„Ob BriefträgerInnen, Lkw-Fahrer, LagerarbeiterInnen, McDonald’s-Servicekräfte oder Call Center Agents für Niedrigstlöhne arbeiten, Ich-AGs sich für ihre Existenz abstrampeln, LeiharbeiterInnen bei obskuren Vermittlungsagenturen um ihre Entlohnung kämpfen müssen, eine kasachische Ärztin bundesdeutsche Wohnungen putzt, kurdische Flüchtlinge im Imbiss oder Polen, Rumänen, Deutsche und Portugiesen auf Baustellen arbeiten; Heimarbeiterinnen auf Abruf arbeiten und Studentinnen Kinokarten abreißen oder später Hilfsjobs im Ausbildungssektor haben – die angebliche ‚Wissens- oder Informationsgesellschaft‘ basiert auf Zeitarbeit und Niedriglohn.“ Im Aufruf zu dem Kongress „Die Kosten rebellieren“ benannten die Veranstalter das, was für einige Menschen schon Alltag geworden ist und worauf sich viele andere schon individuell einstellen, obwohl diese Vorstellung mindestens Unbehagen auslöst. Es drängt sich die Frage auf, ob und wie man sich kollektiv gegen diese Zumutungen wehren kann.
Die internationale Versammlung zu Prekarisierung und Migration wurde durch ein breites Spektrum unterschiedlicher antirassistischer, gewerkschaftlicher und migrantischer Gruppierungen und Erwerbsloseninitiativen unterstützt. Die Veranstalter LabourNet Germany und Kein Mensch ist illegal erhofften sich einen fruchtbaren Austausch über mögliche (gemeinsame) Handlungs- und Protestmöglichkeiten angesichts des sich verschärfenden Drucks auf alle Lohnabhängigen und unter Berücksichtigung der Repressionen, des alltäglichen und institutionellen Rassismus gegen migrantische Beschäftigte und Illegalisierte.
Hagen Klein (Kein Mensch ist illegal) betonte in der Auftaktveranstaltung die Notwendigkeit, dass Analyse und Kritik des Kapitalismus wieder in den Blick antirassistischer Politik treten müsse. Es sei wichtig, die Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Rassismus zu erkennen, was bedeute, dass unterschiedliche Perspektiven auf Migration, Arbeit usw. zusammengebracht werden müssten.
Mag Wompel (LabourNet Germany) hält aus gewerkschaftslinker Sicht eine Zusammenarbeit mit anderen sozialen Bewegungen als Möglichkeit des Protests und des Widerstands für unerlässlich. Sie macht den Begriff der Prekarisierung greifbarer, indem sie ihn in unterschiedliche Formen unterteilt: Demnach gibt es auf der einen Seite durch Gesetze und Tarifverträge geregelte Prekarisierung und auf der anderen Seite Formen nicht geregelter prekärer Beschäftigungsverhältnisse, welche den Stand der Regulierung überhaupt erst nicht erreichen. Gleichzeitig gebe es zum Teil selbstgewählte prekäre Arbeitsverhältnisse auf höherem Niveau, aber vor allem unfreiwillige Prekarität. In diese werden oft unter Existenzängsten lebende MigrantInnen gedrängt, da viele durch die rassistische Aufteilung des Arbeitsmarktes bzw. durch ihren Status als Illegalisierte von Formen regulierter Beschäftigung ausgeschlossen werden. Von Prekarisierung sind für Mag Wompel nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen, weil verschiedene Menschen auch unterschiedliche Bedürfnisse haben. Daher lehnt sie Zwangskollektive und den Versuch, kollektive Identitäten zu schaffen ab. Die Unterschiedlichkeit der Erfahrungen müsse in Bezug auf neue Kampfformen nutzbar gemacht werden. Eine gemeinsame Forderung könnte der Anspruch und das Recht auf ein würdiges Leben sein, welches nicht unter Verwertungszwang stehe. Es gehe also darum, dafür zu kämpfen, nicht verwertet zu werden.
Im Anschluss stellte sich RESPECT, ein europäisches Netzwerk bezahlter migrantischer Hausarbeiterinnen vor. Sie machen eine feministische Perspektive auf Reproduktionsarbeit und Globalisierung stark. Ein Ziel von RESPECT ist es, Arbeit zu politisieren.
