Veranstaltet vom Forschungsinstitut Arbeit, Bildung, Partizipation (FIAB) der Ruhr-Universität Bochum und dem an der Universität Köln angesiedelten deutschen Ableger des europäischen Forschungsprojekt „Socio-economic change, individual reactions and the appeal of the extreme right“ (Siren) wurden in Recklinghausen Ergebnisse verschiedenster Projekte vorgestellt, die alle den Zusammenhang zwischen ökonomischen Basisveränderungen und ihren ideologischen Ausprägungen in Form des Rechtsextremismus bzw. Rechtspopulismus in den Blick nehmen.
Seit den spektakulären Erfolgen rechtspopulistischer Parteien in Österreich, Dänemark, den Niederlanden, Italien und zahlreichen anderen Ländern stellt sich die Frage nach den Erfolgsbedingungen dieser Parteien und den Gründen für die Attraktivität ausgrenzender und rassistischer Ideologien. Hinzu kommt die Beobachtung, dass die Trägerschaft dieser Parteien in erheblichem Maße aus Angehörigen der Arbeiterklasse besteht: Die FPÖ beispielsweise wurde bei den für sie sehr erfolgreichen Wahlen 1999 zur stärksten „Arbeiterpartei“ und ließ die SPÖ in diesem Spektrum weit hinter sich. Im Rahmen der Rechtsextremismusforschung wird bereits von einer „Proletarisierung des Rechtsextremismus“ gesprochen.
Für Klaus Dörre, Leiter des FIAB, lassen sich die Entwicklungen der letzten Jahre nur vor dem Hintergrund der sozialdemokratischen Erfolge Mitte der neunziger Jahre und ihrem Abstieg am Ende des Jahrzehnts beschreiben. In vielen Länder geschah die Ablösung der Sozialdemokratie mit Hilfe rechtspopulistischer Parteien, nicht zuletzt aufgrund gerade der Enttäuschung über die Politik der Sozialdemokratie. In der Bundesrepublik stellt sich die Entwicklung bisher anders dar. Für Dörre ist dies jedoch kein Grund zur Entwarnung, denn diese rechtspopulistische Unterströmung finde sich auch hier innerhalb der Parteien und auch der Gewerkschaften. Die Ursachen dieser Entwicklung hängen für ihn mit den Umbrüchen in der Arbeitswelt zusammen, hier werde der „Problemrohstoff“ erzeugt, den der Rechtspopulismus aufgreife. Die doppelte Spaltung der nachfordistischen Arbeitsverhältnisse habe einerseits eine Aushöhlung des Normalarbeitsverhältnisses und damit einhergehende Differenzierungen in der Arbeiterschaft hervorgebracht. Die zunehmende Prekarisierung und der von ihr ausgehende Druck auf alle Teile der Beschäftigten haben verschiedene Strategien entstehen lassen, mit dieser Bedrohung umzugehen. Leistung, Integration und Nützlichkeit werden als Strategien der Anpassung angewandt und die Eigennormung des disziplinierten Arbeitskraftunternehmers wird als Kriterium der Wertigkeit auf alle übertragen. Nicht ein kruder Rassismus sei hier am Werk, sondern die Unterscheidung der Migranten nach Kriterien der Nützlichkeit, verbunden mit der strikten Ausgrenzung all jener, die diesen Kriterien nicht entsprechen. So greife laut Dörre ein klassischer Antifaschismus oder Antirassismus hier zu kurz. Das von der Arbeiterbewegung vertretene Ideal des Universalismus habe die Bedürfnisse nach Anerkennung und Differenz unterschätzt.
Jörg Flecker von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt in Wien und Koordinator des Siren-Projektes stellte zunächst den Forschungsansatz dieser europäischen Studie vor: Untersuchungsziel sei die Frage nach der Wahrnehmung und Verarbeitung des Wandels der Arbeitswelt und seine Auswirkung auf das politische Bewusstsein gewesen. Hierzu wurden quantitative und qualitative Befragungen in acht europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, Schweiz, Ungarn) durchgeführt. Die Typen rechtspopulistischer Anziehung, so ein erstes Ergebnis, seien dabei völlig unterschiedlich gewesen und reichten von Managern und Selbständigen mit deutschnationalen Überzeugungen bis zu Arbeitern, die sich etwa mit der Wahl der Volkspartei in Dänemark gegen den Abbau des Wohlfahrtsstaates wehren wollen. Neben Aufsteigern mit überzogenem Leistungsethos und daraus abgeleiteten sozialdarwinistischen Einstellungen finden sich Menschen mit Arbeiteridentität, die von sozialdemokratischen zu rechtspopulistischen Parteien wechseln. Zum Rechtspopulismus führten somit Pfade sowohl von der Seite der Gewinner der neoliberalen Modernisierung als auch von der Seite der Verlierer dieser Entwicklung. Ein gemeinsames Merkmal sei hingegen die Rebellion gegen die Missachtung und Gefährdung von Identitäten, wie sie mit der zunehmenden Drohung der Prekarisierung einhergehe. Diese Abwehr äußere sich in Formen der ethnischen Aus- und Abgrenzung, wobei die Zuwanderer als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und als Kostenfaktor des kleineren sozialen Kuchens gedeutet würden. Allerdings, so Flecker, dürfte sich das Interesse nicht allein auf die hier vorgefundenen Orientierungen richten, sondern müsse auch nach dem generell vorhandenen politischen Angebot fragen, womit noch einmal auf das Versagen der Sozialdemokratie hingewiesen wurde.
