Erweiterte EU: Konflikte, Machtverhältnisse, Linke

Die Europäische Linkspartei – Partei der europäischen Linken?

Juni 2004

Am 11. Januar 2004 unterzeichneten elf Parteien des linken europäischen Spektrums in Berlin den Gründungsaufruf für die „Partei der Europäischen Linken“ (EL).[1] Die Frage ist: War dies ein Schritt zur Vereinigung der programmatisch vielfältigen und zerstrittenen kontinentalen Linken?

Was von den grünen europäischen Parteien am 20.-22. Februar 2004 in Rom erfolgreich vorexerziert wurde, die medial überaus positiv dargestellte Gründung einer gemeinsamen europäischen grünen Partei, strebten nun auch einige Parteien der Linken für den 8./9. Mai 2004 an[2], und wiederum heißt der Gründungsort Rom. 32 grüne Parteien aus 29 Ländern des gesamten Europas, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union, beteiligen sich an dem Projekt der Europäischen Grünen Partei, wie viele es hingegen bei dem Projekt der „Partei der Europäischen Linken“ sein werden, ist noch völlig offen.[3]

Von den elf Parteien, die den Gründungsaufruf unterzeichneten, haben zwei, die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KPBM) und die Kommunistische Partei der Slowakei (KSS), bereits wenige Tage danach grundsätzliche Vorbehalte gegenüber einer Mitgliedschaft in der EL angemeldet.[4] Einige Parteien des linken Spektrums verhalten sich abwartend, wie z. B. die Kommunistische Partei Italiens (PdCI) und die zypriotische AKEL, andere lehnen das Projekt offen ab, etwa die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und die französischen trotzkistischen Gruppierungen Lutte ouvrière (LO, geführt von Arlette Laguiller) und Ligue Communiste Révolutionaire (LCR, unter Olivier Besancenot), sowie die Nordisch-Grünen Parteien Schwedens, Finnlands und Dänemarks. Andere westeuropäische Parteien, wie die italienische Rifondazione Comunista (PRC), die spanische Izquierda Unida (IU), die griechische Synaspismos und die deutsche Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) forcieren hingegen das Projekt.

Welche Gründe gibt es nun für die unterschiedlichen Herangehensweise der europäischen linken Parteien im Hinblick auf die Gründung einer gemeinsamen europäischen Partei?

Die europäische Linke -- häppchenweise

Die grünen Parteien Europas hatten, im Gegensatz zu der Linken, mehrere entscheidende Vorteile bei der relativ komplikationslosen Gründung der Europäischen Grünen Partei (EGP). Sie sind entweder Ende der siebziger bzw. Anfang der achtziger Jahre entlang der damals neuen gesellschaftlichen Konfliktlinie „Postmaterialismus versus Materialismus“ hervorgegangen und haben dann unterschiedlich schnell den Weg ins bürgerliche Milieu gefunden, oder sie sind nach dem Kollaps des Sowjetimperiums, orientiert an den westlichen Vorbildern, gegründet worden. Sie tragen deshalb keine historischen Hypotheken aufgrund tiefgehender programmatischer Konflikte mit sich herum. Ihre grundsätzliche inhaltliche Nähe ermöglicht es so den Mitgliedsparteien der EGP, mit einem gemeinsamen Wahlprogramm in die Wahlen zum Europäischen Parlament zu gehen.

Die Europäische Linke hingegen teilt sich in vier große Strömungen, die auch programmatisch entscheidende Unterschiede aufweisen: die Nordisch-Grüne Linke, die „klassischen“ kommunistischen Parteien, die Trotzkisten und die von mir so bezeichnete „Neue Europäische Linke“. Diese Auffächerung des Spektrums lässt sich nur aus dem historischen Prozess der Entwicklung der europäischen linken Parteien, speziell seit 1991, verstehen.

