Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus der Bundesrepublik heute

von Bettina Gutperl/Kerstin Wolter
Dezember 2019

Trotz formaler Gleichheit vor dem Gesetz und eines institutionalisierten Feminismus, inklusive Gender Mainstreaming[1] etc., werden Frauen in vielen Bereichen noch immer ungleich behandelt. Sicher gibt es heute einige Frauen, die an der Spitze von Unternehmen und Politik mehr Vermögen und politischen Einfluss haben als Männer. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder BMW-Aufsichtsrätin Susanne Klatten stehen beispielhaft für die Riege aufsteigender Frauen in Deutschland. Und ihre Zahlen steigen. So beeindruckend diese Entwicklung ist, so sehr steht sie im Kontrast zur bestehenden Ungerechtigkeit, die die große Mehrheit der Frauen bis heute erfährt. Die gesellschaftliche Schlechterstellung von Frauen zieht sich durch alle Bereiche: Politik, Wirtschaft, Recht, Religion, Sprache, Sexualität und vieles mehr. Auf diese Ungerechtigkeiten wollen wir beispielhaft im folgenden Text anhand empirischer Daten eingehen. Dabei schauen wir uns die Geschlechterverhältnisse in verschiedenen Lebens- und Arbeitsbereichen an. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben wir nicht, sondern verstehen diesen Beitrag als Blitzlicht auf die Geschlechterverhältnisse in Deutschland. Die empirischen Daten zeigen trotz andauernder Ungerechtigkeiten, dass Frauen in den vergangenen 100 Jahren eine beeindruckende Emanzipationsgeschichte vollzogen haben und heute an vielen Orten erneut ausstehende Rechte und Gleichheit erstreiten.

Uns ist bewusst, dass die ostdeutsche Geschichte und die migrantische Perspektive grundsätzlich nicht abgetrennt in eigenen Kapiteln zu behandeln sind, sondern dass die Geschlechterfrage mit der migrantischen und der Klassenfrage verwoben ist und die ostdeutsche Geschichte viel zu häufig in der gesamtdeutschen Geschichte unerwähnt bleibt. Um der migrantischen und ostdeutschen Perspektive einen besonderen Stellenwert zu geben, haben wir uns dennoch für eigene Kapitel entschieden.

1. Frauen in der Lohnarbeit

Die kapitalistische Produktionsweise beruht darauf, dass Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um überleben zu können. Dabei wird nach Karl Marx der Wert ihrer Arbeitskraft wie bei jeder anderen Ware durch die Zeit bestimmt, die für ihre Produktion und Reproduktion nötig ist. Im Unterschied zu anderen Waren ist die Arbeitskraft jedoch in der Lage, ein Mehrprodukt und somit Mehrwert zu produzieren – also mehr zu produzieren als für die Reproduktion notwendig ist. Dieser Mehrwert wird vom Kapitalisten abgeschöpft, um daraus Profit zu schlagen. Es liegt also im Interesse des Kapitals, die Arbeitskraft der Arbeiter zu erhalten, die Kosten für ihre Erhaltung – ihre Reproduktion – jedoch so gering wie möglich zu halten. Das hat zur Folge, dass noch heute Reproduktionsarbeit entweder unentlohnt im Privaten verrichtet wird oder, sofern privatwirtschaftlich oder staatlich organisiert, verhältnismäßig schlecht entlohnt wird. Aufgrund der historisch gewachsenen geschlechtlichen Arbeitsteilung wird den Frauen der Großteil der entlohnten und nicht entlohnten Reproduktionsarbeit zugewiesen, obwohl heute 75,8 Prozent der Frauen in Deutschland erwerbstätig sind (Eurostat 2019a). Die schlechtere Entlohnung von Frauen zieht sich durch fast alle Bereiche. In Deutschland verdienen sie 21 Prozent weniger als Männer (Eurostat 2019b). Bei gleicher Qualifikation und im gleichen Beruf sind es immer noch 6 Prozent.

1.1 Prekäre Arbeit

Arbeit und Armut haben in Deutschland in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Die Zunahme von Leiharbeit und befristeten Arbeitsverhältnissen prägt das Bild. Auch der Anteil der Erwerbstätigen in Teilzeitjobs hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Mehr als ein Viertel aller Lohnarbeiter_innen sind in Teilzeitjobs beschäftigt (Eurostat 2019a). Das ist angesichts von Löhnen, die ein Normalarbeitsverhältnis von 40 Stunden voraussetzen, schon für sich eine bedenkliche Entwicklung. Ziehen wir zusätzlich die Kategorie Geschlecht heran, ergibt sich ein differenziertes Bild, denn nur 9,3 Prozent der Männer befinden sich in Teilzeitjobs, aber 46,7 Prozent der Frauen (ebd.). Damit ist Deutschland im europaweiten Vergleich noch nicht einmal Spitzenreiter. In den Niederlanden arbeiten fast drei Viertel aller Frauen in Teilzeitverträgen (ebd.). Interessant wird es auch, wenn wir uns die Gründe anschauen, die die Erwerbstätigen für ihre Teilzeittätigkeiten angeben. Während nur 29,4 Prozent der Männer mit Kindern aufgrund ihrer Sorge- und Erziehungsverantwortung in Teilzeit arbeiten, sind es bei den Frauen mit Kindern 77,6 Prozent (WSI 2018a). Insgesamt geben 49,2 Prozent der Frauen und 10,9 Prozent der Männer Sorge- und Erziehungstätigkeiten als Grund für Teilzeitarbeit an. Hier zeigt sich, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung, aufgrund derer die Frauen den Hauptteil der Reproduktionsarbeit übernehmen, dazu führt, dass sich viele Frauen in prekäre Lohnverhältnisse begeben.