Umbrüche innerhalb und außerhalb der Arbeitsgesellschaft
Nach diesen beiden einleitenden Referaten behandelte der erste Themenblock „Umbrüche innerhalb und außerhalb der Arbeitsgesellschaft“. Für Martin Kronauer von der FHW Berlin ist die allgegenwärtige Ausgrenzung, sowohl im Arbeitsprozess als auch in ihrer ethnischen Form, kein Problem der Integration sondern der demokratischen Qualität; sie müsse auch von Seiten der Demokratiefrage angegangen werden. Zu verstehen sei die gegenwärtige Debatte um Ausgrenzung nur vor dem Hintergrund der nach 1945 stattgefundenen Integration der Bevölkerung. Diese Ausweitung sozialer Rechte gelte heute als Maßstab für die Demokratie. Erwerbsarbeit und soziale wie politische Rechte erzeugten zusammen das Gefühl der Zugehörigkeit, der Abbau von beidem beinhalte demnach das Problem der Desintegration. In Anlehnung an Castell unterschied Kronauer die „Zonen der Zugehörigkeit“, der „Verwundbarkeit“ und der „Ausgrenzung“. Prekarisierung sei der Zone der Verwundbarkeit zuzuordnen, führe aber nicht automatisch zur Ausschließung.
Die anschließende Debatte drehte sich um die Frage, wie weit politische und wirtschaftliche Formen der Integration verbunden bleiben müssen: Kronauer plädierte hier für eine relative Entkoppelung. Es ginge jetzt um die Frage, wie sich die Mittelklasse für den Erhalt des Sozialstaates gewinnen lasse. Ein weiterer Diskussionsstrang bezog sich auf die Frage, wie weit das Zonenmodell von Castell das Klassenmodell ersetzen könne.
Christoph Butterwegges (Universität Köln) Thema war die Verbindung von Globalisierung, Neoliberalismus und Rechtspopulismus. Dieser und der Rechtsextremismus seien immer die Kinder ihrer Zeit und so seien sie gegenwärtig durch die vorherrschende neoliberale Globalisierung determiniert. Das Projekt der neoliberalen Globalisierung ziele auf mehr soziale Ungleichheit und Polarisierung: Differenzierungen von Arm und Reich gebe es aber auch innerhalb der Armut, etwa in Form der ethnischen Unterschichtung, der working poor, der Arbeits- und Elendsmigration. Der moderne Rechtspopulismus verbindet sich für Butterwegge mit der neoliberalen Ideologie und findet seinen Ausdruck in einem aggressiven Standortnationalismus. Zu beobachten sei eine Ökonomisierung, Kulturalisierung, Ethnisierung und Biologisierung des Sozialen.
In der Debatte zum Referat wurde nach dem wahren Kern des Standortnationalismus gefragt, der nicht nur als falsches Bewusstsein begriffen werden könne, sondern auch Ausdruck realer Zwänge sei. Kritisiert wurde die unklare Abgrenzung von Neoliberalismus und Rechtspopulismus.
Der letzte Beitrag dieses Blocks beschäftigte sich mit Tiefendimensionen sozialer Ungleichheit und Ferdinand Sutterlüty vom Institut für Sozialforschung in Frankfurt berichtete aus einem Projekt, das eben diesen Tiefendimensionen nachgeht. Am Verhältnis erfolgreicher Migranten und ihrer deutschen Nachbarn verdeutlichte Sutterlüty, wie tief verankert die Ungleichheitssemantik ist. Die Asymmetrie der gesellschaftlichen Zugehörigkeit solle nach dem Willen der deutschen Bevölkerung bewahrt werden.