Die „Neue Europäische Linke“ (NEL)

Unter dieser Gruppe verstehe ich diejenigen Parteien, die einer „Bruchorientierung“ folgen. Ihre programmatischen und strategischen Vorstellungen haben sich seit dem Kollaps der Sowjetunion und dem damit verbundenen Verlust des politischen Gravitationszentrums grundlegend gewandelt. Hierzu gehören die Kommunistische Partei Frankreichs, die nicht zufällig Anfang der neunziger Jahre entstandene griechische Synaspismos, die spanische Izquierda Unida (IU) und schließlich die PDS mit ihrer differenzierten Transformationsgeschichte. Dieser Richtung können auch die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) und die erst Ende der neunziger Jahre gegründete Luxemburger déi Lénk zugeordnet werden. Auf die italienische Rifondazione Comunista trifft dies hingegen nur zum Teil zu, versteht sie sich doch eher als Scharnier zwischen den verschiedenen Strömungen der europäischen Linken, wobei ihre stärkste interne Gruppierung jedoch der „Neuen Europäischen Linken“ zugeordnet werden kann.

Was sind die gemeinsamen Kennzeichen dieser Parteien? Es ist ihre Suche nach einer moderaten, gleichwohl sozialistischen, an Werten der bürgerlichen Gesellschaft wie Partizipation und Demokratie sowie am sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat orientierten programmatischen Grundlage. Dabei nahmen sie Abstand von klassischen kommunistischen Positionen wie Notwendigkeit einer Diktatur der Arbeiterklasse, einer auf Planung und Volkseigentum basierenden Ökonomie, einer avantgardistischen Rolle ihrer Parteien beim Aufbau des Sozialismus. Stattdessen integrierten sie linke sozialdemokratische Forderungen ebenso in ihr programmatisches Repertoire wie auch ökologische und aus der feministischen Bewegung stammende Positionen. Strategisch bedeutet dies eine Orientierung auf eine Mitte-Links-Option, also die mögliche Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie, wie auch von KPF und Rifondazione Comunista in nationalen Regierungen und von der PDS auf Länderebene bereits praktiziert. Nur bedeutet eine strategische Orientierung auf die Sozialdemokratie eben auch, deren Ruck ins neoliberale Lager zumindest schrittweise nachzuvollziehen.[5]

Weiterhin betrachten diese Parteien die Europäische Union als nicht prinzipiell in Frage zu stellende Grundlage des eigenen politischen Wirkens, zu der sie ein insgesamt positives Verhältnis besitzen, ohne gleichzeitig ihre rein ökonomische Ausrichtung zu kritisieren. Diese Parteien sind im Forum der Neuen Europäischen Linken (NELF) organisiert[6].

Die „klassischen“ Kommunisten

Als „klassische“ kommunistische Parteien betrachte ich die Parteien, die aus der „Brucherfahrung“ nicht die Konsequenz einer grundlegenden Neuorientierung gezogen haben. Sie haben ihren Anspruch auf eine Avantgardeposition nicht aufgegeben, hierarchische innerparteiliche Strukturen blieben in ihnen erhalten, was sich z.B. durch die Bezeichnung ihrer Führungsgremien als Zentralkomitee, etwa bei der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PKP) und bei der Griechischen Kommunistischen Partei (KKE), ausdrückt. Dass gerade Parteien aus den lange Zeit durch rechtsautoritäre Regime geprägten europäischen Ländern, wie Portugal und Griechenland an den klassischen kommunistischen Positionen festhalten, erklärt sich zum einen aus der langen Zeit der Illegalität und des Widerstandes, dürfte zum anderen aber auch mit den im Vergleich zu den industriell entwickeltsten Ländern der EU rückständigen Lebens-, Arbeits- und Sozialverhältnissen dieser Länder in Zusammenhang stehen.

