Gewerkschaften und Friedensfrage
Die Friedensfrage ist ein »hochemotionales, aber auch schwieriges Thema«, so die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi bei einer Videokonferenz im Februar des Jahres. Dabei verstehen sich die Gewerkschaften jedoch weiterhin als fester Teil der Friedensbewegung.
Die Kongresse von IG Metall und ver.di im vergangenen Herbst haben die gleiche Aussage getroffen. Nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und der daraufhin ausgerufenen »Zeitenwende« war und ist das nicht selbstverständlich. Bei der medialen Überflutung mit Geschrei nach Waffen, Aufrüstung und Abschreckung, bei der öffentlichen Verächtlichmachung der Friedensbewegung sollten wir diese klare Positionierung nicht unterschätzen!
Gleichzeitig wollten sich die Gewerkschaften öffentlich und aktiv in die »sicherheitspolitische Diskussion« einschalten. Im Aufruf zum Anti-kriegstag 2023 wird »vor der einseitigen Fixierung der Debatte auf Waffenlieferungen« und einem »Denken in den Kategorien Sieg oder Niederlage« gewarnt und die Bundesregierung zu diplomatischen Anstrengungen aufgefordert. Ähnliches war zu lesen im DGB-Aufruf zu den Ostermärschen. Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall erklärte in der »Zeitung gegen den Krieg«: »Mit einem neuen konventionellen und atomaren Rüstungswettlauf, der für Kriegsgerät verschlingt, was für einen gerechten Frieden gebraucht wird, ist der Friede im 21. Jahrhundert nicht zu sichern.
Für diesen Frieden gilt es auch heute zu streiten.« Dabei wurden in den Aufrufen der Friedensbewegungen vor Ort zu den Kundgebungen Positionen vertreten, die nicht mit der Beschlusslage der Gewerkschaften übereinstimmen, beispielsweise eine eindeutige Ablehnung der Waffenlieferungen an die Ukraine. Gewerkschaftsvertreter/ innen sprachen auf verschiedenen Kundgebungen, in Stuttgart beispielsweise die stellvertretende ver.di-Landesleiterin.
Das ist aber leider auch die einzige Form, in der sich die Gewerkschaftsvorstände in die öffentliche Diskussion um »Kriegstüchtigkeit«, um eine neue Sicherheitsstruktur in Europa und der Welt einbringen. Es sei denn, wir werten das unsägliche gemeinsame Papier von SPD(!)-Wirtschaftsforum, dem »Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie« und der IG Metall als ein Einmischen in diese Diskussion – was es in gewisser Weise aber auch ist. Die Ironie ist dabei: dieses Vorgehen, offenbar maßgeblich betrieben vom 2. Vorsitzenden Kerner, regt die Diskussion in der IG Metall an, nach dem diese Diskussion auf dem Gewerkschaftstag nur recht kurz war (im Gegensatz zu einer etwa sechsstündigen Diskussion beim ver.di-Kongress).
Viele Gewerkschaftsmitglieder sind unzufrieden mit dem fehlenden öffentlichen Eingreifen in die Diskussion um »Sicherheitsfragen«, und so fordern z.B. einige Tausend Mitglieder von ihren Vorständen in einem Offenen Brief, sich »unüberhörbar für Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit« einzusetzen: »Wir fordern unsere Gewerkschaften und ihre Vorstände auf, den Beschlüssen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden! Die Gewerkschaften müssen sich laut und entschieden zu Wort melden und ihre Kraft wirksam machen: gegen Kriege und gegen Aufrüstung!« Verschiedene ver.di-Bezirksvorstände haben ähnlich Aufforderungen an ihren Bundesvorstand geschickt.
Auch in den Gewerkschaftspublikationen für ihre Mitglieder findet das Thema nicht statt, allenfalls in wenigen Leserbriefen. Stattdessen gibt es in der ver.di publik eine ständige Kolumne einer ukrainischen Journalistin (»update Ukraine«), die ihren Artikel in Heft 1/2024 mit „Ein Krieg für Jahrzehnte“ überschrieb, und immer wieder einen Sieg über Russland propagiert – Begriffe wie »Waffenstillstand«, »Friedensgespräche«, »Verhandlungen« kennt sie offenbar nicht.
