Mit knapp 55 Prozent lehnten die Franzosen Ende Mai, mit 62 Prozent die Niederländer im Juni 2005 den EU-Verfassungsvertrag ab. Nur wenig später setzte die britische Regierung das für Anfang 2006 geplante Referendum aus. Die polnische Regierung folgte. Auf dem EU-Gipfel am 17. und 18. Juni verordneten die Staats- und Regierungschefs der EU eine einjährige „Denkpause“, in der neu darüber nachgedacht werden solle, wie der Verfassungsvertrag den Bürgerinnen und Bürgern näher zu bringen sei.[1] Zugleich ließ man danach aber noch die Parlamente von Zypern und Malta den Verfassungsvertrag ratifizieren, um die Zahl der Mitgliedstaaten, die den neuen EU-Vertrag bereits ratifiziert haben, zu erhöhen. In Luxemburg war längere Zeit unklar, wie man verfahren würde. Das Referendum war für Juli geplant, allerdings stieg in den Umfragen beständig der Prozentsatz der Ablehnenden. Da Ministerpräsident Jean-Claude Juncker sein eigenes Schicksal an den Ausgang des Referendums geknüpft und für den Fall einer Ablehnung seinen Rücktritt angekündigt hatte, erhöhte sich der Druck, der vom Referendum auf die Bevölkerung ausging. Letztlich beschloss man, beim ursprünglichen Zeitplan zu bleiben, und die Verfassung wurde am 10. Juli mit 56 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen. Allerdings durfte jener erhebliche Teil der in Luxemburg arbeitenden Bevölkerung sich nicht an der Abstimmung beteiligen, der keinen luxemburgischen Pass besitzt. Ingesamt bestätigte das Luxemburger Ergebnis eher, was sich bereits in der Analyse des französischen Nein gezeigt hatte: Auch in Luxemburg votierten Arbeiterinnen und Arbeiter mit über 50 Prozent mit Nein, wie auch junge Erwachsene unter 30 mit über 60 Prozent. Umfragen zeigten zudem das überraschende Ergebnis, dass nur 17 Prozent derjenigen, die mit Ja votiert hatten, dies wegen des Verfassungsvertrages getan hatten, die anderen hatten andere Gründe angeführt. Hingegen hatten über 70 Prozent der Neinsager ihre Ablehnung mit dem Verfassungsvertrag begründet. Fazit der bisherigen Referenden bleibt, dass das Misstrauen und die Skepsis sich gegenüber dem Projekt des Verfassungsvertrags noch verfestigt haben.
Nach Auffassung von EU-Kommission und -Regierungen soll den Bürgerinnen und Bürgern der EU-Verfassungsvertrag nichtsdestotrotz schmackhaft gemacht werden. Hierzu gibt es unterschiedliche Überlegungen: Zum einen soll hierfür erklärtermaßen eine bessere „Kommunikationsstrategie“ sorgen. Zum anderen stehen jedoch auch Überlegungen im Raum, eine Strategie der vollendeten Tatsachen zu schaffen, wie es das von der Bertelsmann-Stiftung finanzierte Münchener CAP-Institut vorschlägt. Frei nach dem Motto, soweit wie möglich Regelungen des Verfassungsvertrages in die Wirklichkeit umzusetzen, um anschließend in den Abstimmungen darauf verweisen zu können, dass hier doch nur etwas ratifiziert werden solle, was es ohnehin bereits gebe.
Ein Bereich, bei dem diese Strategie insbesondere angewandt werden soll, ist die Sicherheits-, Militär- und Rüstungspolitik. Hier sind auch im Verfassungsvertrag die meisten Neuerungen im Vergleich zum Vertrag von Nizza zu finden. Diese Bestimmungen dienen dem Zweck, die EU fit zu machen, um künftig als globaler Akteur auch militärisch agieren zu können und so den weltweiten Einfluss der Union zu verstärken.
