Noch während des Krieges gegen Afghanistan wurden vom 27. November bis 5. Dezember 2001 unter der formalen Schirmherrschaft der Vereinten Nationen, die jedoch vom Auswärtigen Amt bezahlten und von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten sogenannten „Talks on Afghanistan” auf dem Petersberg bei Bonn zelebriert. Es waren insgesamt vier afghanische Delegationen eingeladen, neben der Rom-Gruppe, bestehend aus der Entourage des ehemaligen Monarchen Mohammad Saher Schah, die Peschawar-Gruppe unter Federführung Hamid Gailanis, Sohn des gemäßigten und Saher Schah nahestehenden Großgrundbesitzers und Modjahedinführers Saied Ahmad Gailani, die Zypern-Gruppe unter Leitung Homaiun Scharirs, einem Schwiegersohn des Ultraislamisten und derzeitigen Verbündeten von Al Qaeda, Gulbudin Hekmatyar, sowie die Nordallianz unter der Leitung des sich nun als moderat präsentierenden Modjahedin-Kommandanten Mohammad Junos Qanuni. Es war den Delegationen bedeutet worden auch einige Frauen als Demonstrationsobjekte für die internationale Presse mitzubringen. Lediglich eine Frau aus Afghanistan war anwesend, die anderen waren „europäische Frauen afghanischer Herkunft”, die zum Teil Afghanistan in den letzten 30 Jahren nicht von innen gesehen hatten. Daher war ihre Anwesenheit kaum mehr als eine Public-Relations-Maßnahme für die westliche Öffentlichkeit.
Während die afghanischen Delegationen insgesamt 38 Personen umfaßten, präsentierten sich die Vereinigten Staaten von Amerika bei der Konferenz mit 20 „Beobachtern”. Abdul Hamed Karsai, ein Großgrundbesitzer und Modjahed, der in den Jahren des Bürgerkrieges gute Kontakte zur CIA pflegte, der durch US-Dollars, die in dieser Zeit großzügig an die Modjahedin flossen, noch reicher wurde, hatte in den letzten Jahren einen Großhandel in Dubai und Peschawar betrieben und ist Besitzer einer Restaurant-Kette in den USA und zeitweise Berater der US-Ölfirma Unocal Corporation im Zusammenhang mit der mittelasiatischen Rohstoff-Pipeline durch Afghanistan nach Pakistan und Indien; er wurde in Abwesenheit zum Interimsministerpräsidenten der Afghan Transitional Authority (ATA) ernannt. Damit setzten sich die USA im Gerangel um die Besetzung der Führungsposition in der künftigen afghanischen Übergangs-Administration durch, und gleichzeitig wurde die Warlordisierung Afghanistans vertraglich sanktioniert. Die Europäer und die Bundesrepublik Deutschland, die die Monarchisten favorisiert hatten, konnten ihre Interessen bei der Postenverteilung nicht durchsetzen. Die Bundesregierung hatte als einzige Delegation ein Sieben-Punkte-Programm für die Lösung des Afghanistan-Konfliktes vorgelegt, dessen Inhalt jedoch der Öffentlichkeit vorenthalten wurde.
Da diese fremdbestimmte Administration für Afghanistan keinerlei Legitimation noch Akzeptanz bei den Stämmen, bei den auf dem Petersberg nicht eingeladenen Warlords und der großen Mehrheit der ebenso wenig vertretenen afghanischen Bevölkerung genoß, geschweige denn von diesen eine nennenswerte Unterstützung zu erwarten hatte, wurde zu ihrem Schutz nach kolonialem Muster die sogenannte Schutztruppe, „International Security Assistance Force” (ISAF) gebildet und nach Kabul abkommandiert. Das bedeutet nichts anderes als einen erneuten Versuch einer militärischen Lösung des Afghanistan-Konfliktes, der bisher schon mehrfach in die Sackgasse geführt hatte.
Die Schreckenherrschaft der Taleban wurde nach sechs Wochen Krieg zwar beseitigt, aber der Krieg gegen sogenannte versprengte Taleban und Al Qaeda geht immer noch weiter. Seitens der US- Army und der mit ihr verbündeten Armeen mußten sogar mehrere Großoffensiven gegen diese vorgeblich versprengten Taleban durchgeführt werden, eine neue Offensive wurde im Juni 2003 vorbereitet[1].
