Die kommende CO2-Abgabe – ein Fortschritt für die Klimapolitik?

von Franz Garnreiter
September 2019

1. Klimapolitik in größtmöglicher Langsamkeit

1992 hielt die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio fest, dass die Menschheit von einer zunehmenden Zerstörung des gewohnten Klimas bedroht ist. Fast ein Vierteljahrhundert verging, bis man in Paris 2015 die Verpflichtung feierte, ein Erwärmungs-Limit von 1,5 °C anzustreben, höchstens aber 2 °C zuzulassen.

In Deutschland dauerte es dann noch ein ganzes Jahr bis Ende 2016, um einen „Klimaschutzplan 2050“ aufzustellen; ein Werk, das man zehn Jahre früher schon genauso hätte verfassen können – und müssen. 2017 geschah erst mal gar nichts Weiteres, es waren Wahlen, da gab es weder Kraft noch Zeit noch Motivation für Klimaschutz. 2018 traf man den Koalitionsbeschluss, bis Ende 2019 aus dem Klimaschutzplan ein Klimaschutzgesetz zu machen. Vier Jahre nach Paris! 27 Jahre nach der Erkenntnis, man müsse schnell handeln!

2019 sieht einen Aufschwung der Klimaschutzbewegung, vor allem die Fridays for Future. Sie fordern bis 2019 die Einführung einer Steuer auf alle Treibhausgasemissionen (THG; das aus der Verbrennung fossiler Energieträger resultierende Kohlendioxid CO2 hat 88 Prozent Anteil an den deutschen THG-Emissionen) mit dem Ziel einer Dekarbonisierung bis 2035 (Nettonull-Emission, d.h. Emissionen nicht höher als die natürliche Absorption). Diese Steuer auf THG-Emissionen, konzentriert auf eine CO2-Steuer, beherrscht mittlerweile die klimapolitische Diskussion in diesem Land.

Dieser Forderung schloss sich die Bundesumweltministerin Svenja Schulze an und gab beim DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung), beim IMK (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung) und beim FÖS (Forum Ökologisch-soziale Marktwirtschaft) Gutachten in Auftrag über die Ausgestaltung einer solchen CO2-Abgabe, ein „wichtiger Baustein“ der Klimapolitik, wie sie sagt. Die CO2-Pläne der Bundesumweltministerin erstrecken sich allerdings nur auf eine Summe von etwa 330 Mio. Tonnen CO2, das ist nur gut ein Drittel der deutschen THG-Mengen von 907 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten 2017.

Warum nur so wenig? Zur Beantwortung muss man einen kurzen Blick auf die EU-Klimapolitik werfen.

2. Das System der EU-Klimapolitik

Die EU-Klimapolitik ist strikt zweigeteilt: Sie arbeitet nach zwei völlig unterschiedlichen Prinzipien, die jeweils für genau einen Teilbereich der THG-Emissionen gelten. Der eine Bereich betrifft die Groß- und Größtverbraucher von fossiler Energie (und insofern Emittenten von CO2) und umfasst die Energiewirtschaft (v.a. Strom) und die Großindustrie in energieintensiven Branchen (v.a. Stahl, NE-Metalle, Chemie, Papier), seit einigen Jahren auch die EU-Binnen-Luftfahrt. Für die Klimapolitik gegenüber diesen Emittenten existieren keine nationalen Grenzen, sondern es gibt nur Regelungen für die EU-Länder gemeinsam. Es handelt sich um EU-weit etwa 11.000 Verbrauchsstellen. Für diese Emittenten gilt das ETS = Emission Trading System. Sie müssen sich bei einer staatlichen Stelle (EU-weite Auktion) ausreichend viele Berechtigungsscheine = Zertifikate für ihre CO2-Emissionen besorgen. Der dahinter liegende Gedanke ist, dass der Staat (die EU) die Gesamtmenge der Emissionen kontrolliert, diese Zug um Zug entsprechend der klimapolitischen Ziele verringert und es einem marktwirtschaftlichen Suchprozess bei den Unternehmen überlässt, wo sich die günstigsten CO2-Vermeidungsmöglichkeiten finden. Hat ein Betrieb zu wenige bzw. zu viele Zertifikate (etwa wegen Konjunkturflaute, technischer Neuerungen etc.), dann kann er die fehlenden bzw. überschüssigen Zertifikate auf einem Sekundärmarkt nachkaufen bzw. verkaufen.