Politische Verarbeitungsmuster – Empirische Befunde
Der zweite Themenblock beschäftigte sich mit den politischen Verarbeitungsmustern der geschilderten Umbrüche und führte empirische Beispiele aus den Projekten an. Gudrun Hentges von der Universität Köln und Mitarbeiterin im Siren-Projekt stellte die deutschen Ergebnisse des Projektes anhand von drei konkreten Fallbeispielen vor. Der Selbständige mit sozialdarwinistischen Positionen, der Sozialdemokrat, der aus Enttäuschung über die fehlende Arbeitnehmerpolitik der SPD zum Rechtspopulisten wird, die prekär beschäftige Arbeiterin, die in den Migranten ihre schärfsten Konkurrenten sieht; ihnen allen macht der Rechtspopulismus ein ideologisches Angebot und gerade die Widersprüchlichkeit dieses Angebots macht seine Attraktivität aus und bewirkt, dass er Verlierer und Gewinner der aktuellen Entwicklung ansprechen kann. Gemeinsam an allen Beispielen sei die gestörte Balance: Immer mehr Opfer, etwa in Form der Selbstdisziplinierung, werden für die Arbeit gebracht, allein die erwartete Gegenleistung – soziale Sicherheit – erfolgt von Seiten des Staates und der Wirtschaft nicht mehr.
Manfred Krenn von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt in Wien stellte in Ergänzung zu Hentges die österreichischen Ergebnisse der Siren-Studie vor. Untersuchungsgegenstand hier waren angelernte Industriearbeiter und -arbeiterinnen, deren faktische Arbeitsplatzbedrohung von Krenn aufgezeigt wurde. Ähnlich wie Hentges konstatierte auch er ein „Ende des Tausches von Leistungswillen und Unterwerfung gegen Sicherheit und Lebensstandard.“ Das somit verletzte Gerechtigkeitsempfinden äußere sich in Enttäuschung, Missachtung und Ohnmachtgefühlen. Es finde eine Entwertung der Unterwerfung im neoliberalen Kapitalismus statt. Bei den Betroffenen herrsche eine relationale Wahrnehmung vor, die das eigene Leid demjenigen der anderen, der Hinzugekommenen entgegensetze. Dass in Österreich vor allem die Arbeiterschaft zur Stütze des Rechtspopulismus wurde, habe etwas mit der vorhandenen Politik zu tun: Vor der Politikverdrossenheit der Arbeiter stehe die Arbeiterverdrossenheit der Politik und diese Lücke habe die FPÖ gefüllt, weshalb sie für Arbeiter so attraktiv sei.
Die Diskussion zu beiden Vorträgen brachte noch einmal die Frage nach der Unterscheidung von Neoliberalismus und Rechtspopulismus bzw. -extremismus auf, die jedoch nicht schlüssig beantwortet wurde. Zudem stellte man fest, dass die geschilderten Problemlagen einen möglichen Einstieg zum Rechtspopulismus kennzeichneten, keineswegs aber zu ihm führen müssten.
Am zweiten Tag des Workshops wurden die empirischen Befunde vervollständigt. Ursula Birsl vom Zentrum für Europa- und Nordamerikastudien in Göttingen referierte Ergebnisse einer Fallstudie in Industrieunternehmen Großbritanniens, Spaniens und Deutschlands. Birsl betonte dabei vor allem die nationalen Besonderheiten, die es zu berücksichtigen gelte; so sei etwa das Normalarbeitsverhältnis in Spanien auch früher schon weitgehend unbekannt gewesen, auch würden die Begriffe Nation und Einwanderung in den Ländern sehr unterschiedlich definiert. Übergreifende Gemeinsamkeiten ergaben sich in der Beobachtung, dass diejenigen, die als integriert gelten können und neben der betrieblich gewerkschaftlichen Ebene auch politisch partizipierend aktiv sind, als nicht anfällig für den Rechtspopulismus gelten können.
Als letzter Referent in diesem Block stellte Klaus Kraemer vom FIAB die vorläufigen Ergebnisse eines dort angesiedelten Forschungsprojektes in fünf Thesen vor: 1. Prekäre Beschäftigung als systematische Benachteiligung kann desintegrierend wirken; 2. Desintegrationserfahrungen gehen mit Reintegrationsbemühungen der Betroffenen einher, d.h. prekäre Beschäftigung wird auch als Chance zur Reintegration gesehen; 3. Die Prekarisierung strahlt auf die „Zone der Normalarbeit“ aus, die Übergänge und Abstufungen hier sind fließend; 4. Die damit verbundene Diffusion der Prekarisierungsängste gewinnt an Bedeutung: Integration erfolgt nicht länger über Teilhabe/Partizipation, sondern über Disziplinierung und Ungewissheit; 5. Der damit geschaffene neue Integrationsmodus begünstigt ausgrenzende Integrationsnormen und hier findet sich eine Öffnung gegenüber rechtspopulistischen Angeboten. Die Norm der Selbstdisziplinierung wird auf andere, vor allem die Migranten, übertragen. Somit sei nicht nur die Desintegration, sondern auch die geschilderte spezifische Form der Integration ein Hintergrund der rechtspopulistischen Einstellungen.
