Berichte

„Frieden durch Krieg?"

11. Friedenspolitischer Ratschlag, 4.-5. Dezember 2004, Kassel

März 2005

„Für ein soziales Europa, von dem nur Frieden ausgeht. Für einen Nahen Osten ohne Krieg, Besatzung und Terror. Gerechte Weltwirtschaft statt neoliberaler Globalisierung.“ Unter diesen Zeichen stand der 11. Friedenspolitische Ratschlag, der mit 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der ganzen Republik für diese vergleichsweise defensiven Zeiten der Friedensbewegung erstaunlich gut besucht war. Der Ratschlag erhält seinen einzigartigen Charakter durch den dort stattfindenden Austausch zwischen Friedensforschung und Wissenschaft mit der Friedensbewegung von der Straße, wodurch er auch zunehmend an Attraktivität für andere soziale Bewegungen gewinnt, was sich vor allem an der in den letzten Jahren immer stärker werdenden Beteiligung von attac ausdrückt.

Sein Eröffnungsreferat[1] begann Peter Strutynski von der AG Friedensforschung an der Uni Kassel mit einer Bilanz des vergangenen Jahres. Die US-Regierung hätte zwar keinen weiteren Krieg begonnen, was im wesentlichen dem irakischen Widerstand, aber auch dem politischen Druck der weltweiten Proteste geschuldet sei, doch sei der Irak-Krieg auch nach zwei Jahren immer noch nicht beendet und eher noch grausamer geworden. Auch die EU sei keine zivile Alternative zur militärgestützten „Menschenrechtspolitik“ der US-Regierung. „Vielmehr ziehen die Regierenden hüben und drüben an einem imperialistischen Strick, an dem zuallererst die Dritte Welt und in zweiter Linie die arbeitende und – vor allem – die nicht (mehr) arbeitende Bevölkerung der Ersten Welt baumeln“, so Strutynski. Für die deutsche und europäische Friedensbewegung müsse vor allem der Kampf gegen die Militarisierung Europas im Vordergrund stehen. Ein wichtiger Ansatzpunkt dafür sei die EU-Verfassung, in der Krieg als Mittel der Politik zur Interessenwahrung der EU-Staaten legitimiert wird und der Zwang zur Aufrüstung Verfassungsrang erhält. Somit drohen verstärkte Versuche der EU, lokale und regionale Krisen eigenständig militärisch zu lösen. Für die Friedensbewegung bestehe die letzte Chance „für ein soziales Europa, von dem nur Frieden ausgeht“ in dem notwendigen Ratifizierungsprozess in den EU-Staaten. So gebe es auch in Deutschland Initiativen für ein Referendum, um die Verfassung durch die Bevölkerung abstimmen zu lassen. Der Bundesausschuss Friedensratschlag setzt sich daher für eine multipolitische Kampagne „Ja zu Europa; aber Nein zu dieser Verfassung!“ ein. Jede Bewegung solle die Kampagne mit ihrem eigenen Schwerpunkt führen und so gegen die EU-Verfassung mobilisieren.[2]

Eindruck hinterließ der Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe mit seinem Vortrag über den „neuen Imperialismus“. Dieser unterscheide sich von seinem klassischen Vorgänger, dem Imperialismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts dadurch, dass es den imperialen Mächten heute nicht mehr darum gehe, Kolonien zu erwerben oder fremde Länder zu unterwerfen, sondern mittels der Ausbreitung des Neoliberalismus möglichst alle potenziell profitablen Bereiche der Daseinsvorsorge privatkapitalistischer Kontrolle zu unterwerfen. Die klassische Imperialismustheorie Lenins sei an die Bedingungen des Klassenkampfes seiner Zeit gebunden und hätte das revolutionäre Potenzial der Arbeiterklasse überschätzt sowie die Entwicklungs- und Integrationspotenziale des Kapitalismus/Imperialismus unterschätzt, die sich in der Entwicklung des Fordismus abzeichneten. Der heutige Imperialismus sei geprägt von dem Ende der Systemkonkurrenz und bestehe als ein globales Finanzmarktsystem. Durch den hohen Grad der internationalen Verflechtung des Kapitals stünden die gemeinsamen Interessen der imperialistischen Mächte im Vordergrund. Zwar gebe es auch einen eigenständigen EU-Imperialismus, der seine spezifischen Interessen habe, die darauf zielt, die EU als Global Player vor allem in der Region zu stärken, doch seien die USA weltweit und vor allem militärisch nicht mehr einzuholen.

Jürgen Wagner, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen, rückte in seinem Forum „EU-USA: ‚Auf gleicher Augenhöhe’ – Partnerschaft oder Konkurrenz?“, anders als Deppe, die zwischenimperialistischen Widersprüche in den Vordergrund. In einer Auswertung der Europäischen Sicherheitsstrategie, der EU-Verfassung und des European Defence Papers verstehe er die zunehmende Militarisierung Europas als Abnabelungsprozess von der sich im Abstieg befindenden Weltmacht USA. Die Interessengegensätze bestünden vor allem in drei Bereichen. Erstens: Im Bereich der Handelspolitik werde mit harten Bandagen um Absatzmärkte gekämpft. Besonders in der Rüstungsindustrie sei den USA mit dem deutsch-französischen Rüstungsgiganten EADS ein mächtiger Rivale vor die Nase gesetzt wurden. Grundsätzliche Differenzen würden sich zweitens in der Ausbeutung und Kontrolle der verbliebenen Ölreserven abzeichnen und schließlich bestehe drittens eine Konkurrenz zwischen Euro und Dollar als Weltleitwährung. Laut Wagner spricht die Mehrheit der Indizien dafür, dass mit der Militarisierung der EU auch die zwischenimperialistischen Konflikte zunehmen werden. Das Argument, die USA hätten einen uneinholbaren Vorspurung sei, u.a. deswegen zu hinterfragen, weil gerade Deutschland im vergangenen Jahrhundert schon zweimal gezeigt hätte, dass ein ähnlicher Vorsprung aufgeholt werden könne.

