Berichte

„Eliten, Männerbünde, Vaterland – Studentenverbindungen in der Kritik"

Marburg, 5. Juli 2003

September 2003

Am 5.Juli fand in Marburg eine vom Projekt „Konservatismus und Wissenschaft“ (P-KW) organisierte Tagung statt, um über die anachronistisch anmutenden Studentenverbindungen zu diskutieren. Der Fokus sollte hierbei nicht nur auf die rechtsextremen Tendenzen einiger Korporationen gerichtet sein, sondern auch auf die in allen Korporationen zu findenden kritikwürdigen Aspekte wie männerbündische und hierarchische Strukturen, Elitenbildung, ihre Rolle im Nationalsozialismus, eine konservative Grundeinstellung und nicht zuletzt Rituale wie die schon von Adorno als „unmittelbare Vorform der nationalsozialistischen Gewalttat“ definierte Mensur[1].

Nach der Begrüßung durch Eva Gottschaldt (P-KW, Marburg), in der sie die Frage nach dem Forschungsstand und dem Wissen über Korporationen aufwarf, skizzierte Dietrich Heither (P-KW, Wiesbaden) die Entwicklung der kritischen Korporationsforschung. Wolfgang Abendroths Vortrag im Jahre 1961 bei dem Marburger Wingolf über die Mentalitätsgeschichten akademischer Mittelschichten[2], in dem er die Rolle der Verbindungen als Wegbereiter des Faschismus thematisierte, bildete den Ausgangspunkt für eine Forschung, die sich vorrangig der Zeit vor und zwischen den beiden Weltkriegen widmete. Seit ungefähr zehn Jahren findet eine Beschäftigung mit der Konstruktion des „Volks“ im Kontext der Romantik und der Aufklärung, der Geschlechterpolarität als sozialer Konstruktion und der sozialen Funktion der Rituale, insbesondere des Duells, statt. Heither stellte zum Abschluss seines Vortrags drei wesentliche Merkmale der Korporationen auf: Erstens ist die konservative Grundeinstellung nach rechts offen. Das kann historisch mit der hohen Übereinstimmung mit dem Faschismus und der Funktion als Multiplikator des Antisemitismus ab 1890 belegt werden. Grunddisposition dessen ist die Propagierung von „Volk“ als natürlicher Kategorie. Zweitens wird über die korporationsstudentische Lebensweise und das spezifische Sozialisationsmilieu die Geschlechterpolarität mit den dazugehörigen Rollenklischees permanent neu geschaffen. Verbunden mit dem propagierten Nationalismus, dem Männerbund als Lebensprinzip und dem militärischen Gesellschaftsbild trägt dies zum Rechtsextremismus bei. Drittens dienen die Rituale, insbesondere die Mensur, nicht nur zur Aus- und Abgrenzung und somit zur Schaffung einer eigenen Identität und der Bestätigung der eigenen Gemeinschaft, sondern erziehen auch zu einem „Habitus ohne Mitleid“ (Norbert Elias)[3], in den autoritäres Denken etc. übernommen wird. Als offene Forschungsfragen benannte Heither die Krise der Korporationen und mögliche Veränderungen im Hinblick auf ihre Rolle bei der Rekrutierung von Eliten.

Robert Erlinghagen (P- KW, Siegen) konstatierte in seinem Beitrag einen Bedeutungsgewinn des Begriffs Elite. Nach Erlinghagen gibt es in der BRD Geburts-, Wert- und Funktionseliten. Während die ersten beiden nicht demokratisch legitimiert seien, seien die Funktionseliten in einer behaupteten „offenen Gesellschaft“ formal allen zugänglich. Zu Recht wurde aus dem Publikum die Affirmation des Mythos der „offenen Gesellschaft“ kritisiert und auf die Determination der Aufstiegsmöglichkeiten durch soziale Herkunft verwiesen. Aufgrund der Expansion des Wissenschaftssystems und seiner Krise nähmen sogar Zeitschriften wie der „Unternehmensberater“ eine wachsende Bedeutung von Beziehungen für den sozialen und beruflichen Aufstieg an. Und genau hier setzen die Verbindungen mit der „Formung des Charakters“ und der Vermittlung von Kontakten an. Jedoch sehen sie sich auch unter einem gewissen Anpassungsdruck: Mehr denn je sei heute Innovationsfähigkeit ein Merkmal für die Dazugehörigkeit zur Elite. Gefragt sei z.B. Weltoffenheit bei gleichzeitiger Betonung des Standorts. Diese Leistung könnten die Corps und konfessionellen Verbindungen, die eher die modernen Funktionseliten repräsentieren und als technokratisch-konservativ zu bezeichnen sind, besser bewältigen als die ideologisierten und neokonservativen bis rechtsextremen Burschenschaften.

