weimarer Verfassungswerk und die deutsche Linke, Archiv f. Sozialgeschichte, Bd. XII, 1972, S.433 ff.
[20] Vgl. P. Römer, Im Namen des Grundgesetzes. Eine Streitschrift für die Demokratie, 1989, S.9 ff.
[21] Art.41 heVerf.
[22] Vgl. G. Winter, Sozialisierung und Mitbestimmung in Hessen 1946-1955, in: ders., Hrsg., Sozialisierung von Unternehmen. Bedingungen und Begründungen, 1976, S.119 ff.
[23] Vgl. E.-U. Huster u.a., Determinanten der westdeutschen Restauration 1945-1949, 1972; R. Billstein, Neubeginn ohne Neuordnung. Dokumente und Materialien zur politischen Weichenstellung in den Westzonen nach 1945, 1984; F. Schneider, Der Weg der Bundesrepublik. Von 1945 bis zur Gegenwart, 1985; Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung – Entwicklung – Struktur, Hrsg., W.-D. Narr, D. Thränhardt, 1979; R. Morsey, Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung und Entwicklung bis 1969, 1987; W. Benz, Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung 1946-1949, 1984; Zum deutschen Neuanfang 1945 - 1949. Tatsachen – Probleme – Ergebnisse – Irrwege. Schriftenreihe der Marx-Engels-Stiftung 19, 1993.
[24] Vgl. V. Schockenhoff, Wirtschaftsverfassung und Grundgesetz. Die Auseinandersetzungen in den Verfassungsberatungen 1945 – 1949, 1986.
[25] W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, FS Ludwig Bergsträsser, 1954; hier zitiert nach: E. Forsthoff, Hrsg., Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit. Aufsätze und Essays, 1968, S.114 ff.
[26] Vgl. K-J. Bieback, Inhalt und Funktion des Sozialstaatsprinzips, Jura 5/1987, S.229 ff.
[27] W. Abendroth, a. a. O., S.117.
[28] W. Abendroth, a. a. O., S.142; es kann deshalb D. Schefold nicht gefolgt werden, wenn er behauptet, Abendroths lnterpretation des sozialen Rechtsstaats als Verfassungsprinzip bedeute, dass dies Prinzip „normative Grundlage für Ansprüche auf Veränderungen“ sei; vgl. D. Schefold, Gesellschaftliche und staatliche Demokratietheorie. Bemerkungen zu Hermann Heller, in: Chr. Gusy, Hrsg., Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2000, S.256 ff., S.282.
[29] W. Abendroth, Zur Funktion der Gewerkschaften in der westdeutschen Demokratie, in: ders., Arbeiterklasse, Staat und Verfassung. Materialien zur Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie der Bundesrepublik, Hrsg., J. Perels, 1975, S.33 ff., S.41.
[30] Vgl. zu den Fundstellen: F.-M. Balzer, H. M. Bock, U. Schöler, Werkbibliographie. Gesamtverzeichnis der Schriften Wolfgang Abendroths, in dieselben, Hrsg., Wolfgang Abendroth. Wissenschaftlicher Politiker. Bio-bibliographische Beiträge, 2001, S.345 ff., S.355 Ziffern 102a-102e.
[31] W. Abendroth, a. a. O., S.119.
[32] W. Abendroth, a. a. O., S.127.
[33] Es ist Kittner nicht zuzustimmen, wenn er unter Berufung auf Wolfgang Abendroth feststellt „der Anspruch des GG eine‚freiheitliche demokratische Grundordnung’ zu konstituieren, wird mit dem SP (= dem Sozialstaatsprinzip) zu einem umfassenden Programm der Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft“, Sozialstaatsprinzip, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Bd.1, 1984, RZ37, S.1361; Abendroth hat kein Programm in den Art.20 Abs.1 hinein phantasiert, sondern die rechtliche Möglichkeit betont, solch ein Programm zu entwickeln und demokratisch umzusetzen. Zu diesen alternativen Auslegungen vgl. auch: A. Krölls, Das Grundgesetz als Verfassung des staatlich organisierten Kapitalismus, 1988, S.384 ff.; M. Kutscha, Vom zeitgemäßen Sozialstaatsverständnis, KJ 4/82, S.383 ff., insbes. S.391 ff.
[34] Roland Meister, Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes, Blätter für deutsche und internationale Politik 5/97, S.608 ff, hier: S.610, weist darauf hin, dass Julius Ofner, der österreichische Nationalökonom, 1894 den Begriff geprägt habe.
[35] Zu Heller vgl. W. Abendroth, Die Funktion des Politikwissenschaftlers und Staatsrechtslehrers Hermann Heller in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik Deutschland, In: Staatslehre in der Weimarer Republik. Hermann Heller zu ehren, Hrsg. Chr. Müller, I. Staff, 1985, 43 ff.; I. Staff, Der soziale Rechtsstaat. Zur Aktualität der Staatstheorie Hermann Hellers, in: I. Staff, Chr. Müller, Hrsg., Der soziale Rechtsstaat, Gedächtnisschrift für Hermann Heller 1891-1933, 1984, S. 26 ff.
