„Wie zum Beispiel könnte eine kleine in Nebel gehüllte Insel in der Nordsee über ein Viertel der Welt herrschen? Indem sie die einzelnen Teile voneinander isoliert, indem sie sie geographisch in genügender Distanz voneinander hält, um jede reale Bündnisbildung zu verhindern, indem sie separate Geschäftsbeziehungen unterhält, um sie auf partikularistische Weise an das Zentrum zu binden, indem sie den Multilateralismus mit Hilfe aller Formen abgestufter Mitgliedschaft auf ein Minimum beschränkt, und indem das Mutterland die Rolle des ‚Tors zur Welt’ übernimmt.“ (Galtung 1976, 53).
Die Geschichte der Süd-Süd-Beziehungen, der Vertiefung der Interaktion zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern, ist sicherlich keine glorreiche Begebenheit. Bis auf eine kurze Phase der „auffällige[n] Verdichtung der politischen und wirtschaftlichen (und anderer) Beziehungen zwischen Entwicklungsländern“ (Matthies 1982b, 3) in den siebziger Jahren gab es wenige Ansätze für eine gemeinsame Kooperation. Sämtliche Versuche in diese Richtung erschienen seit der Verschuldungskrise 1982 im Zuge des „Volcker-Schock[s]“ (Panitch/Gindin 2003, 128), einer Phase der Hochzinspolitik der amerikanischen Federal Reserve Bank, und dem Ende der Systemkonkurrenz als vorerst gescheitert. In den neunziger Jahren beschränkte sich die (wirtschaftliche) Kooperation im Süden meist auf Integrationsprojekte, die von dem ehemaligen japanischen Außenminister Masayoshi Ohira unter den Begriff „offener Regionalismus“ zusammengefasst wurden (Malcher 2003, 320). Diese Konzepte können als ein regionaler Aufbruch zu einem globalen Freihandelsregime verstanden werden, das die Entwicklungschancen der Mehrzahl der Länder an der (Semi)Peripherie zusätzlich einengt.
Mit dem ergebnislosen Abbruch des WTO-Gipfels in Cancún im September 2003[1] und der Entstehung der G20-Gruppe von Entwicklungsländern auf der Ebene der WTO, dem Stocken der Verhandlungen zu der von US-Interessen angeleiteten panamerikanischen Freihandelszone ALCA, der Revitalisierung und der partiellen politischen Rekonfiguration des südamerikanischen Freihandelsbündnis MERCOSUR und dem Aufleben der Kooperation zwischen Indien, Südafrika und Brasilien in dem IBSA Dialogue Forum scheint es jedoch zunehmende Anzeichen für eine neue Welle der Süd-Süd-Zusammenarbeit zu geben. Diese Kooperation befindet sich allerdings noch in der Anfangsphase und zeichnet sich durch schwerwiegende Hemmnisse, Blockaden und erste Rückschläge aus. Grund genug, die Frage zu stellen, ob wir Zeugen der Konstruktion einer „Neue[n] Macht der Peripherie“ (Brand 2004) werden oder ob diese Versuche lediglich ein kurzatmiges Aufbäumen sind. Des Weiteren gilt es zu erörtern, welche Triebkräfte zu der jüngsten Verdichtung der Süd-Süd-Beziehungen geführt haben.
OPEC, Blockfreienbewegung und geschlossener Regionalismus
Betrachten wir zunächst zwei erfolgreichere Versuche von Süd-Süd-Kooperation. Ohne Zweifel bestand das wohl aussichtsreichste Modell der Süd-Süd-Kooperation in der OPEC (Organization of the Petroleum Exporting Countries). Dem im September 1960 gegründeten Produzentenkartell gelang es nach einer Phase des relativen Überangebots an Erdöl, auf dem Weltmarkt in den sechziger Jahren 1973/74 die Listenpreise für ein Fass Saudi Arabian Light von 2,59 auf 11,65 US-Dollar zu erhöhen.[2] Ein zweiter Ölpreisschock erfolgte 1979/80, als der Preis auf knapp 26 US-Dollar anstieg (Hanisch 1982, 184). Die Strategie der Erdölförderländer zur Preisanhebung war dabei recht einfach. Durch die einseitige Aufkündigung von Nutzungsverträgen mit einzelnen multinationalen Unternehmen wurde die ökonomische und politische Souveränität der Förderländer über die Erdölressourcen hergestellt und das durch eine monopolistische Nachfragestruktur auf dem Weltmarkt gekennzeichnete „Dual-System“ aufgebrochen (Massarrat 2003, 139). Die politische Emanzipationsphase der OPEC-Staaten blieb jedoch eine kurze Episode. Ab den achtziger Jahren gelang es den multinationalen Erdölkonzernen und den Industriestaaten, das „Dual-System“ schrittweise zu rekonstruieren. Neben einer aus der Verlagerung von Erdölförderaktivitäten aus den OPEC-Staaten in andere Regionen bestehenden Diversifizierungsstrategie der Erdölunternehmen trugen schwere Konflikte innerhalb der OPEC wie der erste Golfkrieg zwischen dem Irak und dem Iran (1980-1988) dazu bei, die Verhandlungsmacht der OPEC zu schwächen und einen langsamen Preisverfall in Gang zu setzen. Dennoch hatte der relative Anstieg der Erdölpreise dazu geführt, dass große finanzielle Ressourcen in die Erdölförderstaaten transferiert wurden und in einer Fülle von Staaten im Mittleren Osten zu wirtschaftlichen Aufschwungsprozessen beitrugen.[3]
Ein weiteres verhältnismäßig erfolgreiches Projekt bestand in der Blockfreienbewegung. Nach einer langen Phase der Annäherung ging aus der Konferenz in Belgrad im September 1961 die Bewegung der Blockfreien hervor (Matthies 1985, 22-28). Die äußerst heterogene Blockfreienbewegung konnte von 26 Mitgliedsstaaten 1961 auf bis zu 101 Mitgliedern im Jahr 1983 anwachsen. Die Blockfreien, die sich als Solidaritäts- und Protestbewegung gegen jegliche Form von Fremdbestimmung definierten, zeichneten sich durch vier Hauptzielsetzungen aus (Matthies 1982b, 100; Pförtner 1997, 42-54): Zunächst stand eine friedliche Regelung von Konflikten im Rahmen des Ost-West-Konfliktes im Mittelpunkt ihrer Bemühungen. Zweitens bildeten die Konsolidierung der nationalen Unabhängigkeit und der Widerstand gegen jegliche Formen imperialistischer, (neo)kolonialer und rassistischer Unterdrückung durch die Blockmächte ein wichtiges Anliegen der Blockfreienbewegung. Außerdem sollte der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der ärmsten Mitgliedsstaaten ein zentrales Augenmerk gewidmet werden. Zuletzt bestand die Absicht, das System internationaler Beziehungen zu demokratisieren und multilateral zu gestalten. Hier bildete die UNO das Hauptaktionsfeld der Blockfreien.