EU – größter Rüstungsexporteur
Am 29. Juni 2005 fand in Brüssel ein Hearing der Linksfraktion (GUE/NGL) des EU-Parlaments statt, in dem unter der Themenstellung „Rüstungsexporte in der Europäischen Union – eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit?“ der Frage nachgegangen wurde, welche Rolle in diesem Zusammenhang Rüstungsexporte spielen. In seiner Eröffnungsrede wies der parteilose, auf der Liste der PDS ins EU-Parlament gewählte Europaabgeordnete Tobias Pflüger darauf hin, dass die EU mit der Erweiterung um zehn neue Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004 zum weltweit größten Exporteur von Rüstungsgütern - noch vor den USA – geworden ist. Auch schon in den Jahren von 1994 bis 2001 hätten die großen Rüstungsexportnationen der EU, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Schweden, mehr als ein Drittel aller Rüstungsexporte weltweit auf sich vereinigen können. Rüstungsexportpolitik habe nunmehr für die EU insgesamt einen gestiegenen Stellenwert für die Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik der EU und der Mitgliedstaaten der EU.
Als ein Hauptproblem benannte Pflüger, dass es zwar jedes Jahr einen Rüstungsexportbericht der EU gebe, aber bisher keinen rechtsverbindlichen Verhaltenskodex. Bei EU-Rat und EU-Kommission sei auch keine Bereitschaft zu erkennen, Schritte in diese Richtung zu gehen. Die zu erkennende Entwicklung, eine Harmonisierung der europäischen Rüstungsmärkte anzustreben, sei ausgesprochen problematisch, da dies auch für Rüstungsexporte in der EU einen weiteren Schub bedeuten könne. So habe bei einer Anhörung von Binnenmarkt- und Verteidigungsausschuss des Europäischen Parlaments ein Vertreter der französischen Rüstungsindustrie das Volumen des EU-Rüstungsmarktes auf rund 44 Mrd. Euro beziffert. Pflüger zufolge muss von einem Oligopolisierungsprozess in der Europäischen Union gesprochen werden. Einige wenige Anbieter würden in der Zukunft den Markt beherrschen, aufgeteilt nach den verschiedenen Rüstungssparten.
Herman Schmid, Soziologieprofessor in Dänemark und ehemaliger schwedischer Abgeordneter der Linksfraktion, wies in seinem Überblick über die EU-Waffenexporte darauf hin, dass die EU vor allem in so genannte Entwicklungsländer exportiere. Seien es früher vor allem konventionelle schwere Waffen gewesen, so würden heute vor allem elektronische High-Tech-Waffen ausgeführt. Neu sei, dass die großen EU-Länder jetzt Rüstungsexportallianzen schmiedeten – gerade auch zusammen mit den kleineren Mitgliedsstaaten. Es entwickelt sich in den Worten Schmids „so etwas wie ein transnationales Rüstungsexportregime auf EU-Ebene“. Schmid betonte in diesem Zusammenhang, dass die Vergabe von Entwicklungshilfe zunehmend mit der Verpflichtung zum Kauf europäischer Waffen verknüpft werde. Die EU-Ebene übernehme dabei eine makelnde Rolle und dränge auf die Harmonisierung der Rüstungsmärkte. Diese offensive Rüstungsexportstrategie der EU-Mitgliedstaaten spiele sich „unter der Dominanz der US-Rüstungsindustrie“ ab. Allerdings würden „US- und EU-Rüstungsindustrie mehr kooperieren als dass sie gegeneinander kämpfen“. Schmid wies darauf hin, dass es zwischen der politischen und wirtschaftlichen Seite der Entwicklung der Rüstungsindustrie eine zunehmende Diskrepanz gibt. Bisher sei die politische Seite dominant. Dies würde sich jetzt wegen der Verlagerung militärischer Aktivitäten in Drittländer ändern. So sei verglichen mit anderen EU-Mitgliedstaaten nur noch in Frankreich ein großer staatlicher Sektor und eine stärkere politische Kontrolle der Rüstungsindustrie vorhanden. Insgesamt aber gebe es nicht nur die Tendenz zu einer weiteren Konzentration der Rüstungsindustrie, sondern auch zu einer weiteren Privatisierung in der Europäischen Union. Diese Entwicklung werde u. a. durch die zunehmende Verknüpfung militärischer und ziviler High-Tech-Produktion vorangetrieben.