Natürlich gibt es Gegenwind, wenn sich die Gewerkschaften öffentlich positionieren – nicht nur in der politischen und medialen Öffentlichkeit, sondern auch von Mitgliedern. Nicht alle lehnen das 100 Mrd.-Aufrüstungsprogramm oder die Festlegung von Rüstungsausgaben auf 2% des BIP ab, wie es die Gewerkschaftstage – auch des DGB – beschlossen haben. Und auch die Ansicht, dass es nicht um »Sieg« oder »Niederlage« der Ukraine gehen darf, sondern um einen möglichst schnellen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen, um mehr Diplomatie, löst bei manchen heftigen Widerspruch aus. Aber diese Diskussionen müssen geführt werden: Wie können die Gewerkschaften Verhandlungsmöglichkeiten unterstützen? Wie soll es weitergehen, wenn der Krieg irgendwann beendet sein wird? Eine bis an die Zähne bewaffnete NATO als Abschreckungsmacht »gegen Putin«? Oder eine Europäische Friedensordnung unter Einschluss von Russland, wie es in den 1980er Jahren von sozialdemokratischen Politikern wie Olof Palme und Bruno Kreisky propagiert wurde? »Frieden schaffen mit immer mehr Waffen« – kann das der Weg sein? Und müssen wir nicht nur über eine europäische, sondern auch über eine weltweite Friedensordnung sprechen – nicht zuletzt angesichts des verbrecherischen Kriegs von Israel gegen Gaza, aber auch angesichts anderer weltweiter Kriegs- und Krisenherde? Was haben bundesdeutsche Fregatten im Südchinesischen Meer zu suchen?
Wenn Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Instituts, sagt, dass die Alternative Kanonen oder Butter heißt, dann dürfen die Gewerkschaften – im Interesse ihrer Mitglieder, der arbeitenden Bevölkerung – dazu nicht schweigen. Dass die Aufrüstungspolitik zu Sozialabbau führt, lässt sich nicht verdrängen durch den Hinweis, es könnte ja beides gehen, wenn die Schuldenbremse aufgehoben würde… Und auch im Hinblick auf die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst im kommenden Jahr muss diese Verbindung hergestellt werden.
Wenn die Gewerkschaften als gesellschaftlicher und politischer Faktor Ernst genommen werden wollen, müssen diese Themen angepackt werden. Und nicht nur auf unteren Ebenen wie bei der Gewerkschaftlichen Friedenskonferenz von Rosa-Luxemburg-Stiftung und ver.di-Bezirk Stuttgart am 14./15. Juni im Stuttgarter Willi-Bleicher-(Gewerkschafts-)haus!
Norbert Heckl
Türkei: Rückkehr der CHP?
Das Ergebnis der Kommunalwahlen in der Türkei am 31. März 2024 war höchst überraschend: Zum ersten Mal in der Ära der AKP und überhaupt seit 1977 wurde die von Mustafa Kemal Atatürk gegründete Republikanische Volkspartei (CHP) die stärkste Partei des Landes. Die AKP hingegen erlitt ihre bisher schwerste Wahlniederlage. Niemand hatte mit einem solchen Ergebnis gerechnet, zumal Erdoğan als Präsidentschaftskandidat und das AKP-geführte Regierungsbündnis noch vor zehn Monaten trotz der schwersten Wirtschaftskrise des Landes seit 2000/01 und des schlimmsten Erdbebens in der Geschichte der modernen Türkei die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 unter den gegebenen Umständen relativ leicht gegen die Opposition gewonnen hatte. Wie lässt sich dieser erstaunliche Wandel innerhalb von zehn Monaten erklären?
Der erste Grund ist die zunehmende elektorale Erosion der AKP seit 2018, die die wachsende Unzufriedenheit der AKP-Wählerschaft widerspiegelt: Dabei geht es in erster Linie um die wirtschaftliche Situation, aber auch um die zunehmende soziale Polarisierung, die ausufernde Korruption, die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Politisierung der Religion. Die meisten unzufriedenen Wähler haben sich bisher anderen Parteien des regierenden Blocks zugewandt. Gleichzeitig bleibt Erdoğan selbst noch vergleichsweise wenig betroffen von der elektoralen Erosion seiner Partei.
