Berichte

Sommerakademie von attac Deutschland

Dresden, 31. Juli bis 5. August 2004

Dezember 2004

Unter dem Motto „Widerstand bilden – Alternativen entwickeln“ fand zum dritten Mal die Sommerakademie von attac Deutschland statt, mit Dresden erstmals in Ostdeutschland. Obwohl es zu Beginn der Akademie zu einigem Durcheinander und organisatorischen Unstimmigkeiten kam – wegen unzureichender Werbung kamen weniger TeilnehmerInnnen als erwartet, was zur Folge hatte, dass bezüglich der Anzahl und Aufteilung der einzelnen Veranstaltungen umdisponiert werden musste – wurde sie mit insgesamt mehr als 600 TeilnehmerInnen dennoch ein Erfolg.

Wie in den vorangegangenen Sommerakademien war auch diese wieder eine Mischung aus über mehrere Tage stattfindenden Vormittagsseminaren, einzelnen Nachmittagsseminaren und -workshops, sowie Panels, abendlichen Podiumsdiskussionen – insgesamt über 200 Veranstaltungen – und Kulturprogramm. Die einzelnen Veranstaltungen wurden unter mehreren Schwerpunktthemen zusammengefasst: „Europa globalisiert“, „Nord/Süd-Ökonomie und Sicherheit in der einen Welt“, „Arbeitsstaat, Sozialmarkt“, „Sonstiges“.

Viele Seminare beschäftigten sich mit hochaktuellen Themen, darunter Hartz IV, Europäische Verfassung, GATS, Imperialismus sowie der Frage nach dem Verhältnis von sozialer Bewegung und Staat bzw. Parteien, sowohl mit Blick auf die politische Praxis als auch das theoretische Verständnis. So behandelte eines der Seminare der Gruppe „Kritik & Praxis Berlin“, zusammen mit Alex Demirovic sowie Jens Wissel von der Uni Frankfurt durchgeführt, das Verhältnis von Staat, Neoliberalismus und Klassen aus der Perspektive einer materialistischen Staatstheorie. Ziel des dreitägigen Seminars war es, „den Zusammenhang von Ökonomie, Staat und Gesellschaft begreifbar zu machen und die Politik als Form der Aushandlung zwischen den einzelnen Sphären zu verstehen.“ Fokussiert werden sollte auf das „widersprüchliche Verhältnis von Entstaatlichung und Privatisierung einerseits sowie die Expansion repressiver Staatsfunktionen und globaler Re-Regulierung andererseits“. Ebenso wurde „nach der Rolle des Ideologischen und dem Kampf um Hegemonie, dem Wandel der Klassenverhältnisse durch die Globalisierung“ gefragt sowie über „Formen politischer Gegenmacht“ diskutiert.

Am ersten Tag verschafften sich die TeilnehmerInnen Klärung über einige Grundbegriffe von Kapitalismus und Kapitalismuskritik, anschließend diskutierte man das Kapitalismusverständnis von Attac. Dabei warfen einige der TeilnehmerInnen attac eine Verkürzung vor, die sich insbesondere in der Fixierung auf das Finanzkapital ausdrücke – eine Kritik, die bei der Sommerakademie öfter als bisher zu hören war.

Am Sonntag referierte Alex Demirovic unter Bezugnahme auf die Theorien von Gramsci und Poulantzas über das Verhältnis von Staat, Ökonomie und Hegemonie im Allgemeinen, wie unter den Bedingungen der neoliberalen Globalisierung und die Bedeutung von Demokratie im Neoliberalismus. Staat, Ökonomie und Demokratie bedingen sich gegenseitig.

Der Neoliberalismus kann sich nicht ohne Staat durchsetzen. Das Handeln des Staates beschränkt sich keineswegs auf Sicherheitspolitik, doch gewinnt die repressive Funktion der Staaten im Prozess der neoliberalen Globalisierung an Bedeutung; parallel dazu werden demokratische Entscheidungsprozesse immer mehr eingeschränkt: Demokratie ist eine Form kapitalistischer Herrschaft, und deshalb kann sie nicht einfach gegen Globalisierung und Neoliberalismus in Stellung gebracht werden.

Den sich gegen den aktuellen Sozialabbau in Deutschland, verstanden als „Klassenkampf von oben“, formierenden Protest nahm Demirovic im Anschluss kritisch unter die Lupe, insbesonders die mögliche Gründung einer neuen Linkspartei. Er kritisierte, dass sich darin in erster Linie ein tendenziell eher rückwärtsgewandter Abwehrkampf artikuliere, der sich auf untergegangene fordistische Konzepte beziehe. Es genüge nicht, den Sozialstaatsabbau zu kritisieren, „ohne die Zusammenhänge zwischen den Veränderungen in der Produktionsweise, den Staatspolitiken und der ideologischen Durchsetzung eines neuen Menschentyps zu reflektieren.“ Doch sei auch ein solcher Abwehrkampf wichtig, da er als Kampffeld gesellschaftlicher Kräfte zu begreifen sei. Weiterhin wurde an einer linkskeynesianischen Politik die Appellation an den Staat, Vollbeschäftigung herzustellen, kritisiert. Staat und Ökonomie würden hierbei als zwei getrennte Einheiten begriffen. Stattdessen gelte es, die Frage zu stellen, wie der Staat mit der jeweiligen Form des Kapitalismus zusammenhänge.