1.2 Wo arbeiten Frauen?

Hinzukommt, dass Frauen häufig in Branchen arbeiten, in denen die Löhne ohnehin vergleichsweise niedrig sind. 27,2 Prozent der Frauen arbeiten im Niedriglohnbereich, 15,8 Prozent der Männer (Statistisches Bundesamt 2014). Verhältnismäßig schlecht entlohnt wird u.a. auch der Pflege- und Erziehungsbereich. Der Anteil von Frauen in der Altenpflege beträgt 84 Prozent (Bundes-agentur für Arbeit 2019a). Ähnlich sieht es in den Erziehungsberufen aus: 94 Prozent des pädagogischen Personals in Kindertagesstätten sind Frauen (Bundes-agentur für Arbeit 2019b). Dabei haben beide Berufszweige zwei Dinge gemeinsam: sie werden verhältnismäßig schlecht entlohnt und erfahren gesellschaftlich geringe Anerkennung. Eine besonders schwere Form der Ausbeutung von Frauen in Pflegeberufen findet im wachsenden Bereich der 24-Stunden-Pflege durch im Haushalt lebende Pflegekräfte statt. Diese stammen zu einem großen Anteil aus Polen oder anderen osteuropäischen Ländern und werden zumeist über Agenturen vermittelt, die keine Gewähr für die Einhaltung von Mindestlohn und Arbeitszeiten bieten. Das führt dazu, dass die Pflegekräfte oft kaum noch zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden können und quasi als 24-Stunden-Arbeitskraft eingesetzt werden (Hans Böckler Stiftung 2017: 97).

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu den Werten und Konflikten in der deutschen Wählerschaft macht in Bezug auf die Kategorie Geschlecht interessante Andeutungen. Die Studie teilt die Deutschen in 9 Milieus ein und kommt zu dem Ergebnis, dass DIE LINKE vor allem im „engagierten Bürgertum“, in der „kritischen Bildungselite“, der „desillusionierten Arbeitnehmermitte“ und unter den „missachteten Leistungsträgern“ überproportional punkten konnte. In den beiden letzteren Milieus sind Frauen überproportional vertreten (Kahrs 2018).

1.3 Folgen ungleicher Verteilung von entlohnter und nicht
entlohnter Arbeit

Wenn man dann noch hinzuzählt, dass über die Hälfte der Erzieher_innen in Teilzeit arbeiten, wirkt sich dies weiter negativ auf die Höhe der Einkünfte aus und später auf die Rente. So hat die ungleiche Verteilung der entlohnten und nicht entlohnten Sorgearbeit weitreichende Folgen für die Sicherung im Alter. Schon heute können wir sagen: Altersarmut ist weiblich. Laut einer 2017 erschienen Studie der Bertelsmann-Stiftung wird die Armutsrisikoquote unter Rentnerinnen von heute 16,2 auf 27,8 Prozent im Jahr 2036 ansteigen. Mehr als jede vierte Frau wird dann in Altersarmut leben (im Vergleich zu jedem fünften Rentner) (Bertelsmann Stiftung 2017).

2. Reproarbeit im privaten Bereich

Dass die Beschränkung des Arbeitsbegriffs auf die Lohnarbeit unzureichend ist, wurde spätestens seit den 1970er Jahren im Zuge der theoretischen, meist marxistischen, Analyse der geschlechtlichen Arbeitsteilung immer wieder kritisiert (vgl. Federici 2012, Haug 2011, Mies 1996). Dabei bilden die für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft notwendigen fürsorgenden, Leben produzierenden und erhaltenden Tätigkeiten das Fundament der gesellschaftlichen Produktion. Frigga Haug spricht in diesem Zusammenhang von einem „marginalisierten Zentrum“, weil die Produktion des Lebens, obwohl so fundamental, „privat“ organisiert und unsichtbar gemacht wird (Haug 2017). Dieser reproduktive Bereich wird im Kapitalismus Frauen zugeschrieben. Sowohl vom Kapital als auch vom Staat wird Haus- und Fürsorgearbeit ein geringer(er) Wert zugeschrieben als der Produktion von Waren. So soll legitimiert werden, dass die Reproduktion billig bzw. unentlohnt stattfindet (Bock/ Duden 1977; Winker 2015). Damit verbunden ist die permanente (Wieder) herstellung bzw. Konstruktion eines bestimmten weiblichen Rollenbildes. Dieses weibliche Geschlechterbild wird dazu benutzt, die Zuständigkeit von Frauen für die Reproduktionsarbeit festzuschreiben. Zu diesem Rollenbild gehört die Erzählung, dass Frauen reproduktive Tätigkeiten aus Liebe zu anderen Menschen verrichten würden und von Natur aus gut dafür geeignet seien. So wird die Ausführung dieser Tätigkeiten zu einer Selbstverständlichkeit, die von Frauen gerne „gratis“ und ohne spezielle Qualifikation oder Vorkenntnisse gemacht werde bzw. gemacht werden könne (ebd.).