Die Erosion wird nun insbesondere durch die wirtschaftliche Situation verstärkt. Die Auflösung der AKP-Wählerschaft spiegelt sich zum einen in der Zunahme von Enthaltungen und ungültigen Stimmen wider. Sie zeigt sich aber auch im anhaltenden Aufstieg der einst völlig unbedeutenden islamistischen Splitterpartei YRP. Dies mag den Niedergang der AKP bei den Wahlen erklären helfen. Aber wie erklärt sich dann der kometenhafte Aufstieg der republikanischen CHP? In Ankara und Istanbul war die erfolgreiche Kommunalpolitik der CHP in den letzten fünf Jahren das Schlüsselelement, das die bereits aufgeweichte Polarisierung zwischen den pro-AKP- und anti-AKP-Blöcken in diesen Städten weiter zu Gunsten der CHP verschoben hat. Dies ist der zweite Grund für das Wahlergebnis. In Istanbul und Ankara ist deutlich zu erkennen, dass die CHP auch Stimmen aus dem Regierungsblock für sich gewinnen konnte und damit die Barrieren der politischen Polarisierung teilweise durchbrochen hat.
Ein dritter Grund für das Wahlergebnis ist die faktische Fortführung des 2018 gegründeten großen Oppo- sitionsbündnisses von unten – allerdings durch die Wähler*innen, nicht die Parteiführer*innen – und seine teilweise Unterstützung durch den linken Oppositionsblock. Das war keineswegs vorherzusehen. Beide Oppositionsbündnisse, das bürgerliche und das linke, lösten sich im Anschluss an die Wahlniederlage 2023 auf. Im Gegensatz zu den Kommunalwahlen 2019 zogen schließlich alle Parteien des CHP-geführten Bündnisses und weitestgehend auch des linken Bündnisses mit eigenen Listen in den Wahlkampf.
Doch trotz der Demoralisierung der Oppositionswählerschaft spiegelte sich weder dies noch die Spaltung der Opposition in den Wahlergebnissen wider. Ganz im Gegenteil: Die Wähler*innen des ehemals größten Oppositionsbündnisses stimmten fast durchweg für die CHP und straften den Opportunismus der einzelnen anderen Parteien ab. Die Kurd*innen unterstützten die CHP im Westen und ihre eigene Partei im Osten. In Kurdistan hat die Entscheidung der linken, pro-kurdischen DEM (ehemals HDP), fast überall eigene Kandidaten aufzustellen, zu starken Ergebnissen geführt und zur Rückgewinnung vieler Provinzen.
Ähnliches wie für die bürgerliche Opposition galt auch für linke und sozialistische Parteien: Dort, wo sie sich in kleinliche Machtspiele und Opportunismus verstrickten und das »große Ganze« – die Zurückdrängung des herrschenden Blocks – zugunsten des eigenen Wahlerfolges ignorierten, wurden sie abgestraft. Dort jedoch, wo Linke und sozialistische Kräfte zusammenarbeiteten, um eine realistische Alternative zur AKP (und CHP) zu bil- den, konnten sie manchmal sogar gewinnen oder Achtungserfolge erzielen. Warum vor allem der erste und zweite Grund nicht dazu geführt hatten, dass das AKP-geführte Regierungsbündnis und Erdoğan als Präsidentschaftskandidat im Mai 2023 verloren haben, ist eine sehr wichtige Frage. Dies hat mehrere, primär politisch-konjunkturelle Gründe.
Im Mai 2023 setzen die Wähler*innen des Regierungsblocks erneut ihre Hoffnungen auf das Regierungsbündnis. In der Zwischenzeit hatte sich aber die wirtschaftliche Situation der Mehr- heit der Bevölkerung nicht verbessert. Die in die AKP investierten Hoffnungen wurden enttäuscht. Außerdem sind die Kommunalwahlen offener für Abweichungen von bekannten Trends und elektorale »Testversuche«, da sie nicht über die zentralen Institutionen des Landes entscheiden. Daher ist die Polarisierung bei Kommunalwahlen weniger stark ausgeprägt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Kombination verschiedener Faktoren zu den Wahlergebnissen am 31. März 2024 geführt hat. Alle diese Einzelfaktoren zusammengenommen hätten aber auch zu nur relativ geringen Veränderungen führen können, wie es bei den Kommunalwahlen 2019 der Fall war. Dass es dieses Mal zu größeren Verschiebungen kam, hat viel mit der Hegemoniekrise im Land zu tun, die die sozialen Widersprüche verschärft und unvorhersehbare Sprünge und Brüche ermöglicht.