Das ETS wurde 2005 eingeführt. Tatsächlich funktioniert es seither höchst miserabel, was die eigentliche Zielstellung betrifft. Es hat sich ein riesiger Überschuss an Zertifikaten aufgebaut, der mittlerweile mehr als einen kompletten Jahresbedarf umfasst. Die Gründe dafür sind die permanent zu hohen Mengen an neu ausgegebenen Zertifikaten, dann die Möglichkeit, mit billigen THG-Reduzierungsmaßnahmen in armen Ländern ein Recht auf zusätzliche Zertifikate in der EU zu erwerben (CMD = Clean Development Mechanism) und schließlich die scharfe Wirtschaftskrise 2008 mit einer anhaltenden Deindustrialisierung, gemessen jedenfalls an früheren Erwartungen. Seit Jahren wird in der EU über die Überschüsse verhandelt. Statt sie einfach zu löschen, wurde ein kompliziertes Verfahren mit Teillöschungen, Einschränkung der Neuausgaben und Übertragungen auf spätere Jahre entwickelt.

Das andere System, oft Nicht-ETS-System genannt, betrifft alle restlichen Emittenten in der EU: die Hunderte Millionen Haushalte, Verkehrsteilnehmer, Handwerker, freie Berufe, Kleinindustrielle, nicht energieintensive Industrie (Maschinenbau, Pharma usw.), Landwirte (in deren Bereich auch Methan und Lachgas emittiert wird). Aufsummiert steuern diese Emittenten rund die Hälfte der EU-weiten Gesamtemissionen bei, also etwa ebenso viel wie die 11.000 ETS-Emittenten. Für sie gibt es keine EU-weite gemeinsame Politik, sondern lediglich ein EU-weites Reduzierungsziel: minus 10 Prozent bis 2020, minus 30 Prozent bis 2030, jeweils gegenüber dem Stand 2005. Dieses Ziel wurde für die 28 Länder nach der jeweiligen Bereitschaft für Klimaschutz und nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aufgespalten. Für Deutschland lauten die Ziele minus 14 Prozent bzw. minus 38 Prozent.

Nun ist festzustellen, dass Deutschland auf dem besten Weg ist, alle klimapolitischen Ziele weit zu verfehlen. Nur in den 1990er Jahren, in den Jahren der weitgehenden Deindustrialisierung der Ex-DDR, wurde nennenswert CO2 reduziert. Von 2005 bis 2017 betrug die Emissionsreduzierung in Deutschland insgesamt nur 9 Prozent (in 12 Jahren!), davon in den Nicht-ETS-Sektoren sogar nur 3 Prozent (Anlage zum Entwurf des Klimaschutzgesetzes). Das ist uneinholbar weit weg vom Ziel minus 14 Prozent bis 2020 und eigentlich noch aussichtsloser von der großsprecherischen Zusage bis 2030.

3. Das CO2-Steuer-Konzept des Umweltministeriums

Bei den in Auftrag gegebenen Gutachten geht es nur um den Nicht-ETS-Teil, und dort um den Wärme- und Verkehrssektor in Privathaushalten, Handel, Handwerks- und Kleingewerbebetrieben, ohne Industrie, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft. Die drei Gutachten bekamen dieselben Annahmen zur Voraussetzung, und sie kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

2020 soll die CO2-Steuer starten mit 35 Euro pro Tonne CO2. Dieser Betrag bedeutet – incl. MWSt – ein Plus von 10 ct pro Liter Benzin (+ 6,6 Prozent), 11 ct pro Liter Diesel (+ 8,7 Prozent) bzw. Heizöl (+ 16,7 Prozent) und 9 ct pro m³ Erdgas (+ 15,2 Prozent) (DIW, S. 5). Von Jahr zu Jahr soll die Abgabe um rd. 15 Euro steigen, so dass sie bis 2030 ca. 180 Euro pro Tonne CO2 erreicht. Der Preisaufschlag ist dann also etwa fünfmal so hoch wie 2020.

Bewirkte CO2-Vermeidung: Der durch eine CO2-Abgabe gestiegene Preis für Energie (und für energieintensive Güter) wird verbrauchssenkend wirken. Etwa durch Konsumeinschränkung (Pullover tragen statt voll heizen; weniger weit in Urlaub fliegen) oder durch den Ersatz der Energieträger durch andere, weniger CO2-intensive Güter (Solarheizung einbauen; Wärmedämmung vornehmen; Zug statt Auto nehmen). Die Nachfrage nach Energieträgern wird allerdings durch tausend Faktoren jenseits der Preise zusätzlich beeinflusst: von reinen Vorlieben über das (Nicht-)Wissen um die Alternativen bis zur Finanzierungsknappheit bei verbrauchssenkenden Investitionen. Den Einfluss der Variable Preis heraus zu filtern und quantitativ zu bestimmen ist eine statistisch-rechentechnisch schwierige Aufgabe. Allerdings eine höchst wichtige für die Beantwortung der Frage, wie sinnvoll eine CO2-Bepreisung sein könnte, wie weit man damit in Richtung Klimaschutz fortschreiten könnte.