Infolge des Krieges gegen den Irak haben sich die zuvor noch nicht vereinten Islamisten verständigt und eine Koalition zwischen Al Qaeda, Hekmatyar und Rest-Taleban gebildet, die zu einem Djehad gegen die USA und die Karsai-Administration aufgerufen hat. In afghanischen und pakistanischen Moscheen werden solche Erklärungen verbreitet. Vor allem die östliche Provinz Nangrahar ist seit der Rückkehr von Hekmatyar aus Teheran und besonders nach der Bildung der genannten Koalition zu einer Hochburg der islamistischen Guerillakämpfer geworden, wie US-Militärsprecher Rodney Davis bestätigte.[2] Sie sind jetzt in der Lage, selbst in Kabul vor den Augen der ISAF militärisch zu operieren, wobei inzwischen mehrere afghanische Soldaten sowie Angehörige der ISAF, darunter auch vierzehn Deutsche getötet und einige Dutzend verletzt worden sind. Die islamistischen Gegner der Kabuler Administration sind inzwischen „vier Mal so stark wie Afghanistans antisowjetische Bewegung im Jahre 1979”,[3] berichten Experten aus der Region. Um die Lage zu entschärfen, veranlaßte die US-Administration ihre Marionette Karsai, einige sogenannte gemäßigte Taleban in die Regierung aufzunehmen, was durch eine große Demonstration in Kabul verhindert werden konnte.
Wiederaufbau im Schneckentempo
Ein Wiederaufbau im eigentlichen Sinne findet in Afghanistan nicht statt. Nur die internationalen Hilfsorganisationen, die Non Government Organizations (NGOs) und die Entwicklungshilfe-Agenturen reparieren hier und dort zerstörte Einrichtungen, u.a. Schulen, Straßen und Brücken. Eine bundesdeutsche Organisation, die die Trümmer der zerstörten Rahman Baba Oberschule in Kabul räumen wollte, durfte die Grundmauern nicht abtragen, solange sie dem Staatssekretär im afghanischen Erziehungs- und Bildungsministeriums kein Bakschisch gegeben hatte. Als sie daraufhin die Arbeit einstellte, lenkte der Staatssekretär ein. Dies berichteten mir afghanische Mitarbeiter des Projektes während meines Aufenthaltes im Frühjahr im Lande.
Die Bildung einer afghanischen Nationalarmee von 75.000 Mann, die als Bestandteil und Voraussetzung für den Wiederaufbau Afghanistans galt und von Karsai am 2. Dezember 2002 bei dem vom Außenminister Josef Fischer zu seiner eigener Profilierung einberufenen Konferenz mit dem bombastischen Titel „Afghanistan im Wiederaufbau: Frieden und Stabilität” auf dem Petersberg anläßlich des Jahrestag von „Talks on Afghanistan” medienwirksam per Erlaß verkündet wurde, ist nicht einmal das Papier wert, auf dem unterschrieben wurde. Trotz US-amerikanischer und französischer Hilfe hat die Afghan Transitional Authority gerade mal ca. 25.000 Mann Soldaten aufgestellt. Da sie nicht in der Lage ist, den Rekruten ihren Sold zu zahlen, gehen diese nach ihrer guten Ausbildung in Kabul, zu ihren jeweiligen Warlords zurück, die natürlich eher in der Lage sind, ihre Söldner zu finanzieren. Damit förden die westlichen Länder eine direkte, wenn auch möglicherweise ungewollte militärische Stärkung der Warlords, die sich gegen die Kabuler-Administration gestellt haben. Die geplante Entwaffnung von über 100.000 nichtstaatlichen Milizionären der mächtigen Warlords konnte nicht durchgesetzt werden und wird bis auf weiteres verschoben. Ein UN-Mitarbeiter begründete das mit stockenden Reformierungsmaßnahmen im afghanischen Verteidigungsministerium.[4]