Das wahlpolitische Verschwinden kleiner rechter, rechtsextremer und islamistischer Oppositionsparteien zeigt eindrucksvoll, dass Opposition auch ohne sie möglich ist. Es widerlegt auch die liberale These, dass man es allen recht machen muss, wenn man die AKP besiegen will. Das Wahlergebnis zeigt, dass in einem günstigen konjunkturellen Klima prinzipiell eine überzeugende Alternative entstehen und das Alte absterben kann. Aber die CHP hält an einem eklektischen Programm fest, das Demokratisierung, neoliberale Restauration und Rechtsentwicklung gleichermaßen enthält. Sie ist daher wie bisher so auch heute keine Alternative.
Für die Linke eröffnen sich ähnliche Chancen wie für die CHP. Ihre wenigen Wahlerfolge zeigen, dass sich die Linke durch erfolgreiche Praxis und Strategie auch elektoral verankern kann. Die Wähler*innen der Opposition haben gezeigt, dass es einen starken Willen zur Veränderung gibt; die sozialen Kämpfe gehen unvermindert weiter; Großveranstaltungen wie der 8. März und Newroz, das kurdische Frühlingsfest, haben in diesem Jahr sogar eine deutlich stärkere und militantere Beteiligung erfahren. Um weitere Erfolge zu erreichen, muss sich die Linke jedoch von kleinlichem Kalkül lösen: Sie muss für ihre Perspektiven kämpfen, ohne das große Ganze und die Errichtung einer Gegenhegemonie aus den Augen zu verlieren.
Alp Kayserilioğlu
Mehr Bundeswehr an Schulen
Das Aufrüstungsprogramm des deutschen Staates schreitet fast ungebremst voran: Geld stellt kein Problem mehr dar (»Unterfinanzierung« war ohnehin seit jeher ein Mythos), und in Politik und Militärkreisen gibt es mittlerweile bereits Stimmen für ein erhöhtes Sondervermögen von 300 Milliarden Euro. Die industriellen Kapazitäten der Rüstungsindustrie sollen durch Subventionen und Wachstumspläne ausgebaut werden. Nun trifft die Militarisierung jedoch auf eine ganz andere, ebenfalls materielle Barriere: Es fehlt am Kanonenfutter.
Trotz der vielfach ausgesprochenen Absicht, die Truppenstärke auf 203.000 zu erhöhen, stagnieren die Personalzahlen auch 2024 bei 182.000 und nahmen Anfang des Jahres sogar leicht ab. Die Zahl der Personen, die ihren Wehrdienst vorzeitig abbrechen, verfünffachte sich 2022 als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine. Auch außerhalb der Truppe steht es schlecht um die Kriegsmoral: In einer repräsentativen Statista-Umfrage gaben 2023 nur fünf Prozent der Befragten an, im Kriegsfall freiwillig Wehrdienst leisten zu wollen, und weitaus mehr würden versuchen, ihr Leben so gut es geht weiter zu führen oder das Land so schnell wie möglich zu verlassen.1 Insbesondere junge Menschen wollen ihr Leben nicht für den Staat und sein Heer aufs Spiel setzen, was auch in der mehrheitlichen Ablehnung der Wehrpflicht bei den 18-30-Jährigen, die unmittelbar von ihr betroffen wären, zum Ausdruck kommt. Was in der noch immer auf Kriegskurs befindlichen Mainstream-Presse eine Welle der moralischen Empörung auslöste, gibt Militärs schon seit Jahren zu denken. Diskurse um eine angeblich zu pazifistische, zu verweichlichte Nachkriegsgesellschaft finden in der aktuellen Debatte um die vermeintliche »Friedensdividende« und die von ihr verwöhnte Bevölkerung ihr Echo.
Während Björn Höcke vor einigen Jahren noch Spott und Kritik für die Aussage erntete, Deutschland müsse »seine Männlichkeit wiederentdecken«, besteht aktuell größtenteils parteiübergreifende Einigkeit: Kriegstüchtigkeit, Opferbereitschaft und Tapferkeit sind Tugenden, die von staatlichen Institutionen wieder gefördert werden müssen. Und wo besser ansetzen als bei denen, die noch jung und beeinflussbar sind, sprich den minderjährigen Schüler*innen? Diese Zielgruppe wird von der Bundeswehr schon seit Jahren ins Visier genommen: Social-Media-Angebote von YouTube-Serien bis hin zu Snapchat-Filtern prägen den digitalen Raum, während aufwendige Multimedia-Kampagnen mit Plakaten über Wochen alle bundesdeutschen Städte oder sogar Pizzakartons zieren. Hinzu kommt eine längst etablierte und normalisierte Präsenz der Bundeswehr auf Jobmessen, die für Schüler*innen oft verpflichtend sind. Kein Mensch in der BRD wird heutzutage 18 Jahre alt, ohne auf die eine oder andere Art und Weise mit der Option konfrontiert worden zu sein, sich für die Bundes- wehr rekrutieren zu lassen.