Rüstungsexporte der BRD
Lühr Henken, Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag, der sich seit Jahren intensiv mit den deutschen Rüstungsexporten beschäftigt, stellte in seinem Beitrag die deutsche Rüstungsexportpraxis in den „Kontext der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Als diesbezüglich herausragendes Ereignis im letzen Jahr nannte Henken die Debatte um die Aufhebung des Waffenembargos gegenüber der Volksrepublik China. Hintergrund dieser Debatte sei die Tatsache, dass China 2004 zum zweitwichtigsten Handelspartner der EU aufgestiegen und umgekehrt die EU der größte Handelspartner Chinas sei. Henken wies darauf hin, dass die chinesische Führung schon 2003 festgehalten habe, dass mit der Aufhebung des Embargos die Hindernisse für eine größere bilaterale Kooperation in der Rüstungsindustrie und -technologie beseitigt werden könnten. Auf Seite der EU sei hingegen versichert worden, dass eine Aufhebung des Embargos nicht bedeute, dass Waffenexporte aus europäischen Ländern nach China ermöglicht würden, da es ja den Verhaltenskodex der EU für Rüstungsexporte gäbe, der Lieferungen in Spannungsgebiete und auch in Länder verbietet, wo die Interessen befreundeter Staaten und Verbündeter beeinträchtigt werden könnten.
In seinem Beitrag wies Henken auch darauf hin, dass das von der inzwischen abgewählten rot-grünen Regierung vermittelte Bild, mit Rüstungsexporten restriktiver zu verfahren als die Kohl-Regierung, nicht zutrifft. So habe die Kohl-Regierung von 1996 bis 1998 Genehmigungen für insgesamt 2,479 Mrd. EUR in Drittländer erteilt, im Jahresdurchschnitt 826,4 Mio. EUR. Schröder und Fischer hätten es hingegen „von 1999 bis 2003 auf insgesamt 5,085 Mrd. EUR“ gebracht. Dies entspreche einem Jahresdurchschnitt von 1,017 Mrd. EUR und damit einem Anstieg von 23 Prozent.
Bei so genannten Kleinwaffen sei die Bilanz für rot-grün noch verheerender. Unter der rot-grünen Regierung habe sich 2003 der Export von Kleinwaffen (ohne Jagd und Sportwaffen) in Drittländer im Vergleich zum Vorjahr auf 8,6 Mio. EUR verdoppelt und damit den höchsten Wert seit 1996 erreicht. Henken machte darauf aufmerksam, dass nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes mit Kleinwaffen 95 Prozent aller Kriegsopfer weltweit getötet werden. Deutschland gehöre beim Rüstungsexport zu den Spitzenreitern, wie die Statistiken des Stockholmer Internationalen Instituts für Friedensforschung (SIPRI) zeigten. Deutschland liege weltweit auf Platz 4 der Rüstungsexporte und in der EU nach Frankreich und vor Großbritannien auf dem zweiten Platz. Dies betreffe die deutschen Rüstungsexporte 2004 und die Summe der fünf Jahre von 2000 bis 2004. Exemplarisch lasse sich an der aggressiven neuen deutschen Exportförderungsstrategie ablesen, worum es eigentlich gehe. So ziele die Absicht von Bundeskanzler Schröder, das Waffenexportverbot gegen China aufzuheben und mit den Vereinigten Arabischen Emiraten eine strategische Partnerschaft – auch in Rüstungsangelegenheiten – zu pflegen, vor allem darauf ab, die deutschen Waffenexporte auszuweiten.