Die westlichen Länder haben der Afghan Transitional Authority kurz nach ihrem offiziellen Amtsantritt auf der Konferenz in Tokio vom 21. Januar 2002 eine Wiederaufbauhilfe von 5,25 Milliarden US-Dollar zugesagt. Das Geld, das bis jetzt nach Kabul geflossen ist, wurde zum Teil für die Aufrechterhaltung der Verwaltungsarbeit der Transitional Authority und die Gehälter der hohen Beamten verausgabt. Die unteren Ränge erhalten bis zu sechs Monaten kein Gehalt, obwohl das Finanzministerium, laut Minister Ashraf Ghani, das benötigte Geld an die zuständigen Behörden überweisen läßt. In den Ministerien verbleibt das Geld solange man möchte, ohne daß es den Mitarbeitern ausgezahlt würde. Es wird sogar von Geldgeschäften hochrangiger Beamter gesprochen. Kein Wunder, daß das Gros der zugesagten internationalen Mittel auf einem Sonderkonto bei der Weltbank geparkt bleibt. Dafür gibt es mindestens zwei gute Gründe: zum einem, weil die Geberländer kein Vertrauen zur Afghan Transitional Authority haben und zu recht befürchten müssen, daß im Falle eines Transfers der Mittel nach Kabul das Geld in dunkle Kanäle fließen würde. Der afghanische Interimspräsident A. H. Karsai beschwerte sich im November 2002, daß von den 890 Mio. Euro Finanzhilfe für Afghanistan, 800 Mio. Euro in die Bürokratie und die der UNO angegliederten zahllosen Hilfsorganisationen in Kabul fließen.[5]
Zum anderem ist die fast ausschließlich aus Islamisten bestehende Administration mangels Fachkräften nicht in der Lage, zumindest ein glaubhaftes Miniaufbauprogramm vorzulegen, und damit das Vertrauen der Geberländer zu gewinnen.
Eine Volkswirtschaft im eigentlichen Sinne ist in Afghanistan absolut nicht vorhanden. Der einzig gut funktionierende Wirtschaftszweig ist die Drogenproduktion, die in diesem Jahr alle bisherigen Rekorde übersteigt, bzw. der Drogenhandel. Der afghanische Finanzminister, Ashraf Ghani, spricht offen von einem „Drogenmafia-Staat”[6] in Afghanistan. Das Wenige, was sonst noch in Afghanistan bestens funktioniert, ist Korruption und Nepotismus. Daher verwundert es nicht, daß Afghanistan seit dem Jahre 2000 nicht mehr in den internationalen Statistiken, z.B. im UN-Bericht über die menschliche Entwicklung „Human Development Report”, geführt wird, so als ob das Land überhaupt nicht mehr existieren würde.
Allein in Kabul sind 800 internationale NGOs stationiert, die das Überleben der Bevölkerung zu sichern versuchen. Sollten sie abgezogen werden, würde buchstäblich die gesamte Versorgung zusammenbrechen. Da es in Afghanistan faktisch keinen funktionierenden Staat mehr gibt, ist das Land zu einem Tummelplatz für internationale NGOs und entwicklungspolitische Institutionen mit unbegrenzter Vollmacht geworden. Sie fühlen sich niemandem unterstellt oder gar rechenschaftspflichtig. Die bundesdeutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) vergibt in eigener Regie Projektaufträge an Organisationen, die „schlechte Arbeit leisten”,[7] stellte der sogenannte Wiederaufbauminister, Mir Mohammad Amin Farhang, in einem Interview fest. Er bemängelte ebenfalls die eigenmächtige Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) insofern, als er über geplante Vorhaben überhaupt nicht informiert worden wäre. „Ich habe keine Ahnung, was die machen”.[8] Seine Schreiben bleiben einfach unbeantwortet.[9] Da blieb ihm nichts anderes übrig, als sich schriftlich bei der Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, zu beschweren. Ob er von ihr eine Antwort bekommen wird?
Ein gravierender negativer Nebeneffekt der Anwesenheit der internationalen Hilfsorganisationen liegt darin, daß sie als zahlungskräftige Mieter die Mietpreise der Wohnungen in Kabul in die Höhe treiben, so daß sie für „gewöhnliche” Afghanen unbezahlbar sind.