Neben den genannten Parteien aus der EU lassen sich dieser Strömung innerhalb der europäischen Linken weitere Parteien aus Beitrittsländern und ehemaligen Staaten der Sowjetunion zuordnen. Neben aktuellen Prozessen der Kriminalisierung kommunistischer Parteien Osteuropas, forciert durch die Europäische Volkspartei (EPP), den Parteienbund der Christdemokratischen und Konservativen Parteien Europas,[7] sind es die ökonomischen und sozialen Bedingungen in diesen Staaten sowie Verständigungsprobleme mit den westeuropäischen NELF-Parteien, die bei ihnen ein Gefühl der Ausgrenzung hervorrufen und sie zur Orientierung am Lager der „klassischen“ Kommunisten veranlassen. Zu nennen sind hier die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens, die Kommunistische Partei der Slowakei, die kommunistischen Parteien Bulgariens und Rumäniens und die Nachfolgeparteien der kommunistischen Parteien des Baltikums. In ihren europapolitischen Positionen herrscht keine eindeutige Richtung vor. Bei den Volksreferenden zum EU-Beitritt gab es sowohl zustimmende (KSS) als auch ablehnende (KPBM) Haltungen. Gemeinsam ist ihnen aber die Interpretation der EU als ein Motor des Neoliberalismus, der zu einer Verschärfung der sozialen Gegensätze innerhalb der europäischen Teilgesellschaften und zu einem Rückschritt in Richtung Militarismus und Neoimperialismus führt. Der Gründung der EL stehen diese Parteien in der Regel abwartend bis ablehnend gegenüber.

Die Trotzkisten

Die Trotzkisten haben die problematische Erfahrung des Zusammenbruchs ihres ideologischen Weltbildes nicht machen müssen, da sie sich immer als Gegner des Realsozialismus betrachteten und daher ihren, den trotzkistischen Weg in die kommunistische Gesellschaft weiterhin zu gehen versuchen. Sie organisieren sich in der Vierten Internationale, bei der es sich um die 1938 von Trotzki gegründete „Weltpartei der sozialistischen Revolution“ handelt. Prominente Organisationen dieser Vierten Internationale sind die französischen trotzkistischen Parteien Lutte ouvrière und die Ligue Communiste Révolutionaire, deren Wahlbündnis zu den Europawahlen 2004 in Konkurrenz zur KPF antritt.

Die Vierte Internationale ist Bestandteil der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL), die seit dem Jahr 2000 besteht und bei einem Treffen verschiedener linker Gruppierungen in Lissabon aus der Taufe gehoben wurde.[8] Für die gegenwärtige trotzkistische Bewegung ist eine, im Vergleich zu der „Neuen Europäischen Linken“, durchaus erfolgreiche Suche nach engerem Kontakt zu den sozialen Bewegungen kennzeichnend. Deren Forderungen und Radikalität werden in der politisch-parlamentarischen Arena verschiedentlich vor allem von trotzkistischen Kräften artikuliert. Zu nennen sind hier wiederum die französischen Gruppen, mit parlamentarischer Vertretung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Obwohl LO und LCR assoziierte Mitglieder der GUE/NGL-Fraktion im EP sind, steht die trotzkistische Bewegung der EU in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit ablehnend gegenüber, die sie, wie auch die „klassischen“ Kommunisten, als ausschließlich neoliberal geprägtes politisches Subjekt versteht. Die Gründung einer Partei der Europäischen Linken wird von ihnen abgelehnt.

Die Nordisch-Grünen-Linken

Mit der Erweiterung der EU von 1995 kamen die schwedische Linkspartei Vänsterpartiet und der finnische Linksbund (Vasemmistoliitto) hinzu, die sich, ähnlich wie die dänische Sozialistische Volkspartei (Socialistik Folkeparti), der Vertretung linker skandinavischer Positionen verpflichtet sehen. Worin bestehen die Besonderheiten der skandinavischen Linksparteien? Ihre programmatischen Gesichtspunkte umfassen sowohl Aspekte der unbedingten Verteidigung der Volkssolidarität ‑ erst im Februar hat die Vänsterpartiet auf ihrem Parteitag bestätigt, dass sie den Austritt Schwedens aus der EU als politisches Ziel verfolgt ‑ sowie des Erhalts des skandinavischen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaats, als auch Aussagen des grünen Milieus und der sozialen Bewegungen. Den skandinavischen Linksparteien gelang es frühzeitig, den Weg in die entstehende Umweltbewegung zu finden und selbst grüne Themen glaubwürdig zu besetzen, so dass sie sich dementsprechend auch als grüne linke Parteien bezeichnen. Sie grenzen sich traditionell sowohl gegen autoritäre, staatsfixierte, in ihren Augen unmoderne kommunistische und trotzkistische Parteien ab und nehmen gegenüber der EU eine kritische bis ablehnende Haltung ein.