Henken ging in seinem Beitrag auch auf die Rüstungsexportkontrollmöglichkeiten ein und problematisierte die bundesdeutsche Kontrollpraxis, die manchen in der EU als vorbildlich gilt. In der Realität jedoch sind, so Henken, die Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten ausgesprochen begrenzt: So tagt zum einen das Entscheidungsgremium für die brisanten Fälle, der Bundessicherheitsrat, in geheimer Sitzung. Eine parlamentarische Beteiligung im Genehmigungsprozess sei kategorisch ausgeschlossen. Darüber hinaus hätten die potentiell einschränkenden nationalen und europäischen Richtlinien keinen rechtsverbindlichen, sondern lediglich deklaratorischen Charakter. Zum dritten stelle der von der rot-grünen Bundesregierung eingeführte Rüstungsexportbericht zwar einen notwendigen, jedoch nur einen kleinen Schritt zu mehr Transparenz dar. Der Rüstungsexportbericht habe massive Mängel und sei nur als ungenügend zu bezeichnen. Seine Veröffentlichung komme zu spät, ebenso die parlamentarische Behandlung. So sei der Rüstungsexportbericht für das Jahr 2003 erst im März 2005 im Bundestag behandelt worden. Er habe ausschließlich Entscheidungen dokumentiert, die bereits lange zurücklagen.
Die Europäische Verteidigungsagentur
Nach der umfassenden Analyse des Kontextes, in dem die gegenwärtigen Rüstungsexportpraxis verläuft, ging der anschließende Beitrag der Frage nach, inwiefern die neue Europäische Verteidigungsagentur (EDA), die in der Verfassung vertraglich verankert werden soll, allerdings schon jetzt im Rahmen einer Regierungsvereinbarung auf den Weg gebracht wird, an der Förderung von EU-Rüstungsexporten beteiligt ist (nebenbei: bis zum Sommer 2004 firmierte die EDA im EU-Verfassungsvertrag noch als Europäische Rüstungsagentur). Christopher Steinmetz, Mitarbeiter des Berliner Instituts für Transatlantische Studien (BITS), berichtete, dass eines der wichtigsten Arbeitsfelder der EDA darin besteht, für die so genannte Versorgungssicherheit im Militärbereich der EU zu sorgen. Eine ihrer Kernaufgaben bestehe in diesem Zusammenhang darin, zwischen den einzelnen Akteuren – den Nationalstaaten und den Rüstungskonzernen der verschiedenen Länder – Vertrauen zu schaffen. Ein anderer Schwerpunkt der EDA liege in der Forschung und Entwicklung von Rüstungsgütern sowie in der Gewährleistung eines allgemeinen Know-How-Transfers auf diesem Gebiet. Als Beispiele wurden die von Frankreich initiierte Entwicklung von Aufklärungsdrohnen sowie eine gemeinsam von Großbritannien, Frankreich und Schweden auf den Weg gebrachte EU-Rakete genannt. Auch gebe es Bestrebungen, die existierenden Raumfahrtzentren zu fusionieren. Dies alles werde zur Folge haben, dass grenzüberschreitender Technologietransfer im Rüstungssektor innerhalb der Europäischen Union zukünftig völlig unnachvollziehbar sein werde. Die Rüstungsagentur sei mit der Ausarbeitung eines Verhaltenskodex beauftragt worden, der zur Öffnung der nationalstaatlichen Rüstungsgüterbeschaffung und der Rüstungsmärkte beitragen soll. In diesem Sinne sei man auch mit der Erarbeitung einer neuen Kategorie sichtsicherheitsrelevanter Güter beschäftigt, die in Zukunft aus dem rein nationalstaatlichen Rüstungsmarkt ausgeklammert werden sollten. Dies geschehe, um Beschaffungsprozesse anzuschieben. Hierfür sei es dann wie selbstverständlich notwendig, die Rüstungsexportstandards insgesamt abzusenken. Nach Ansicht von Steinmetz lässt sich ohne Zweifel feststellen, dass die Rüstungsagentur einen Beitrag zur Absenkung von Exportkontrollen leistet. Daher sei unschwer zu prognostizieren, dass die nationalstaatlichen Exportkontrollbehörden als Teil dieses Prozesses in den nächsten drei bis vier Jahren weiter „verschlankt“ würden. Die EDA bestimme die Spielregeln der Zusammenarbeit zwischen den rüstungsproduzierenden Mitgliedstaaten der EU. So sei diese jetzt für die Umsetzung des „letter of intent“ der sechs größten Rüstungsproduzentenländer von 1998, verantwortlich. Dieses Rahmenabkommen solle Technologietransfers im Rüstungsbereich erleichtern. In der Konsequenz soll es, so Steinmetz, zudem globale Pauschalgenehmigungen für Rüstungsexporte geben, so dass nicht jeder einzelne Rüstungsexport ein Genehmigungsverfahren durchlaufen muss.