Daraufhin schilderten Vertreter der Vereinten Arbeitergewerkschaft der Türkei, eine kleine Organisation, die unter anderem Leih-und ZeitarbeiterInnen organisiert, den Streik der LeiharbeiterInnen bei der Post in Istanbul. Während 200 LeiharbeiterInnen dort streikten, erhielten Formen prekärer Beschäftigung durch entsprechende Gesetze einen rechtlichen Status. Die Gewerkschaft wurde nach dem Streik verboten.
Am Samstag wurden parallel Workshops und Vorträge zu verschiedenen Themenbereichen angeboten. So gab es Diskussionen über die spezielle Betroffenheit von MigrantInnen durch Hartz III und IV und die Möglichkeiten der Gegenwehr. In einem Ankündigungstext für einen anderen Workshop heisst es: „Jenseits der sich formierenden breiten Protestbewegung gegen den massiven Sozialabbau und der erfolgreichen Großdemonstrationen wird die Gruppe der Menschen, die bereits unter den Auswirkungen der Hartz-Gesetze zu leiden haben, von allen Seiten im Stich gelassen, obwohl bei ihnen akuter Informationsbedarf über die aktuelle Rechtslage und v.a. die juristischen Verweigerungsmöglichkeiten besteht.“ Welche Perspektiven des alltäglichen Widerstands gegen die neuen Zumutungen gibt es, sind sinnvoll, vorstellbar, notwendig? Braucht es ein neues Leitbild in den sozialen Auseinandersetzungen? In der Forderung nach einem Zurück zu fordistischer Regulierung der Beschäftigungsverhältnisse sah kaum jemand Potenzial. Vielmehr gehe es darum eine offensive Position zu vertreten, d.h. ein „schönes Leben“ zu fordern. Allerdings wurde dies selten mit Inhalt gefüllt. Meistens diskutierte man über strategische Fragen und machte sich über mögliche Bündnispartner Gedanken. Es gab relativ wenig Raum dafür, sich darüber auszutauschen, wie wir in Zukunft leben und arbeiten wollen, wie Arbeit verteilt werden könnte, wie Reproduktionsarbeiten organisiert werden könnten usw.
Die Frage, welche Rolle Gewerkschaften in diesem Zusammenhang einnehmen sollten und welche Rolle sie zur Zeit spielen, zog sich als eine Art roter Faden durch viele Workshops. Oft zeigten sich die Teilnehmenden enttäuscht und von den Gewerkschaften im Stich gelassen.
Es gab aber auch Berichte von erfolgreichen gewerkschaftlichen Kämpfen. Neue Formen und Orte der Organisierung in prekären/migrantischen Arbeitsverhältnissen wurden u.a. von der französischen Basisgewerkschaft SUD, dem Latino Workers Center aus New York sowie eines Campaigners der US-Textilgewerkschaft Unite zur Diskussion gestellt.
Abends wurde man durch „Die ultimative Metro-Revue“ unterhalten. Diese exemplarische multimediale Studie einer der wichtigsten Verwertungsketten der Welt bot Unterhaltung mit Gästen aus aller Welt, hinterließ allerdings einen bitteren Beigeschmack. Die Veranstalter äußerten am Sonntag Zufriedenheit. Es war gelungen, unterschiedliche politische Gruppierungen zusammenzubringen und diese in angeregte Diskussionen zu verwickeln. Helmut Weiss von LabourNet hätte sich allerdings eine stärkere Beteiligung von Gewerkschaftslinken gewünscht. Einige kritische Stimmen vermissten eine deutlichere Kritik an (Lohn-)Arbeit als solcher. Wenn auch der Eindruck entstand, dass man auf dem Kongress nicht unbedingt wahnsinnig viel neues erfahren hat, so kann der Austauschcharakter als durchweg positiv und ausbaufähig bewertet werden.
Der Kongress zeigte auch konkrete Ergebnisse. So wurde eine Solidaritätserklärung mit der türkischen Gewerkschaft BIS verabschiedet, die im Dezember vergangenen Jahres verboten wurde. Zudem beschloss der Kongress, eine internationale Solidaritätskampagne für die Reinigungsfrauen beim französischen Dienstleistungsunternehmen Arcade ins Leben zu rufen, die über ein Jahr die Hotelkette Accor bestreikten. Außerdem plant man für den 3. Januar 2005 einen Aktionstag der Erwerbslosen gegen die Einführung des Arbeitslosengeldes II. In ganz Deutschland sollen die Bundesagenturen für Arbeit „gestürmt“ werden.