Der Beitrag von Alfred Müller über kapitalistische Produktionsweise und Profitratenfall (Z 80, S. 130ff.) lenkt den Blick dankenswerterweise auf die beiden langfristig wirksamen Momente der Profitratenbewegung im industriellen Kapitalismus: die Erhöhung der technischen (und so auch organischen) Zusammensetzung des in der Mehrwertproduktion eingesetzten Kapitals und die Freisetzung mehrwertproduzierender Lohnarbeiter durch arbeitskräftesparenden technischen Fortschritt. Wenngleich die mathematische Argumentation für mich schwer verständlich ist, wird doch am Schluß des Aufsatzes sehr deutlich, daß das Zusammenspiel dieser beiden (in der Regel nicht als solche begriffenen) zugleich ökonomischen wie technischen Momente ein Spezifikum der industriellen Produktion relativen Mehrwerts ist, deren Entwicklung „gesamtwirtschaftlich zur übermäßigen Zunahme der Produktionsmittelintensität und damit zum tendenziellen Fall der Profitrate“ führt. (Das berührt auch, wie der Autor andeutet, die Wirkungsbedingungen alternativer Wirtschafts- und Sozialpolitik.) Im Unterschied zum Mainstream der überwiegend spekulativen Diskussion des Profitratenproblems hat Alfred Müller in diesem Beitrag (und wohl auch in seinem mir noch nicht bekannten Buch, PapyRossa-Verlag 2009) erkannt und deutlich gemacht, daß sich das Marxsche Theorem auf die „kapitalistischen technologischen Veränderungen“ in der Entwicklung dieser Produktionsweise bezieht (ähnlich durchblickend auch das Buch von Rainer Roth über die Finanz- und Wirtschaftskrise, Frankfurt-M. 2009). Dabei gibt Müller bezüglich der aktuellen Situation dieses Systems zu bedenken: „Die Erkenntnisse über den heutigen technischen Fortschritt sind noch sehr begrenzt.“ Das kann allerdings auch kaum anders sein, weil es „den“ heutigen technischen Wandel gar nicht gibt, und zwar deshalb, weil dessen Entwicklungsrichtung bekanntlich hart umkämpft ist. Es ist ja immer noch strittig, welche Pfade durchzusetzen sind, und insbesondere ist unklar, welcher tatsächlich weiterverfolgt bzw. eingeschlagen wird; beispielsweise in der Energiewirtschaft: der Pfad „Weiternutzung der Kernenergie, Zubau von Kohlekraftwerken, Kohlendioxid-Bunkerung, Agrotreibstoffe“ oder der Pfad „Blockheizkraftwerke, heimische Solarenergie, Windkraft, intelligente Stromnetze“. Daß die Wahl zwischen solchen Pfaden (oder eine unselige Mixtur von Elementen beider Optionen) die Kapitalzusammensetzung und den Arbeitskräfteeinsatz mehr als bloß berührt, ist klar. Es fragt sich nur, auf welche Weise und mit welchem Ergebnis dies genau geschieht, was das für den Fortgang der kapitalistischen Produktionsweise bedeutet, ob es letztlich mit ihr verträglich ist oder nicht. Daher kann man auch den folgenden Satz Alfred Müllers dick unterstreichen: Die Begrenztheit der Erkenntnisse über den aktuellen „technischen Fortschritt [...] sollte vor allem für die Marxisten ein Ansporn sein, sich auf diesem Gebiet fundierte Erkenntnisse anzueignen, bevor sie leichtfertig das Marxsche Gesetz des Profitratenfalls zurückweisen“.
Karl Hermann Tjaden