Als besonders problematisch bezeichnete es Steinmetz, dass bereits im Vorfeld einer Rüstungskooperation festgelegt werden soll, wohin exportiert werden soll und kann. Eine so genannte weiße Liste soll diese Festlegung vertraglich fixieren. Diese Liste könne dann nur noch verändert werden, wenn ein Bürgerkrieg im Empfängerland ausgebreche. Für die Umsetzung der Regelung sei die EDA verantwortlich. Als weiteren problematischen Aspekt im Hinblick auf Rüstungsexporte hob Steinmetz die Verantwortlichkeit der EDA für die direkte Kooperation mit Drittstaaten im Bezug auf Beschaffungs- und Forschungsvorhaben hervor. So sei es beispielsweise möglich, dass bei Rüstungsprojekten zwei Mitgliedstaaten die Infrastruktur der EDA nutzten und einen Drittstaat mit in die Kooperation einbezögen. Zu diesen Drittstaaten zählten neben Norwegen, was weniger umstritten sei, jedoch auch die Türkei, die USA und Russland, was in diesem Kontext alles andere als unproblematisch sei. Kriterien für die Ausgestaltung der Kooperation fehlten völlig. Als weiteren kritischen Punkt stellte Steinmetz die Förderung der Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung sowie den Einsatz von Geldern der EU-Kommission für sicherheitsrelevante Forschung heraus. Damit würde über Kooperationsabkommen langfristig eine Proliferation von Rüstungs-Know-How mit EU-Geldern auf den Weg gebracht. Nach Ansicht von Christopher Steinmetz nicht belegbar ist dagegen die quantitative Steigerung von Rüstungsexporten durch die Rüstungsagentur. Selbstverständlich aber erleichtere sie das Management von solchen Rüstungsexportvorhaben. Als Fazit seiner Untersuchungen formulierte er, dass der strukturelle Einfluss der EDA auf das Exportverhalten von Rüstungsgütern nachhaltig werden würde und dass die Rüstungsexportförderung insbesondere auch durch den Ausgleich von Interessen zwischen den Nationalstaaten und ihren Rüstungsindustrien durch die EDA vorangetrieben werde. Die EDA werde nichts daran ändern, dass sich die Rüstungsindustrie auch künftig diejenigen Länder für die Endmontage ihrer Produkte aussuchen werde, aus denen am leichtesten exportiert werden könne. Die angestrebte Förderung des innereuropäischen Rüstungsgüterhandels trage automatisch zur Exportförderung bei.
Tobias Pflüger, der auch Koordinator der Linksfraktion im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des EU-Parlaments ist, ergänzte abschließend, dass die EDA sich seit dem Scheitern des EU-Verfassungsvertrages in einem „halb rechtsfreien Raum“ befindet. Im Auswärtigen Ausschuss habe er bisher keine Antwort auf die Frage erhalten, auf welcher Grundlage die Rüstungsagentur derzeit eigentlich arbeite. Dies gelte auch für die Frage ihrer Finanzierung. Um Rechtssicherheit für die EDA zu erreichen, hätten führende europäische Rüstungsunternehmen auch im Vorfeld der Unterzeichung des Verfassungsvertrags durch den EU-Rat in der Bundesrepublik in ganzseitigen Zeitungsanzeigen für eine verfassungsvertragliche Verankerung der Rüstungsagentur geworben. Ein erster Vorgeschmack auf das, was zu erwarten sei, wenn über die EDA Rüstungsforschungsprogramme koordiniert und initiiert wird, sei die Einstellung einer Summe von 1 Mrd. Euro jährlich für Sicherheits- und Rüstungsforschung in den EU-Haushalt ab 2007. Damit entstehe ein versteckter Rüstungshaushalt, den keiner mehr kenne, geschweige denn kontrollieren könne.
