Berichte

Arbeitskonferenz des Projekts Klassenanalyse@BRD

27.-28. November 2004, Wuppertal

März 2005

Am 27./28. November 2004 fand im Marx-Engels-Zentrum in Wuppertal-Elberfeld die dritte Arbeitskonferenz des Projektes Klassenanalyse@BRD statt. Etwa 30 Teilnehmer, Interessierte, Mitarbeiter und Referenten hörten und diskutierten insgesamt 10 Beiträge. Neben drei Hauptreferaten und weiteren Beiträgen kamen fünf Referenten neu zu Wort. Das ließ nur wenig Raum für Diskussionen. Selbstverständigung der Hauptakteure und Mitarbeiter des Projektes, alle ehrenamtlich, stand im Vordergrund.

Seppmann, Lieberam und Münchow umrissen Einschätzungen und Hypothesen für die Weiterarbeit (inzwischen gesammelt nachzulesen in der Publikation „Zweifel am Proletariat – Wiederkehr der Proletarität, Beiträge zur Klassenanalyse Bd 1, Neue Impulse Verlag, Essen 2004; auch in einigen Aufsätzen in den Marxistischen Blättern und den Marxistischen Flugschriften).

Zum Auftakt sprach Werner Seppmann (Haltern) über „Strukturveränderung der Klassengesellschaft“ Er skizzierte die sozialen Abwärts- und Auflösungsprozesse am unteren Rand der Gesellschaft, deren objektive und subjektive Wirkungen Spaltung und Ausgrenzung hervorriefen. Lohndrückerei und die Ausdehnung prekärer Beschäftigungsverhältnisse würden politisch verstärkt: die staatlichen sozialen Sicherungen würden zurück geschraubt und die Systeme selbst abgebaut. Zunehmende Verarmung eines Teils der Lohnabhängigen, Ausdehnung von Zonen der Bedürftigkeit, verbunden mit sozialer Unsicherheit und mangelnder Perspektive, die Wiederkehr der Proletarität gehörten zu den Folgen. Der Klassenkompromiss der Nachkriegszeit werde aufgekündigt und die Klassengesellschaft umgebaut.

Werner Rügemer referierte über die „Entwicklungsdynamik der Armut“. Auch im Armutsbericht der Bundesregierung von 2001 und dessen statistischen Quellen werde der Reichtum, als Gegenpol zur Armut, völlig unzureichend erfasst. Er diskutierte verschiedene Armutsbegriffe, stellte die Zunahme der Armut, ihre Formen, die betroffenen Gruppen und die vorrangigen Ursachen dar. Anhand der Konstruktion des sog. „annehmbaren Existenzminimums“ für die offizielle Bestimmung der Sozialhilfesätze führte er den dreisten Versuch vor, die systematische Arm-Haltung der Empfänger scheinhaft zu objektivieren und schön zu rechnen. Der wirkliche Reichtum, die quantitative Dimension der Klassenverhältnisse, bliebe unbekannt und auch deshalb gebe es keine Front gegen die Reichen.

Ekkehard Lieberam (Leipzig) sprach zur „Sozialen und politischen Polarisierung“. Bisher sei von einer politischen Polarisierung, die aus der sozialen hervorgehe, noch kaum etwas zu sehen. Diese Formierung sei aber in den nächsten Jahren die entscheidende politische Aufgabe aller Linken in der BRD, wobei der Beitrag des Projektes in der Klärung der zugrunde liegenden Klassenstrukturen und Klassenbewegungen liegen solle. Ob die Montagsdemos gegen Hartz IV den Ansatz einer selbständigen Opposition bedeuteten, sei noch unklar. Er verwies dabei auf die Ergebnisse einer soziologischen Untersuchung des WZB (Berlin) bei Teilnehmern.

John Norden aus (Ost)Berlin stellte „Erfahrungen und Einschätzungen zur Verarbeitung von Arbeitslosigkeitserfahrungen bei ehemaligen DDR-Bürgern“ vor, die in Berlin Umschulungen besucht hatten und so eine bestimmte, nicht repräsentative Auswahl darstellten (etwa 2.000). Jene, die noch die Arbeitsverhältnisse in der DDR erlebt hatten, gäben den gesellschaftlichen Zusammenhängen die Schuld an ihrer Arbeitslosigkeit und fühlten sich ungerecht behandelt. Ihre Wertmaßstäbe kämen noch aus der Arbeitsgesellschaft der DDR. Sie lehnten Elemente des bürgerlichen Staates radikal ab, hätten kaum Hoffnung auf Reformen und beteiligten sich nicht im politischen System, auch nicht oppositionell. Dagegen hätten junge Leute, die allenfalls noch die Schule in der DDR besucht hatten, ähnliche Vorstellungen wie ihre arbeitslosen Altersgenossen im Westen: Arbeit als notwendige und sinnvolle Form der Selbsterhaltung sei nicht im Horizont, es gäbe keine richtige Lebensperspektive und schon gar keine Hoffnung auf Aufstieg in der kapitalistischen Berufswelt. Insgesamt zeigten sich für Norden keine Ansatzpunkte für eine Aktivierung zur politischen Gegenwehr.