Die Erfolge der Bewegung waren jedoch nur von geringem Umfang. Im Bereich der Demokratisierung des UN-Systems, der Erhöhung der strukturellen Flexibilität des internationalen Systems zu Zeiten der Blockkonfrontation, der Liquidation der Kolonialreiche und einer gewissen Eigenorganisation von Ländern der „Dritten Welt“ erreichten die Blockfreien zwar einige Teilerfolge (Matthies 1982b, 116), aber die von vielen Vertretern ärmerer Mitgliedsstaaten wie dem von 1964-1985 amtierenden tansanischen Präsidenten Julius Kambarage Nyerere (1974, 65-81) eingeforderte ökonomische Weiterentwicklung der unterentwickelten Staaten wurde nicht erreicht. Die Blockfreien fungierten somit eher als eine „force de frappe morale“ (Matthies 1982b, 114), die auf die normative Basis des bestehenden internationalen Systems zurückgriff und den Nord-Süd-Dialog als politisches Thema auf die Tagesordnung verschiedener Organisationen setzte.[4] In den späten achtziger Jahren verlor die Blockfreienbewegung jedoch zunehmend an Rang, bis sie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts endgültig in die Bedeutungslosigkeit versank.
Neben den zwei skizzierten Modellen existierten viele andere Versuche zur Süd-Süd-Kooperation: verschiedene Produzentenkartelle wie das Kupferkartell CIPEC, die zeitweilig relativ erfolgreiche, in der UNCTAD operierende G77-Gruppe (Sauvant 1982), unterschiedliche Ansätze zur ökonomischen und technischen Kooperation (Ernst 1982) und nicht zuletzt einige zeitweilig erfolgreiche regionale Integrationsprojekte. Diese „geschlossenen Regionalismen“ waren mit der von vielen Entwicklungsländern praktizierten Strategie der Importsubstituierenden Industrialisierung (ISI) verbunden.[5] Um die Absätze der einheimischen Industrie weiter zu steigern, sollten durch die Integrationsprojekte Exportmärkte für die Unternehmen unterentwickelter Länder in anderen „Dritte Welt“-Staaten geschaffen werden. Trotz einer Vielzahl von Versuchen zur Integration wiesen Bündnisse wie der Andenpakt, die CARICOM, die East African Community oder der ASEAN meist für nur kurze Zeit eine dynamische Entwicklung auf. Zu groß waren die Widerstände gegen eine verstärkte Konkurrenz auf einheimischen Märkten durch Firmen aus anderen unterentwickelten Staaten und zu gering die Bereitschaft, Produkte aus den Zentren mit Schutzzöllen zu belegen, um Unternehmen in den peripheren Nachbarländern zu stärken.
Theoretischer Exkurs: Probleme der Süd-Süd-Kooperation
Die Erfahrungen in den siebziger Jahren zeigen es deutlich: Süd-Süd-Kooperation ist ein schwieriges Unterfangen. Der Grund für die Entwicklungsblockaden für eine Vertiefung der Süd-Süd-Beziehungen ist in der Struktur der internationalen Beziehungen zu finden, die sich über Jahrhunderte hinweg herausgebildet hat. Einen für unser Erkenntnisinteresse nützlichen Erklärungsansatz dieser Beziehungen formuliert die Theorie des strukturellen Imperialismus von Johan Galtung (1976) dar.[6] Dem Friedensforscher (ebd., 40) zufolge lässt sich struktureller Imperialismus anhand von zwei Hauptmechanismen darstellen.
Zum einen existiert das Prinzip der „vertikalen Interaktionsbeziehung“ (a.a.O). Diese Beziehung ist hauptverantwortlich für die Ungleichheit von Peripherie und Zentrum. Grundlage für die vertikale Interaktionsbeziehung bildeten asymmetrische Interaktionsbeziehungen zwischen Peripherie und Zentrum, die nicht nur auf ungleichen Tausch und Plünderung aufbaut, sondern vielmehr auf einer „Kluft zwischen dem Niveau industrieller Verarbeitung“ (ebd., 43) beruht.[7]
Die vertikale Interaktionsbeziehung wird durch die „feudale Interaktionsstruktur“ (ebd., 50) zwischen Peripherie und Zentren aufrechterhalten, die für die Analyse der Probleme der Süd-Süd-Kooperation von zentraler Bedeutung ist. Die feudale Interaktionsstruktur ist dabei „nichts anderes als ein Ausdruck der alten politischen Maxime divide et impera [teile und herrsche d. Red.], einer Strategie, die die Zentralnation gegenüber Peripherienationen anwendet“ (ebd., 53, Hervorhebungen gestrichen, d. Red.). Eine Interaktion zwischen Peripherienationen findet nur in geringem Maße statt, multilaterale Interaktion, an der verschiedene Nationen des Zentrums und der Peripherie teilnehmen, wird auf ein Minimum begrenzt, und die Interaktion der Peripherie wird vom Zentrum monopolisiert. Auch wenn die äußerst schematischen Ausführungen Galtungs in verschiedenen Punkten sicherlich kritikwürdig sind, sollte jedoch festgehalten werden, dass jüngste Versuche der Zentrumsmächte, extrem vermachtete multilaterale Foren wie die WTO zu Gunsten bilateraler Interaktionsmuster aufzugeben, einen Versuch zur Rekonstruktion und Dynamisierung der feudalen Interaktionsstruktur darstellen könnten. Doch dazu später.
Welche politischen Implikationen ziehen diese Überlegungen nach sich? Die Antwort ist einfach: Die politische Hauptzielsetzung eines Ausbaus der politischen, ökonomischen, technischen, militärischen und kulturellen Süd-Süd-Beziehungen, der wirksam die Unterentwicklung der Nationen an der Peripherie angreift, muss in einem Ausbruch aus dem feudalen Interaktionssystem bestehen. Diese Politikempfehlung war in der politischen Diskussion in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren eng mit dem Begriff der kollektiven „self-reliance“ (Kahn 1980, Galtung 1983) verbunden. Auffällig an dem Konzept der kollektiven self-reliance war, dass sie eine „Strategie ohne Theorie“ war und somit einen Gegenpart zur Debatte um Abhängigkeit und autozentrierte Entwicklung bildete, die gewissermaßen eine „Theorie ohne Strategie“ war (Khan 1980, 10). Kollektive self-reliance als einer der nicht „systematisch ausgearbeiteten Termini“ (Galtung 1983, 47) stand für einen Versuch, „sich auf die eigenen Kräfte zu verlassen“ und somit bewusst Formen der Güter- und Wissensproduktion zu entwickeln, ohne sich dabei in ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Zentren zu begeben. Auf der Ebene der Dritten Welt bedeutete dies, „national fehlende Produkte, Technologie, fehlendes Kapital prioritär aus anderen Entwicklungsländern zu beziehen und dadurch Importe aus Industrieländern zu substituieren“ (Khan 1980, 7).