Ebenso kritisierte Demirovic die Art der Kampagnenführung von attac am Beispiel der „Vodaklau-Kampagne“ oder der „Geld ist genug da“-Kampagne. Diese gingen nicht weit genug und seien strategisch daher ungünstig und als bloß „symbolische Kampagnen“ eher kontraproduktiv. Stattdessen müssten neben der Formulierung einer allgemeinen (nicht: pauschalen) Kritik am Kapitalismus konkrete Alternativprojekte, neue politische Strategien in der Konsequenz einer intensiven theoretischen Auseinandersetzung, formuliert werden. Als Beispiel nannte er die gegenwärtigen Debatten über „Sozialpolitik als Infrastruktur“ oder Formen einer neuen „Aneignungsökonomie“.

Jens Wissel hielt anschließend ein detailliertes Referat über die Transnationalisierung der Klassenverhältnisse und die staatstheoretischen Folgen: Für den Kapitalismus charakteristisch ist die Trennung von Politik und Ökonomie. Diese wird durch den bürgerlichen Staat konstruiert, was zur Folge hat, dass die Bourgeoisie gegenüber anderen Klassen einen strategischen Vorteil besitzt. Das nationale Klassenverhältnis hat sich durch die Globalisierung des neoliberalen Projektes auf folgende Weise transnationalisiert: Auf der einen Seite entstand eine transnationale Kapitalisten- bzw. Managerklasse, während die Klasse der Ausgebeuteten weiterhin fragmentiert bleibt und somit gegeneinander ausgespielt werden kann. Die damit verbundenen transnationalen politökonomischen Prozesse haben sich teilweise gegenüber den Staaten verselbständigt – gleichzeitig kommt es zu einer Verselbständigung des Staates gegenüber nationalen Klassenverhältnissen.

Die Linke muß nach Wissel die gegenwärtige neoliberale Übermacht im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis bekämpfen. Entscheidend sei die Aufhebung der für das bürgerliche Selbstverständnis typischen Trennung von Staat und Gesellschaft, Ökonomie und Politik. Nur dann könne über ein „Absterben des Staates“ gesprochen werden. In der Frontstellung gegen den Neoliberalismus sei es notwendig, einen Zivilgesellschaftlichen Kampf um eigene Räume zu führen und neoliberalen Deutungsmustern nicht das Feld zu überlassen. Entscheidend sei es, den Neoliberalismus dort anzugreifen, wo es am wirkungsvollsten ist. Zunächst heiße dies, seine Akteure zu analysieren und ihr Handeln erkenntlich zu machen.

Ein weiteres Seminar, das sich mit dem Staat beschäftigte („Einführung in die kritische Staatstheorie“), leitete Ulrich Brand von der Universität Kassel. Er kritisierte bürgerliche Staatstheorien, stellte ihnen mit Marx, Gramsci und Poulantzas die Tradition materialistischer Staatstheorien gegenüber und zog Schlußfolgerungen für die globalisierungskritische Bewegung: Z.B. müsse die Bewegung sich stets vergegenwärtigen, dass, wenn Staat nach Poulantzas be­griffen wird als die materielle Verdichtung eines Kräfteverhältnisses, es nur begrenzt von Wirkung ist, Politik in Form von Appellen an den Staat zu verändern. Abschließend bemerkte Brand, die Poulantzas’sche Theorie „internationalisieren“ zu wollen, sei eine mit Sicherheit sehr wichtige und weiterhin zu verfolgende Aufgabe.

Zufälligerweise begannen gerade am Montag vor Beginn der Akademie die Montagsdemonstrationen, so dass am darauffolgenden Montag, dem 2. August, von der Akademie direkt zur Montagsdemo nach Senftenberg mobilisiert werden konnte. Ein Ereignis, das für viele Teilnehmende sehr überraschend kam. Ein weiterer Höhepunkt war die Besetzung einer Dresdner Vodafone-Filiale im Rahmen der bereits angesprochenen „Vodaklau“-Kampagne, mit der attac gegen den Mobilfunkbetreiber Vodafone protestieren will, da dieser nach der Übernahme von Mannesmann 20 Millionen Euro an Steuerschulden abschreiben konnte. attac verlangt die Zahlung dieser Steuern.

Beim Abschlussplenum wurden die einzelnen bundesweiten attac-Arbeits­gruppen vorgestellt und es wurde über neue Kampagnen informiert, die attac durchführen will, darunter die gegenwärtige Hartz IV-Kampagne, der bundesweite „Aneignungs“-Aktionstag am 17. November sowie eine „Prekarisierungs-Kampagne“. Abschließend läßt sich konstatieren, dass attac den Blick auf die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse öffnet. Von als „klassisch“ geltenden attac-Themen wie Tobin-Tax, Finanzspekulationssteuern, Schließen von Steueroasen u.ä. war diesmal weniger zu hören. Grundlegende theoretische Debatten um die „Essentials“ von Gesellschaftskritik wurden intensiviert. Das ist insofern bedeutend, als sich zunehmend die Frage stellt, welches Verhältnis attac zum bürgerlichen Staat einnimmt.