Unter diesem Titel lud die Marx-Engels-Stiftung zusammen mit dem gewerkschaftspolitischen Forum der DKP zu einer Konferenz ein, um Anstöße für die marxistische Linke bei der Analyse der gegenwärtigen gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen zu geben. An der Tagung nahmen rund 40 politische und betriebliche Aktivisten teil. Im Mittelpunkt standen Betriebsratsberichte.
Der Betriebsrat der Gesamthafenarbeiter im Hamburger Hafen und stellvertretende Bundesvorsitzende des Fachbereichs Verkehr der Gewerkschaft ver.di, Bernt Kamin, berichtete über den erfolgreichen Kampf der europäischen Hafenarbeiter gegen die geplante EU-Richtlinie „Port Package“. Die Deregulierungsrichtlinie sah u.a. vor, daß Hafenarbeit auch von dafür nicht ausgebildeten Seeleuten erledigt werden könnte. Somit hätte die „International-Labour-Organisation-Norm 137“ unterlaufen werden können, wonach Hafenarbeit nur durch registrierte Hafenarbeiter aus „Pools“ (in Deutschland: Gesamthafenbetriebe) ausgeführt werden darf. Firmen wären dann nicht mehr an Tarife gebunden und Hafenarbeiter wieder in ein Tagelöhner-Dasein zurückgeworfen. Dieser Angriff auf die Arbeitsbedingungen in den europäischen Häfen konnte nur durch die Zusammenarbeit der Betriebsräte und internationalen Gewerkschaftsdachverbände verhindert werden. Maßgeblich für den Erfolg war die Entschlossenheit, jeden Betreiber von Reedereien zu boykottieren, der versuchen würde, sozial abgesicherte Hafenarbeit durch Billigarbeit zu ersetzen – und zwar unabhängig von einer Entscheidung des EU-Parlaments. Nach einer einjährigen Kampagne, an der sich die Hafenarbeiter aus 14 europäischen Ländern beteiligten, konnte der notwendige Druck entwickelt werden, so daß die Richtlinie letztendlich entgegen der Empfehlung des Vermittlungsausschusses abgelehnt wurde. Dies sei der erste Fall gewesen, wo gesellschaftlicher Druck von außen eine Richtlinie der EU-Kommission gekippt habe. Kamin betonte, daß es schon ein Wert an sich sei, erstmals grenzübergreifend politische Arbeitskämpfe in 14 europäischen Ländern gegen die EU-Kommission organisiert zu haben. Der entscheidende Punkt sei aber, gezeigt zu haben, daß man durch internationale Zusammenarbeit von Seiten der Gewerkschaften Antworten auf die Globalisierung gefunden werden können. Die Erfahrungen mit der eigenen Macht und Durchsetzungsfähigkeit bewiesen, daß man das Spiel der Konzerne nicht mitspielen muß. Genauso wie die vergleichsweise guten Arbeitsbedingungen der Hafenarbeiter Ergebnisse von Klassenkämpfen seien, genauso könnten sie auch durch entschlossene Klassenkämpfe verteidigt werden.