Allerdings sieht sich diese Strategie schwerwiegenden Hemmnissen und Entwicklungsblockaden ausgesetzt. Erstens sind die Interessen innerhalb einer peripheren Nation widersprüchlich. Auch in peripheren Nationen existieren immer Zentren, die oftmals eine Interessenharmonie mit den Zentren in den Zentrenstaaten und eine Interessendisharmonie mit der eigenen Peripherie aufweisen. Dieser Typ der „strukturellen Gewalt“ (Galtung 1976, 39) führt dazu, dass zur Veränderung der Ausrichtung der Außenpolitik und damit der politischen Verhältnisse ein harter politischer Kampf in der peripheren Gesellschaftsformation ausgefochten werden muss, der meist eine hohe politische Radikalität erfordert. Dieses Verhältnis wird durch verschiedene Zwangsinstrumente fixiert, die ein eigenständiges politisches Handeln an der Peripherie zusätzlich erschweren (Malcher 2003, 316-318). Staaten an der Peripherie können infolge einer auf die nationale Souveränität ausgerichteten Politik schnell von außen isoliert werden oder sogar Opfer von (in)direkter militärischer Gewalt werden, wie die US-Außenpolitik gegenüber dem heutigen Kuba, dem Chile Allendes und dem aufständischen Vietnam deutlich demonstriert.
Zweitens sind die Länder an der Peripherie keine homogene Masse. Zum einen existieren höchst unterschiedliche, teils widersprüchliche Interessen an der Peripherie. Diese Problematik lässt sich recht anschaulich an dem Beispiel von Produzentenvereinigungen skizzieren. Auch wenn die OPEC als vielleicht wirksamstes Modell der Süd-Süd-Kooperation eine große Ausstrahlungskraft auf andere Staaten an der Peripherie ausgeübt hat und einige Nicht-OPEC-Erdölförderländer in der „Dritten Welt“ von den hohen Preisen für Rohöl profitierten, war das Gros der Entwicklungsländer auf Öllieferungen angewiesen und hatte mit steigenden Energieausgaben zu kämpfen. Die Kooperation einiger Entwicklungsländer wurde somit zu einer Last für viele andere Peripherienationen. Zum anderen existieren verschiedene Entwicklungsniveaus unter den einzelnen Peripherienationen. Die Herausbildung von einer „Semiperipherie“ (Wallerstein 1982, 247, Hervorhebung ergänzt) deutet auf Austauschbeziehungen innerhalb der „Dritten Welt“ hin, die die vertikale Interaktion zwischen Zentrumsländern und Peripherienationen auf regionaler Ebene kopieren und somit unterschiedliche politische Interessen an der Peripherie und Semiperipherie produzieren. In dem Fall von Südafrika kann beispielsweise davon gesprochen werden, dass dem semiperipheren Land eine eigene Peripherie zugeordnet ist.
Zuletzt ist die Etablierung von verstärkter Süd-Süd-Kooperation an sich problematisch. Peripherienationen verfügen oftmals über ähnliche Exportprodukte, besitzen wenig wissenschaftliches Know How und keine unabhängige industrielle Basis. Aufgrund der Inkongruenz von Wirtschaftsstrukturen in der (Semi)peripherie bestehen auf den ersten Blick relativ wenige Anreize für eine Zusammenarbeit. Die tradierte Kooperation mit den Zentren wirkt schlichtweg einfacher.
Neoliberale Konterrevolution und offener Regionalismus
Die Theorie der Dependencia (Abhängigkeit) und des strukturellen Imperialismus sowie die Strategie der kollektiven „self-reliance“ verschwanden zeitgleich von der diskursiven Ebene wie die praktischen Versuche, Süd-Süd-Kooperation auszubauen, ein vorläufiges Ende fanden. Gründe hierfür sind in der historischen Weiterentwicklung der Nord-Süd-Beziehungen zu finden. Die Verschuldungskrise 1982 brach den Entwicklungsbemühungen in der Dritten Welt das Genick. Erhöhte Zinssätze für Staatsanleihen machten die Schuldenbedienung extrem problematisch. Von nun an mussten große Ressourcen für die Bedienung der Staatsschulden eingesetzt werden. Diese Situation der „externen Strangulation“ (Furtado zitiert nach Schirm 1990, 88) bildete die Ausgangsvoraussetzung für harte Strukturanpassungsprogramme des IWF, die eine Außenorientierung der Entwicklungsmodelle an der Peripherie durchsetzten und somit sämtliche Versuche von kollektiver „self reliance“ ad absurdum führten.[8]
Der Zusammenbruch des Ostblocks ab 1989 tat sein übriges. Nicht nur, dass sozialistische Peripherienationen wie Kuba auf den artifiziellen Weltmarkt im Osten angewiesen waren und somit knapp 90% ihrer Exportmärkte verloren – nein, auch Entwicklungsmodelle und politische Strategien, die auf dem politischen Spielraum basierten, den die Systemkonkurrenz an der Periphere produzierte, gerieten sowohl in eine politische als auch in eine ideologische Krise.[9]
Somit war es kein Wunder, dass sich die Süd-Süd-Kooperation in der neoliberalen Dekade der Neunziger einer tiefgehenden Transformation ausgesetzt sah. Die strukuralen Zwänge zur Zusammenarbeit mit dem Norden, die durch das Verschuldungsregime implantiert wurden, und der Verlust von politischen Freiräumen zur Importsubsituierenden Industrialisierung und Süd-Süd-Kooperation nach der Erosion des stabilitätsstiftenden globalen politikökonomischen Rahmenwerks des „Fordismus“ setzten neue Integrations- und Kooperationsmuster an der Peripherie auf die Tagesordnung. Das neue, sich auf freie Finanzmärkte und Informations- und Kommunikationstechnologien stützende „Dollar-Wall-Street-Regime“ (Gowan 1999) fand seine konkrete regionale Ausdrucksform an der Peripherie im neuen offenen Regionalismus. Der offene Regionalismus ist Teil der Implementierung eines veränderten weltwirtschaftlichen Regimes (Gamble/Payne 1996) und zeichnet sich durch folgende Charakteristika aus:
Der offene Regionalismus wirkt als eine neoliberale Marktverfassung, die strukturverändernd auf die nationalen Gesellschaftsformationen einwirkt. Anders als in traditionellen, geschlossenen Modellen an der Peripherie werden Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr zwischen den einzelnen Staaten nicht nach einzelnen Güterlisten, sondern allgemein liberalisiert. Darüber hinaus ist der offene Regionalismus durch eine hohe Außenorientierung gekennzeichnet. Die Senkung von Außenzöllen und die Beseitigung von Kapitalverkehrskontrollen deuten auf einen Integrationsmodus hin, der darauf abzielt, periphere Märkte zu vergrößern und für ausländische Investoren und Exporteure als attraktiven Standort und Exportmarkt darzubieten. Verstärkt werden diese Bemühungen wie im Fall des MERCOSUR und der NAFTA durch eine (mittlerweile aufgegebene) Koppelung der einheimischen Währungen an den Dollar, um Wechselkurssicherheit zu gewähren. Ein weiteres Novum besteht darin, dass offene Regionalismen nicht mehr nur zwischen peripheren Nationen, sondern wie im Fall der Mexiko, Kanada und die USA umfassenden nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA auch zwischen Zentrum und Peripherie gebildet werden (Ricupero 2003, 20). Die neuen Regionalismen zeichnen sich überdies durch einen Mangel an supranationalen Strukturen und einer prinzipiellen Offenheit für neue Mitglieder aus.