Angesichts solcher Formen militärischer Subjektivierung verwundert es wenig, dass der Anteil der 17-Jährigen bei der Bundeswehr 2023 anstieg. Trotzdem bleibt die Zahl der Neurekrutierungen deutlich hinter den Wünschen zurück, weshalb die Werbeanstrengungen nun noch einmal deutlich intensiviert werden sollen. Allein die Finanzmittel zu Zwecken der Nachwuchsgewinnung wurden 2024 auf 58 Millionen Euro erhöht – im Vergleich zu »nur« 35 Millionen im Vorjahr.
Hier reihen sich auch die aktuellen Bemühungen ein, die Präsenz der Bundeswehr an den Schulen deutlich zu erhöhen. Diese wird seit Jahren durch extra für diesen Zweck ausgebildete Jugendoffiziere gewährleistet. Auch wenn offene Werbung für die Bundeswehr an Schulen gesetzlich untersagt ist, stellt die vermeintlich neutrale Darstellung von militärpolitischen Fragen oder ihrer Tätigkeit in der Bundeswehr für Schüler*innen de facto eine solche Werbung dar. Durch Begegnungen mit Soldat*innen soll deren Wirken schon früh präsent gemacht und normalisiert werden. Deswegen stehen die Jugendoffiziere auch jetzt schon in der Kritik, etwa seitens der GEW, gegen den Beutelsbacher Konsens zu verstoßen, der eine freie Meinungsbildung in der Schule vorschreibt. Aktuelle politische Vorstöße, wie beispielsweise der Wehrbeauftragten Eva Högl oder der bayrischen Landesregierung gehen so weit, die Anzahl der Auftritte von Militärs an Schulen drastisch zu erhöhen bzw. Schulen zur Kooperation mit der Bundeswehr zu verpflichten. Bisher haben nur einzelne Bundesländer Kooperationsverträge mit der Bundeswehr, und die Initiative für derartige »Bildungsveranstaltungen« gehen oft von den Schulen selbst aus. Ein vereinheitlichtes Vorgehen im ansonsten vertretenen Bildungsföderalismus wird für erstrebenswert gehalten.
Auch jenseits der direkten Präsenz der Bundeswehr an Schulen werden Stimmen für eine pädagogische Militarisierung im Allgemeinen lauter: So sorgte der Vorschlag von Bildungsministerin Stark-Watzinger (FDP), an den Schulen Zivilschutzübungen für den Kriegsfall zu veranstalten, für viel Diskussion und Kritik seitens der GEW. Erziehungswissenschaftler Hermann J. Abs attestiert demokratiepädagogischen Handbüchern eine veraltete Affirmation von Frieden und sieht die Pädagogik in der Aufgabe, »die Todesbereitschaft von Soldat*innen als Beispiel für die menschliche Möglichkeit, den Wert des eigenen Lebens nicht absolut zu sehen«, zu vermitteln. Ein Autor der Österreichischen Militärischen Zeitschrift (ÖMZ) sinnierte jüngst, ob Clausewitz-Lektüre in der Mittelstufe die nötigen Kriegswerte vermitteln könnte.
Angesichts des Verhältnisses der Ausgaben für Bildung (21,5 Mrd. Euro) und Militär (ca. 86 Mrd. Euro) im aktuellen Haushaltsplan sowie des Modernisierungsbedarfs diverser Bildungseinrichtungen könnte der Alltag an deutschen Schulen in der Zeitenwende künftig trist aussehen: Er könnte bedeuten, sich im noch immer maroden Klassenzimmer von Jugendoffizier oder Lehrer*in (sofern dies der Personalmangel zulässt) sagen zu lassen, dass das eigene Leben angesichts staatlicher Interessen nicht allzu viel Bedeutung habe. Kritische Initiativen von Schüler*innen und Lehrer*innen lassen jedoch hoffen, dass die genannten Entwicklungen auf Widerstand stoßen und die Militarisierung der Schulen nicht kampflos hingenommen wird.
Jonas Uphoff
1 »Umfrage zur Einsatzbereitschaft im Angriffsfall in Deutschland im Februar 2023« Statista Research Department 01.03.2024.