Die Institute schätzen und berechnen die bis 2030 erreichbare Verminderung der CO2-Emissionen auf etwa 50 Mio. Tonnen (IMK) bzw. auf etwa 20 bis 75 Mio. Tonnen (FÖS). Das DIW rechnet nur bis zum Jahr 2023 und kommt auf eine Reduzierung um 10 bis 34 Mio. Tonnen. Die Institute kommen also zu durchaus vergleichbaren Ergebnissen. Gemessen an der Ausgangsemission in 2017 in Höhe von rund 330 Mio. Tonnen, die von der Steuer verringert werden soll, erhalten wir bis 2030 eine Reduzierung um rund 15 Prozent (bzw. um 6 Prozent bis 22 Prozent).

Man darf sich nichts vormachen: Dieses Ergebnis ist sehr, sehr weit entfernt vom Weg zur notwendigen Dekarbonisierung (d.h. annähernde Nullemission), die je nach Ambition (1,5°-Ziel, 2°-Ziel) um 2035 bis allerspätestens 2050 (laut Entwurf des Klimaschutzgesetzes) erreicht sein muss. Das Ergebnis bleibt sogar weit zurück hinter den genannten EU-Verpflichtungen für den hier relevanten Nicht-ETS-Sektor. Nicht nur, dass noch der Rückstand zum Ziel 2020 gutzumachen ist, auch die EU-Verpflichtung für das Jahrzehnt 2020 bis 2030 erfordert eine Reduzierung um 28 Prozent, bezogen auf den Stand 2020.

Im Vorspann und im Fazit merken die drei Studien durchaus an, dass eine CO2-Bepreisung allein nicht ausreichend ist. Sie diskutieren diesen Aspekt aber leider nicht weiter. Diese Anmerkung muss man als wichtigen Wink verstehen, kräftig über die CO2-Steuer hinaus nachzudenken.

Hinzu kommt: Die Institute gehen von einem sinkenden Strompreis aus, so die Vorgabe des Auftraggebers (um bis zu 6 ct pro kWh). Das Ziel ist hier ein weitgehender Abbau der Stromsteuer und der EEG-Umlage, um das Umschwenken auf ein E-Auto (gegen einen Verbrenner) oder auf eine elektrische Wärmepumpe (gegen eine normale Heizung) zu fördern. Der damit verbundene Strommehrverbrauch wird den Ausstieg aus dem Erdgasstrom und vermutlich auch noch aus dem Kohlestrom verzögern. Das heißt, es entstehen zusätzliche CO2-Emissionen in der Stromwirtschaft (ETS-Teil, hier nicht erfasst) in Höhe von bis zu 10 Mio. Tonnen (DIW, S. 32). Das reduziert noch die Erfolge durch die CO2-Steuer.

Soziale Ausgestaltung: Sie ist ein viel diskutierter, aber ein eigentlich sehr einfacher Punkt. Wie alle Statistiken zeigen, sind reiche Haushalte für sehr viel mehr Emissionen verantwortlich als arme. So kommt das einkommensreichste Fünftel der Bevölkerung auf fast viermal so viele Emissionen beim direkten Energieverbrauch (Heizung, Strom, Kraftstoffe etc.) als das ärmste Fünftel; bei indirekten Emissionen, die mit der Produktion anderer Waren und Dienstleistungen verbunden sind, auf mehr als das Fünffache (PIK, S. 19; andere Quellen berichten von einer etwas geringeren Ungleichheit). Weil die reichste Gruppe aber ein mehr als sechsmal so hohes Einkommen hat wie die ärmste Gruppe ist die Kostenbelastung durch eine CO2-Abgabe, ausgedrückt in Prozent des verfügbaren Einkommens, bei der letzteren Gruppe deutlich höher als bei der ersteren.

Der Grundgedanke der sozialen Ausgestaltung ist die (weitgehende) Rückgabe der eingesammelten CO2-Steuern an die Bevölkerung. Der einfachste und pauschalste Vorschlag, den die drei Institute (und nicht nur diese) anführen, ist die Auszahlung eines gleichen Betrages an jeden Bürger. Für den Anfang wird ein Betrag in der Größenordnung von 100 Euro genannt. Weil die Reichsten allein für Wohnen, Strom und Verkehr ein Mehrfaches an CO2-Steuern zahlen müssten als die ärmsten führt eine gleichmäßige Rückgabe dazu, dass der arme Haushalt im Schnitt mehr erhält als er zahlt, und der reiche Haushalt umgekehrt. Der Preisanreiz zur Emissionsverminderung wird dabei durch die Rückgabe nicht ausgehebelt. Innerhalb der Gruppen haben die Einzelnen ein sehr heterogenes Verbrauchsmuster, so dass bei den Armen einige wenige doch drauf zahlen und bei den Reichen einige Klimabewusste per Saldo etwas raus kriegen.

