Besetzt im Jahr des Unabhängigkeitsjubiläums*
2004 sollte ein ganz besonderes Jahr für Haiti werden – ein Jahr des stolzen Gedenkens an die vor 200 Jahren gegen die Kolonialmacht Frankreich erkämpfte Unabhängigkeit. Die war nach einem zehnjährigen Bürgerkrieg am 1.1.1804 in der westhaitianischen Hafenstadt Gonaïves ausgerufen worden.
Für den haitianischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide sollte das Jahr 2004 die Krönung seiner politischen Laufbahn werden. In den letzten fünf Jahren wurden eifrige Vorbereitungen getroffen. Der Stadtpark der Hauptstadt Port-au-Prince wurde neu hergerichtet. Unter dem Projekttitel Route 2004 (zu übersetzen in etwa: „auf dem Weg ins Jahr 2004“) wurden in Cap-Haïtien im Norden des Landes ehrgeizige Projekte zur Altstadtsanierung begonnen. Der haitianische Norden mit seinen vielen historischen Stätten sollte im Jubiläumsjahr besonders herausgeputzt sein und Besucher aus aller Welt anlocken. Doch ausgerechnet das Jahr 2004 brachte den gewaltsamen Sturz der Regierung Aristide und die Besatzung durch Truppen der USA und der alten Kolonialmacht Frankreich.
Ausgerechnet in der „ville de l’indépendance“ (Stadt der Unabhängigkeit) Gonaïves brach bereits im September 2003 ein Aufstand aus. Am 5. Februar 2004 übernahmen die Aufständischen die Kontrolle über die Stadt und begannen von dort aus ihren Siegeszug durch das Land. Präsident Jean-Bertrand Aristide verließ Ende Februar unter dem Eindruck auf Port-au-Prince vorrückender Rebellen und auf Druck der US-Regierung das Land. Er selbst behauptet, verschleppt worden zu sein. Die Rebellen marschierten in Port-au-Prince ein, um ihre Ansprüche auf eine Beteiligung an der Macht anzumelden. Gleichzeitig landeten ausländische Truppen, die den Regimewechsel absichern und die Rebellen wieder in ihre Schranken verweisen sollen. Der UN-Sicherheitsrat schob sein OK hinterher, als die US-amerikanischen, kanadischen und französischen Truppen längst unterwegs und manche schon in Port-au-Prince angekommen waren.
Wie soll man diese Ereignisse, die zum gewaltsamem Regimewechsel und zu einer militärischen Besatzung ausgerechnet im Jahr des Unabhängigkeitsjubiläums führten, bewerten? Handelt es sich um eine Revolte gegen ein repressives Regime? Oder um einen planmäßig unter internationaler Beteiligung vorbereiteten und ins Werk gesetzten Staatsstreich?
Die Akteure des aktuellen Konflikts
Aristide und seine Bewegung Lavalas (kreolisch: Flutwelle) standen in den 80er und Anfang der 90er Jahre für eine breite soziale Bewegung, die aus unendlich vielen Teilen bestand: Stadtteilgruppen in den Slums der Hauptstadt, Bauernkooperativen auf dem Land, Feministinnen, Umweltschützern etc. Diese Bewegung formierte sich im Widerstand gegen die Diktatur der Familie Duvalier, die Haiti 1957-1986 beherrschte und ausplünderte. Als es 1990 tatsächlich zu den ersten freien Wahlen kommen sollte, hatte sich die Graswurzelbewegung zu einer politischen Kraft geformt und um ihren gemeinsamen Präsidentschaftsbewerber, den damaligen Priester Jean Bertrand Aristide, geschart. Aristide hatte sich schon im Kampf gegen die Diktatur einen guten Namen gemacht. Er fiel durch eine dezidiert linke Rhetorik auf und begeisterte vor allem die Ärmsten der Armen, wenn er in den Slums predigte. Die USA hatten andere Pläne mit Haiti. Sie schickten den Weltbankfunktionär Marc Bazin ins Rennen. Das Ergebnis hätte nicht eindeutiger ausfallen können: Aristide erhielt zwei Drittel der Stimmen, Marc Bazin blieb bei 20 Prozent hängen. Lavalas, die Flutwelle, hatte einen gewaltigen Sieg errungen. Zum allerersten Mal in der haitianischen Geschichte hatte das Volk, hatten die Bauern und die Bewohner der Slums an einer Wahl teilgenommen und ihre Interessen artikuliert.