Am 1. Februar 2004 gründeten fünf skandinavische Parteien in Reykjavik das Nordisch-Grüne Linke Bündnis (NGLA): Schwedische Linkspartei, Sozialistische Volkspartei Dänemarks, finnischer Linksbund, Partei der sozialistischen Linken Norwegens und die grüne linke Bewegung Islands. Diese neue Gruppierung scheint uninteressiert an jeder Art eines Projekts einer europäischen Partei zu sein.

Die Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament

Trotz der so verschiedenen Voraussetzungen sind Europaparlamentarier all dieser Strömungen und programmatischen Familien in der Linksfraktion des Europäischen Parlaments, der GUE/NGL (Gauche Unitaire Européen/Nordic Green Left) organisiert.[9] Die GUE/NGL weist einen entscheidenden Unterschied zu den anderen Fraktionen auf. Sie bezeichnet sich selbst als konföderal. Warum? Wenn sie den Anspruch erhebt, die verschiedenen Strömungen der europäischen Linken im Europäischen Parlament zu repräsentieren, dann muss sie ihren Vollmitgliedern und assoziierten Parteien, unter Gewährung größtmöglicher Freiheiten bei der Suche nach Konsens, die volle programmatische und politische Eigenständigkeit belassen. Es herrscht dementsprechend also keine Verpflichtung zu irgendeinem Fraktionszwang.[10]

Eines der Beispiele, an denen sich der Pluralismus innerhalb der GUE/NGL am Besten verdeutlichen lässt, ist die Position der einzelnen Parteien zur Europäischen Union und gegenüber deren Verfassungsentwurf. Das Spektrum reicht von der Ablehnung der Europäischen Union als solcher und der Forderung nach Austritt des Mitgliedslandes (so die schwedische Linkspartei und die Sozialistische Volkspartei Dänemarks), bis hin zur Befürwortung der Europäischen Union als Aktionsrahmen, der aber inhaltlicher Veränderungen bedarf (so die Positionen von PDS, IU, Synaspismos, Rifondazione und PdCI).

Die Zukunft der GUE/NGL hängt vom Ausgang der kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament ab. Wenn Parteien wie die PDS und die KPF, die in dem Spektrum zwischen Trotzkisten und Nordisch-Grünen Linken und traditionellen Kommunisten als moderater und zentraler Block der GUE/NGL agieren, bei den Wahlen zum EP scheitern sollten, dann ist anzunehmen, dass die zentrifugalen Kräfte, Trotzkisten auf der einen Seite und Nordisch-Grüne Linken auf der anderen Seite, die bisher bestehende Fraktion sprengen werden.

Die Partei der Europäischen Linken (EL)

In welchen Kontext lässt sich angesichts der Vielfältigkeit der Europäischen Linken das im Entstehen begriffene Projekt der Partei der Europäischen Linken einordnen? Betrachtet man die Partei als Interaktionspartner der Fraktion auf europäischer Ebene, dann müsste sie, zumindest theoretisch, eine ähnliche Vielfalt repräsentieren, wie gegenwärtig bereits die GUE/NGL. Vergegenwärtigt man sich jedoch, welche Parteien den Gründungsaufruf unterzeichnet haben und jetzt die Gründung forcieren, stellt man fest, dass die Repräsentanz der europäischen Linken in dieser Partei nicht gegeben ist. Die treibenden Parteien, PDS, Rifondazione Comunista, Izquierda Unida, Synaspismos und die KPF sind alle einer Strömung der europäischen Linken zuzurechnen, der „Neuen Europäischen Linken“.