Der EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte
In einem weiteren Beitrag befasste sich Ottfried Nassauer, Leiter des Berliner Instituts für transatlantische Sicherheit (BITS), mit dem EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte (Code of Conduct). In diesem Kontext ging er auch auf die Rüstungsfinanzierung und einige in diesem Zusammenhang auffällige Merkwürdigkeiten des Haushaltsrechts der Bundesrepublik ein. Dieses Haushaltsrecht verpflichtet offenbar die Bundesregierung, alte Waffen zu verkaufen bzw. für den Fall, dass ein Verkauf nicht möglich ist, sie an diejenigen abzugeben, die sie kostenlos abholen. Nassauer forderte, endlich damit aufzuhören, „Waffen wie Nähmaschinen zu behandeln“. Die entscheidende Frage sei, ob Waffenexporte als ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik zu betrachten seien. Für Frankreich und Großbritannien seien Rüstungsexporte selbstverständlich ein Instrument nationaler Machtpolitik. In der BRD sei dies ebenfalls so, allerdings nur versteckt, da niemand auf Regierungsseite es derzeit wagen würde, dies öffentlich zu sagen. Hingegen hätten Rüstungsexporte für Finnland und Dänemark beispielsweise nur eine industriepolitische Funktion. Gerade auch deshalb sei die Debatte auf europäischer Ebene außerordentlich kompliziert. Nassauer sprach sich für eine umfassende Diskussion über diese Thematik aus, gerade auch „weil sie auf der Regierungsebene bisher nicht geführt worden ist“.
So sei beim EU-Gipfel am 17. und 18. Juni 2005 ausschließlich vom Scheitern der Finanzplanung der EU und der erklärten „Denkpause“ für den EU-Verfassungsvertrag die Rede gewesen. Dass auf dem Gipfel auch der EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte (Code of Conduct) hätte überarbeitet und „modernisiert“ werden sollen, dieses Vorhaben jedoch ebenfalls scheiterte, weil kein Konsens erzielt werden konnte, sei gegenüber der Öffentlichkeit überhaupt nicht thematisiert worden. Grund dafür, dass keine Beschluss gefasst und somit kein neuer Verhaltenskodex verabschiedet wurde, seien die Unstimmigkeiten zwischen den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten gewesen. So sei es zu keinerlei Einigung gekommen: weder über den einleitenden Text, noch zu den Bestimmungen eines überarbeiteten Verhaltenskodex, noch zur Ergänzung zum Text unter dem Stichwort „Toolbox“ (Werkzeugkasten). Diese Toolbox sollte der EU Instrumente an die Hand geben, wie für den Fall der Aufhebung eines Waffenembargos gegen ein Land im Anschluss die Folgen kontrolliert werden könnten.
Nach Ansicht Nassauers ist es genau diese Kombination von einem überarbeiteten Code of Conduct und der Toolbox gewesen, die das Scheitern verursacht hat. Schröder und Chirac, die für eine Aufhebung des Waffenembargos eingetreten seien, hätten auf die mit der Toolbox gegebenen Kontrollmöglichkeiten verwiesen, andere Staaten jedoch hätten China grundsätzlich kein positives politisches Signal geben wollen. Konsequenz der gescheiterten Vereinbarung sei, dass die EU sich weiter mit dem alten Verhaltenskodex von 1998 behelfen müsse. Man dürfe nun gespannt sein, ob die Koppelung von Verhaltenskodex und Toolbox auch in der Zukunft aufrechterhalten werde und ob die Überarbeitung des EU-Verhaltenskodexes zum Opfer der Auseinandersetzung um das China-Embargo werde.