Doch der demokratische Aufbruch währte nicht lange. Im Februar 1991 wurde Aristide vereidigt, im September 1991 durch einen Militärputsch gestürzt. Er ging ins Exil in die USA. In Haiti machte die Militärjunta Jagd auf seine Anhänger. Hunderte, vielleicht Tausende wurden bis 1994 getötet. Demokratisch gesinnte Politiker, Gewerkschafter, Aktivisten der ländlichen Kooperativen. Die Graswurzelbewegung wurde im Keim erstickt – ein riesiges Potenzial für eine demokratische und soziale Entwicklung Haitis ging in dieser Zeit verloren.
Als Aristide 1994 im Rahmen einer von den USA angeführten internationalen Militärintervention nach Haiti und in den Präsidentenpalast zurückkehrte, war nichts mehr wie zuvor. Nicht umsonst schrieb ein Veteran der US-Intervention (Stan Goff) später: „Unsere Aufgabe war es, eine Revolution aufzuhalten, nicht einen Staatsstreich.“[1]
Aristide hatte bereits im Exil in Washington mit der Weltbank und dem IWF Strukturanpassungsmaßnahmen verabredet, die nach seiner Rückkehr verwirklicht werden sollten. Sie umfassten das in solchen Fällen übliche Programm: Halbierung der öffentlichen Lohnsumme, Liberalisierung des Telekommunikations- und des Strommarktes, Privatisierung der großen Staatsbetriebe. 1995 wurden sie in Verträge gegossen.
Die demokratische Bewegung, die Aristide einst getragen hatte, existierte 1994 nicht mehr. Sie war von der Junta aufgerieben worden. Die Erfahrungen der Verfolgung ließen in der Lavalas Tendenzen zu einer Militarisierung ihrer Strukturen aufkommen.
Diese Militarisierung wurde noch verstärkt, als 1995 zwar die Armee aufgelöst wurde (im Prinzip ein sympathischer und sehr verständlicher Schritt), die Waffen aber zu großen Teilen nicht eingesammelt und vernichtet wurden, sondern weiter im Land kursierten. Es entstanden bewaffnete Banden, die das ordnungspolitische Vakuum im Land zu ihren Gunsten nutzen wollten. Auch die Regierung bediente sich zunehmend dieser Banden zur Durchsetzung ihres Machtanspruchs. Ohne eine funktionierende Polizei und in Ermangelung breiter demokratischer Strukturen gab es keine andere Quelle der Autorität als diese Banden.
Mit dem organisierten Bandenwesen hielt auch das organisierte Verbrechen Einzug in Haiti. Haiti wurde Drogentransitland Nummer Eins in der Karibik. Ob Aristide daran kräftig verdiente oder nicht, bleibt bislang Spekulation. Sehr unwahrscheinlich ist jedoch, dass die Regierung von dem vielen Geld, das mit den Drogen ins Land kam und das allerorts offen zur Schau gestellt wurde, nichts bemerkt hätte.
Die Herrschaft der Lavalas entwickelte im Lauf der Jahre einen repressiven Charakter, der im Mai 2000 im Auszählungsbetrug bei der Senatswahl offenbar wurde. In einem Anfall von Machtrausch wollte sich die Lavalas nicht mit der ohnehin errungenen Mehrheit in Parlament und Senat zufrieden geben und veränderte den Auszählungsmodus so, dass in fast allen Wahlkreisen die Lavalas-Kandidaten schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erhielten.
Dies war die Gelegenheit, auf welche die zersplitterte und bis dahin einflusslose Opposition im Lande gewartet hatte. Sie setzte sich aus den unterschiedlichsten Elementen zusammen: zur Sozialdemokratie konvertierte Ex-Kommunisten, von der Konrad-Adenauer-Stiftung höchst persönlich aufgebaute Konservative, hier und da ein veritabler Ex-Diktator und schließlich einige wohlhabende Geschäftsleute. Der intellektuell und politisch bedeutendste Teil dieses Oppositionsbündnisses waren die sozialdemokratischen Ex-Kommunisten. Es sind Intellektuelle, Universitätsdozenten, Schriftsteller, Künstler, die ihr Idealismus in früheren Jahren in kommunistische Parteien trieb. Bis heute sind sie sozusagen von ihrem Klassenstandpunkt eingeholt worden.