Leo Mayer, Vertrauenskörper und ehemaliger stellvertretender Betriebsratvorsitzender bei Siemens Hofmannstrasse in München, berichtete von den Erfahrungen der Belegschaft im Bereich Networks und Mobile. Im Rahmen von „Kapazitätsanpassungen“ im Zuge der Telekommunikationskrise 2001/02 sollten 2.300 der 7.300 Arbeitsplätze abgebaut werden. Auf den bestehenden Kündigungsschutz wurde dabei in vielen Fällen keine Rücksicht genommen. Der Betriebsrat entwickelte ein Gegenkonzept, daß auf Arbeitszeitverkürzung statt Stellenabbau setzte. Das Aufzeigen von sozialverträglicheren Alternativen zum Shareholder-Value-Denken brachte nicht nur die Belegschaft (gewerkschaftlicher Organisationsgrad lag bei 2-3 Prozent) geschlossen auf ihre Seite und schürte Widerstand, sondern auch die Medien und die ganze Stadt bis hin zur CSU. Dabei betonte Mayer die Bedeutung des „Kampfes um die Köpfe“ gegen die neoliberale Hegemonie. Wichtigstes Mittel zur Erlangung der Meinungsführerschaft im Betrieb war vor allem ein Diskussionsforum, das die Firmenleitung ursprünglich eingerichtet hatte, um die Argumentation des Betriebsrates auseinander zu nehmen. Das Gegenteil wurde erreicht.1 Mehr noch: Das Forum wurde bald eingestellt, weil der Grad der Beteiligung der Belegschaft schon die Form einer Arbeitsniederlegung angenommen hatte. Entscheidend für den Erfolg war die Absage an eine Stellvertreterpolitik und die Praktizierung eines partizipatorischen gewerkschaftlichen Politikmodells. So wurde jeder Schritt mit der gesamten Belegschaft abgesprochen, was dazu führte, alle KollegInnen in die Kämpfe einzubinden. Auch die Solidarität der Belegschaft entwickelte neue Formen. Mayer berichtete von einem Mitarbeiternetzwerk, das sich gründete, um die Betroffenen in individuellen Diskussionen auch sozial aufzufangen. Diese Art der Betreuung sei auch eine Herausforderung für Gewerkschaften, besonders in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, so der ehemalige Betriebsrat. Abschließend gestand er ein, daß das vollständige Ziel, die 4-Tage-Woche, zwar nicht durchgesetzt werden konnte, aber durch einen Kompromiß, der den Kräfteverhältnissen entsprach, konnten immerhin die Hälfte der Entlassungen und weiterer Personalabbau verhindert werden. In diesen Zeiten seien eben keine großen Erfolge zu erwarten. Umso wertvoller sei die gemachte Kampferfahrung, die dadurch entstandene Solidarität unter den Kollegen und die Einsicht, daß es Alternativen gegen den „Sachzwang“ gibt, die man erkämpfen kann. Und nicht zuletzt habe die IG Metall allein in 3 Wochen 900 Mitglieder gewonnen.
Jürgen Hinzer, Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten in Frankfurt, wandte sich zunächst – ähnlich wie Bernt Kamin – gegen die Scheinradikalität einiger Gruppen auf den Aktionskonferenzen und Sozialforen, die außerhalb jeglicher betrieblicher Verankerung kritisierten, daß beispielsweise am Europäischen Aktionstag am 3. April diesen Jahres keine betrieblichen Protestaktionen seitens der Gewerkschaften organisiert worden seien. Notwendig sei eine nüchterne und realistische Einschätzung der Situation in den Betrieben. Am Beispiel der fünftgrößten Molkerei Immergut im hessischen Schlüchtern zeigte Hinzer, was er darunter versteht. Der Betrieb sei gewerkschaftlich relativ gut organisiert und schon seit 1996 bei den Kämpfen für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sehr aktiv gewesen. Ohne diese langjährigen Erfahrungen hätte der Betrieb im letzten Jahr nicht gerettet werden können und es wäre auch nicht möglich gewesen, die rund 100 Personen zählende Belegschaft zu sozialen Auseinandersetzungen außerhalb des Betriebes im Rahmen der Anti-Hartz-Proteste zu mobilisieren. Zwei Tage nach der Konferenz wurde die Insolvenz des Betriebes verkündet. Für diesen Fall hatte Hinzer Ermüdungserscheinungen prognostiziert, da die Kompromißbereitschaft der Belegschaft dann unter dem Druck drohender Arbeitsplatzverluste schnell zunehme.
Die Situation der Belegschaften in der Brotindustrie Hessens schätzte Hinzer gleichfalls nüchtern ein. Hessen ist in dieser Branche ein tarifpolitisches Mustergebiet, doch nun drohe durch den Unternehmer Kamps eine Verschlechterung der tariflichen Standards. Für Aktionen gegen die Hartz-Reformen und die Agenda 2010 seien die Belegschafen nicht automatisch mobilisierbar. Diese außerbetrieblichen Konflikte seien zu weit weg. Doch gerade ohne gesellschaftliche Bündnisse und Kampagnen sei die lähmende Angst der Belegschaften vor dem Arbeitsplatzverlust nicht zu überwinden. Ein Aufruf zum Streik allein bewirke aber gar nichts.