Hinzu kommt, dass die Gründungsparteien allein schon durch ihre geringe Anzahl nicht ausreichen, um eine europäische Partei entsprechend der Vergabe der europäischen Verordnung gründen zu können, denn dazu sind allein sieben Parteien notwendig.[11] Selbst wenn alle fünf genannten Parteien diese Kriterien erfüllen ‑ es fehlten noch immer zwei weitere. Mögliche Kandidaten wie die KPBM, die KSS oder auch die zypriotische AKEL haben ihre abwartende Haltung bekräftigt. Dieses rein arithmetische Defizit kommt dadurch zustande, dass bei der bisherigen Gründungsvorbereitung eben nur die Parteien einer politischen Strömung berücksichtigt wurden. Die gesamte Bandbreite der europäischen Linken wird nicht umfasst. Nun haben zwei Strömungen von sich aus ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Projekt EL zum Ausdruck gebracht: die Trotzkisten und die Nordisch-Grünen Linken. Umso erstaunlicher ist es, dass die Gruppe der „traditionellen“ Kommunisten, die innerhalb der GUE/NGL mit der „Neuen Europäischen Linken“ das Zentrum der Fraktion bildet, bisher nicht in den Gründungsprozess involviert ist. Daraus lässt sich auch die abwartende Haltung der Tschechen, der Slowaken und der Zyprioten erklären, die selbst der Strömung der „traditionellen“ Kommunisten zuzuordnen sind.

Zwei Dinge sind evident: Die bisherige Gruppe von Parteien, die das Projekt der EL bis in das nunmehr entscheidende Gründungsstadium vorangetrieben hat, spiegelt nur einen Teil der Linken in Europa, oder besser gesagt, sogar nur der EU wider. Zum anderen ist gerade dieses Defizit der Grund für ein mögliches Scheitern des Projekts, da die Kriterien gemäß der zitierten Verordnung zum Statut und der Finanzierung Europäischer Parteien[12] hinsichtlich der Anzahl der betreffenden Parteien nicht erreicht werden.

Die entstehende Partei der Europäischen Linken sollte jedoch die europäische Linke auch in ihrer ganzen Vielfalt widerspiegeln, ihre Differenzen aufnehmen und konstruktiv damit umgehen, auf eine ähnliche Art und Weise, wie dies in der Fraktion im EP, der GUE/NGL, schon geschieht. Ähnlich dieser muss die EL ein pluralistisches Projekt sein, das die Differenzen innerhalb der Linken mittel- und langfristig aufhebt. Welches sind die potenziellen Konflikte innerhalb der europäischen Linken? Zum einen ist es der programmatisch-politische Konflikt, der sich aus unterschiedlichen politischen Zielsetzungen, der Wahl der Mittel, dem politisch-gesellschaftlichen Kontext der Parteien, ihrer historischen Herkunft ergibt.

Dazu kommt der Nord-Süd-Konflikt, der sich aus dem innerhalb der EU existierenden Wohlstandsgefälle speist. Die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte in Spanien, Portugal, Griechenland haben andere finanzielle, materielle Vorstellungen und Erwartungen an die EU als z. B. in Deutschland, Österreich, Frankreich oder Belgien, die vergleichsweise wohlhabende Länder sind.

Hinzu tritt nach der Erweiterung ein Ost-West-Konflikt, der sich ebenfalls unter finanziell-materiellen Gesichtspunkten einordnen lässt. Da von den Parteien auch immer erwartet wird, der sozialen Situation im Lande verpflichtet zu sein, werden sich an dieser Stelle gegensätzliche Politikansätze bemerkbar machen. Innerhalb dieses Konflikts dürfte die deutsche PDS auch eine besondere Rolle spielen, stammt sie doch aus einem der reichsten Länder der EU, aber gleichzeitig hat sie ihre stärkste Verankerung in einigen typisch ostdeutschen Milieus, und die Interessenvertretung dieser Milieus verlangt zumindest eine differenzierte Positionierung seitens der PDS.

Da die Parteien unterschiedlich strukturierten Parteiensystemen entstammen, muss man auch davon ausgehen, dass es Unterschiede im Politikstil und in der politischen Verhaltensweise gibt. Die Konflikte sind hierbei nicht inhaltlicher, sondern eher prozeduraler Natur. Konflikt und Konsens seien hier als die beiden Gegenpole benannt.

Es ist auch ein Konflikt zwischen großen und kleinen Parteien zu erwarten. Dieser Konflikt kann weitestgehend unter Kontrolle gehalten werden, wenn das Statut der EL die teilnehmenden Parteien gleichberechtigt behandelt und dies auch in der Realität praktiziert wird, sich etwa in der Vergabe der Posten und Ämter der Partei widerspiegelt. Eng mit diesem Aspekt ist der historische Konflikt verbunden, der aus der Geschichte der Dominanz der Komintern durch die KPdSU resultiert, eine Erfahrung, die die linken Parteien veranlasst hat, sich jetzt und zukünftig allen Dominanzversuchen anderer Parteien zu widersetzen.