Sorgende Tätigkeiten werden im klassisch ökonomischen Sinne sowie in der marxistischen Theorie nicht als wertschöpfend und damit nicht als Ware gesehen, sondern „nur“ als Wert reproduzierend (vgl. Federici 2015). Parallel dazu verläuft die Trennung unserer Gesellschaft und unseres Lebens in zwei unterschiedlichen Sphären, die verschiedenen Funktionsweisen und Logiken unterliegen: Eine private und eine öffentliche Sphäre. Diese beiden Bereiche werden nicht mehr als historisch entstandene hinterfragt, sondern treten uns als selbstverständliche Gewissheiten gegenüber. Im weiblich konnotierten privaten Bereich findet unsichtbare, unbezahlte und gering anerkannte Reproduktionsarbeit statt, während im männlich konnotierten öffentlichen Bereich die Produktion in Form von Lohnarbeit angesiedelt ist. Die beiden Sphären spiegeln die geschlechtliche Arbeitsteilung im Kapitalismus wider (Bock/ Duden 1977; Winker 2015). Ziel marxistischer Feministinnen ist die Aufhebung dieser Trennung und die Kollektivierung aller anfallender Tätigkeiten (Federici 2015, Haug 2015).

2.1 Hausarbeit

Laut der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes von 2012/2013 – leider liegt keine aktuellere Erhebung vor – verrichten Frauen im erwerbsfähigen Alter 2,4-mal so viel unbezahlte Sorgearbeit und 1,6-mal so viel Hausarbeit wie erwerbstätige Männer. Im Schnitt leisten Frauen 3:19 Stunden Hausarbeit täglich, Männer dagegen 2:04 Stunden. In der Küche zum Beispiel sind Frauen sogar mehr als doppelt so lange pro Woche tätig wie Männer. Wenn Kinder hinzukommen, nimmt der Unterschied sogar noch zu (WSI 2017: 1ff).

Die Gesamtarbeitszeit von erwerbstätigen Männern und Frauen ist ähnlich, doch Männern (in Vollzeit) wird 73 Prozent ihrer Arbeit bezahlt und Frauen (in Teilzeit) lediglich 43 Prozent ihrer Gesamtarbeit (ebd.). Bemerkenswert ist auch, dass der Umfang der Hausarbeit, die von Frauen geleistet wird, vom Umfang ihrer Lohnarbeit abhängig ist. Bei Männern besteht dieser Zusammenhang kaum. Weitere Faktoren für den unterschiedlichen Umfang von geleisteter Hausarbeit sind der Haushaltstyp und die Anwesenheit bzw. Abwesenheit von Kindern (WSI 2017: 7). Vollbeschäftigte Frauen verausgaben z. B. 1,5-mal so viel Zeit für Hausarbeit wie vollbeschäftigte Väter. Teilzeitbeschäftigte Mütter, d.h. das Gros der Frauen mit Kindern, arbeiten täglich 1:48 Stunden länger im Haushalt als vollbeschäftigte Väter. Das sind 90 Prozent mehr Hausarbeit. Bei alleinerziehenden Vätern sieht das Ganze anders aus. Sie wenden einen ähnlich hohen Zeitaufwand bei der Hausarbeit auf wie alleinerziehende Mütter (WSI 2017: 7f).

Fragt man nach der Einkommensgruppe von Frauen und dem Zusammenhang mit geleisteter Hausarbeit, zeigt sich, dass alle Frauen mehr Hausarbeit leisten als Männer. Allerdings sinkt der Prozentsatz der geleisteten Hausarbeit mit steigendem Einkommen. Bei Männern besteht dagegen fast kein Unterschied in der verausgabten Zeit für Hausarbeit je nach Einkommensgruppe (ebd.).

2.2 Fürsorgearbeit

Im Durchschnitt aller erwerbstätigen Personen leisten Männer täglich 14 Minuten Fürsorgearbeit im Haushalt, Frauen täglich 34 Minuten. Das ist 2,4-mal so viel. Die Pflege von kranken oder alten Angehörigen leisten Frauen ebenfalls öfter, 2/3 der unentgeltlich Pflegenden sind weiblich (insgesamt 2,35 Millionen). Insgesamt ist die Geschlechterungleichheit im Bereich der Fürsorge-Tätigkeiten noch größer als bei der Hausarbeit. Gehören Kleinkinder zum Haushalt, steigert sich diese Ungleichheit noch weiter (WSI 2017: 9). In Vollzeit beschäftigte Mütter leisten täglich 22 Minuten mehr Fürsorgearbeit als vollbeschäftigte Männer und teilzeitbeschäftigte Mütter 46 Minuten mehr. Die meiste Fürsorgearbeit fällt in Haushalten mit unter sechsjährigen Kindern an. Hier ist auch die Geschlechterungleichheit besonders hoch – was die geschlechtsspezifische Übernahme der Arbeit angeht (ebd.).