Offene Regionalismen sind daher nicht mit den Kooperationsmodellen der siebziger Jahre zu vergleichen, sondern bilden vielmehr eine Süd-Süd-Interaktionsbeziehung, die das Zentrum-Peripherie-Gefälle festschreibt und Teil des neoliberalen Gesellschaftsmodells ist. Die offenen Regionalismen haben sich in vielfältiger Form in verschiedenen Weltregionen durchgesetzt. Neben neuen Vereinbarungen wie dem NAFTA-Abkommen (1994) in Nordamerika, dem MERCOSUR (1991) in Südamerika oder der pazifischen APEC (1989) wurden ursprünglich geschlossene Regionalismen – wie beispielsweise die südostasiatische ASEAN durch das AFTA-Abkommen (1992) – zunehmend geöffnet.
Das Gespenst von Cancún: Die G20 und die G90
Neben regionalen und bilateralen Interaktionsmustern, die das neoliberale Disziplinarregime verfestigen, sind auch in mehr oder minder multilateralen Foren seit den neunziger Jahren Mechanismen wirksam, die das Zentrum-Peripherie-Gefälle verstärken, das neoliberale Gesellschaftsmodell festschreiben und paradoxerweise als wichtige Triebkräfte für die neue Welle der Süd-Süd-Kooperation gelten können. Die vielleicht tiefgreifendste Veränderung bildete die Transformation des GATT-Regimes (1947-1994) zum WTO-Regime. Das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) beschränkte sich auf regelmäßige Zollsenkungsrunden.[10]
Eine folgenreiche Umstrukturierung des Freihandelsregimes sollte schließlich die Uruguay-Runde (1986-1994) werden. Neben einem weiteren Zollsenkungsschub wurde eine Fülle von neuen Bereichen in die Verhandlungen aufgenommen. Die zur WTO (World Trade Organization) umstrukturierte Organisation umfasste von nun an drei Säulen: Das GATT, das zur Absicherung von geistigen Eigentumsrechten geschaffene TRIPS (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) und das auf Privatisierung von Dienstleistungen zielende GATS (General Agreement on Trade in Services). Die neue Struktur der WTO zeugt von einem Wechsel der Funktion der Institution. War das GATT Teilbestand des „embedded liberalism“ (Ruggie 1982) der Bretton-Woods-Epoche, hatte die WTO sich zu einem wichtigen Knotenpunkt eines Netzwerks globaler Regulation umgewandelt, das die Durchsetzung einer „Globale[n] Enteignungsökonomie“ (Zeller 2004) beschleunigt. Ein Hauptmerkmal dieses ökonomischen Regimes bildet das von David Harvey (2004) skizzierte Moment der „Akkumulation durch Enteignung“, das einerseits sämtliche in der von Marx (MEW 23, 742) beschriebenen sogenannten ursprünglichen Akkumulation eingeschlossenen Prozesse umfasst, wie „(1.) die Kommodifizierung und Privatisierung des Bodens und die gewaltsame Vertreibung der bäuerlichen Bevölkerung, (2.) die Umwandlung verschiedener Eigentumsrechte (öffentliche, kollektive etc.) in exklusive Privateigentumsrechte, (3.) die Unterdrückung alternativer und traditioneller Produktions- und Konsumtionsformen, (4.) koloniale, neokoloniale und imperialistische Prozesse der Aneignung von Vermögenswerten, (5.) die Monetarisierung des Tausches und der Besteuerung, (6.) der Sklavenhandel und (7.) Wucher, die Staatsverschuldung und schlussendlich das Kreditwesen“, sich aber auch durch neue Mechanismen wie die Patentierung von geistigem Eigentum, die Biopiraterie an genetischen Ressourcen und eine massive Privatisierungswelle öffentlicher Güter auszeichnet (Harvey 2004, 46).
Das neue Regime traf die (Semi)peripherie besonders hart und vertiefte das Nord-Süd-Gefälle. In vielen Entwicklungsländern ging die Umsetzung des neuen Regimes mit der Einschränkung nationaler wirtschaftlicher Souveränität, der beschleunigten Zerstörung tradierter ländlicher Strukturen und der Herausbildung von massiven sozialen Problemen einher. Gesellschaften an der Peripherie gerieten in tiefgehende strukturelle Transformationsprozesse, die sich durch eine weitere Liberalisierung der einheimischen Agrarmärkte, die Entnationalisierung der Produktion mittels Liberalisierung des Kapitalverkehrs und die zunehmende Segregation der nationalen Räume in latente Reproduktionskrisen der peripheren Gesellschaftsformationen umwandeln konnten. Neben einer Welle von Finanz- und Währungskrisen, die zunächst 1994/95 über Mexiko und andere lateinamerikanische Länder hinwegfegten, dann 1997/98 Südostasien in die Krise stürzten, um 1998/99 Russland und Brasilien, 2001 die Türkei und 2001/2002 Argentinien, Uruguay und Brasilien an den Rand des Abgrund zu drängen (Becker, u.a. 2003), besteht gerade vor dem Hintergrund des hohen Anteils der Landbevölkerung in verschiedenen asiatischen Ländern die Gefahr enormer sozialer Verwerfungen durch eine weitere Liberalisierung der Agrarmärkte (Tucker/Weisbrot 2004, 13). Diese Entwicklungsgänge können Polanyi (1990) zufolge als Momente eines globalen „Disembedding-Prozesses“ dargestellt werden, der beinahe zwangsläufig eine Gegenbewegung hervorbringen musste.