Einen weiteren Konfliktherd könnten die internen Auseinandersetzungen in den Sammelbewegungen wie IU, déi Lénk und Rifondazione ergeben, da in ihnen jeweils relevante trotzkistische Strömungen vertreten sind.

Was tun? Erste Schritte zur Überwindung der potenziellen Konflikte könnten durch die entsprechende Formulierung von Statut und Programm der zu gründenden Partei der Europäischen Linken getan werden. Die bisher vorliegenden Dokumente sind lediglich Arbeitspapiere, aus diesem Grund sind Wertungen nur mit Vorsicht abzugeben.[13] Das Programm scheint darauf abzuzielen, ein breites Spektrum an politischen Positionen zu repräsentieren und eine möglichst große Breite aktueller linker Ideen zu erfassen. Der Entwurf wurde gemeinsam von Vertretern verschiedener Parteien im Vorfeld der Berliner Konferenz erarbeitet, so dass sich darin die jeweiligen Minimalforderungen und entsprechenden Formelkompromisse wiederfinden.

Eine weitere Initiative, ein gemeinsamer Wahlaufruf für die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004, wurde von der Portugiesischen und der Französischen Kommunistischen Partei angestoßen. In diesem Dokument, Resultat der Zusammenarbeit von einer den Gründungsprozess eher forcierenden KPF und einer ihm ablehnend gegenüberstehenden PKP, wird die Gründung einer Europäischen Linkspartei überhaupt nicht erwähnt.[14] Der Zeitpunkt der Veröffentlichung macht deutlich, dass die portugiesischen Kommunisten zwar ein Interesse an internationaler europäischer Kooperation haben, diese aber nicht im Rahmen der sich gründenden EL sehen. Trotzdem wird dieser Aufruf auch von den Gründungsparteien mitgetragen. Auf dem Internationalen Treffen in Prag am 6./7. März 2004 legte die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens einen weiteren Entwurf für einen gemeinsamen Wahlaufruf für das EP vor, der aber von den anderen Parteien mit Hinweis auf den Lissabonner Aufruf zurückgewiesen wurde, um eventuellen doppelten Initiativen und einer daraus resultierenden Spaltung vorzubeugen.[15]

Fazit

Warum wird das Projekt der Partei der Europäischen Linken bisher nur von einer der beschriebenen Familien, der „Neuen Europäischen Linken“, sowohl forciert als auch dominiert? Die internationale Arbeit der Parteien unterliegt grundsätzlich immer nationalen Interessen. Die mit der Gründung der EL verbundene Hoffnung auf einen kurzfristigen innenpolitischen Imagegewinn der beteiligten Parteien, direkt vor den Europawahlen, erscheint berechtigt. Die auf europäischer Ebene im Herbst 2003 getroffene Entscheidung über die Finanzierung europäischer Parteien ist ein weiterer Grund. Es winkt eine finanzielle Unterstützung für diese Parteien. Schließlich erhoffen sich die Gründungsparteien von der Etablierung einer europäischen Partei offensichtlich einen Vorsprung vor den anderen Familien der Linken.

Doch die strömungspolitisch einseitige Zusammensetzung der Gruppe der Gründungsparteien, die Uneinigkeit selbst innerhalb dieser politischen Familie, verdeutlicht durch den vorläufigen Rückzug einiger Parteien aus dem Gründungsprozess, könnten aber durchaus noch zu einem Scheitern des gesamten Projektes führen. Dies wäre etwa der Fall, wenn am Ende bei der Gründung weniger Parteien zusammen kommen, als nach der EU-Verordnung über europäische Parteien notwendig sind.[16]

Gibt es Alternativen? Es wäre denkbar, die Partei der Europäischen Linken in ihrer Gründungsphase und darüber hinaus als einen dynamischen Prozess mit einem politisch offenen Charakters zu entwickeln. Sie sollte, orientiert an dem erfolgreichen Beispiel der Europäischen Grünen Partei, offen sein für alle verschiedenen politischen linken Strömungen. Dies verlangt, all die kommunistischen und linkssozialistischen Kräfte, die in ihren Ländern sowohl gesellschaftlich als auch politisch anerkannte Faktoren sind, einzubeziehen und den Rahmen der EL nicht auf die EU zu beschränken, sondern die Europäische Partei als eine Partei für die gesamteuropäische Ebene zu denken, wie es auch die europäischen Grünen getan haben.

