Berichte

Globalisierung und Frauen

2.-5. Dezember 2004, Institut für Theologie und Politik und der Evangelischen StudentInnen-Gemeinde in Münster/Westfalen

März 2005

Der feministische Arbeitskreis des Münsteraner Instituts für Theologie und Politik lud zu einem Seminar ein, um mit Frauen aus verschiedenen Kontexten die feministisch-theologischen Herausforderungen der Auswirkungen der Globalisierung auf Frauen zu diskutieren. Die rund 70 mehrheitlich deutschen Teilnehmerinnen kamen aus dem praktischen kirchlich-theologischen Bereich; als Referentinnen waren eingeladen die Theologinnen Marcella Althaus-Reid (Argentinien/Schottland), Romi Márcia Bencke (Brasilien), Gemma Tulud Cruz (Philippinen/Niederlande), Sandra Lassak (BRD), Sophia Lizares-Bodegon (Philippinen, Kirchliche Hochschule Wuppertal BRD), Katja Strobel (BRD), die Soziologin Veronica Schild (Chile/Kanada) und die Politologin Susanne Schultz (BRD). Drei Themenschwerpunkte standen auf der Agenda: 1. Globalisierung und Frauen – Gewinnerinnen und Verliererinnen, 2. Migration im Kontext der Globalisierung, 3. Widerstand und Alternativen.

Eröffnet wurde die Tagung mit einem Referat der Soziologin Veronica Schild zum Thema „Globalisierung und Frauen – Gewinnerinnen und Verliererinnen“. Auf der Grundlage ihrer Arbeiten über die populäre Frauenbewegung und die Nachbarschaftsorganisationen von Frauen in den armen Stadtvierteln in Chile, deren Entwicklung sie seit 1980 beobachtet, stellte sie fest, dass mit der „Feminisierung der Arbeit“ – gleich zu setzen mit Prekarisierung und Informalisierung der Beschäftigung – ein Prozess der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen eingesetzt hat, der Teil des „race to the bottom“ ist. Durch das neoliberale Reformprojekt wird die Globalisierung verinnerlicht mit dem Ergebnis, dass die armen Frauen sich entsolidarisieren und individuell um ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien kämpfen. Von den NGO-Expertinnen werden sie ermutigt und unterstützt, „selbständige Unternehmerinnen“ (hauptsächlich auf Basis von Heimarbeit) zu werden, wobei sie sich gegenseitig Konkurrenz machen und ein hohes Maß an Selbstausbeutung in Kauf nehmen. Sie sind eindeutig die Verliererinnen der Globalisierung mit geringen Chancen auf dem formalen Arbeitsmarkt. Expertinnen der NGOs, die sich darauf verstehen, Maßnahmen und Techniken zu implementieren, die im Wege z.B. des Empowerment die armen Frauen zum individualisierten Überlebenskampf „fit machen“, seien dagegen Gewinnerinnen, da sie mit den entsprechenden Zertifikaten in der Lage seien, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten gewinnbringend zu vermarkten.

Den Komplex „Migration im Kontext der Globalisierung“ eröffnete die philippinische (katholisch-feministische) Theologin Gemma Tulud Cruz mit einem Beitrag über die Situation philippinischer Migrantinnen, die sich in Hongkong als Dienstmädchen (domestic helpers) verdingen. Diese jungen Frauen werden schon in ihren Herkunftsfamilien für die Hausarbeit (domesticity) sozialisiert und von Vermittlungsagenturen einer rigiden Körperkontrolle unterworfen (Röntgen, Wiegen, Schwangerschaftstest und Tests zur Feststellung von Geschlechtskrankheiten und Hepatitis). Sie werden bei ihrer Ankunft am Flughafen selektiert: ihre Haut darf nicht zu dunkel sein und sie dürfen nicht besonders schön aussehen, um die männlichen Haushaltsmitglieder nicht zu verführen. Sie müssen Uniform tragen und dürfen kein Make-up benutzen. Wenn in der dreimonatigen Probezeit keine Mängel festgestellt werden, sind sie domestiziert und werden wie Sklavinnen weitervermittelt. Mit Bezug auf die Theologie der Befreiung – im Verständnis der Theologin Elisabeth Schüssler Fiorenza keine Theologie der Frau, sondern eine frauenbefreiende Theologie – plädiert Gemma Tulud Cruz für die Aufhebung der Dichotomie von Privatheit und Öffentlichkeit, die verantwortlich ist für die Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen, und für ein Zusammenleben auf der Basis von Gegenseitigkeit und Geschwisterlichkeit.