In der Diskussion wurde deutlich, daß selbst die höheren DGB-Gliederungen keine Kenntnisse über die Abwehrkämpfe in Schlüchtern hatte und daß in der Presse kaum über diese Kämpfe berichtet wurde. Auch Bernt Kamin merkte an, daß über die Aktionen der Hafenarbeiter lediglich in der Lokalpresse informiert wurde.
Der Vorsitzende des deutsch-französischen Alstom Power Konzernbetriebsrates in Mannheim, Udo Belz, gab einen Überblick über die Kämpfen gegen die geplante Stilllegung von Betrieben im Rahmen des Gesamtkonzerns. Als 1999 die Konzernleitung vier Werke schließen wollte, wurde ein Konzernbetriebsrat gebildet, an dem sich drei Betriebsräte der vier bedrohten Werke beteiligten. Diese konnten in Verhandlungen die Schließungen ihrer Werke verhindern und zusätzlich eine Beschäftigungsgarantie ohne Zugeständnisse bei der Arbeitszeit oder der Entlohnung durchsetzen. Das Werk jedoch, welches für sich verhandelte, wurde geschlossen – ein Beweis für die Wichtigkeit des gemeinsamen Vorgehens der Belegschaften verschiedener Werke innerhalb eines Konzerns. Die Belegschaft hatte dann drei Jahre Ruhe, bis erneut weltweite Restrukturierungsmaßnahmen der Unternehmensführung mit Stellenabbau in Mannheim geplant waren. Die Europäischen Betriebsräte wurden von diesen Maßnahmen zunächst nicht informiert, dann bemühten sie sich, Alternativkonzepte vorzulegen. Der Konzern ging darauf nicht ein. Ein juristischer Streit folgte, der von einer Demo in Paris begleitet wurde, an der 20 Prozent der Belegschaften aus Deutschland teilnahmen: Ein großer Erfolg und eine wichtige Unterstützung für die Europäischen Betriebsräte. Dutzende Arbeitsniederlegungen und Kundgebungen während der Arbeitszeit mit sehr hohen Beteiligungen folgten. Schließlich gelang es, den Stellenabbau über Vorruhestandregelungen abzuwickeln und – solange die Marktlage schlecht bleibe – Kurzarbeit einzuführen, und zwar ohne Lohnkürzungen. Belz kritisierte in diesem Zusammenhang scharf den Abschluß für einige Siemens-Werke in NRW. Wenn man sich einmal erpressen lasse, werde man immer wieder erpreßt. Auch Leo Mayer nannte in der Diskussion die Gewerkschaftspolitik, die zu dem Siemens-Abschluß geführt habe, „zerstörerisch“. Zunächst habe man vorgerechnet, wieviel Arbeitsplätze durch eine 40-Stunden-Woche vernichtet werden, dann jedoch solle diese bei Siemens plötzlich Arbeitsplätze retten. In dem Tarifvertrag sei doch bereits eine Klausel für Arbeitszeitverlängerung enthalten gewesen. Die von der ganzen IG Metall erkämpfte Errungenschaft ‚35-Stunden-Woche’ werde nun durch Alleingänge „kaputt gemacht.“
Fazit des verallgemeinernden theoretischen Beitrages des Sozialwissenschaftlers Werner Seppmann war, daß eine Interessenartikulation der abhängig Beschäftigten in der heutigen Situation nur Erfolg haben könne, wenn sie den betrieblichen Rahmen überschreite und sich mit außerbetrieblichen Bewegungen verbinde.
Die Beispiele der Betriebsräte zeigten, daß dies innerhalb der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse punktuell möglich ist. Trotzdem machte sich keiner der Anwesenden Illusionen. Realistisch wurden die Möglichkeiten eingeschätzt. Einigkeit herrschte darüber, daß das Kapital neben der Regierung von den wenigen verbliebenen kommunistischen GewerkschafterInnen stärker als Gegner der Auseinandersetzungen in die Diskussionen gebracht werden müsse und daß es die konkreten Schritte im betrieblichen Alltag seien, die die KollegInnen wieder in Aktion bringen.
1 Vgl. die Rezension von Cornrad Schuler, Von der Betriebsfamilie zum Kampf der Kulturen, zur „Schönen neuen SiemensWelt in Z 55, September 2003.