Je nach Erwerbsumfang der Frauen variiert auch die geleistete Fürsorgearbeit. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Übernahme von Teilzeit- und Fürsorgearbeit. Teilzeitbeschäftigte Frauen leisten 5-mal so viel Fürsorgearbeit wie vollbeschäftigte Frauen. Dies verwundert nicht in Anbetracht der Tatsache, dass das Motiv für eine Teilzeitbeschäftigung vieler Frauen die Übernahme von Fürsorgeverantwortung für Kinder, Alte oder Kranke ist (WSI 2017: 9f).

Egal zu welcher Einkommensgruppe Frauen gehören, sie leisten immer mehr Fürsorgearbeit als Männer. Je niedriger jedoch die Einkommensgruppe des Mannes, desto mehr Fürsorgearbeit leistet er (ebd.).

3. Staat und Geschlecht

Mit der Analyse (wohlfahrts)staatlicher Politik kommt in den Blick, welche Funktion dem Staat bei der (Re)Produktion der Geschlechterverhältnisse, insbesondere der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung, zukommt (Scheele 2009). Ausgangspunkt dafür ist ein immer noch vorherrschendes bürgerliches, heteronormatives Familien- und Eheideal, in dem „die Frau“ für Kinder und Küche und „der Mann“ für die Erwerbsarbeit zuständig ist – unabhängig davon, ob dieses so überhaupt noch real existiert. Die Reproduktion von ungleichen Geschlechterverhältnissen durch den Staat leitet sich daraus ab, welche sozialen Rechte sich aus welchen staatlichen Maßnahmen für wen unter welchen Bedingungen ergeben (ebd.). Wohlfahrtstaatsforschung geht jedoch davon aus, dass die Sozial- und Familienpolitik in einem Land entlang der Relation von Staat, Markt und Familie historisch unterschiedlich organisiert wird (Esping-Andersen 1999, Orloff 1993).

3.1 Sozial- und Familienpolitik

Die derzeitige neoliberale Formation der Gesellschaft ist u.a. durch eine „Privatisierung und marktorientierte Reorganisation“ verschiedener Bereiche wie Gesundheit, Bildung sowie Betreuung und Pflege, die vorher öffentlich bzw. staatlich organisiert waren, geprägt (Demirovic et al. 2011). Die „(...) Auswirkungen der zunehmenden Privatisierung sozialer Versorgung und Absicherung infolge des Abbaus des Sozialstaates tragen zur Krise der Reproduktionsarbeit bei. Im Zuge der Privatisierung öffentlich-staatlich organisierter Betreuungs- und Pflegearbeit werden verstärkt Aufgaben in die Familien und individuelle Verantwortung verschoben. Zugleich ist aber die Reproduktion dieser sozialen Zusammenhänge (u.a. durch die Auswirkungen von Prekarisierung und verstärkten Belastungen durch Lohnarbeit) individuell und in den Familien oft nicht mehr ohne weiteres gewährleistet.“ (Demirovic et al. 2011, S.19f) Bürgerliche, wohlhabende Familien können sich von der Doppelbelastung Lohnarbeit und häusliche Arbeit „freikaufen“, indem sie ärmere Frauen, meist Migrantinnen, als gering entlohnte Hausarbeiterinnen beschäftigen. Reproduktive Tätigkeiten werden also immer weniger staatlich organisiert, sondern den Familien und/ oder dem Markt überlassen. Rechte und konservative Kräfte auf der einen Seite drängen massiv darauf, insbesondere die Familienpolitik wieder mehr ins Private zu verschieben, im Sinne der heteronormativen Kleinfamilie mit einem männlichen Ernährer und einer weiblichen Hausfrau, die sich um die Kinder kümmert. Neoliberale Akteure auf der anderen Seite plädieren dagegen massiv dafür, die Familienpolitik dem Markt zu überlassen und je individuelle Lösungen zu finden.

Zwei politische Maßnahmen sollen exemplarisch dargestellt werden, um ihre geschlechterpolitische Dimension zu veranschaulichen: Das Elterngeld und das Betreuungsgeld.

3.1.1 Elterngeld

Das 2007 von der Großen Koalition eingeführte Elterngeld wird häufiger und länger von Frauen bezogen als von Männern. Über 90 Prozent des Elternzeitvolumens entfällt auf die Mütter. Die Anzahl der Väter, die Elterngeld zumindest eine kurze Zeit in Anspruch nehmen, steigt laut WSI. Unter anderem hängt dies damit zusammen, dass die Höhe des Elterngeldes vom Einkommen vor der Geburt des Kindes abhängt. Daher erhalten44 Prozent der Väter 1.000 Euro oder mehr Elterngeld, allerdings nur 12 Prozent der Mütter (Scheele 2009: 177). Darüber hinaus profitieren Familien mit mittleren und höheren Einkommen u.a. dadurch mehr als Familien mit keinem oder niedrigem Einkommen, dass die Bezugsdauer von 24 auf 12 Monate gekürzt wurde und im Ergebnis weniger ausgezahlt wird. Insgesamt reiht sich die Gestaltung der Elternzeit in die Agenda 2010-Politik ein, da die kürzere Bezugsdauer zum Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt drängen soll (ebd.). Die (Wieder)Aufnahme einer Lohnarbeit nach der Elternzeit ist natürlich nicht per se abzulehnen – im Gegenteil. Aber unter den schlechten Bedingungen des Erwerbsarbeitsmarktes leiden überproportional Frauen. Als Stichworte seien Prekarität, Teilzeit, Niedriglohnsektor und Doppelbelastung genannt (ebd.).