Die Schulen, auch die für Mädchen, sind formal wieder geöffnet worden. Sie unterscheiden sich jedoch meist kaum von Koranschulen, vor allen in den Provinzen, wo die Islamisten weit entfernt von jeglicher internationaler Beobachtung und Presse schalten und walten können, wie es ihnen paßt. Die Lehrbücher, die noch in den Jahren der Herrschaft des Islamisten Burhanudin Rabani von tadschikischen Wissenschaftlern erstellt worden waren, da Afghanen selbst dazu nicht in der Lage waren, müssen jetzt, mit der Begründung, sie seien nicht islamisch genug, überarbeitet werden. Dies berichteten mir tadschikische Professoren während meines Aufenthaltes Mitte Juni 2003 in Duschanbe. Außerdem mangelt es in ganz Afghanistan an qualifizierten Lehrkräften und adäquaten Schuleinrichtungen. Die Schulkinder sitzen zum großen Teil auf dem nackten oder mit einem zerfetzten Kelim bedeckten Fußboden. Teilweise gibt es sogar weder Fenster noch Heizung. Selbst solche Schulen werden von den Kämpfern gegen die Kabuler Administration zerstört. Allein in einer Woche wurden sechs Mädchenschulen in verschiedenen Provinzen in die Luft gejagt.
Frauen dürfen zwar wieder arbeiten, aber kaum eine Frau traut sich ohne Schleier und kaum ein Mann ohne Bart zum Dienst zu gehen. Die mutigsten Frauen, die sich doch trauen, werden von Männern belästigt, beschimpft oder sogar angegriffen. Sicherheit ist, trotz der Anwesenheit der ISAF, selbst in Kabul nicht gewährleistet. In der Nacht werden Familien, bevorzugt aus dem Ausland zurückgekehrte Flüchtlinge, überfallen, ausgeraubt und vorsätzlich getötet, zum Teil sogar von Polizisten oder anderen Sicherheitskräften, die eigentlich mit dem Schutz der Bevölkerung beauftragt sind. Jede Nacht werden in Kabul bis zu 50 Personen umgebracht, teils aus politischen, teils aus kriminellen Gründen oder aus Rache. So wurde es von einer Studentin, deren Freund bei der ISAF in Kabul stationiert war, in meinem Seminar berichtet und nur wenige Tage später von dem kommandierenden Bundeswehr-General in Kabul in einem WDR-Interview bestätigt. Als ich im Frühjahr 2003 im Lande war, wurde am hellichten Tag eine junge Frau gar von Polizisten, die seit Anfang des Jahres 2002 wieder von Deutschen ausgebildet werden, entführt. Durch ihre lauten Hilferufe aufmerksam gewordene Passanten konnten sie durch beherztes Eingreifen befreien. Außerhalb Kabuls ist jeder Mensch vogelfrei. Selbst Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen werden regelmäßig überfallen und ihnen werden, – wenn es glimpflich ausgeht – ihre Autos weggenommen.
Die Bekämpfung des sozialen Elends in der afghanischen Bevölkerung steht für Washington nicht an erster Stelle. Während seiner Afghanistan-Visite im November 2002 hob der US-amerikanische Finanzminister Paul O’Neill hervor, daß Bedingungen zu schaffen seien, damit „sich der private Sektor entwickeln kann”. Besonders der Bau eines Fünf-Sterne-Hotels in Kabul, das eine „nützliche Ergänzung der Wirtschaft wäre”[10] lag ihm am Herzen. Die geostrategische Lage Afghanistans ist das A und O für die USA. Wir werden „längerfristig”[11] hier bleiben, verkündete US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Afghanistan ist faktisch ein Militärprotektorat der Vereinigten Staaten und wird es auch mittelfristig bleiben. Wie der damalige Oberkommandierende der USA-Besatzungsmacht Tommy Franks verlautbaren ließ, will man „noch für viele Jahre”[12] in Afghanistan bleiben. Alle Militärbasen des Landes werden von den USA als Stützpunkte gebraucht. Es ist nicht auszuschließen, daß es zwischen der Regierung der USA und der Kabuler Administration zu langfristigen Verträgen kommen wird, auf deren Grundlage die US-Militärs afghanische Basen für 99 Jahre pachten werden.