[36] E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in: ders., Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S.191, 192.
[37] E. Forsthoff, a. a. O., S.173.
[38] E. Forsthoff, ebenda.
[39] E. Forsthoff, a. a. O., S.197.
[40] Vgl. P. Römer, Tod und Verklärung des Carl Schmitt, Archiv f. Rechts- und Sozialphilosophie, Vol.1990, LXXVI/H.3, S.373 ff.
[41] E. Forsthoff, a. a. O., S.172.
[42] S. dazu neuestens: Chr. Christen, Sozialstaat in der Globalisierungsfalle? Über vermeintlich ökonomische Sachzwänge, Forum Wissenschaft, 1/2004, S.16 ff.; Chr. Görg, Globalisierung und Transformation des Nationalstaats. Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Gegenwehr, ebenda, S. 21 ff.
[43] Kritisch zu dieser Lehre und insoweit die These Forsthoff von der verfassungsrechtlichen Nichtigkeit der Sozialstaatsklausel übernehmend: H. Ridder, Nachwort zu O. E. Kempen, Hrsg., Sozialstaatsprinzip und Wirtschaftsordnung, 1976, S.235 ff., S.243.
[44] H. Heller, Rechtsstaat oder Dikatur, in: O. E. Kempen, a. a. O., S.55 ff.
[45] Vgl. dazu kritisch P. Römer, Kleine Bitte um ein wenig Positivismus. Thesen zur neueren Methodendiskussion, in: ders., Hrsg., Der Kampf um das Grundgesetz. Über die politische Bedeutung der Verfassungsinterpretation. Referate und Diskussionen eines Kolloquiums aus Anlaß des 70. Geburtstages von Wolfgang Abendroth, 1977, S.87 ff.; ders., Kritik bürgerlicher Wertauffassungen des Rechts, in: Grundwertediskussion. Der Streit um die geistigen Grundlagen der Demokratie, Hrsg. K. Bayertz, H .H. Holz, 1978, S.160 ff.
[46] H. F. Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Handbuch des Staatsrechts, Hrsg. J. Isensee, P. Kirchhof, Bd. 1, 1987, S.1045 ff., S.1060 „Die wichtigste Prämisse des ‚Sozialen’ aber ist: das Gegenüber von Staat und Gesellschaft bleibt aufrechterhalten; der Staat hat kein Monopol auf das ‚Soziale’ und keinen Titel, die Gesellschaft aufzuheben, um ihren ‚sozialen’ Charakter zu garantieren.“ Vgl. dazu kritisch: H. Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes. Leitfaden zu den Grundrechten einer demokratischen Verfassung, Opladen, 1975, S.35 ff.; M. Kutscha, Vom zeitgemäßen Sozialstaatsverständnis, KJ 4/82, S. 384 ff.
[47] E.-W. Böckenförde, Hrsg., Staat und Gesellschaft, 1976.
[48] H. C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl. 1965; ders., Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: K.A. Bettermann, H. C. Nipperdey, Hrsg., Die Grundrechte, Bd. IV,2, 1962, S.769 ff.
[49] BVerfGE 4, S.77ff., S.17, 18.
[50] Eingehend dazu und mit ausführlichen Hinweisen auf das ältere Schrifttum: H.-J. Papier, Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, in: Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Hrsg., E. Benda, W. Maihofer, H.-J. Vogel, Bd.1, 1984, S.610 ff. Mit der ganz herrschenden Lehre und der Rechtsprechung, die er als Verfassungsrichter nunmehr selbst mitgestalten kann, betont er, a. a. O., S.611: „Die Enthaltsamkeit des Grundgesetzes in Fragen eines staatlichen Gestaltungsauftrags zur Wirtschaftsverfassung kann keinesfalls in eine reduzierte (kursiv von H.-J. Papier) Garantiewirkung der Freiheitsrechte umgedeutet werden.“ Sowie S.615: „Die Eigentumsgarantie und die anderen Grundrechte des privatautonomen Handelns und der privatautonomen Teilhabe an der Wirtschaftsgestaltung schließen eine potentiell absolute Herrschaft des politischen Systems (auch) über die Wirtschaft aus.“
[51] Vgl.: U. Karpen, Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, Jura 4/1985, S.188 ff., E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, DÖV H. 4, S.98 ff., H. 5, S.135 ff, H. 6, S.172 ff., H.7, S.200 ff.; J. Gotthold, Wirtschaftliche Entwicklung und Verfassungsrecht, 1975; P. Badura, Wirtschaftverfassung und Wirtschaftsverwaltung. Ein exemplarischer Leitfaden, 1971; N. Reich, Markt und Recht, Theorie und Praxis des Wirtschaftsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, 1977, S.74 ff.; eine Dokumentenauswahl bietet: H. Kremendahl, Th. Meyer, Hrsg. Sozialismus und Grundgesetz, 1974.
[52] E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, in: E. Forsthoff, Hrsg., Rechtsstaatlichkeit, a. a. O., S. 588 ff., S.618.