Um dies zu erreichen, sollte sich in Rom lediglich ein Grundgerüst der EL konstituieren, das transparent und offen für weitere Mitglieder zu sein hat. Durch die sukzessive Aufnahme weiterer Mitglieder, deren Gleichberechtigung und deren Zugang zu den Ressourcen von Beginn an im Statut der Partei festgeschrieben sein muss, könnte der Gründungsgipfel in Rom zum Ausgangspunkt für die Konstituierung einer europäischen Linken werden, die deutlich mehr als eine der vier politischen Familien der gegenwärtigen Linken umfasst.

[1] Dies waren: Estnische Sozialdemokratische Arbeiterpartei; Französische Kommunistische Partei; Koalition der Linken, der Bewegungen und der Ökologie (SYNASPISMOS - Griechenland; Partei der kommunistischen Wiedergründung (PRC - Italien); déi Lénk (Luxemburg); Kommunistische Partei Österreichs; Kommunistische Partei der Slowakei; Vereinigte Linke (IU -Spanien); Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KPBM - Tschechische Republik); Partei des Demokratischen Sozialismus (Tschechische Republik); Partei des Demokratischen Sozialismus (BRD). Der Gründungsaufruf selbst ist abzurufen unter: http://www.sozialisten.de/partei/international/dokumente/index.htm.

[2] Dieser Artikel wurde am 14.4.2004 abgeschlossen, kann also spätere Ereignisse nicht berücksichtigen.

[3] Dieser Parteigründungsboom wurde ausgelöst durch die Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die „Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung“, die Resultat der Bemühungen der Europäischen Union ist, die Probleme der Finanzierung europäischer Parteien (die finanzielle Verquickung von Fraktionen des Europäischen Parlaments und der Parteien) durch eine eigenständige Finanzierungsgrundlage für die Parteien zu lösen.

[4] Ausführlich dargestellt wird dieser Sachverhalt von Fausto Sorini, einem führenden Politiker der italienischen Rifondazione Comunista, Die zerbrechliche Illusion von der Europäischen Partei, in: L´Ernesto 1, 2004. Die Zeitschrift L'Ernesto ist das Sprachrohr einer linken Strömung innerhalb der Rifondazione Comunista, der auch der in Deutschland bekannte marxistische Philosoph Domenico Losurdo angehört.

[5] Sowohl in der italienischen Rifondazione Comunista als auch in der französischen KPF waren die wechselnden Einstellungen gegenüber der Sozialdemokratie immer wieder Anlass zu heftigen Richtungsauseinandersetzungen. Über die gegensätzlich beantwortete Frage nach der Notwendigkeit einer weiteren Unterstützung der Mitte-Links-Regierung unter Ministerpräsident Prodi spaltete sich Rifondazione sogar. Ein Teil verließ die Partei und gründete die Partei der Italienischen Kommunisten (PdCI). Inzwischen ist aber auch Rifondazione wieder bereit, eine Mitte-Links-Regierung als Alternative zu Berlusconi zu unterstützen.

[6] Das NELF ist ein Diskussionsforum der Europäischen Linken, das aber gleichzeitig einige entscheidende Charakteristika aufweist, die denen der Parteienbünde sehr ähneln. Es gelang diesem Forum aber nicht, trotz halbjährlicher Treffen, eine linke europäische Öffentlichkeit zu schaffen. Vgl. zum NELF: Arbeitsgruppe zur Zukunft des NELF - Bericht an die NELF-Parteien XIX. Treffen der Neuen Europäischen Linken (NELF) am 24.-26. November 2000 in Rom. In: www.pds-online.de/partei/international/gemeinsame_dokumente/ view_html?zid =9&bs=1&n=22 - 29k.