Natürlich wären jenseits und zusätzlich zur Pauschallösung noch viele Verfeinerungen denkbar und machbar, also eine geringere Pauschalzahlung und dafür etwa eine Erhöhung von Wohngeld, Hartz IV, BAFöG, Pendlerpauschalen usw. Oder eine Beschleunigung der Einsparung durch Zuschüsse und die Förderung von Wärmedämmmaßnahmen, besten Haushaltsgeräten usw. Nach Vorgabe des Auftraggebers berechneten die Institute die Haushaltsbelastungen auch bei Modellen, bei denen ein Teil der Einnahmen pauschal und ein anderer Teil per Reduzierung der Strompreisaufschläge zurückgegeben wird. Immer zeigt sich, mehr oder weniger ausgeprägt, eine Tendenz zur Vergleichmäßigung der Einkommen. Schwierig sind Pendler mit Auto und weiten Wegen. Dass eine Steuer zugunsten des Klimaschutzes ohne Probleme zugunsten eines sozialen Ausgleichs ausgestaltet werden kann, ist ein wichtiger Punkt.

4. Unzureichende Marktwirksamkeit: die Schwäche der CO2-Bepreisung

Eine CO2-Steuer ist – ebenso wie ein Zertifikatesystem – eine marktwirtschaftliche Maßnahme, also ein Mittel der Wirtschaftspolitik, die den marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht widerspricht. Kern der Marktwirtschaft ist, dass sich die Preise frei bewegen und dadurch den Ausgleich von Angebot und Nachfrage bewirken können. Eine Verbrauchssteuer ist hier ein Kostenblock, der die freie Preisbewegung nicht hemmt. Nicht marktwirtschaftsfromme energiepolitische Regelungen wären etwa Wärmeschutzvorschriften, Höchstverbräuche bei Fahrzeugen, das Verbot neuer Atomkraftwerke: also Gebote und Verbote. Damit werden Marktvorgänge verboten, etwa der Verkauf eines Hauses mit unzureichender Wärmedämmung.

Der zentrale Glaubenssatz der Markttheoretiker ist, dass freie Märkte, freie Preisbewegungen die beste Wirtschaftsform sei, um Bedürfnisse kosteneffizient (mit geringsten volkswirtschaftlichen Kosten), optimal (bestmögliche Versorgung) und stabil zu befriedigen. Die CO2-Steuer müsste nur hoch genug ausfallen, eine Dekarbonisierung wäre dann jedenfalls effizient und optimal erreichbar.

Angesichts der offensichtlich nur sehr bescheidenen Minderungs-Wirksamkeit einer CO2-Steuer lohnt es sich, reale Märkte und Marktbedingungen genauer anzusehen. Hierzu ist es sinnvoll, zwischen zwei unterschiedlichen Typen zu differenzieren.

· Märkte für Zwischen-, Vorleistungs-, Investitionsgüter: sie dienen zur Beschaffung von Waren, um schließlich ein angestrebtes Endprodukt für den Endkonsum zu fertigen. Es sind Märkte, auf denen es nur um eine rationale, rein kostenorientierte Beschaffung notwendiger Güter geht.

· Märkte von Endverbrauchs(Konsum-)gütern, bei denen es weniger um Kostenminimierung geht, sondern in erster Linie um Bedürfnisbefriedigung (z.B. um „Freude am Fahren“).

Auf den ersteren, den rein kostenorientierten Märkten, sollte – in einfach strukturierten Fällen – ein CO2-Preis gute Wirkung entfalten. Etwa im Bereich des Kohlestroms versus Erdgasstrom und Regenerative. Hier ist es offensichtlich, dass ein ausreichend hoher CO2-Preis zur Schließung von Kohlekraftwerken zugunsten längerer Laufzeiten von Gaskraftwerken (es gibt erhebliche freie Kapazitäten) und längerfristig zum intensivierten Bau von Windanlagen etc. statt der Aufschließung neuer Kohlegruben führen sollte. Allerdings ist das EU-Zertifikatesystem seit 15 Jahren so miserabel und unzureichend angelegt, dass die sich ergebenden viel zu niedrigen und wirkungslosen CO2-Preise diesen Umschwung bislang eben nicht bewerkstelligt haben. Wäre der Zertifikatepreis so hoch und hätte er eine solche Entwicklung genommen, wie vor 15 Jahren geplant, geschätzt, erhofft, dann wäre der Kohleausstieg heute sicherlich zum größten Teil längst vollzogen.