Nassauer betonte jedoch, dass mit dem Scheitern eines neuen Verhaltenskodices auch eine Chance verknüpft sei. Denn „der Entwurf des neuen Verhaltenskodex sei gegenüber dem alten nicht soviel besser“. Es wäre deshalb sinnvoll, jetzt die Zeit für Diskussionen über eine wirkliche Verbesserung des Verhaltenskodex zu nutzen, da der derzeitige Vorschlag mehr Anpassungen an die momentane Praxis als wirkliche Kontrollverbesserungen bringe. Forderung an einen zukünftigen Kodex müsse hingegen sein, dass auch die Proliferation von Waffen sowie die Dual-Use-Richtlinie der EU stärker Berücksichtigung finde. Wichtig sei gerade, dass der Kodex, der nur politisch, nicht jedoch rechtlich bindend sei, auch in rechtlich bindenden Dokumenten Erwähnung finde, wie z. B in der Dual-Use-Richtlinie der EU. Deshalb sei der Verhaltenskodex auch mehr als ein rein politisches Versprechen. Es entstehe so ein „Verhaltensregime“: Was man eigentlich brauche, so die Sicht von Nassauer, sei allerdings eine EU-Rüstungsexportrichtlinie. Der Verhaltenskodex selbst habe eine „gemischte Geschichte“. In der Tat habe er zu mehr Transparenz in etlichen der EU-Staaten beigetragen, aber dennoch sei er weiterhin „verbesserungsnotwendig“.
Abschließend skizzierte Nassauer einige Ideen, wie ein verbesserter Umgang mit dem Code zu erreichen sei. Als Verbesserung gegenüber dem alten Kodex müsse es auf der Ebene der Implementierung beispielsweise darum gehen, das Menschenrechtskriterium über die Entscheidung, ob sich ein Empfängerland an das humanitäre Kriegsvölkerrecht halte, hinaus zu qualifizieren. Weiter müsse die politische Verbindlichkeit dringend erhöht werden. Dazu bedürfe es nicht unbedingt einer rechtlichen Verbindlichkeit des Verhaltenskodex. Nassauer regte an, auch zu schauen, an welchen Stellen EuGH-Entscheidungen auf den Verhaltenskodex bezogen werden könnten.
Nassauer zufolge besteht ein weiteres Problem darin, dass in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren die Militär- und Sicherheitsforschung immer mehr zusammenwachsen wird: Eine Trennung zwischen beiden Bereichen werde immer unschärfer, was auf das angeblich veränderte Verhältnis von innerer und äußerer Sicherheit zurückzuführen sei. Zudem sei heute in der Tendenz ein immer stärkerer Transfer von ziviler in militärische Technik spürbar und nicht umgekehrt, was ebenfalls Folgen für den Verhaltenskodex und die EU-Dual-Use-Richtlinie habe.
Bezug nehmend auf Nassauers Bemerkung, dass Rüstungsexporte sich angesichts der wirtschaftlichen Situation erhöhten und dass Kanzler Schröder Rüstungsexporte nach China als Wirtschaftsförderungsmaßnahme sehe, bedauerte die PDS-Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht, dass aus zeitlichen Gründen leider nicht mehr näher auf das grundlegende Problem eingegangen werden könne, „wie wirtschaftliche Krisenprozesse Rüstungsexporte und eine Orientierung darauf stimulieren“. Für die Zukunft seien deshalb weitere Veranstaltungen der Linksfraktion geplant, die sich mit diesen und anderen Aspekten der Thematik näher befassen würden.
Die Initiatoren des Hearings wollen eine öffentliche Debatte über die Thematik anregen; die Beiträge des Hearings sollen auf einer eigenen website zugänglich gemacht werden: http://armsexport.twoday.net.
[1] Vgl. Andreas Wehr, Das Publikum verlässt den Saal. Europa ohne Verfassung, in: Z 63 (September 2005), S. 147 ff.