Berichte

(Über)Leben in den Creative Industries - Lust und Last des Informellen

Berlin, 13./14. November 2009

März 2010

Die Linkspartei entdeckt die Kreativen. Nachdem die Grünen schon 2007 einen Bericht über die „Kreativwirtschaft“ vorgelegt haben, veranstaltete die Rosa-Luxemburg-Stiftung Mitte November 2009 eine Tagung über das „(Über)Leben in den Creative Industries“. Was aus zwei Gründen naheliegt: Zum einen verdeutlichen die Zahlen der Künstlersozialkasse jedes Jahr das niedrige Einkommen des Kreativsektors, in dem ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Selbstständigen vorhanden ist. Zum anderen ist das kulturelle Kapital der Linkspartei innerhalb der innerstädtischen Kreativszenen aufwertungsbedürftig, weil die Distinktion gegenüber Wählerschaft, Auftreten und Programmatik der Linkspartei politische Annäherungen verhindert.

In ihrem Einführungsvortrag skizzierte die englische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie den Aufstieg der Kreativen zu den Hoffnungsträgern des postfordistischen Großbritanniens. In den Visionen von New Labour-Vordenkern wie Charles Leadbetter hin zu einer „talent-led economy“ nahmen die Creative Industries eine Schlüsselstellung ein, die mit starken staatlichen Investitionen in den Bau von Museen, Medien- und Kreativzentren einherging. McRobbie verknüpfte in ihrer Analyse staatliche Politik und die Arbeitsverhältnisse der Kreativen, die symptomatisch für die Fortführung neoliberaler Politik unter der seit 1997 regierenden Labour Party sind, weil sie mit der Verinnerlichung von Ideen der Selbstführung einhergehen. Im Mittelpunkt steht ein Paradoxon. Während das Studium eines Kreativberufs immer auch das Versprechen eines Verdienstes abseits von Bürojobs und Fabrikarbeit beinhaltet hatte, dient dieses Versprechen mittlerweile dem Rückzug von Staat und Arbeitnehmer aus Solidarverpflichtungen. Dies sieht man an der hohen Selbstständigkeitsquote der Kreativen. Viele von ihnen fanden traditionell ein Auskommen im öffentlichen Bildungssektor, wo sie ihre Qualifikationen einsetzen konnten und über einen regulären Arbeitsplatz verfügten. Die Tätigkeit im Bildungssektor ist geblieben, aber die Verinnerlichung des Selbstverwertungsimperativs bewirkt, dass sie ein niedrigeres Einkommen und Unsicherheit bereitwilliger akzeptieren. McRobbie stellte dies den post-operaistischen Theorien über die Potenziale immaterieller und affektiver Arbeit gegenüber. Wie schon in ihrem Buch „The Aftermath of Feminism“ kritisiert sie die späte Aufmerksamkeit der Post-Operaisten für diese weiblich geprägten Arbeitsformen, nachdem ihnen der Industriearbeiter als revolutionäres Subjekt abhanden gekommen ist.

Im anschließenden Panel trug der Urbanist Jamie Peck seine Kritik an Richard Floridas Theorie der „kreativen Klasse“ vor, die mittlerweile zum stadtpolitischen Mantra geworden ist. Floridas Zahlen seien mangelhaft und die Übertragbarkeit seiner Theorien nicht bewiesen, so Peck. Jochen Becker beschäftigte sich mit den Arbeitsbedingungen in Nollywood, der Filmproduktion in der nigerianischen Hauptstadt Lagos, wo in den letzten Jahren dank günstigem Equipment die DVD-Produktion explodiert ist. Alexandra Manske stellte die Ergebnisse ihrer Untersuchung der Berliner Kreativszene vor und skizzierte politische Gestaltungsoptionen in der Form eines erweiterten Zugangs zur Künstlersozialkasse.

Hier lässt sich eine Verschiebung im Blick auf Kreativarbeit feststellen. Während vor einigen Jahren noch eine von Post-Operaismus und Foucault‘scher Biopolitik beeinflusste theoretische Perspektive dominierte, wurde diese auf der Berliner Tagung durch empirische Studien ergänzt und kritisiert. Beispielhaft dafür war Silke van Dyks Vortrag, in dem sie dafür plädierte, der diskursanalytischen Kritik an der Gouvernementalität von Kreativität und Autonomie die Praxis der Akteure zur Seite zu stellen, deren Ringen um Autonomie beispielsweise in Wohnprojekten nicht per se kompatibel mit einem durch Selbststeuerung regierenden Kapitalismus sei. Tim Stüttgen stellte in einer Performance die Rolle von Kreativarbeit als Vorreiter von neuen Arbeitsverhältnissen durch einen Hinweis auf sexuelle Arbeit, die zugleich prekärer und durch ein höheres Maß an Affektivität gekennzeichnet ist, generell in Frage.

Im abschließenden Panel stand schließlich das Phänomen der „kreativen Stadt“ auf dem Programm. Bundesweit entdecken die Städte die Kreativen als Gegenstand der Stadtplanung. Im Ruhrgebiet beispielsweise soll die Förderung der Kreativwirtschaft den Wegzug aus der schrumpfenden Region stoppen. Berlin nimmt in diesem Prozess vermutlich eine Sonderstellung ein, die sich u.a. in den Auseinandersetzungen um die Bebauung des Spreeufers äußert, gegen das ein breites Bündnis aus Clubbesitzern und AnwohnerInnen unterschiedliche Interessen zu einer gemeinsamen Position artikulieren konnte, wie Ingo Bader von der TU Berlin erläuterte. Der Amsterdamer Stadtforscher und Aktivist Jaap Draaisma erzählte von den Erfolgen der Amsterdamer Hausbesetzer, die mit Unterstützung der Stadt besetzte Räume erhalten konnten. Während die Stadtverwaltung ein Interesse hatte, diese Räume als Kreativquartiere zu nutzen, stand für die Hausbesetzer erschwinglicher Wohnraum im Mittelpunkt, was in dem Kompromiss einer gemischten Nutzung resultierte. Klaus Lederer war abschließend als Repräsentant der Linkspartei geladen, konnte der Diskussion aber nichts mehr hinzufügen und verstieg sich zu einer floskelhaften Zusammenfassung der Positionen auf der Tagung, die – wenn man den Wortmeldungen der anwesenden Kreativen zu seinem Beitrag Glauben schenkt – von der Politik der Linkspartei im Berliner Senat nicht eingelöst werden. Aber vielleicht sind die Kritiker auch nicht repräsentativ, denn der Prater füllte sich im Verlauf der beiden Konferenztage nur spärlich. Was niemanden verwundern sollte. Schließlich kann man in der Zeit auch prima einen Text schreiben.

Christian Werthschulte