3.1.2 Betreuungsgeld

2013 wurde das sogenannte Betreuungsgeld von der Großen Koalition unter der damaligen Familienministerin Kristina Schröder (CDU) eingeführt. Abwertend wurde diese politische Maßnahme „Herdprämie“ genannt. Eltern, die keinen Betreuungsplatz für ihr Kind nutzen wollten oder konnten, sollten Geldleistungen im Ausgleich dafür bekommen. Die Ministerin stellte dies als einen Zugewinn an Wahlfreiheit für Eltern dar. Davon konnte aber keinesfalls die Rede sein, denn die Maßnahme gab vielmehr Anreize dafür, dass Frauen die unbezahlte Fürsorgearbeit übernehmen, da sie meist weniger verdienen als „ihre“ Männer. Erschwerend kommt hinzu, dass gar nicht genügend Betreuungsangebote für Familien bestehen. In diesem Sinne hätte ein Ausbau der Betreuungsinfrastruktur einen tatsächlichen Gewinn an Wahlfreiheit bedeutet. Das Betreuungsgeld hat Geschlechterungleichheit und veraltete Rollenbilder somit verfestigt (Gerlach 2017).

4. Bildung und Qualifikation

In den 1960er Jahren begannen sich bessere schulische Leistungen von Mädchen auch in ihren Bildungsabschlüssen niederzuschlagen. Bereits in den 80er Jahren entsprach der Anteil von Frauen mit Abitur dem Bevölkerungsanteil von Frauen. In der DDR hatte diese Tendenz bereits zwei Jahrzehnte früher eingesetzt (Geißler 2014). Mittlerweile sind Frauen mit Abitur oder Fachhochschulreife sogar überrepräsentiert. Die Wirkung anderer Ungleichheitsfaktoren wie Klassenhintergrund oder Migrationsgeschichte hat sich nicht im selben Maß abgeschwächt.

Der Wandel an den Hochschulen war wesentlicher langsamer als an den Schulen. 1960 waren beinahe drei Viertel der Studierenden Männer. In den 80er Jahren lag der Frauenanteil bei ca. 40 Prozent, 1995 immer noch nur bei 44 Prozent. Erst 2012 machten Frauen etwa 50 Prozent der Studierenden aus (ebd.).

Aufschluss über die Geschlechterverhältnisse gibt auch die Studienfachwahl. Frauen wählen häufiger weiblich konnotierte Fächer wie Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Dagegen beginnen nur etwa 20 Prozent der Frauen ein Studium der Ingenieurwissenschaften oder etwa 34 Prozent ein naturwissenschaftliches Fach (ebd.).

Die Hochschule ist auch über die Studierenden hinaus von Geschlechterungleichheiten geprägt. Lediglich 20 Prozent der Professuren werden von Frauen besetzt. 27 Prozent der Habilitationen und etwa 40 Prozent der Promotionen werden von Frauen verfasst (Schlüter 2011). Problem ist, dass sich Frauen zwischen wissenschaftlicher Karriere und Familiengründung entscheiden müssen, da beides in dieselbe Lebensphase fällt. Hinzu kommt die hohe Anzahl von befristeten Stellen. In allen universitären Statusgruppen sind Frauen davon öfter betroffen.

Auch in den Hochschulräten sowie -leitungen sind Frauen mit etwa 20 Prozent unterrepräsentiert. Bei den Sekretärinnen dagegen, die an der Universität beschäftigt sind, liegt der Frauenanteil bei nahezu 100 Prozent (ebd.)

Ebenso schwierig gestalten sich die ungleichen Geschlechterverhältnisse bei der Berufsausbildung. Frauen wählen auch hier überproportional Berufsschulen, die zu Erzieherinnen, Kranken- und Altenpflegerinnen ausbilden – und das, obwohl diese Ausbildungen auf der einen Seite relativ zeitaufwendig und teuer sind und auf der anderen Seite später keine vergleichsweise guten Löhne versprechen (Geißler 2014). Daher verwundert es nicht, dass Frauen schon ein Jahr nach Ausbildungsende 14 Prozent weniger verdienen als Männer.