Fast überall aber ist die Frage nach der Rentabilität einer CO2-Reduzierung angesichts eines (ggfs. steigenden) CO2-Preises sehr viel schwieriger zu beantworten. So stellte beispielsweise das Umweltbundesamt fest, dass „innerhalb von zehn Jahren zusätzlich (!) insgesamt 100 TWh/Jahr an Strom gegenüber dem Trend prinzipiell wirtschaftlich (!) eingespart werden könnten“ (UBA 2016). 100 TWh Einsparung (ein Sechstel des bundesdeutschen Verbrauchs), die rentabel ist, aber dennoch nicht durchgeführt wird, weil simples Marktversagen dominiert. Diese Unfähigkeit der Marktwirtschaft, der Marktteilnehmer, rentable Energieeinsparmöglichkeiten zu erkennen und durchzuführen, ist ein völlig normales und weit verbreitetes Phänomen, nicht nur beim Strom, festgestellt in vielen Untersuchungen. Umgekehrt gibt es auch Berichte, nach denen viele der tatsächlich vorgenommenen umweltbezogenen Investitionen sich als wirtschaftlich nicht rentabel erwiesen (SVR, S. 105).

Die Generalursache ist die Schwierigkeit und der Aufwand, entsprechende Informationen über die möglichen Einsparmaßnahmen zu erhalten. Das betrifft deren Art und Wirkung, Vorteile und Nachteile sowie die Begleitumstände, die Unsicherheit über die künftige Preisentwicklung von Brennstoffen, von Strom, der CO2-Steuersätze, von Substitutionsgütern (Wärmedämmung, E-Autos, Solaranlagen usw.), und schließlich auch die Unsicherheit über die künftige Technikentwicklung.

Das steht gegen die Voraussetzung einer unbegrenzten, also kostenlosen, aufwandslosen und vollkommenen Informationsverfügbarkeit, die die Theorie braucht, um die Effizienz der Märkte zu beweisen. Wirkliche Märkte reagieren viel zögerlicher, abwartender als der Lehrbuch-Dogmatismus vorgibt. Wirkliche Märkte funktionieren anders, holprig und massiv defizitär statt effizient. Kein Wunder, dass der CO2-Preishebel enorme Wirkungsdefizite aufweist im Vergleich zu den klimapolitischen Notwendigkeiten.

Beim zweiten Markttyp, den Konsumgütermärkten, geht es weniger um rationale Rentabilitätsaspekte, sondern um Bedürfnisbefriedigung, Nutzen, Emotionen. Hier kommt dann ein ganz anderes Kriterium zum Tragen: Mag auch ein Einkommensarmer ebenso viel „Freude am Fahren“ haben wie ein Reicher, so wird er doch anders, und zwar sehr viel intensiver, auf CO2-Steuer-bedingte Preisverschiebungen reagieren (müssen) als der Reiche. Für die Kaufentscheidung und damit für die Wirksamkeit eines CO2-Aufschlages spielt das Einkommen eines potentiellen Nachfragers eine sehr wichtige Rolle. Bei Armen, die ihr komplettes Einkommen (und oft mehr) für ihren Konsum verausgaben (müssen), stellen höhere Kosten aufgrund der CO2-Steuer ein Problem dar: Sie müssen reagieren, irgendwo einsparen, am ehesten bei den teurer gewordenen Energien. Genau so soll die Steuer ja auch wirken. Bei den Reichen dagegen sind CO2-Steueraufschläge, wenn die Sparquote ohnehin 20 oder 30 Prozent beträgt, eine unwichtige Kleinigkeit. Das heißt aber, die Reaktion der Reichen auf Preisänderungen fällt sehr viel schwächer aus als die der Armen. Dass Preiseffekte durch Einkommenseffekte konterkariert werden können, lernt jeder Volkswirtschaftsstudent in den ersten Semestern. Allerdings gibt es konkret zur unterschiedlichen Preiselastizität von Reichen und Armen, also zu ihrer jeweils unterschiedlichen Reaktion auf Preisänderungen, sehr wenige empirische Untersuchungen.

Unabhängig von diesen Analyseschwierigkeiten wäre es offensichtlich wichtig, den Konsum der wohlhabenden Haushalte mindestens ebenso stark zu beeinflussen wie es die CO2-Abgabe mit den ärmeren Haushalten bewerkstelligt. Immerhin fallen auf das reichste Einkommensfünftel 36 Prozent aller Emissionen, auf das ärmste weniger als 8 Prozent (PIK, S. 20). Zugespitzt: Wenn das ärmste Fünftel im Zuge einer ordentlichen CO2-Abgabe seine wenigen SUVs verkaufen muss, das reichste Fünftel aber, weil viel höhere finanzielle Ressourcen verfügbar sind, seine sehr viel zahlreicheren SUVs behalten kann und wird, dann wirkt die CO2-Abgabe hier nur höchst unvollkommen im Sinne des Klimaschutzes.