[7] Vgl: XVI Kongreß der EPP, 4.-5. Februar 2004. Das entscheidende Dokument ist die dabei angenommene Resolution „Den totalitären Kommunismus verdammen“. Darin wird gefordert, dass Vertreter der ehemaligen osteuropäischen Regime keine Mandatsträger innerhalb der EU werden dürfen.

[8] Betrachtet man die Zusammensetzung der EAL, erkennt man, dass es sich um eine pluralistische Gruppierung handelt, in der kommunistische und trotzkistische sowie grüne politische Kräfte neben Mitgliedern sozialer Bewegungen zusammen arbeiten. Das Zentrum der EAL bilden heute die Rifondazione Comunista, der portugiesische Linksblock, die Vierte Internationale (Trotzkisten), die Scottish Socialist Party und die dänische Rot-Grüne Allianz. Vgl: http://de.indymedia.org/2003/08/59348.shtml.

[9] Es würde den Rahmen sprengen, die Entwicklung der Fraktion im Einzelnen nachzuzeichnen. Als GUE/NGL gründete man sich nach der EFTA-Erweiterung 1995. 1999, nach ihrem Einzug in das EP, wurde die PDS Vollmitglied der Fraktion. Die genaue historische Entwicklung der Fraktion lässt sich nachlesen unter: http://www2.europarl.ep.ec/gue/showPage.jsp?ID=2; oder bei: Andreas Wehr, Die Linken im Europäischen Parlament, in: Z 47, September 2001.

[10] Wobei die Abwesenheit von Fraktionszwang ein generelles Merkmal aller Fraktionen des EP ist. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal ist die aus der programmatischen Vielfalt resultierende Selbstdefinition der GUE/NGL als konföderale Fraktion.

[11] So müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein, um eine europäische Partei zu bilden. Sie muss nach der europäischen Verordnung 2004/ vom 4.11.2003 über die „Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung“ laut Artikel 3 b) in mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten in den nationalen Parlamenten oder regionalen Parlamenten oder Regionalversammlungen vertreten sein, oder sie muss in mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten bei der letzten Wahl zum EP mindestens drei Prozent der abgegebenen Stimmen in jedem dieser Mitgliedstaaten erreicht haben.

[12] Vgl. Fußnote 11.

[13] Der Entwurf des Parteiprogramms für die Partei der Europäischen Linken ist einzusehen unter: http://www.pds-online.de/partei/international/gemeinsame_dokumente/view_html?zid=30&bs=1&n=1.

[14] Vgl: „Gemeinsamer Aufruf für die Wahlen zum Europäischen Parlament“, verabschiedet auf dem Lissabonner Treffen vom 7. Februar 2004. Dabei handelt es sich um die von der portugiesischen KP initiierte gemeinsame Wahlplattform der Parteien der GUE/NGL.

[15] Nur erwähnt seien an dieser Stelle zwei Artikel in der Parteizeitung der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) „Rizospastis“ und in der italienischen Zeitschrift „L´Ernesto“ (Mit den Volkskämpfen oder mit der „EU-Linkspartei“?, in „Rizospastis“ vom 15.2.2004, verbreitet über das weltweite kommunistische SolidNet am 9.3.2004, und Fausto Sorini, Die zerbrechliche Illusion von der Europäischen Partei, in: L´Ernesto 1/2004). Nicht verwundern kann, nach obigen Darstellungen, dass der Artikel aus dem Umfeld der KKE eine ablehnende Haltung gegenüber der EL zum Ausdruck bringt. Dass dies aber auch der Fall in dem Artikel von Fausto Sorini ist, verwundert deshalb, weil die Rifondazione Comunista der Gruppe der Parteien zuzuordnen ist, die aktiv auf die Gründung einer EL drängen. Ganz offensichtlich gibt es auch bei Teilen dieser Partei starke Vorbehalte gegen eine Europäische Partei der politischen Linken.

[16] Notwendig sind (vgl. FN 11) danach Parteien aus mindestens sieben Mitgliedsländern, die die Kriterien erfüllen. Beim Gründungskongress werden aber nur fünf solcher Parteien vertreten sein (FKP, IU, RC, PDS, Synaspismos). Die übrigen Parteien zählen auf Grund ihrer fehlenden parlamentarischen Verankerung nicht.