Die skizzierten Entwicklungsprozesse verdichteten sich in dem Scheitern des WTO-Gipfels im September 2003 in Cancún. Der ergebnislose Abbruch der Tagung resultierte aus andersartigen Widersprüchen und Konfliktlinien als das Scheitern des WTO-Treffens in Seattle 1999. Der zur Geburtsstunde eines neuen „postmodernen Fürsten“ (Gill 2001) stilisierte Gipfel von Seattle, der den Grundpfeiler eines „motivierenden sozialen Mythos“ (Augelli/ Murphy 1997) zur Mobilisierung der globalisierungskritischen Bewegung bildete, wurde infolge divergierender Interessen innerhalb der kapitalistischen Triade ergebnislos abgebrochen. Ein Blick auf die Konfliktlinien deutet demgegenüber darauf hin, dass sich im Vorfeld des Treffens von Cancún die Vertreter der Zentren in vielen Punkten auf einen Konsens geeignet hatten, der allerdings durch Regierungsvertreter aus der (Semi)Peripherie aus verschiedenen Gründen zu Fall gebracht wurde:
Erstens akzeptierten die Regierungsvertreter aus der Peripherie nicht mehr die undemokratischen Verhandlungsstrukturen. Die eigentlichen Verhandlungen fanden in sogenannten „green rooms“ zwischen den Vertretern der USA, Kanadas, der EU und Japans statt, während die Ergebnisse den restlichen Vertretern zur Abstimmung vorgelegt wurden. Zweitens wehrten sich Vertreter aus knapp 70 Schwellen- und Entwicklungsländern vehement gegen die Aufnahme der Singapore Issues (investment, government procurement, competition and trade facilitation) auf die Tagesordnung, woran schließlich die Verhandlungen scheitern sollten. Ein weiterer Kritikpunkt bezog sich auf den Protektionismus der Zentren gegenüber Agrargütern aus der Peripherie. Viele Vertreter von asiatischen und afrikanischen WTO-Mitgliedsstaaten fürchteten außerdem die Auswirkungen von Agrarmarktliberalisierungen an der Peripherie. Der vielleicht wichtigste Grund für das Scheitern bestand darin, dass sich teilweise schon vor der Konferenz neuformierte Allianzen zwischen (südost)asiatischen und lateinamerikanischen Schwellenländern, AKP-Staaten (Afrika, Karibik und Pazifik) und einigen LDCs (Least Developed Countries) formiert hatten, die eine aktive Rolle in den WTO-Verhandlungen spielten.
Eine bekanntere, in der WTO aktive Gruppe von Entwicklungsländern bildet die G20. An dem Treffen der G20 am Rande der UNCTAD XI am 12. Juni 2004 in São Paulo nahmen 19 Schwellen- und Entwicklungsländer teil.[11] Obwohl einzelne Mitgliedsstaaten beim Gipfeltreffen von Cancún an der Initiative gegen die Singapurthemen teilnahmen, ist die G20 auf Agrarthemen fokussiert. Ihr Hauptanliegen besteht darin, gerechte Wettbewerbsdingungen auf den internationalen Agrarmärkten herzustellen und damit die hochsubventionierten Agrarexporte aus der EU und den USA auf den peripheren Märkten zurückzudrängen, die Märkte der Zentren für Agrarprodukte zu öffnen und die heimischen Agrarstrukturen zu schützen. Ihre konkrete Zielsetzung besteht in „substantial reductions in trade-distorting domestic support, substantial increase in market access, phasing out with a view to elimination of all forms of export subsidies, and operational SDT, that takes into account food and livelihood security and rural development needs” (TWNR, 12.6.07). Die G20 zeichnet sich durch eine große Heterogenität der Mitgliedsstaaten aus. Vom agrarexportorientierten, wirtschaftsliberalen Chile bis zum politisch isolierten, sozialistischen Kuba ist eine beeindruckende Spanne von Nationen in der G20 vertreten. Auffällig ist, dass in der G20 die „big player“ des Südens ihren Platz finden: Neben den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt, Indien und China, nehmen Südafrika, Brasilien, Mexiko, Indonesien, Nigeria und Ägypten an der Gruppe teil. Die G20 vertritt auf diese Weise mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Trotz der heterogenen Mitgliederstruktur kann von einer zunehmenden inhaltlichen Konvergenz gesprochen werden. Die Konzentrierung der G20 auf Landwirtschaftsthemen und eine zeitweilige Annäherung an die agrarexportorientierte CAIRNS-Gruppe schien zunächst eine reine Agrarexportlobbyfunktion der G20 nahezulegen, die stärkere Zusammenarbeit mit der noch zu behandelnden G90 Gruppe und der Vorschlag des brasilianischen Präsidenten Luis Ignácio „Lula“ da Silva eine Freihandelszone zwischen den G20-Staaten zu schaffen, deuten jedoch auf eine vertiefte Zusammenarbeit hin, die über eine Partnerschaft innerhalb der WTO hinausgehen könnte.[12]
Ein weiteres in der WTO aktives Bündnis aus Schwellen- und Entwicklungsländern ist die G90. Sie schließt Staaten der AKP, der Afrikanischen Union und der LDCs ein. Grundlage für die Gruppe, die sich erst nach dem Gipfel von Cancún dauerhaft formierte, war der Widerstand gegen die Singapurthemen.[13] Die G90 konnte in zwei Treffen in Georgetown vom 3. bis 4. Juni und in Mauritius vom 12. bis 13. Juli 2004 eine gemeinsame inhaltliche Plattform (TWNR, 14.7.04) verabschieden und sich zunächst erfolgreich gegen Versuche der EU und der USA zur Wehr setzen, das Bündnis mittels materieller Konzessionen auseinander zu treiben.[14] In der in Mauritius verabschiedeten Plattform wird unter anderem der Widerstand gegen drei der vier Singapur Themen (investment, government procurement, competition) herausgestellt, eine Sonderbehandlung bei Zollsenkungsverpflichtungen für die gesamte G90 und eine klare Ablehnung von Zollsenkungen für die LDCs eingefordert und ein prinzipieller wirtschaftlicher Freiraum für unterentwickelte Staaten eingeklagt, der es ermöglichen soll, eine unabhängige Industrie- und Entwicklungspolitik durchzuführen. Auf dem vorangegangenen Gipfel in Guayana näherten sich die G90 an die G20 an und stellten heraus, in „solidarity for their common cause“ (TWNR, 4.6.04) zusammenzuarbeiten.[15]
Der Konsens von Buenos Aires
Doch die WTO bildet nicht die einzige Ebene, auf der sich neue Süd-Süd-Bündnisse herausbilden. Das wahrscheinlich markanteste Beispiel einer Süd-Allianz auf regionaler Ebene ist die neue Achse Buenos Aires – Brasília. Die Amtsübernahme der argentinischen Regierung Néstor Kirchner im Mai 2003 und die Vereidigung des ehemaligen Gewerkschaftsführers Lula zum Präsidenten von Brasilien im Januar 2003 bildeten die Grundlage für einen außenpolitischen Strategiewechsel, der weitreichende Konsequenzen für die Handelspolitik in der Region haben sollte. Das in Lateinamerika in eine Hegemoniekrise geratene Modell des Neoliberalismus (Schmalz 2004, 36-38) wurde durch den symbolischen Konsens von Buenos Aires auf außenpolitischer Ebene durch einige Veränderungen partiell in Frage gestellt:[16]
Erstens ist das von US-Interessen angeleitete Projekt der panamerikanischen Freihandelszone ALCA (Área del Libre Comercio de las Américas) vorerst gescheitert (ebd., 47f.). Das im Dezember 1994 initiierte Projekt war zum einen der Versuch, eine neoliberale Marktverfassung in sämtlichen Ländern Amerikas außer Kubas zu verankern und zum anderen die unliebsame europäische Konkurrenz aus strategisch wichtigen Märkten im Cono Sur zu verdrängen (Berriel Diaz/Malcher 2001). Die ALCA hätte Teilelemente des auf dem WTO-Gipfel von Seattle gescheiterten Investitionsabkommens MAI verankert, weitreichende Liberalisierungen der Dienstleistungs- und Gütermärkte in Lateinamerika nach sich gezogen und durch die Absicherung von „geistigen Eigentumsrechten“ eine Privatisierung der lateinamerikanischen Biodiversität und eine Absicherung der Wettbewerbsposition amerikanischer multinationaler Unternehmen gefördert. Der Abbruch des Verhandlungsprozesses ist nicht zuletzt dem gemeinsamen Engagement der argentinischen und brasilianischen Regierung zu verdanken, die ab Juni 2003 in einem Block der MERCOSUR-Staaten (Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay) die ALCA-Verhandlungen führten und den Prozess zusammen mit der venezolanischen Regierung ins Stocken brachten. Der parallel zu den ALCA-Verhandlungen ablaufende Prozess zum EU-MERCOSUR-Assoziierungsabkommen nahm ebenfalls eine starke Wendung. Das ursprünglich der ALCA inhaltlich äußerst ähnliche Projekt wurde auf einen wenige Bereiche umfassenden „two step approach“ reduziert, dessen Umsetzung bisher noch unsicher ist.