Am Nachmittag fanden Workshops zu den Themen Burschenschaften, Corps, Männerbund, Mensur, Schweizer Verbindungen und Wingolf statt.

Auf dem Abschlusspodium wurde über die Bedeutung und Funktion von Korporationen heute diskutiert. Michael Hartmann (Professor für Soziologie/ TU Darmstadt) stellte fest, dass die Korporationen für die Rekrutierung des Topmanagments ohne Bedeutung sind. Elitereproduktion funktioniere in der BRD weder über informelle Netzwerke noch über institutionelle Strukturen, vielmehr sei ein gleicher Habitus, der Gemeinsamkeiten anzeigt, entscheidendes Merkmal für den beruflichen Aufstieg. Die Tatsache, dass lediglich 10% der Führungsschichten aus den breiten Bevölkerungsschichten, also aus 97% der Bevölkerung, rekrutiert würden, verweist auf die Formung des Habitus durch die soziale Herkunft. Korporationen stellen zwar – nach Hartmann – eine Gefahr dar, jedoch spielen sie keine Rolle für die Elitenbildung und sammeln auch kein Großbürgertum, sondern Leute, die soziale Aufsteiger sein wollen.

Stephan Peters (P-KW, Marburg) stimmte Hartmann in der Rolle des Habitus als Selektionsmechanismus zu, betonte aber, dass die Zugehörigkeit zu einer Verbindung ebenfalls als Selektionsmechanismus wirkt. Wenn im letzten Bundestag 24 von 202 männlichen Abgeordneten der CDU/CSU allein einem von 26 Dachverbänden angehören, könne die Bedeutung der Korporationen nicht ausgeblendet werden. Hier wurde deutlich, dass es einer genaueren Bestimmung des Elitebegriffs bedurft hätte. Während Hartmann nur die erste Führungsebene der Topunternehmen als Elite und Parteipolitik als kleinbürgerlich geprägt bezeichnete, ist für Peters die definitorische Macht das Kriterium.

Gabriele Kämper (Literaturwissenschaftlerin/Berlin) wies auf andere Art und Weise auf einen Bedeutungsverlust der Korporationen hin. Sie ist der Ansicht, dass die intellektuelle „Neue Rechte“ als erfolgreichste Protagonistin der Frage, wie Männlichkeit wieder hegemonial werden kann, angesehen werden muss. Insbesondere dem Kreis um das von Botho Strauß publizierte Buch „Die selbstbewusste Nation“ gelinge es immer wieder, seine Thesen in renommierten Zeitungen der Mitte zu publizieren und Fürsprecher zu gewinnen.

In dem bald erscheinenden Tagungsband wird es zu den einzelnen Themen mehr zu lesen geben.

[1] Adorno, Theodor W.: Erziehung zur Mündigkeit, 1969, S.96.

[2] Vgl. Abendroth, Wolfgang: Zur Mentalitätsgeschichte akademischer Mittelschichten zwischen den Weltkriegen. . Korporationen in der Weimarer Republik unter besonderer Berücksichtigung des Wingolf; In: Holz, Hans Heinz/ Losurdo, Domenico (Hrsg.): Topos. Internationale Beiträge zur dialektischen Theorie, Heft 12 (1999), S. 143- 164.

[3] Zit. bei Heither, Dietrich: Weltanschauung, Politik und Brauchtum eines Männerbundes. Die Deutsche Burschenschaft; In: Projekt „Konservatismus und Wissenschaft“ e.V. (Hrsg.): Verbindende Verbände, 2000.