Bis heute ist nicht bewiesen, daß Afghanistan mit den Terrorakten des 11. September 2001 in Washington und New York in Verbindung gebracht werden kann, weswegen die USA Afghanistan bekriegt und das, was von ihm noch übrig war, zerstört haben. Bewiesen ist nur, daß die Regierung der Vereinigten Staaten schon im Juli 2001 ihren regionalen Vasallen Pakistan über ihre Pläne, einen Krieg gegen Afghanistan führen zu wollen, informiert hatte. Dies bestätigte der ehemalige Außenminister Pakistans, Naiz Naik.[13]
Der Krieg gegen Afghanistan war eine Generalprobe für die Umsetzung der neuen Strategie, die Region des Mittleren und des Nahen Ostens nach US-Vorstellungen neu zu ordnen und unter ihre Kontrolle zu bringen. Mit der Besetzung Kabuls wurde der Weg nach Bagdad geebnet. Daß die USA nicht dort stehen bleiben werden, zeigen Drohungen an die Adresse Syriens, Jemens und vor allem des Iran. Die Vorwürfe gegen den Iran ähneln wie ein eineiiger Zwilling, denen gegen den Irak vor dem Krieg.
Warum Deutschland am Hindukusch und nicht am Euphrat verteidigt wird!
Nach dem 11. September 2001 verkündete Bundeskanzler Gerhard Schröder die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands mit den Vereinigten Staaten von Amerika im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Und die NATO erklärte umgehend den Bündnisfall. Wenige Stunden nach dem Anschlag stand für die Bush-Administration fest, wo die Urheber des Anschlagen sich befinden, nämlich in Afghanistan. Jedoch nahm die US-Regierung weder die NATO noch die Solidarität der BRD in Anspruch, sondern bombardierte Afghanistan allein mit ihrem britischen Vasallen. Schröder flog in die USA, um die Bush-Administration zur Annahme seiner Solidarität zu bewegen. Warum war die Bundesregierung so darauf orientiert, sich unbedingt militärisch in Afghanistan zu engagieren? Folgende Faktoren waren maßgeblich:
Von großer Bedeutung war es für die Bundesregierung nach dem völkerrechtswidrigen Krieg 1999 gegen die Bundesrepublik Jugoslawien auch außerhalb Europas militärisch Flagge zu zeigen. Afghanistan bot sich als ausgezeichneter Türöffner geradezu an. Denn das Taleban-Regime war sowohl national als auch international völlig isoliert. Und durch ein Engagement in Afghanistan hatte die Bundesrepublik nichts zu verlieren, im Gegenteil. Schröder wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: als Vorreiter gegen den internationalen Terrorismus auftreten und damit das Ansehen der Bundesrepublik erhöhen sowie gleichzeitig die Chance nutzen, in einer geopolitisch brisanten Region militärisch Fuß zu fassen. Als diese Strategie mißlungen war, wurde die diplomatische Variante ins Spiel gebracht. Die Bundesregierung wurde beauftragt, die UN-Konferenz zur Zukunft Afghanistans, die „Talks on Afghanistan”, zu organisieren, an deren Ende sich Schröder und Fischer, trotz faktischer politischer Niederlage gegenüber den USA, als strahlende diplomatische Sieger präsentieren konnten. Die Stunde für die BRD, sich militärisch in Afghanistan zu engagieren, war erst gekommen, als die Konferenzteilnehmer eine „Schutztruppe” für die Sicherheit Kabuls beschlossen. Inzwischen hatte die Bundeswehr in Kabul zusammen mit den Einheiten der Niederlande sogar die Führung der ISAF inne. Um die Gunst der Bush-Adminstration nach den erheblichen Störungen in den Beziehungen zwischen USA und BRD im Zusammenhang mit dem Irak-“Abenteuer“ (Schröder) wiederzuerlangen, erwog die Bundesregierung – und sagte dies US-Außenminister Powell bei dessen Besuch in Berlin sogar