Zwar wohl begütert, aber dennoch ohne wirtschaftlichen Einfluss und ohne Unterstützung aus der Bevölkerung waren ihre guten internationalen Kontakte ihr einziger Trumpf. Insbesondere hatten und haben sie gute Verbindungen zu den europäischen sozialdemokratischen Regierungen. Ein Kontakt wog besonders schwer: der zum französischen Philosophen Régis Debray. Der Kontakt stammt aus Zeiten, als Debray wie auch viele haitianische Intellektuelle die kubanische Revolution unterstützten. Die haitianische Intelligenz hat sich mittlerweile von ihrem linken Idealismus verabschiedet. Und auch Régis Debray hat in dieser Zeit eine Karriere vom Weggefährten Fidel Castros zum Berater des französischen Präsidenten Jacques Chirac hinter sich gebracht. Nicht umsonst war es die französische Regierung, die im Februar als erstes nach Regimewechsel und Militärintervention in Haiti rief.
2000/2001 schlossen sich 15 Oppositionsparteien zu einem Bündnis mit dem Namen Convergence Démocratique zusammen (später erweitert zur „Gruppe der 184“ – der Name deutet auf die extreme Zersplitterung in eine Vielzahl von Organisationen hin), das ganze unter der Anleitung des International Republican Institute (IRI), einer US-amerikanischen Organisation, die dem Weißen Haus sehr nahe steht, vom Republikanischen Senator John Mc Cain geführt wird und überall dort mit ihren „demokratiefördernden“ Programmen (Stichwort: Nation Building) auftritt, wo gerade mit mehr oder minder sanfter Gewalt US-Interessen durchgesetzt werden: zum Beispiel 1984 in Grenada, 2000 in Jugoslawien, aktuell im Irak und eben Haiti. Allein im Jahr 2003 gab die Regierung Bush mehr als 1 Million US-Dollar dafür aus, über das IRI und andere Institute die haitianische Opposition zu unterstützen. US-Präsident George Bush fuhr im Gegensatz zu seinem Vorgänger Bill Clinton von Anfang an einen sehr aggressiven Kurs gegen Aristide, den er in der Umsetzung der verordneten Strukturanpassungsmaßnahmen als zu zögerlich und durch seine enge Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba als bündnispolitisch unzuverlässig empfand.
Der Einflussbereich der Opposition erstreckte sich trotz aller internationaler Hilfe nie wesentlich über die bürgerlichen Viertel von Port-au-Prince und die Villen des Vororts Pétionville hinaus. Um einen Regimewechsel in Haiti herbeizuführen, bedurfte es einer militärischen Komponente.
Mit dem Auftreten der bewaffneten Rebellen ab September 2003 in Gonaïves änderten sich endgültig die Kräfteverhältnisse zuungunsten der regierenden Lavalas. Der häufig angeführte Hinweis, die Rebellen seien ehemalige Verbündete von Aristide gewesen und von diesem bewaffnet worden, ist zwar nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Entscheidend ist, dass die Rebellen aus Gonaives, die in der Tat alte Verbündete von Aristide waren, bei ihrem Siegeszug durch das Land von alten Militärs, Todesschwadronen aus der Zeit der Junta und Putschisten verstärkt wurden. Diese drangen aus dem Exil in der Dominikanischen Republik nach Haiti ein, verstärkten die Reihen der Rebellen und übernahmen schließlich das Kommando der Revolte.