Zweitens brachten die brasilianische und argentinische Regierung mit der Revitalisierung und dem Umbau des MERCOSUR ein konkretes Gegenprojekt zur ALCA in Gang. War das 1991 gebildete MERCOSUR-Abkommen zunächst als ein offener Regionalismus konzipiert, der Bestandteil des neoliberalen Disziplinarregimes war (Malcher 2004, 251-262), versuchten die neuen Mitte-Links-Regierungen den Charakter des Abkommens zu verändern. Der MERCOSUR war nach den Finanz- und Währungskrisen in Brasilien (1998/99), Argentinien (2001/2002) und Uruguay (2002) in eine tiefe Krise geraten.[17] Nach ersten Versuchen zur Wiederbelebung des Abkommens durch den damaligen brasilianischen Präsidenten Cardoso (1995-2002) kam der Integrationsprozess durch die Wahl der neuen Staatschefs langsam in Fahrt: Der noch unter Cardoso vereinbarten Umwandlung des Verwaltungssekretariats in ein technisches Sekretariat folgte die Ratifizierung des Protokolls von Olivios zur Schaffung eines festen Gerichtshofs am 14. Oktober, der Beschluss zur Bildung einer Kommission von permanenten Repräsentanten im Dezember 2003 und die Einrichtung eines Instituts für eine gemeinsame Währung. Außerdem nahmen die MERCOSUR-Staaten Peru im August 2003 und Venezuela im Juli 2004 als assoziierte Mitglieder in den MERCOSUR auf und schlossen Freihandelsverträge mit den Staaten des Andenpakts (Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela) und Mexiko ab.[18] Weitere Pläne bestehen in der Schaffung eines Parlaments bis zum Jahr 2006, der finanziellen Unterstützung von bäuerlichen Kleinbetrieben und einer eventuellen Einrichtung von Strukturfonds für unterentwickelte Regionen.[19] Auch wenn im Vorfeld des 26. MERCOSUR-Gipfeltreffens am 8.7.2004 in Puerto Iguazú deutliche Spannungen zwischen der argentinischen und der brasilianischen Regierung herrschten und viele Elemente der neoliberalen Marktverfassung noch nicht wirksam aus dem Abkommen gestrichen wurden (Malcher 2004, 305-308), wurde jedoch eine partielle Rekonfiguration des MERCOSUR-Abkommens angestoßen, welche die supranationalen Institutionen stärkt und eine sozialere und demokratischere Ausrichtung des Blocks nach sich zieht.
Als dritter Punkt scheint eine vertiefte Zusammenarbeit im Bereich der Aushandlung der Schuldenrückzahlung mit dem IWF durch das bilaterale Treffen in Rio de Janero im März in greifbare Nähe zu rücken. Die oftmals heftig kritisierte Verhandlungspolitik Brasiliens mit dem IWF (Katz 2004) könnte durch den Beschluss, von nun an im Block mit dem IWF zu verhandeln (PI 62, 19.3.04), teilweise korrigiert werden und eine Stärkung der Positionen der beiden Schuldnerstaaten mit sich bringen. Die Neuaushandlung des Berechnungsmodells des IWF für den Haushaltsüberschuss von Brasilien deutet in diese Richtung (PI 66, 30.4.04).
Die G3: India, Brazil and South Africa Dialogue Forum
Doch nicht nur auf der Ebene wirtschaftspolitischer Übereinkünfte wurden Fortschritte in der Süd-Süd-Kooperation erzielt. Verschiedene handelspolitische Kooperationsmuster werden durch technologie- und sicherheitspolitische Beziehungen ergänzt. Das einprägsamste Beispiel besteht in der trilateralen Kooperation zwischen Brasilien, Indien und Südafrika.
Der Beginn der Zusammenarbeit bestand in der gemeinsamen Initiative beim WTO-Gipfel in Doha 2001 bei der Verhandlung des TRIPS-Abkommens, sämtliche Maßnahmen, die den Schutz der öffentlichen Gesundheit beeinträchtigen, aus dem Vertragswerk auszuklammern (Muralidharan 2001). Die Forderung der Schwellenländer bezog sich auf die Herstellung von billigen AIDS-Präparaten, die bei einer Implementierung von geistigen Eigentumsrechten unmöglich gemacht worden wäre, was im Zuge der hohen AIDS-Infektionsraten gerade in Südafrika große Schäden verursacht hätte.