Manuel Kellner (Köln) polemisierte in seinem Beitrag “Keynesianistische Arbeitsbeschaffungsprogramme und die Möglichkeit einer Rückkehr zum Klassenkompromiss der Jahre vor 1975“ gegen Illusionen, deren Wiederauferstehung er bei der Wahlalternative und der Memo-Gruppe befürchtet. Die Grundsatzkritik an Keynes verband er mit der Einschätzung, dass im heutigen Kapitalismus keynesianische Politik nicht mehr möglich und der frühere Klassenkompromiss nicht mehr erreichbar seien.

Otto Meyer sprach über „Die real existierende Kirche in der (sozialpolitischen) Konterrevolution“ am Beispiel der evangelischen Kirchen in der BRD. Die beiden staatlich subventionierten Sozialdienste der beiden Kirchen, Diakonie und Caritas, beschäftigten zusammen über 1 Million Menschen und seien damit die größten Arbeitgeber in der BRD. Die evangelischen Kirchen passten sich praktisch und ideologisch der neoliberalen Politik des Marktradikalismus und des Sozialabbaus an, praktisch bei den Mitarbeitern und ideologisch mit theologisch verbrämten Rechtfertigungen für die Politik der Verarmung.

Peter Brenner (Köln) ergänzte dies mit seinen Thesen zur „Katholische(n) Soziallehre und Neoliberalismus“. Die Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ von Papst Leo XIII 1891 sei eine Reaktion auf die sozialen Folgen der Industrialisierung und die politischen Gefahren durch die Arbeiterbewegung gewesen. Die Begründungen ähnelten jenen der Bismarck`schen Reformen und die Diktion sei am Kommunistischen Manifest orientiert. Die Lehre passe nicht zum Neoliberalismus und dem Sozialabbau – gleichwohl würden heute beide von der katholische Kirche mitgetragen.

Herbert Münchow (Leipzig) referierte über „Die Gewerkschaften in der Klassenauseinandersetzung um die ‚Marktreformen’“. Die fast widerstandslose Reaktion auf die neoliberale Wende von Ökonomie und Politik sei eine Folge der in Prosperitätszeiten betriebenen Politik der Sozialpartnerschaft. Sozialstaatlichkeit sei letztlich mit Kapitalismus nicht vereinbar. Gewerkschaftspolitik müsse sich von der Bourgeoisie trennen und von den Arbeiterinteressen ausgehen. Ein Führungswechsel reiche nicht, da die meisten Mitglieder ähnlich dächten. Gewerkschaftspolitik müsste aus einer Verallgemeinerung unterschiedlicher Interessen entwickelt und weltweit koordiniert werden. Praktisch müsse man mit den unteren Schichten anfangen – daher sei die Analyse ihrer Lage und Situation gegenwärtig so besonders notwendig.

Christian Hartz (Hamburg) stellte die „Entwicklung der Einkommensverteilung zwischen den Hauptklassen“ in der BRD dar. Von einer Arbeitsgruppe neu berechnet zeigten die Schaubilder interessante Zusammenhänge mit den Konjunkturen und den Entwicklungstrends. Weitere Untersuchungen sollten zeigen, ob es Zusammenhänge mit Klassenkämpfen gegeben habe.

Zum Schluss warf Arnold Schölzel (Berlin) einen Blick auf „Herrschaftsmedien und Klassenwiderstand“. Die Auftraggeber könnten zufrieden sein, was natürlich korrekte Information und Objektivität ausschließe, wie er an Beispielen zeigte. Linke Massenmedien gebe es nicht, und die Gewerkschaftszeitschriften sind offenbar kein Gegengewicht – wie Teilnehmer anmerkten. Eine linke Medientheorie gebe es auch nicht und ein wirkliches Bild über den Einfluß der herrschenden Medien könne man schon deshalb kaum gewinnen.

Es liege noch ein langer Weg vor dem Projekt, so resümierte die junge Welt die Konferenz – dem kann man zustimmen.