Der Spiegel schrieb, der Staatsstreich sei von langer Hand geplant gewesen, und führte an, dass sich die ehemaligen Militärs zur Planung monatelang regelmäßig in einem Luxushotel in Santo Domingo getroffen hätten. Dies sei ohne das Wissen des dominikanischen Geheimdienstes und der CIA unmöglich.[2] In der Tat deutet vieles darauf hin, dass der bewaffnete Aufstand keineswegs spontan, sondern lange und genau geplant war. Und es spricht auch einiges dafür, dass die sogenannte demokratische Opposition davon wusste oder sogar eingeweiht war. Auch ihre Führer hielten sich oft in Santo Domingo auf. Sie nahmen dort an Schulungen des IRI teil. Gut möglich, dass sie dort auch Kontakte zu alten Militärs gepflegt haben. Schon im Februar 2001 befürwortete ein Führer der Convergence Démocratique gegenüber der Washington Post den Einsatz von militärischer Gewalt gegen Aristide.[3] In einem Interview, dass ich zur selben Zeit mit Micha Gaillard, einem der Sprecher der Convergence Démocratique führte,[4] gab dieser an, auf eine Einmischung der Präsidenten Bush und Chirac zur Lösung der haitianischen Krise zu hoffen.
Bereits ab Juli 2000 begann eine militärische Destabilisierungskampagne gegen Haiti mit dem Sturm auf Polizeistationen in Hinche und Umgebung (auf dem Plateau Central, nahe der dominikanischen Grenze). Im Oktober 2000 und im Dezember 2001 folgten Putschversuche. In all diese Aktionen war derselbe Personenkreis verwickelt – vorneweg jener Guy Philippe, der im März als Anführer der Rebellen triumphal in die Hauptstadt einzog.
Drei Dinge sind also wesentlich bei der Beurteilung des Aufstandes: Erstens war er keine spontane Erhebung, sondern er erfolgte wohl koordiniert und geplant. Zweitens sind die Anführer der Revolte keine enttäuschten Aristide-Anhänger, sondern ehemalige Todesschwadronen und Militärs. Drittens konnten die Rebellen zwar mit Leichtigkeit die Städte der Provinzen erobern, wo sie auf keinerlei Widerstand stießen. Hinche wurde von 50, Cap-Haitien von 180 Rebellen eingenommen. Für die Eroberung von Port-au-Prince jedoch hätte ihre Schlagkraft nicht ausgereicht. Deshalb der plötzliche Stop des Vormarsches vor den Toren der Hauptstadt. Deshalb die schnelle Intervention der USA. Die konservative französische Tageszeitung Le Figaro schrieb dazu hämisch, aber unzutreffend: „Guy Philippe blufft die Amerikaner.“[5] Le Figaro unterstellt, die USA hätten interveniert, weil sie annahmen, dass Guy Philippe mit Tausenden von Anhängern in die Hauptstadt einmarschieren und dort möglicherweise ein Blutbad anrichten würde. In Wirklichkeit wären es aber nur 60 Rebellen gewesen, die vor Port-au-Prince standen. Plausibler erscheint daher die gegenteilige Annahme: Die USA intervenierten, gerade weil sie wussten, dass die Rebellen für eine Eroberung der Hauptstadt zu schwach waren.
Der externe Faktor
Haiti ist von beträchtlichem strategischem und ökonomischem Interesse für die USA. Bereits bei der Okkupation Haitis durch die USA (1915-1934) spielte die Kontrolle über den Passe du Vent, die Meerenge zwischen Haiti und Kuba, eine bedeutende Rolle. Damals war gerade der Panama-Kanal eröffnet worden und der beginnende erste Weltkrieg hatte seine Schatten bis in die Karibik geworfen. Der Passe du Vent ist die kürzeste Seeverbindung von den USA in die Südkaribik und zu ihrem Stützpunkt Guantanamo auf Kuba. Angesichts der Vorgänge in Venezuela kommt ihm heute wieder eine wachsende Bedeutung zu. Wichtig für die US-Regierung ist auch, die Kontrolle über mögliche Migrationsströme in der Karibik zu behalten. Dass Bush bei Ausbruch der aktuellen Gewalt in Haiti seiner Bevölkerung „versprach“, kein Haitianer werde US-Boden betreten, und dass er die Küstenwache bis an die haitianischen Küsten schickte, damit sie Flüchtlinge sofort nach Haiti zurückbringen sollten, spricht Bände über das „humanitäre“ Anliegen seiner Intervention.