Die zweite Phase der intensivierten Beziehungen begann mit der Gründung des IBSA Dialogue Forum (India, Brazil and South Africa Dialogue Forum) im Juni 2003, das den Fokus für die weitere Zusammenarbeit bilden sollte. In einer 20 Punkte umfassenden gemeinsamen Erklärung der Außenminister in Brasília formulierte das oft als G3 bezeichnete IBSA Ziele wie die Reform der UNO, den Kampf gegen den Protektionismus der Zentren und für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, der Kooperation in den Bereichen von Sicherheits-, Technologie- und Verkehrspolitik und einer jährlichen Institutionalisierung des Dialogs (IBSA Dialogue Forum 2003). Die Staatsbesuche von Lula in Indien im Januar 2004 (PI 58, 25.1.04) und in Südafrika im November 2003 begannen, dem Projekt Leben zu verleihen. Mittlerweile können neben der Kooperation im Bereich der AIDS-Präparate auf vier weiteren Ebenen konkrete Fortschritte festgestellt werden:
Auf der Ebene der Handelspolitik konnte mit dem Abschluss einer Freihandelszone zwischen Indien und dem MERCOSUR im Januar 2004 und der Aufnahme von Verhandlungen zwischen dem MERCOSUR und der Southern African Customs Union (Südafrika, Namibia, Botswana, Lesotho, Swasiland) klare Ergebnisse erzielt werden.[20] Im sicherheitspolitischen Bereich ist die auf dem ersten offiziellen Treffen des IBSA im März 2004 beschlossene gegenseitige Unterstützung für einen permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat eine interessante Neuheit (The Hindu, 5.3.04). Bei einem Treffen der Verteidigungsminister im Vorfeld des Treffens einigte sich die G3 auf regelmäßige gemeinsame Manöver und auf einzelne Käufe von in den Partnerländern entwickelten Waffensystemen (ebd.). Die technologiepolitische Kooperation erfreute sich ebenfalls neuer Aufmerksamkeit. Neben der Absicht, die Erfahrungen des auf durch Zuckerrohr gewonnenen Äthylalkohol basierenden brasilianischen Kraftstoffprogramms PROÁLCOOL nach Indien zu exportieren, könnte das Land am Ganges auch von der südafrikanischen Technologie zur Umwandlung von Kohle in synthetisches Benzin profitieren. Es wird außerdem eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Indien in der Weltraumforschung angestrebt, die sich in dem geplanten Start des brasilianischen EQUARAS-Mikrosatellit mit indischen Trägerraketen im Jahr 2006 widerspiegelt (PI 58, 25.1.04). Auch in der Verkehrspolitik erzielte man Ergebnisse. Außer einer Vereinbarung, Mumbai, Johannesburg and São Paulo durch tägliche Direktflüge miteinander zu verbinden, soll auch der Frachtschiffsverkehr zwischen den drei Nationen ausgebaut werden. Der brasilianische Außenminister Celso Amorin äußerte darüber hinaus das Vorhaben, die G3 um China und Russland auf eine G5 zu erweitern. Diese „poor man’s G8“ (Devraj 2004) soll ein Gegengewicht in der internationalen Politik schaffen.
Schlussfolgerung
Eines ist offensichtlich: Es scheint eine neue Welle der Süd-Süd-Kooperation in Gang gekommen zu sein, die eine längerfristige Erscheinung in der internationalen Politik werden könnte. Die neue Welle der Süd-Süd-Zusammenarbeit unterscheidet sich jedoch in wichtigen Punkten von den Versuchen der siebziger Jahre:
Zunächst sind die Ausgangsbedingungen für die Süd-Süd-Kooperation grundverschieden. Wurden die vergangenen Süd-Süd-Bündnisse innerhalb des eine souveräne nationale Wirtschaftspolitik begünstigenden globalen Rahmenwerks des „Fordismus“ geschmiedet und profitierten diese gleichzeitig von dem außenpolitischen Spielraum im Rahmen des Ost-West-Konflikts, sieht sich die Peripherie heute in der neoliberalen Konfiguration einer weitgehend konsensualen Agenda der Zentren ausgesetzt, die periphere Märkte für Überschusskapital aus den Zentren öffnet und Entwicklungschancen an der Peripherie vermindert. Diese Dynamik führt jedoch zu einer Transformation, die massive politische Veränderungen produziert. Infolge der Reproduktionskrise peripherer Gesellschaftsformationen geraten die eher unabhängigen, national orientierten Teile der Bourgeoisie an der Peripherie in Konflikt mit der Agenda der Zentrumsnationen, es wird eine latente Interessendisharmonie zwischen Teilen der Zentren der Peripherie und der Zentren der Zentren produziert. Diese Interessendisharmonie artikulierte sich seit dem Gipfel von Cancún hauptsächlich auf der Ebene der WTO. Ein Anzeichen hierfür ist die Tatsache, dass Staaten der Semiperipherie wie Brasilien und Indien zu den aktivsten Akteuren der Süd-Süd-Zusammenarbeit gehören.
Die Süd-Süd-Kooperation bringt eine Reihe von Chancen mit sich. Eine positive Entwicklungsmöglichkeit bestünde in der Herausbildung einer neuen Geographie des Welthandels und der zwischenstaatlichen Interaktionen, die sich stärker auf die Südhalbkugel verlagern würden und somit das Zentrum-Peripherie-Gefälle aufbrechen könnten. Dabei würden allerdings nur die materiellen Grundlagen für eine wirksame Gegenhegemonie in Form einer „Dritte-Welt-Koalition“ (Cox 1998, 67) gelegt. Diese Veränderung müsste wie im brasilianischen Fall von progressiven politischen Kräften moderiert und verändert werden, um eine soziale Perspektive für die Peripherie und eine demokratische multilaterale Weltordnung zu entwickeln. Es könnten dabei auch Türen für radikalere politische Veränderungen im Süden aufgestoßen werden, die nicht nur den Neoliberalismus, sondern auch die kapitalistische Produktionsweise an sich in Frage stellen. Solche Entwicklungsoptionen sind allerdings noch weit entfernt.
Dennoch existieren drei große Risiken. Zunächst sind die neuen Bündnisse äußerst fragil und können von außen leicht unter Druck gesetzt werden. Die Verhandlungen in Genf zu einem WTO-Rahmenabkommen wurden durch heftige „divide and rule tactics“ (FGS, 1.8.04) flankiert und führten zu einem Kompromiss, der trotz der Zugeständnisse aus den Zentren im Agrarbereich wie der Senkung von Exportbeihilfen zu einer „Katastrophe für die Armen“ führen könnte (ebd.). Außerdem sind gerade die G20 und die G3 Bündnisse von semiperipheren Nationen. Es besteht die Gefahr, dass diese zu Foren werden, in denen zum einen ausschließlich die Interessen der peripheren Bourgeoisie vertreten werden und dabei gleichzeitig das Gefälle zwischen Peripherie und Semiperipherie zementiert und somit das Zentrum-Peripheriegefälle auf andere Art und Weise reproduziert wird. Darüber hinaus entstehen durch die handelspolitischen Initiativen der Süd-Süd-Bündnisse auf der regionalen Ebene und in der WTO andere Herausforderungen. Seit den späten neunziger Jahren wird durch die EU und zunehmend auch durch die USA eine Bilateralisierung und Regionalisierung der Weltwirtschaftsordnung forciert. Die auf dem Gipfeltreffen von Cancún gescheiterte Agenda wird nun auf bilateraler Ebene verhandelt. Dieser Schub der Bilateralisierung verstärkt die feudale Interaktionsstruktur und übt mittels handelsumleitender Effekte Zwänge auf andere Entwicklungsländer aus, bilaterale Abkommen mit den Zentrumsmächten abzuschließen. Durch das Verlassen der multilateralen Ebene der WTO könnten somit die bereits gescheiterten Projekte zunächst bilateral durchgesetzt und später wieder auf die multilaterale Ebene gehievt werden, um so das neoliberale Disziplinarregime zu verstärken.