Der Preis ist ein höchst unzureichendes Lenkungsinstrument, wenn die Gesellschaft sehr ungleich ist.

5. Wie geht’s weiter?

Eine CO2-Steuer wird sicherlich in der einen oder anderen Form kommen. Und es ist auch richtig, in einem Wirtschaftssystem, in dem wirtschaftliche Aktivitäten ausschließlich nur dann durchgeführt bzw. unterlassen werden, wenn sie privat nützlich oder rentabel bzw. unrentabel sind, verheerend schädliche Aktivitäten richtig teuer zu machen. Die große und wichtige Frage ist nun, was weiterhin passieren wird. Ist die CO2-Steuer der Höhepunkt und Endpunkt der Klimapolitik, oder ist sie der Ausgangspunkt zu einem Vorgehen, das die unendliche Langsamkeit und Trägheit der bisherigen Klimapolitik hinter sich lässt?

Die marktgläubige Position

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), Gralshüter der reinen neoklassischen Marktgläubigkeit, hat parallel zu den genannten drei Instituten ein Gutachten angefertigt mit dem Titel „Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik“. Alles, was bisher war, sei zu wenig vom Vertrauen in die Kräfte der Marktwirtschaft geprägt. „Kleinteiliges Vorgehen in Deutschland ist ineffizient.“ (alle Zitate aus dem Gutachten und den zugehörigen Kernbotschaften). Mit „Kleinteiligkeit“ meint er eine differenzierte, situationsangepasste Klimapolitik mit Förderungen, Geboten, Verboten, Anreizen, Steuern und Subventionen – und mit dieser Zuschreibung fasst der SVR die gesamte Energie- und Klimapolitik der Bundesregierung zusammen und verdammt sie pauschal. Stattdessen: „Der volkswirtschaftlich kosteneffizienteste Weg ist, einen sektorübergreifend einheitlichen Preis für Treibhausgasemissionen zu etablieren.“ Denn: „Ein Preis für CO2-Emissionen kann Einzelentscheidungen der Haushalte und Unternehmen effizient koordinieren und ist einer kleinteiligen Steuerung überlegen.“ Daher sei die „historische Chance“ zu nutzen für einen völligen Umbruch: „Diese Neuausrichtung sollte die einer kleinteiligen Zielsetzung folgende Detailsteuerung ersetzen [!]“. Also: Die Förderung regenerativer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung nach dem EEG bzw. dem KWKG: überflüssig, teuer, streichen. Benzin- und Dieselsteuern: streichen, weil CO2-Preis reicht (plus differenzierte Mautgebühren auf einzelnen Strecken). Emissionsgrenzen für Autos, Wärmedämmstandards für Gebäude: alles bürokratisch teuer, es reicht der CO2-Preis.

Hier haben wir den Marktdogmatismus in Reinform. Der (Fast-)Nacht-wächterstaat benennt einen Preis für die Emission von CO2 – oder besser noch: er schafft ein Zertifikatesystem und benennt dann die jährlich zulässige Menge von Verschmutzungsrechten – und den Rest machen die Marktkräfte. „Ein alle Sektoren und alle Mitgliedstaaten umfassender Emissionshandel stellt sicher, dass alle europäischen Emissionsziele erreicht werden.“

Das SVR-Gutachten umfasst 130 Seiten. Es steht so gut wie nichts drin zu den folgenden Themen:

· Markteffizienzprobleme, wie im vorigen Abschnitt erläutert. Der SVR sieht hier offensichtlich keinerlei Probleme, Märkte wirken immer effizient und optimal – das wird immer wieder beschworen.

· Wie hoch muss die CO2-Steuer mutmaßlich gesetzt werden, um das Ziel der Dekarbonisierung zu erreichen? Oder wie hoch liegt mutmaßlich der Zertifikatepreis, wenn die Emissionen auf Nettonull gebracht sind? Absolut keine Silbe zu diesen Fragen. Es gibt keine Diskussion der Preiselastizitäten, also der Nachfragereaktion auf Preisänderungen. Das muss ja auch nicht interessieren – dafür sorgt ja effizient der Markt.