Susanne Schultz informierte über das Unterstützerinnen-Netzwerk „Respect für MigrantInnen“ in Berlin. Respect wurde 1998 als europäische Organisation für MigrantInnen, speziell für Hausangestellte, gegründet, die ohne erforderliche Arbeits- und/oder Aufenthaltspapiere arbeiten. Ihr Risiko, Opfer von Lohnbetrug zu werden, ist besonders groß, weil ArbeitgeberInnen ihre vermeintliche Schutzlosigkeit ausnutzen und z.B. den vereinbarten Lohn gar nicht oder nicht in voller Höhe bezahlen. Die Berliner Beratungsstelle hat in den letzten Jahren Erfahrungen gesammelt, wie Lohnansprüche mit möglichst geringer Gefährdung der Betroffenen geltend gemacht werden können, und zwar dann, wenn ein „faktisches Arbeitsverhältnis“ vorliegt. Im Anschluss leiteten drei Impulsreferate zu Frauenbefreiungsbewegungen in Brasilien bzw. Chile und zur Beziehung von Frauenbewegung und Gouvernementalität die Diskussion in Arbeitsgruppen ein. Die brasilianische Theologin Romi Márcia Bencke vom CECA (centro ecumênico de evangelização, capacitação e assesororia), das 1973 unter der Militärdiktatur entstanden ist und sich auf die Befreiungstheologie und das Konzept der Volkserziehung (Paulo Freyre) stützt, berichtete über dessen Schwerpunktprogramme zu „Glauben und Bürgerrechte“ und „Solidarität und Bürgerrechte“. In Kursen zum Thema „Allgemeiner Zugang zu Recht und Gerechtigkeit“ werden RechtsberaterInnen (popular legal promoters) für Frauen in der Region Rio dos Sinos Valley ausgebildet. Sie erhalten Informationen über Menschenrechte und Basiskenntnisse der Rechtsprechung, die sie befähigen, Aktionen zur Prävention von Gewalt gegen Frauen zu entwickeln und ihre Bürgerechte bewußt zu verteidigen.

Den dritten Themenschwerpunkt „Widerstand und Alternativen“ eröffnete die im Kreis feministischer Theologinnen bekannte Argentinierin Marcella Althaus-Reid (Senior Lecturer in Systematic Theology an der School of Divinity der University of Edinburgh) mit einem Vortrag darüber, „wie es ist, eine queer-politische Theologin zu sein“, oder anders ausgedrückt, was es bedeutet, eine „unanständige Theologie“ zu betreiben. Die philippinische Theologin Sophia Lizares-Bodegon sprach über „Die Rolle des Glaubens in der politisch-feministischen Arbeit auf den Philippinen“. Sie stellte verschiedene Frauenorganisationen vor und eine Studie über bedeutende Frauen aus politischen und christlichen Frauenorganisationen. Ihr Focus lag dabei auf der Rolle des Glaubens bei diesen Frauen und der Bedeutung der Spiritualität in der Religiosität der philipppinischen Bevölkerung.

Zum Abschluss wurde in Arbeitsgruppen über Frauenbewegung in Deutschland, feministisch-theologisches Engagement im „Norden“ und Globalisierung von unten aus der Sicht des Südens unter dem Motto „Um outro mundo é possível“ diskutiert. Versucht man eine Zusammenfassung, so kreiste der feministisch-theologische Diskurs in diesem Seminar insgesamt um drei Themen: 1. Die Theologie der Befreiung als frauenbefreiende Theologie; 2. Die Vorstellung der Gegenseitigkeit als nicht-hierarchische, geschwisterliche Form des Zusammenlebens; 3. Die Spiritualität im Prozess der Erneuerung des gesellschaftlichen Zusammenlebens.