Die Debatte der Referate kreiste insbesondere um die Frage, wie autonom der rassistische Diskurs ist, bzw. wie weit er an gesellschaftlich soziale Problemlagen geknüpft ist. Klaus Dörre stellte die Frage, was genau unter Integration zu verstehen sei und ob es sich beim Rechtspopulismus nicht gerade um eine Reintegrationsideologie handele.
Gewerkschaftliche Gegenstrategien –
Gewerkschaftliche
Bildungsarbeit
Angelo Lucifero von ver.di-Thüringen stellte zwei konkrete Beispiele gewerkschaftlicher Aktionen vor, deren Ergebnis eben auch in einer Immunisierung gegen die vom Rechtspopulismus betriebene rassistische Sozialneidkampagne gegen MigrantInnen besteht. So ging es bei der Arbeit mit Wachmännern genauso wie bei der Bürgerinitiative gegen Billiglohn um die Selbstermächtigung und das eigene Handeln der Betroffenen, die die Verantwortung für ihre Situation nicht länger bei einer schwächeren Gruppe, den MigrantInnen, abladen. Fehlendes Selbstbewusstsein, fehlende Widerstandskultur und ein auch von der Gewerkschaft gefördertes Stellvertreterdenken sind für Lucifero wichtige Probleme.
Malte Meyer von der Universität Köln und Mitarbeiter des Siren-Projektes schloss sich mit einer Kritik am Umgang der IG-BAU mit dem Problem der ausländischen Beschäftigten auf deutschen Baustellen an. So habe man in den letzten Jahren verstärkt rechtsextremistische Tendenzen auf den Baustellen feststellen können. Zwar sei der Rassismus als Problem auch von der Gewerkschaft begriffen worden, die vor allem auf Kontrolle und Zusammenarbeit mit der Polizei gerichtete Strategie habe aber die Wahrnehmung der Migranten als Problem nur verstärkt. Die von Meyer empfohlene Organisierung der Migranten durch die Gewerkschaft und die Orientierung auf vorhandene soziale Bewegungen statt auf die Polizei wurden in der Diskussion als zu plakativ zurückgewiesen. Da die Dumpingkonkurrenz eine Realität sei müsse die Gewerkschaft auf europäischen Mindeststandards bestehen, um so ihr Klientel zu schützen.
Michaela Dälken (DGB Bildungswerk Düsseldorf, Bereich Migration), Petra Wlecklik (IG Metall Bildungszentrum Sprockhövel) und Julika Bürgin (DGB Bildungswerk Thüringen) beleuchteten abschließend Möglichkeiten und Grenzen antirassistischer Bildungsarbeit in den Gewerkschaften. Dälken stellte dabei das Service-Angebot im Internet vor, wo man unter der Adresse www.migration-online.de Infos von der Betriebsvereinbarung bis hin zu good-practice-Beispielen finden kann. Wlecklik hob hervor, dass nur die Kontinuität antirassistischer Bildungsarbeit Wirkungen erzielen könne, es sich hierbei also um keine Feuerwehraufgaben handeln dürfe. Antirassismus müsse als Querschnittsaufgabe der Bildungsarbeit begriffen werden. Bürgin verdeutlichte in ihrem engagierten Beitrag die Grenzen und Gefahren gewerkschaftlicher Bildungsarbeit. Diese werde, so etwa beim Thema Rassismus, als Notnagel begriffen, an die man die Probleme delegiere. Antirassistische Bildung unterliege dabei oft der Gefahr, die soziale Realität aus den Augen zu verlieren: Der Blick richte sich auf die Individuen um sie zu verändern, nicht die Verhältnisse. Da die Gewerkschaften gegenwärtig keine konkrete gesellschaftliche Alternative anzubieten hätten, schlage sich dieses Problem auch in der Bildungsarbeit nieder, die bei der Forderung nach einem besseren Denken der Mitglieder stehen bleibe, aber keine Angebote für ein besseres Handeln machen könne.