· Differenzierte Technikförderung: Solarstrom und Windkraft hätten im SVR-System keine Chance zur Durchsetzung gehabt, da in der Entwicklungsphase viel zu teuer. Das wäre keine rentable Alternative zu den Emissionen gewesen. Die lange Entwicklungsförderung über das vom SVR verabscheute EEG führte aber dazu, dass wir heute mit diesen Techniken ein machtvolles Instrument haben zur Emissionsreduzierung. Ähnlich auch Elektro-Autos, seien sie mit Batterie oder Wasserstofftechnik. Desgleichen neue Stromspeichertechniken, Power-to-Gas-Techniken: das würde von rein privater Seite erst bei einem extrem hohen CO2-Preis entwickelt werden. Staatliche Förderung und Entwicklung solcher Technologien führen zu sehr viel früherer Reife und Einsatz. Das ist alles kein Thema für den SVR.

· Wie kann man den kapitalistischen konzernfreundlichen Staat dazu bringen, durch Mengenvorgabe im Zertifikatesystem oder durch die CO2-Preissetzung die Emissionen gegen den Widerstand mächtiger Kapitalgruppen schnell genug herunter zu schleusen – dies angesichts der Tatsache, dass eben dieser Staat (EU) in den letzten 15 Jahren eine Mengenpolitik fuhr, die statt einer Begrenzung einen gigantischen Überschuss an Zertifikaten produzierte. Jahr um Jahr um Jahr immer wieder. Natürlich ist auch das dem SVR keine Silbe wert.

Das Gutachten ist ein Lehrbuch-Beispiel dafür, wie unendlich und unglaublich weit die Markttheorie vom realen Wirtschaften entfernt ist.

Nach der CO2-Steuer beschleunigt weiter Richtung Klimaschutz

Wenn die Emissionsbesteuerung der Einstieg in eine forcierte Klimaschutzpolitik ist, dann könnte man wichtige Folgeschritte vielleicht in drei Aktionsbereiche zusammenfassen.

Der marktwirtschaftliche Preishebel darf nicht ignoriert werden. Im Gegenteil, man muss ihn nutzen und effizient einsetzen:

Es wäre völlig verkehrt, begleitend zur CO2-Steuer den Strompreis zu senken durch die Reduzierung der Aufschläge, solange der Ausstieg aus dem Kohlestrom nicht vollzogen ist. Preissenkung bedeutet Mehrverbrauch, bedeutet späteren Ausstieg, und das wiederum heißt mehr Kohlestrom. Ein E-Auto mit Kohlestrom ist klimaökologisch nicht besser als ein Diesel-Verbrenner.

Analog zur CO2-Steuer müsste im ETS-System ein Mindestpreis eingeführt werden, der den Ausstieg aus der Kohle und den Aufschwung der regenerativen Stromerzeuger beschleunigt. Die EU verweigert sich seit Jahren dieser Forderung.

Im Bereich der Industrie brauchen wir andere Preisstrukturen. Statt extrem niedriger Preise (vor allem, aber nicht nur, für Strom) für industrielle Größtverbraucher brauchen wir als Anreiz zur Umstellung auf emissionsärmere Produkte und Verfahren sehr viel höhere Preise, vielleicht eine Verfünffachung. Alternativ müssen die ökologisch am wenigsten schädlichen Verfahren vorgeschrieben werden. Einer Abwanderung in ökologisch nicht strenge Länder und dem Import aus solchen Ländern (so genannte Carbon leaks) kann man mit einem Verfahren wie mit dem MWSt-Ausgleich beim Grenzübertritt begegnen.

Der internationale Handel muss viel stärker reglementiert werden, der bizarre Unfug des Transports von Halbfabrikaten quer durch die Erdteile, um den Kostenvorteil eines kleinen Verarbeitungsschrittes irgendwo mitzunehmen, muss beendet werden. Der erste (aber sicher nicht ausreichende) Schritt könnte eine massive Verteuerung der Transportkosten sein. 2017 wurden 1050 Millionen Tonnen Waren über die deutschen Grenzen (rein plus raus) transportiert, 13 Tonnen pro deutschen Bürger. Ein ungeheurer Transportirrsinn. Hier geht es nicht nur um das Klima, sondern auch um andere Schadstoffemissionen, um Landschaftszerstörung, um Verkehrstote.

Ein starker öffentlicher Wirtschaftssektor muss aufgebaut werden. Unser Wirtschaften muss umorientiert werden, weg vom Konkurrenzzwang und den Zwang zur privaten Profitmaximierung, hin zu einem Wirtschaften auf der Basis demokratisch und gemeinsam gefasster Beschlüsse bei vorrangiger Orientierung am Gemeinwohl, an den gemeinsamen Interessen der Gesellschaft:

Kern der Umgestaltung im Energiebereich sollten die Stadtwerke als öffentliche, demokratisch kontrollierbare, am Gemeinwohl statt am Gewinnmaximum ausgerichtete Unternehmen sein; sie müssen Kompetenzzentren werden für die Energiewende; Stadtwerke-Zusammenschlüsse übernehmen die Funktionen der Energiekonzerne (Energieimporte, große Speicher, große Kraftwerke, nationale Verteilung, Forschung).

