Zum mittlerweile dritten Mal fand die Herbstakademie des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) in der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein bei Berlin statt. Sie wurde in Kooperation mit dem AStA der FU Berlin veranstaltet von der Forschungs- und Informationsstelle (FIB) beim BdWi, Helle Panke zur Förderung von Politik, Bildung und Kultur e.V. und der Rosa Luxemburg Stiftung,. 2003 stand „Kritische Wissenschaften“, 2004 das „Subjekt im Neoliberalismus“ im Zentrum. Diesmal widmete sich der BdWi dem Thema „Hegemonie und Kritik im Neoliberalismus“.
Zentraler theoretischer Bezugspunkt der Vorträge und Diskussionen war die Staatstheorie des italienischen Marxisten und KP-Gründers Antonio Gramsci. Seine Konzeption des Staates als „Hegemonie gepanzert mit Zwang“ war Ausgangspunkt mehrerer Kontroversen. Durch die ganze Tagung zog sich die Frage, ob der Neoliberalismus schon hegemonial sei oder „nur“ dominant. Letztere Auffassung vertrat Alex Demirovic (Uni Frankfurt), der damit nicht die Mehrheitsmeinung der Anwesenden repräsentierte, aber seine Ansicht mit stichhaltigen Beispielen begründete. Frigga Haug (ehem. HWP Hamburg) stellte dar, wie die Zielsetzungen der Frauenbewegung in einer „passiven Revolution“ (Gramsci) aufgenommen und ihres systemkritischen Inhalts entleert wurden. Christoph Görg (Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle) setzte sich mit der Frage globaler Hegemonie auseinander, wobei er der allgemeinen Annahmen über eine Hegemonie (in Gramscis Sinn) der USA widersprach. Zum Neoliberalismus gibt es aus seiner Sicht gegenwärtig kein starkes globales Gegenprojekt.
Bereits im Eröffnungsvortrag von Iris Nowak war die Rolle der Intellektuellen thematisiert worden, Prozesse in der Gesellschaft zu organisieren, in denen kohärente Lernerfahrungen ermöglicht werden. Hieran anknüpfend kritisierte Tilmann Reitz „den Medienintellektuellen im Neoliberalismus“ als im Grunde antiintellektuell, antipolitisch und hauptsächlich feuilletontaugliche Sprüche produzierend. In der Debatte wurden die unterschiedlichen Intellektuellenkonzepte von Sartre und Foucault konfrontiert. Im Anschluss folgte eine anregende Podiumsdiskussion mit Alex Demirovic, Uwe Hirschfeld, Torsten Bultmann sowie Tilman Reitz über die Aufgaben und Möglichkeiten kritischer Intellektueller heute. Nach Demirovic besteht eine Aufgabe der intellektuellen Kämpfe darin, die Logik der Repräsentation überhaupt zu zerstören; mit Gramsci gesprochen müsse man die Möglichkeit erkämpfen, von niemandem regiert zu werden. Die Dialektik des Intellektuellen bestünde demnach darin, eine Denkweise zu entfalten, die seine eigene Position überflüssig macht. Tilman Reitz vertrat die These, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht auf die StellvertreterInnenposition der Intellektuellen verzichtet werden könne, während Uwe Hirschfeld dazu anspornte, einen kritischen Alltagsverstand bei den Menschen zu aktivieren.
Seine Ausführungen setzte Demirovic in seinem Vortrag fort, an dessen Schluss er einige Eckpunkte eines radikalen Gegenprojektes zu den herrschenden Verhältnissen skizzierte. Wichtig sei nicht zuletzt, die Eigentumsfrage wieder stärker zu stellen und die Tatsache zu betonen, dass und wie die Menschen verstärkt ausgebeutet würden.
Parlamentarismuskritik und Parteiform waren u.a. Themen der zweiten Podiumsdiskussion: Dabei stellte Wolf Dieter Narr die Form-Frage heraus, die für Parteien oft Elitenzirkulation bedeutet. Rainer Rilling ging der Frage nach, warum der absehbare Abstieg der CDU bei einigen WählerInnenschichten für die Linkspartei hoch relevant sein könne, und beklagte eine fehlende Tradition der Selbstreflektion und Parlamentarismuskritik. Nach seiner Einschätzung rekrutiere sich die Linkspartei aus einem „sozialdemokratischen, einem links-sozialdemokratischen und einem nicht-sozialdemokratischen Flügel“, wobei letzterer recht zersplittert sei.
Nach der äußerst positiven Kritik der TeilnehmerInnen darf man auf die nächste Herbstakademie gespannt sein. Auch dieses Jahr wird im Argument Verlag ein Reader mit überarbeiteten Texten der Tagung erscheinen.