5. Wie Frauen sich politisch organisieren

5.1 Gewerkschaftliche Organisierung von Frauen

Den Gewerkschaften ver.di und der GEW ist es gelungen, in den vergangenen Jahren z.T. erfolgreiche Streiks durchzuführen und ihren Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern in diesen Bereichen zu erhöhen. Der damalige Vorsitzende von ver.di, Frank Bsirske, sagte 2015 in einem Interview, dass die Gewerkschaft durch die Streiks in den Kitas 20.000 neue Mitglieder gewinnen konnte (Frese 2015). Auch in den Krankenhäusern und anderen Bereichen des Dienstleistungssektors haben Streikauseinandersetzungen in den vergangenen Jahren zugenommen (Artus et al. 2017: 8). Während in Deutschland zwischen 2001 und 2005 94 Prozent aller streikbedingt ausgefallenen Arbeitstage auf die Industrie entfielen und lediglich 6 Prozent auf den Dienstleistungssektor, gingen zwischen 2011 und 2015 95 Prozent der Ausfalltage auf das Konto der Serviceleistenden (Institut der deutschen Wirtschaft 2017). In vielen Dienstleistungsberufen bilden Frauen die Mehrheit (Bundesagentur für Arbeit 2017). Das schlägt sich auch in der Mitgliedschaft der Gewerkschaften nieder. Fast Dreiviertel der Mitglieder der GEW sind Frauen (71,7 Prozent), in der IG Metall sind es lediglich 18 Prozent. Insgesamt nimmt die Zahl der Mitglieder in den Gewerkschaften ab – auch bei den Frauen. Dennoch hat sich ihr Anteil seit 1950 von 16 auf 32 Prozent verdoppelt. Allerdings ist der Organisationsgrad von Frauen heute immer noch relativ gering: nur 17,6 Prozent der weiblichen Vollzeitbeschäftigten und 15,0 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Mitglieder einer Gewerkschaft (Männer 25,3 bzw. 9,3 Prozent) (WSI 2018b). Besonders der hohe Anteil von Frauen in Teilzeitbeschäftigung und in prekären Arbeitsverhältnissen erschwert die gewerkschaftliche Organisierung. Hinzu kommt, dass Frauen auch unter Mandatsträger_innen unterrepräsentiert sind.

Bezieht man mit ein, dass Gewerkschaften bis in die späten 1960er Jahre vornehmlich eine Männerdomäne waren, sind die heutigen Zahlen beachtlich. Noch in den 1960ern waren in Westdeutschland mehr als 80 Prozent der DGB-Mitglieder Männer. Die Ursachen dafür liegen nicht nur in der geringen Erwerbsquote von Frauen (1961 waren weniger als die Hälfte der Frauen erwerbstätig), sondern in der primär auf das „Normalarbeitsverhältnis“ ausgerichteten Tarif- und Sozialpolitik, in der vom Mann als Familienernährer ausgegangen wurde (Statistisches Bundesamt 1985). Je höher der Anteil erwerbstätiger Frauen wurde, desto mehr stieg auch ihr Anteil in den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, beim dbb, der DAG und der HBV.

5.2 Frauen in Parteien und Bewegung

Seit der Einführung des Wahlrechts 1917 hat sich das Wahlverhalten von Frauen stark verändert. Haben Frauen zur Zeit der Weimarer Republik oder auch noch in den Nachkriegsjahren eher konservativ-christlich gewählt als Männer, hat sich dies seit den 1980er Jahren gewandelt, sodass Frauen heute „linker“ wählen als Männer (Fuchs 2018). Das heißt, sie haben beispielsweise in den 50er und 60er Jahren mehr die CDU gewählt, wählen heute jedoch mehr die Grünen und die SPD. Bei der LINKEN und der FDP gibt es kaum Unterschiede im Wahlverhalten (ebd.). Bemerkenswert ist, dass 40 Prozent von Trans- und Queerpersonen DIE LINKE im Wahlverhalten präferieren (ebd.). Interessant ist auch, dass seit 2005 wieder mehr Frauen als Männer die CDU wählen – also seit der ersten Kanzlerkandidatur von Angela Merkel (ebd.). Dass Frauen vor einigen Jahrzehnten noch konservativer wählten, leiten Studien von ihrer stärkeren religiösen Bindung, ihrer materiellen Lage bzw. der geringen Erwerbstätigkeit und der geringen Partizipation in der Politik ab (ebd.) Seit den 1980er Jahren, also nach 1968 und der seitdem stärker diskutierten Geschlechterungerechtigkeit sowie der steigenden Erwerbstätigkeit, hat sich dieses Verhältnis zu drehen begonnen. Besonders deutlich wird eine Geschlechterlücke (Gender Gap) bei der AfD. Bei der Bundestagswahl 2017 wählten 16,3 Prozent der Männer die AfD, von den Frauen waren es nur 9,2 Prozent (Bundeswahlleiter 2017).

Analog zum Wahlverhalten sieht es auch in der Mitgliedschaft in Parteien aus. So liegt der Frauenanteil unter den mehr als 30.000 Mitgliedern der AfD nur bei rund 15 Prozent. Am höchsten ist der Frauenanteil mit 40,5 Prozent bei den Grünen, der Anteil bei den LINKEN liegt bei 36,4 Prozent und bei der CSU bei 20,7 Prozent (Statista 2019). Während der Anteil von Frauen im Bundestag im Jahr 2013 seinen Höhepunkt erlebte, ist er mit dem Einzug der AfD im Jahr 2017 erstmalig wieder gesunken auf 30,7 Prozent.