Die Besatzung Haitis ist insbesondere ein Warnschuss an Venezuela und Kuba und ein Teil einer ordnungspolitischen Offensive im Karibischen Raum, deren Ziel letztendlich die reibungslose Durchsetzung der Verträge über die Gesamtamerikanische Freihandelszone ist, die nächstes Jahr ansteht.
US-Konzerne sind in Haiti stark engagiert. In den Montagehallen (Sweat-Shops) bei Port-au-Prince und entlang der haitianisch-dominikanischen Grenze lassen u.a. Walt Disney und Levis Jeans haitianische Arbeiter/innen zu Hungerlöhnen Kleidung, Spielzeug und Softbälle zusammensetzen. Die Löhne dort (1999: 580 € Jahreslohn) fallen noch hinter die Einkommen in anderen städtischen Sektoren zurück. Dabei ist die Arbeit monoton, oft gesundheitsschädigend und erfordert zugleich kontinuierliche Konzentration.
„Les américains mènent la danse“ (die Amerikaner führen den Tanz) titelte die französische Nachrichtenagentur Agence France Presse vor kurzem.[6] Ein etwas zerknirschter Hinweis darauf, dass die USA doch noch kurz vor Frankreich in Port-au-Prince einlaufen konnte und etwaigen französischen Ambitionen im Hinterhof der USA ein Riegel vorgeschoben wurde. Die USA haben mittlerweile das Oberkommando über die internationalen Eingreiftruppen. Sie stellen das größte Kontingent unter den derzeit rund 3.000 Soldaten.
Bei der Verteilung der Macht in Haiti lassen sich die USA von niemandem reinreden. Der jetzt eingesetzte Premierminister Gérard Latortue hat die letzten 16 Jahre in den USA verbracht und dort eine UN-Karriere absolviert. Die Lavalas wurde an der Übergangsregierung nicht beteiligt. Aber auch die Ansprüche der bürgerlichen Opposition wurden nicht berücksichtigt. Aus Protest blieben ihre wichtigsten Vertreter der Zeremonie zur Amtseinführung der neuen Regierung fern. Auch die Rebellen hatten Ansprüche auf Teilhabe an der Macht gestellt – unter dem Hinweis auf ihre Rolle bei der Vertreibung von Aristide. Die USA hatten aber gleich nach der Intervention klar gemacht, dass sie für die Rebellen keine politische Rolle im künftigen Haiti vorgesehen haben. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan. US-Außenminister Colin Powell bezeichnet sie heute als „Strolche“.
Die karibische Perspektive
Die Organisation Amerikanischer Staaten konnte keinen einheitlichen Standpunkt zu den Vorgängen in Haiti entwickeln. Chile beteiligt sich mit 340 Soldaten an der Besatzung. Venezuela und Jamaika dagegen kritisieren die Besatzung und weigern sich, die neue haitianische Regierung anzuerkennen. Auch die Gemeinschaft Karibischer Staaten CARICOM, die noch vor Aristides Abgang einen sehr guten Friedensplan vorgelegt hatte, fühlt sich von den USA übergangen. Sie fordert eine Untersuchung der Umstände des Regimewechsels in Haiti durch eine unabhängige Kommission. Als die CARICOM Ende März auf St. Kitts ihren Standpunkt zum Regimewechsel in Haiti verhandelte, war die neue haitianische Regierung ausdrücklich nicht eingeladen. Das sind Anzeichen dafür, dass sich die karibischen und lateinamerikanischen Regierungen bewusst sind, dass die Intervention in Haiti auch auf die Eingrenzung ihrer eigenen politischen Spielräume abzielt.
* Der vorliegende Beitrag von Alexander King umfasst zwei Teile: Im folgenden ersten Teil geht es um das Krisenjahr 2004. Der zweite Teil, der sich mit der historischen Perspektive befasst, erscheint in Z 59. (Anm. d. Red.)
[1] Zit. nach Haiti-Progrès, 15.10.2001
[2] Der Spiegel, 8.3.2003
[3] Washington Post, 2.2.2001
[4] junge Welt, 24.1.2001
[5] Le Figaro, 16.3.2004
[6] AFP, 3.3.2004