Der kommunale Wohnungsbau muss massiv ausgeweitet werden: Viele und energetisch vorbildliche Wohnungen müssen gebaut bzw. modernisiert werden. Ein hoher Anteil gemeinwirtschaftlicher Wohnungen senkt das Mietpreisniveau und erlaubt eine forcierte Durchsetzung ökologisch guter Standards.

Die Verkehrswende in Konzernhand führt zu drei Tonnen schweren Batterieautos. Sie muss in die öffentliche Hand gelegt werden. Kommunen und ihre Verbände müssen die Dominanz in der Gestaltung des künftigen Verkehrswesens haben (ÖPNV, Carsharing usw.).

Die staatliche Forschungstätigkeit (Windanlagen, Speicher, Batterien, Power-to-Gas usw.) muss ausgeweitet werden, inhaltlich gelenkt nicht nach Konzernbedürfnissen, sondern nach demokratisch beschlossenen Zielen. Die Ergebnisse dürfen nicht mehr an die Konzerne verschenkt werden, wie das etwa bei Atom und Kohle jahrzehntelang der Fall war, sondern die Ergebnisse müssen in den eigenen (z.B.) Stadtwerke-Zusammenschlüssen verwertet werden, und können dann auch günstig an arme Länder weiter gegeben/verschenkt werden, damit auch dort qualifizierte Klimaschutztechnik verfügbar ist.

Luxuswirtschaft, individuell und gesellschaftlich: Die hier und weltweit ungleiche Verteilung der Lebenschancen (künftig durch den Klimawandel noch ungeheuer verschärft) und der blinde Wachstumswahn müssen abgebaut und beendet werden. Wir müssen eine Art klimavernünftigen Lebenswandel finden, ein Gutes-Leben-für-Alle.

Luxusproduktion, ein riesiges, ausuferndes Gebiet: Zugespitzt geht es letztlich um das Recht des Porschefahrers auf Freiheit oder des Reiselustigen auf bedingungslose Flugreisen gegen das Recht der Vielen auf eine auch künftig lebenswerte Umwelt. ‚Atmosfair‘ alleine ist zu wenig. Wir sollten die Firma Porsche beenden (desgleichen auch die Produktion von mehreren Tonnen schweren überdimensionierten E-Autos) und das Recht auf Flugreisen kontingentieren. Das wäre der Anfang einer Diskussion über die Notwendigkeit von Luxusprodukten in einer ökologisch immer fragiler werdenden Welt.

Unproduktive Wirtschaft, ein gesellschaftlicher Luxus, den wir loswerden müssen: Jenseits der individuellen Luxusfrage geht es um Wirtschaftsgruppen wie die Werbewirtschaft, die Finanzanlagenberater, den überbordenden Bereich der Wirtschaftsrechtsanwälte und Steuerberater, die Interessenvertreter und Lobbyisten, die Animateure der Wegwerfmentalität usw.: All das ist im Marxschen Sinne unproduktiv, diese Aktivitäten schaffen nicht wirklich gesellschaftlichen Reichtum, sie kümmern sich nur um die Verteilung der geschaffenen Werte bzw. des erzielten Einkommens. Aber sie emittieren, nicht zu knapp, Treibhausgase.

Literatur

DIW Berlin: Für eine sozialverträgliche CO2-Bepreisung, Juli 2019

FÖS: Lenkungs- und Verteilungswirkungen einer klimaschutzorientierten Reform der Energiesteuern, Juli 2019

Garnreiter Franz: Die CO2-Steuer – ein unzureichendes Lenkungsinstrument für den Klimaschutz. www.isw-muenchen.de, 24. 5. 2019

Garnreiter Franz: Kohleausstieg plus Atomausstieg – geht das, ohne dass die Lichter ausgehen? www.isw-muenchen.de, 24. 11. 2017

Garnreiter Franz: Der Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung www.isw-muenchen.de, 28. 11. 2016

IMK: Wirtschaftliche Instrumente für eine klima- und sozialverträgliche CO2-Bepreisung, Juli 2019

isw-report 91: Grüne Wende. Neue Farbe oder neues System?, Dezember 2012

isw-report 98: Ist Wohlstand ohne Wachstum möglich?, September 2014

isw-spezial 30: Klimazerstörung. Die Verantwortungslosigkeit kapitalistischer Gesellschaften, Januar 2017

PIK – Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: Eckpunkte einer CO2-Preisreform für Deutschland, November 2018

SVR – Sachverständigenrat Wirtschaft: Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik. Sondergutachten, Juli 2019

UBA – Umweltbundesamt: Wirkungsanalyse bestehender Klimaschutzmaßnahmen, 2016