Auch in den aktuellen sozialen Bewegungen lässt sich diese Tendenz erkennen. Während in solidarischen und ökologischen Bewegungen wie der Flüchtlingssolidarität und der Schüler_innenbewegung der Großteil der Aktiven Frauen sind[2], ist ihre Beteiligung auf den Pegida-Demos mit 26 Prozent eher gering (Institut für Demokratieforschung Georg-August-Universität Göttingen 2016). Zudem sind in Deutschland zunehmende Beteiligungszahlen an den Protesten für ein Recht auf Abtreibung oder am Internationalen Frauentag am 8. März zu beobachten. Grund für das neue Selbstbewusstsein der Frauen in den sozialen Bewegungen liegt möglicherweise in der heute hohen Erwerbstätigkeit, die die Frauen ökonomisch unabhängiger gemacht hat. In der BRD konnten Frauen auch erst seit 1977 ohne die Erlaubnis ihres Mannes einem Beruf nachgehen. Diese Selbstbestimmtheit seit 40 Jahren, verbunden mit weiteren Errungenschaften seit der Frauenbewegung der post-1968er könnte heute dazu beitragen, dass Frauen ihre Gleichstellung in vielen Bereichen nutzen – und auch gegen neue Angriffe von konservativen und rechten Parteien verteidigen. Letzteres wird in Deutschland noch weniger, aber international in den neuen, erstarkenden feministischen Bewegungen sichtbar.

6. Gewalt gegen Frauen

Trotz der Erfolge der vergangenen Jahrzehnte und der neuen Dynamik feministischer Bewegungen drückt sich die anhaltende Schlechterstellung von Frauen in der Gesellschaft auf grausamste Weise in Diskriminierung und Sexismus, in Missbrauch und Gewalt in der Familie, am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum aus. Jede dritte Frau in der EU hat körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren. Die Debatte um #metoo, angefangen bei sexuellem Missbrauch in der Filmbranche, hat diese Gewalt zuletzt öffentlichkeitswirksam sichtbar gemacht. Es fehlen systematische Analysen, doch es gibt Anzeichen dafür, dass geschlechterspezifische und insbesondere häusliche Gewalt in Zeiten ökonomischer Krisen zunimmt (Campbell 2013: 1089ff). 141 Frauen sind 2018 in Deutschland ermordet worden, nur weil sie Frauen sind (Bundeskriminalamt 2017). Statistisch erhoben wird das erst seit wenigen Jahren, einbezogen werden nur Paarbeziehungen. Transpersonen sind im besonderen Maße von Gewalterfahrungen betroffen (European Union Agency for Fundamental Rights 2014).

7. Frauen in Ostdeutschland

Auch wenn Frauen in der DDR nicht vollständig gleichberechtigt waren und den Großteil der Hausarbeit und der Kindererziehung erledigten, waren sie an vielen Stellen rechtlich und sozial besser gestellt als die Frauen in Westdeutschland. Sie gingen einer Erwerbsarbeit nach, führten Betriebe, erzogen Kinder und führten den Haushalt. In der DDR wurde der Grundsatz der erwerbstätigen Frau durch sozialpolitische Entscheidungen in vielen Bereichen verwirklicht, was sich bspw. am Ausbau von Kindergärten und -krippen oder in den verbesserten geschlechtsspezifischen Arbeitsstandards zeigte. Das blieb nicht ohne Folgen: 1989 waren in der DDR 91 Prozent der Frauen berufstätig (BMFSFJ 2015). In Westdeutschland waren es zur gleichen Zeit nur knapp die Hälfte.

Schätzungen zufolge haben in den ersten 5 Jahren nach der Wende 80 Prozent der Ostdeutschen zeitweise oder dauerhaft ihre Anstellung verloren (Windolf 2001: 392). Frauen traf es härter als Männer. 1994 waren doppelt so viele Frauen wie Männer erwerbslos (Falk 2005:145). Vor allem die Abwicklungen im produzierenden Gewerbe gingen in erster Linie zu Lasten der Frauen. Dies führte zu einer Maskulinisierung der Branche (ebd.: 152). Frauen migrierten in den Folgejahren zu Tausenden vom Osten in den Westen. Heute existieren Gegenden in Ostdeutschland, in denen ein Viertel mehr Männer leben als Frauen (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2007). Dabei gehört ein kleiner Teil der ostdeutschen Frauen heute zu den Spitzen von Wirtschaft, Politik und Justiz und sind teils sogar erfolgreicher als West-Frauen. So sind in den Führungsetagen der 30 größten DAX-Unternehmen Deutschlands zwar insgesamt nur vier Ostdeutsche vertreten, davon sind jedoch drei Frauen (Schönherr/ Jacobs 2019). Der Anteil von westdeutschen Frauen unter westdeutschen Führungskräften beträgt lediglich zehn Prozent. Und auch in der Politik liegen ostdeutsche Frauen klar vorn. Ostdeutsche Politikerinnen wie Angela Merkel, Manuela Schwesig, Katrin Göring-Eckardt, Sarah Wagenknecht oder Katja Kipping stehen heute an den Spitzen ihrer Parteien und Bundestagsfraktionen.

8. Feminisierung der Migration und Global Care Chains

Eine neue internationale Arbeitsteilung im Bereich der Reproduktionsarbeit in Haushalten ist auf dem Vormarsch, die „Care-Migration“. Ursachen in Deutschland sind die höhere Erwerbsquote von Frauen und der Rückzug des Wohlfahrtsstaates aus dem vormals öffentlich organisierten Pflege- und Sorgebereich (Wichterich 2011). Diese Lücke füllen Haushaltshilfen. Bspw. beschäftigten im Jahr 2011 67 Prozent aller Bürger_innen eine sogenannte Haushaltshilfe (Minijob Zentrale 2011).