zu – den Operationsbereich der Bundeswehr auch auf die westafghanische Stadt Herat auszudehnen, wo der Warlord Hauptmann Mohammad Ismael Chan herrscht. Ein Vorauskommando aus Militärs und Diplomaten wurde zwecks Erkundung dahin entsandt. Obwohl gebetsmühlenartig wiederholt wird, wie beliebt die Deutschen in Afghanistan seien, kam es schon mehrfach zu Anschlägen auf deutsche Einrichtungen. Seit vier Bundeswehrsoldaten am 9.6.2003 in Kabul durch eine Autobombe eines Selbstmordattentäters ums Leben kamen und 29 weitere schwer verletzt wurden, ist für die Regierung in Berlin der Herat-Plan faktisch vom Tisch. Der Bericht des Vorauskommandoteams enthält ein „No go auf der ganzen Linie.”[14]
Im Gegensatz zu Afghanistan stand in Irak für die Bundesrepublik sehr viel auf dem Spiel: Die langjährigen relativ guten Beziehungen zu den arabischen Ländern, die deutsche Ölversorgung aus der Region und das Ansehen der BRD in den islamischen Länder insgesamt hätten bei einer Beteiligung an der „Koalition der Willigen” großen Schaden genommen. Innenpolitisch entwickelte sich eine in den letzten Jahren nie da gewesene Friedens- und Antikriegsbewegung am Vorabend der Bundestagswahlen, womit Schröder durch ein Eingehen auf die in der Bevölkerung vorhandenen Friedenswünsche seine schon verloren gesehene Wiederwahl sichern konnte. Daß die Frage von Krieg und Frieden eine besondere innenpolitische Brisanz darstellte, wird daraus ersichtlich, daß selbst die Fundamentalisten der CSU ihr in ihrer Wahlkampfstrategie eine wichtige Bedeutung beimaßen. Hinzu kam noch, daß die PDS sonst als einzige Friedenspartei im Wahlkampf aufgetreten wäre und damit sowohl SPD als auch Grünen Wähler abgejagt hätte, wenn der SPD-Spitzenkandidat diese Chance nicht genutzt hätte. All dies war im Falle eines Krieges gegen den Irak an der Seite der USA in der arabisch-islamischen Welt ungeliebten mit zu berücksichtigen. Es ging also um machtpolitische und ökonomische Interessen der BRD und nicht darum, im Sinne einer Friedenspolitik, etwaige Lehren aus dem Krieg gegen Jugoslawien zu ziehen.
[1] Vgl. Sophie Mühlmann, USA bereiten Offensive in Afghanistan vor, in: Die Welt, 23.6.2003, S. 7.
[2] Vgl. ebenda
[3] Ebenda.
[4] Vgl. Afghanistan, keine Entwaffnung, in: Die Tageszeitung (TAZ), 5./6.7.2003, S. 9.
[5] Vgl. Peter Symonds, Afghanistan versinkt in Armut, Unsicherheit und despotischer Herrschaft, in: World Socialist Web Site, 11.12.2002, (www.wsws.org/de/2002/dez2002/afgh-d11_prn.html).
[6] Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Online, 14.6.2003.
[7] Astrid Wirtz, “Straßen in Kabul wieder kaputt”, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 25.6.2003, S. 5.
[8] Ebenda.
[9] Es ist kein Wunder, daß Minister Farhang von niemandem ernst genommen wird. Statt einen glaubhaften Wiederaufbauplan auszuarbeiten, vergeudet er seine Tage mit dem Knabbern von gerösteten Mandeln und dem Kanarienvogel „Esmat” auf seinem Schreibtisch, wie die Medien sarkastisch berichteten. (Vgl. Andrea Exler, „Soll ich ihn töten?”, in: Die Zeit, 17.6.2003, S. 19)
[10] P. Symonds, Afghanistan versinkt in Armut, Unsicherheit und despotischer Herrschaft, a.a.O.
[11] Rumsfeld für längerfristiges Engagement in Afghanistan, in: NZZ, 9.4.2002, S. 1.
[12] Matin Baraki, Welcome to Gangland, in: Konkret, Nr. 11, 2002, S. 22.
[13] Vgl. Dorothea Hahn, Vergebliche Suche nach der “goldenen Brücke”, in: TAZ, 3./4.11.2001, S. 6.
[14] Hans-Jürgen Leersch, Untersuchungsausschuss soll Attentat von Kabul aufklären, in: Die Welt, 25.6.2003, S. 2.