[53] Vgl. zur Entwicklung des Sozialstaats: J. Albers, Der Sozialstaat in der Bundesrepublik 1950-1983, 1989; Chr. Niess-Mache, J. Schwammborn, Hrsg., Demontage des Sozialstaats. Verfassungsrechtliche Grenzen staatlicher Sparpolitik, 1986; M. Kutscha, Herrschaft des Marktes – Abschied vom Sozialstaatsprinzip? Politik, Verfassung und „schlanker Staat“, Z 29/1997, S.43 ff.; Chr. Butterwegge, Wohlfahrtsstaat im Wandel. Probleme und Perspektiven der Sozialpolitik, 3. Aufl., 2001.
[54] Vgl. P. Römer, Chancen der Verfassunggebung oder Gefahr für die Souveränität des Volkes? Der Stand der Arbeit an der Verfassungsgesetzgebung, DuR 2/1992, S.160 ff.; ders., Die demokratischen Kosten der Einheit, in: Verfassung statt Grundgesetz. Zur Diskussion über eine neue Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S.113 ff.; M. Kloepfer, Verfassungsänderung statt Verfassungsreform. Zur Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, 1995; H.-L. Batt, Die Grundgesetzreform nach der deutschen Einheit. Akteure, politischer Prozeß und Ergebnisse, 1996.
[55] Vgl. M.E. Butt, J. Kübert, Chr. A. Schultz, Autorenkollektiv, Soziale Grundrechte in Europa, Arbeitsdokument. Europäisches Parlament, Reihe Soziale Angelegenheiten, SOCI 104 DE, 2-2000 mit der ernüchternden Feststellung, S.41: „Es ist allerdings nicht möglich, eine Beziehung zwischen dem Vorhandensein sozialer Grundrechte in der Verfassung und der sozialen Wirklichkeit in den Staaten herzustellen.“ Vgl. auch R. Meister, a. a. O., S.618: „Auf der Bühne, auf der die europäische Vereinigung eingeübt wird, kommt die Sozialcharta kaum vor.“
[56] Vgl. G. Schirmer, Völkerrecht und Durchsetzung der Menschenrechte, in: Topos H. 21, 2003, Menschenrecht, S.55 ff., K.-J. Bieback, Sozialstaatsprinzip und Grundrechte, EuGRZ 22/1985, S.657 ff.; generell zu den sozialen Grundrechten: N. Dimmel, Soziale Grundrechte als Instrument gesellschaftlicher Integration, in: N. Dimmel, A.-J. Noll, Hrsg., Verfassung. Juristisch-politische und sozialwissenschaftliche Beiträge anlässlich des 70-Jahr-Jubiläums des Bundes-Verfassungsgesetzes, 1990, S.159 ff.; E.-W. Böckenförde, J. Jekewitz, Th. Ramm, Hrsg., Soziale Grundrechte, 1981; H. Steininger, Soziale Menschenrechte – wie wichtig sind sie?, Marx.Bl. 1/01, S.40 ff.
[57] Abgedruckt in K. Stern, B. Schmidt-Bleibtreu, Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, 1990.
[58] H. Kelsen, Reine Rechtslehre, mit einem Anhang. Das Problem der Gerechtigkeit, 2. Aufl., 1960, S.218, 219.
[59] K. Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort, MEW 19, S.8, 9.
[60] W. Abendroth, Zum Begriff, a. a. O., S.115; O. Kimminich, Eigentum und Freiheit, in: Hrsg., M. Abelein, O. Kimminich, FS H. Raschhofer, 1977, S.105 ff.; G. Dürig, Das Eigentum als Menschenrecht, ZStW Bd. 109, 1953, S.326 ff.; W. Leisner, Freiheit und Eigentum – die selbständige Bedeutung des Eigentums gegenüber der Freiheit, in: K. Carstens, H. Peters, Hrsg., FS H. Jahrreiß, 1974, S.135 ff.
[61] BGHZ 6, S.276 „Der in den Staat eingegliederte einzelne bedarf, um unter seinesgleichen als Person, d.h. frei und selbstverantwortlich leben zu können, und um nicht zum bloßen Objekt einer übermächtigen Staatsgewalt zu werden, also um seiner Freiheit und Würde willen, einer rechtlich streng gesicherten Sphäre des Eigentums.“
[62] Vgl. H. H. Holz, Sozialismus statt Barbarei. Ein Beitrag zur Zukunftsdebatte, 1999; ders., Niederlage und Zukunft des Sozialismus, 1991.
[63] C. Schmitt, Verfassungslehre, a. a. O., S.21.
[64] P. Römer, Recht und Demokratie bei Wolfgang Abendroth, 1986.
[65] Vgl. in diesem Punkt immer noch grundlegend: H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Neudruck der 2. umgearbeiteten Auflage von 1929, 1963; ders., Foundations of Democracy, Ethics, Vol. LXVI, Oct.1955, Nr.1, Part.II, S.1 ff.; P. Römer, Die Demokratietheorie Hans Kelsens und das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, in: Chr. Brünner, W. Mantel, A. J. Noll, W. Pleschberger, Kultur der Demokratie, FS. M. Welan, 2002, S.271 ff.