In jedem Fall werden Frauen weiterhin für die Organisation der häuslichen und fürsorgenden Tätigkeiten verantwortlich gemacht. Zugespitzt formuliert wird Reproduktionsarbeit in den mitteleuropäischen Gesellschaften, die früher von Frauen und Staat verrichtet wurden, nun zumeist an Migrantinnen aus Osteuropa weitergereicht. In Osteuropa wiederum wird die Haus- und Fürsorgearbeit an weibliche Verwandte oder Frauen aus ärmeren Nicht-EU-Staaten weitergereicht (Lutz/ Palenga-Möllenbeck 2010). Margit Brückner bewertet dies so: „Auf der Basis ökonomischer und politischer Ungleichheit von Nord nach Süd und West nach Ost sowie der international hierarchisierten, geschlechtlichen Arbeitsteilung bilden sich zunehmend länderübergreifende care chains (...)“ (Brückner 2010: 45). Meist können sich diese Weitergabe der Reproduktionsarbeit nur besserverdienende, bürgerliche Haushalte und Familien leisten. Ärmere Frauen sind davon ausgenommen bzw. arbeiten selbst zusätzlich in „fremden“ Haushalten, ähnlich den ärmeren Frauen mit Migrationsgeschichte. Die Arbeit ist oft mit geringem Lohn, schlechten Arbeitsbedingungen und einer prekären bis keiner Absicherung verbunden. Häufig arbeiten die Frauen unter ihrer beruflichen Qualifikation (Wichterich 2011). Wir beobachten eine „(...) Neuverteilung von Sorgearbeit rund um den Erdball (…), aber nicht – wie von der Frauenbewegung erhofft – zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen Frauen aus verschiedenen sozialen Klassen, Ethnien, und Ländern“ (Wichterich 2011: 135).

Das Institut für Pflegewissenschaften hat sich mit der Lage von Osteuropäerinnen in deutschen Privathaushalten befasst. Sie sind die größte Gruppe der Fürsorge-Arbeiterinnen. Laut Institut sind zwischen 150.000 und 300.000 osteuropäische Migrantinnenin deutschen Privathaushalten beschäftigt (Lutz 2015). Weltweit arbeiten ungefähr 17-25 Millionen Migrantinnen in Privathaushalten im Fürsorgesektor. Nach Schätzungen arbeiten eine Million in Europa als Migrantinnen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigungen in diesem Bereich (ebd.). Oft werden die Arbeiten in den Privathaushalten nicht angemeldet, ohne Arbeitsvertrag organisiert und zudem von Frauen ohne Arbeitserlaubnis verrichtet (ebd.). Dementsprechend liegt diesbezüglich auch sehr wenig empirisches Datenmaterial vor. Frauen werden so unsichtbar gemacht.

9. Fazit

Entlang der Auswertung von geschlechtsspezifischen Daten aus den verschiedenen Arbeits-, Lebens- und Politikbereichen lassen sich vor allem zwei Schlussfolgerungen ziehen. Erstens: Frauen sind in Deutschland heute noch immer in vielen Bereichen nicht gleichgestellt. Formale Gleichstellung vor dem Gesetz kann die Ungleichbehandlung im Alltag bisher nicht aufheben. Offenbar liegen die Ursachen für die gesellschaftliche Schlechterstellung tiefer und sind mit der kapitalistischen Produktionsweise soweit verknüpft, dass eine Überwindung dieser Ungleichbehandlung grundlegende Veränderungen der Gesellschaft erfordert. Zweitens: Trotz der aktuellen Ungerechtigkeiten lässt sich festhalten, dass in den letzten hundert Jahren Frauen einen enormen Emanzipationsschub verzeichnen können – sei es rechtlich, ökonomisch oder innerhalb privater Beziehungen; auch wenn dieser entlang von Klasse und Herkunft gebrochen wird und teilweise widersprüchlich ist. Die Freiheiten führten zu einem neuen Selbstbewusstsein, das sich heute wiederum in den erstarkenden feminisierten bzw. feministischen Protesten gegen neue Angriffe (Proteste für das Recht auf Abtreibung oder die Demonstrationen am Internationalen Frauentag am 8. März) oder Herausforderungen (wie die Klimaproteste, Flüchtlingssolidarität oder die zunehmenden Streiks im Pflege- und Erziehungsdienst) ausdrückt.

Literatur

Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (2014): Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung. Online unter: fra.europa.eu/de/publication/2014/gewalt-gegen-frauen-eine-eu-weite-erhebung-ergebnisse-auf-einen-blick

Artus, Ingrid et al. (2017): Sorge-Kämpfe Auseinandersetzungen um Arbeit in sozialen Dienstleistungen, Hamburg.

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[1] Gender Mainstreaming ist das Ziel zur Verwirkung der Gleichstellung von Frau und Mann, das 1997 auch von der EU zum Ziel erklärt wurde.

[2] Der Frauenanteil bei Fridays for Future wird laut einer länderübergreifenden Studie auf 66,4 Prozent (Wahlström et al. 2019) geschätzt, Der Anteil von Frauen in der Flüchtlingssolidarität 2015 lag ebenfalls bei etwa zwei Drittel (BIM 2016).