Die Diskussion zur Situation im Irak wurde vor allem im Forum des Frankfurter Politikwissenschaftlers Sabah Alnasseri geführt. Der Exil-Iraker wandte sich in seinem Referat vor allem gegen die Annahme, mit der Besatzung sei die Demokratie im Irak eingekehrt. Das Gegenteil sei der Fall. So habe z.B. bei den Wahlen im Januar die Opposition gar keine Möglichkeit, gewählt zu werden. Auch werde nicht ansatzweise der Versuch unternommen, die Wirtschaft des Irak wieder aufzubauen, vielmehr gehe es darum, Privatisierungsmaßnahmen voranzutreiben. Es werde auf radikal-neoliberale Weise der Ausverkauf des Irak betrieben. Scharf kritisierte er auch die Beteiligung der Irakischen Kommunistischen Partei in der „Marionettenregierung“. Das „Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie“ sei in Wahrheit ein Bündnis mit exil-irakischem und anderem ausländischem Kapital. Die wirkliche nationale Bourgeoisie sei von dem Ausverkauf ebenfalls ausgeschlossen und sympathisiere daher mit dem irakischen Widerstand. Dieser sei im Übrigen sehr breit und beschränke sich nicht nur auf Baathisten oder andere Kriminelle und Banditen. Die von der Friedensbewegung vorgenommene Trennung zwischen zivilem und militärischem Widerstand gebe es im Irak in dieser Form nicht. Wichtig sei festzuhalten, dass die Besatzung die Ursache von Terror und Gewalt, der Widerstand der Iraker legitim sei und wirkliche Demokratie erst nach der Beendigung der Besatzung entstehen könne.

Es gab an beiden Tagen noch weitere hochwertige Vorträge, sowohl in den 25 Foren als auch im Plenum, die hier leider nur noch kurz erwähnt werden können. So zeigte Elmar Altvater wie die Liberalisierung des Weltmarktes und die „Vermarktwirtschaftlichung“ der öffentlichen Dienstleistungen menschliche Sicherheit – verstanden als wirtschaftliches, soziales, kulturelles und emotionales Wohlergehen des Einzelnen in der Gesellschaft – zunehmend gefährde. Horst Schmitthenner, bei der IG Metall zuständig für die Pflege des Kontakts mit sozialen Bewegungen, ergänzte diese theoretische Sichtweise durch zahlreiche Beispiele aus dem betrieblichen Alltag, der Unternehmeroffensive gegen Arbeitnehmerrechte und der staatlichen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, wofür Hartz IV nur ein besonders markantes Beispiel sei. Beifall gab es auch für die Berliner Journalistin und Schriftstellerin Daniela Dahn, Trägerin des Ludwig-Börne-Preises 2004, als sie die Teilnahme der Bundesregierung am völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg 1999 anprangerte und an die damals bewusst in Kauf genommenen zivilen „Kollateralschäden“ erinnerte.

Die abschließende Podiumsdiskussion mit Angelika Claußen (IPPNW), Stephan Lindner (attac), Tobias Pflüger (IMI, MdEP), Anne Rieger (VVN-BdA) und Thomas Roithner (ÖSFK) befasste sich mit der Frage, was die Friedensbewegung leisten könne, um der EU den Weg in die Militarisierung zu versperren. Betont wurde, dass für eine starke Friedensbewegung die örtliche Verankerung und breite Bündnisse, vor allem mit anderen sozialen Bewegungen von zentraler Bedeutung seien. Die Verbindung von Militarisierung bzw. Aufrüstung und Sozialabbau müsse dabei im Vordergrund stehen. Dass 60 Jahre nach der Befreiung Europas vom Faschismus die EU, angetrieben von den „neoliberalen Motoren“ Deutschland und Frankreich daran arbeite, Europa auch militärisch neben den USA zur zweiten Weltmacht zu machen, dürfe nicht hingenommen werden. Es sei daher eine historische Verpflichtung der Friedensbewegung, den Widerstand gegen den Neoliberalismus und die damit verbundene Militarisierung Europas zu intensivieren und vor allem über den Charakter der EU-Verfassung aufzuklären. Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) hat hierfür ein Koordinationsbüro eingerichtet, das die Verknüpfung der Aktivitäten gegen die EU-Verfassung und den Informationsaustausch fördern soll.

[1] Dieses und sämtliche anderen Referate können auf der Seite http://www.uni-kassel.de/fb10/frieden/rat/2004/ nachgelesen werden.

[2] Dahinter steckt der Gedanke, dass ein gemeinsamer Appell, der sich sowohl gegen die in der Verfassung verankerte neoliberale Wirtschaftspolitik, als auch gegen den Mangel an demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten und die Militarisierung wendet die verschiedenen Bewegungen gegen die EU-Verfassung eher ausgrenzen als einen würde