Kurzum: Wir könnten in den kommenden Jahren Zeugen eines Revivals entwicklungspolitischer Debatten werden, die sich an konkreten Praxen der Süd-Süd-Kooperation abarbeiten. Die G20, die G90 und das IBSA Dialogue Forum sind erste Anzeichen für einen solchen Prozess, dessen langfristige Dynamik bisher noch nicht abzuschätzen ist. Auch wenn das am 31.7./1.8.04 in Genf verabschiedete WTO-Rahmenabkommen für die Doha-Runde den Hoffnungen auf die Vertiefung der Süd-Süd-Zusammenarbeit einen Dämpfer verliehen hat (FGS, 30.7.04; FGS, 1.8.04), ist jedoch klar, dass nach zwanzig Jahren eines politischen Vakuums im Bereich der Süd-Südkooperation diese Bündnisse eine absolute Neuheit auf der weltpolitischen Bühne darstellen und auch weiterhin eine intensive Beobachtung verdienen.
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[1] In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 2004 erzielten die WTO-Mitgliedsstaaten in Genf einen Konsens für ein Rahmenabkommen, das sich auf eine stärkere Liberalisierung der Agrar- und Gütermärkte beschränken wird. Die Zugeständnisse der Industrieländer gegenüber dem Süden bestehen in einer Rücknahme von Agrarexportsubventionen und einem erweiterten Marktzugang für Agrarprodukte aus dem Süden. Drei der vier in Cancún verhandelten Singapurthemen (investment, government procurement, competition) fallen auf Drängen der Entwicklungsländer aus der Doha-Handelsrunde heraus. Es ist infolge der Liberalisierungen dennoch zu befürchten, dass es trotz der Korrekturen zu katastrophalen Veränderungen für die (Land)bevölkerung im Süden kommen wird (FGS, 30.7.04).
[2] Arabian Light wird seit 1984 unter dem Namen Brent gehandelt.
[3] Die wirtschaftlichen Konsequenzen für die Nord-Süd-Beziehungen sind ernorm. Eine Preiserhöhung von nur einem Dollar pro Barrel Rohöl bedeutete im Jahr 2000 eine Steigerung von jährlich 35 Mrd. US-Dollar an Energieausgaben in den OECD-Ländern. Bei einer intelligenten Nutzung dieser Ressourcen können die Mittel entscheidende Inputs für die Entwicklung der erdölexportierenden Länder darstellen (Massarrat 2000, 134).
[4] Vermehrtes abweichendes Verhalten der Blockfreien von den von ihnen proklamierten moralischen Normen führte allerdings dazu, dass diese an Glaubwürdigkeit einbüßten.
[5] Die Importsubsituierende Industrialisierung basierte auf der Strategie, die einheimischen Binnenmärkte gegen ausländische Importwaren durch hohe Zollschranken abzuschirmen, um so durch gezielte Industriepolitik Anreize für einen Industrialisierungsprozess vor Ort zu setzen.
[6] Ich bediene mich der Theorie Galtungs lediglich als Hilfestellung zur Erklärung der Süd-Süd-Kooperation. Galtungs Theorie ist in vielen Punkten historisch überholt und müsste für eine zeitgemäße Interpretation reformuliert werden. Dennoch lassen es die von Galtung genutzten theoretischen Instrumente zu, einige Grundprobleme der Süd-Süd-Kooperation sehr präzise zu skizzieren, die auch für eine aktuelle Analyse interessant sind.
[7] Imperialismus ist für Galtung jedoch kein rein ökonomisches Phänomen. Galtung unterscheidet zwischen ökonomischem, politischem, militärischem, kulturellem und Kommunikationsimperialismus (55).
[8] Die Kritik der globalisierungskritischen Bewegung am IWF ist mittlerweile bekannt. Interessant ist jedoch, dass in vielen Ländern an der Peripherie bereits in den Achtzigern starke Proteste gegen die Institution ins Laufen kamen. In Brasilien wurde schon in den Folgejahren der Schuldenkrise gegen den auf portugiesisch FMI bezeichneten IWF unter dem Schlagworten FMI = fome, miséria e inflação (IWF = Hunger, Elend und Inflation) mobilisiert (Schirm 1990, 89).
[9] Die Blockfreien erklärten in den frühen neunziger Jahren ihre Zustimmung zu den Prinzipien von Freiheit und Marktwirtschaft.
[10] In der Dillon-Runde 1961/1962 sanken die Schutzzölle um knapp 20%, die Kennedy-Runde 1964-67 zog Zollsenkungen um weitere ca. 35% bei Industrieprodukten und ungefähr 20% bei Agrarprodukten nach sich, und die Tokio-Runde veränderte das Zollniveau um weitere 30% nach unten.
[11] Es waren Delegationen aus Argentinien, Ägypten, Brasilien, Chile, China, Kuba, Indien, Indonesien, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Paraguay, Philippinen, Südafrika, Tansania, Thailand, Venezuela und Zimbabwe anwesend.
[12] Die brasilianische Regierung übernimmt die Koordination der G20. Brasilien fungierte bereits vor dem Gipfel von Cancún als Initiator der Gruppe und war mittlerweile mehrfacher Gastgeber für gemeinsame Treffen, was nicht zuletzt auf die Wahl der Regierung Lula im Oktober 2002 zurückzuführen ist.
[13] Die G90-Staaten brachten die Verhandlungen zu Fall, bevor es zur Behandlung des großen Streitpunkts der Agrarthemen kam. Eine genaue Übersicht über den Verhandlungsverlauf bieten Deckwirth u.a. 2003.
[14] Die G90 war jedoch nicht fähig, in den Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen für die Doha-Runde im Juli 2004 in Genf vollkommen einheitliche Positionen zu beziehen. Imerhin gelang es gemeinsam mit der G20, drei Singapurthemen (investment, government procurement, competition) aus der Doha-Runde zu streichen.
[15] Der brasilianische Außenminister Celso Amorin, der als Vertreter der G20 beim Gipfel anwesend war, bekräftigte diese Zielsetzung.
[16] Die Präsidenten Kirchner und Lula gaben am 16. Oktober eine als „Konsens von Buenos Aires“ bezeichnete gemeinsame Erklärung ab, die eine verstärkte bilaterale Zusammenarbeit vorsieht und unter http://www.brazil.org.uk/page.php?cid=1654 in englischer Sprache vorzufinden ist.
[17] Der Regionalisierungsgrad der Exporte im MERCOSUR sank von einem Höchstwert von 25% im Jahr 1998 auf knapp 11% im Jahr 2002.
[18] Bolivien und Chile sind seit 1996 ebenfalls assoziierte Mitglieder.
[19] Die Einführung des Parlaments dürfte erst nach dem absehbaren Wahlsieg der linksgerichteten Frente Amplio in Uruguay auf die politische Tagesordnung kommen.
[20] Der MERCOSUR und Südafrika haben bereits am 15.12.2000 ein gemeinsames Rahmenabkommen unterzeichnet.