Angesichts der Politik der Bush-Administration erinnerten sich die publizistischen Schaumschläger des internationalen Feuilletons an ein von ihnen selbst vor langer Zeit aus dem öffentlichen Diskurs verbanntes Wort: Imperialismus. Seither geistert dieser Begriff als Ausweis kritischer Gesinnung – inhaltsleer aber schillernd – durch die Medienlandschaft. Die hier vorgestellten Monografien, die – aus unterschiedlichen Blickwinkeln – untersuchen, was Imperialismus in der marxistischen Diskussion meint und welche analytische Bedeutung diese Kategorie heute hat, sind deshalb überaus wichtige und nützliche Werke. Bollinger[1] dokumentiert in Auszügen die klassischen Imperialismustheorien (die Texte von z. B. Bucharin, Hobson, Kautsky sind nur in Bibliotheken oder Antiquariaten zugänglich) und fragt in seinem einleitenden Essay, ob die Imperialisten wiederkehren. Deppe u.a.[2] analysieren sowohl die Entwicklung der kapitalistischen Welt vom Zeitalter des Imperialismus bis zur neoliberalen Globalisierung als auch deren theoretische Reflexion von Hilferding bis Harvey. Bei Panitch/Gindin[3] steht das US-Imperium im Zentrum der Untersuchung.
Die Quintessenz des theoretischen Systems von Marx sind die Verneinung der unbegrenzten kapitalistischen Expansion und die Bejahung der Unvermeidbarkeit der sozialistischen Revolution. Dabei wird an keiner Stelle eine Lehre vom spezifisch ökonomischen Zusammenbruch des Kapitalismus entwickelt. Solches behaupteten jedoch die Revisionisten um Bernstein, die auch den Begriff „Zusammenbruchstheorie“ in die Welt setzten. Den tieferen Sinn dieses Manövers offenbart seine logische Konsequenz: Wenn die Zusammenbruchstheorie falsch ist, dann gibt es nur die endlose Expansion des Kapitalismus und dessen kontinuierliche Reform aus ethischen Gründen. Auf diesem politischen Hintergrund und weniger, weil sie „unmittelbar mit Krieg und Expansion konfrontiert“ waren (B 14), entwickelten Kautsky und Hilferding, die eng mit dem vom Empirismus (Mach bzw. Vorläufern des „Wiener Kreises“) geprägten Austromarxismus verbunden waren, ihre Imperialismustheorie. Es ist – was Bollinger nicht deutlich macht – diese erkenntnistheoretische Position, die Hilferding zur Theorie des organisierten Kapitalismus und Kautsky zu der des Ultraimperialismus führt. Indem Hilferding die Bildung der Monopole in den Mittelpunkt seiner Überlegungen rückt, macht er deutlich, dass grundlegende strukturelle Veränderungen gegenüber dem von Marx analysierten Kapitalismus der freien Konkurrenz stattgefunden haben. Warum „diese innere Entwicklung eine neue Stufe der Internationalisierung und der Weltmarktverflechtung hervortreibt“, „welchen Einfluß die imperialistische Politik der Nationalstaaten auf die internationale Politik nimmt“ und „welche Rückwirkungen diese Entwicklungen auf die Behandlung der ‚Sozialen Frage’ im eigenen Lande haben“ (D 18), sind die zentralen Fragen der marxistischen Imperialismusanalyse. Die letzte hängt eng mit der Revisionismusdebatte zusammen, hatte doch die relative Stärke der Arbeiterbewegung nur unzureichenden Zuwachs an politischer Macht gebracht: „Offenbar gelang es in den führenden Staaten durch ein geeignetes Gemisch von Nationalismus und materieller Besserstellung wachsender Teile der Bevölkerung, diese an das bestehende System zu binden.“ (B 15) Während bei Lenin das Monopol im Zentrum seiner Theorie steht, betont Luxemburg die Notwendigkeit zur Expansion, da der Imperialismus „nichts anderes als eine spezifische Methode der Akkumulation“ ist. Sie erkennt 1913 jedoch nicht (was kaum erstaunen kann) die Möglichkeiten der „inneren Landnahme“, d.h. eines Wachstumsschubs „aus der Massenproduktion von Konsumgütern, der Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft, der Steigerung der Reallöhne und dem Ausbau des nationalen Wohlfahrtsstaates“ (D 36). Für Panitch/Gindin hingegen ist die „spezifisch kapitalistische Variante des Imperialismus“ weniger das Produkt „einer neuen Entwicklungsstufe, die vom tendenziellen Fall der Profitrate, Überakkumulation und/oder Unterkonsumtion geprägt war. Vielmehr gab es Ähnlichkeiten mit dem Prozeß, der ehedem individuelle Kapitaleinheiten angetrieben hatte, ihre angestammte Heimat in einem gegebenen Dorf oder einer gegebenen Stadt zu verlassen“ (PG 21f.). Auch wenn der Erklärungswert dieser Pirenne-Schumpeterschen Kapitaleinheiten gegen Null tendiert, ist ohne Zweifel richtig, dass sich die Imperialismustheoretiker „mit einer verhältnismäßig frühen Phase der kapitalistischen Entwicklung beschäftigt hatten“ (PG 23).
Die Schwäche der klassischen Imperialismustheorie, die in der Arbeiterbewegung „zu einer gewaltigen theoretischen und praktischen Unterschätzung des Imperialismus geführt hat“ (D 36), wurde erst nach 1945 sichtbar, denn bis dahin hatte sich die Realität quasi in Übereinstimmung mit der Theorie (Krise und Krieg) entwickelt. Doch dann kam es als „Reflex auf die weltpolitische Macht des Sozialismus und die Dynamik der antiimperialistischen Bewegungen in der ‚Dritten Welt’“ (D 54) zu einem Klassenkompromiss zwischen liberaler Bourgeoisie und Sozialdemokratie. Zudem war die „die Stabilität der innenpolitischen Verhältnisse in der kapitalistischen Welt [...] durch die Durchsetzung der fordistischen Formation begründet. Damit wurde eine weitere Basisprämisse der klassischen Imperialismus-Theorien, nämlich der Bezug zur Unterkonsumtionstheorie, zumindest zeitweilig außer Kraft gesetzt“ (D 43). Das erscheint zweifelhaft, da der Staat in den Nachkriegsjahren in weit größerem Maß als je zuvor als Nachfrager aufgetreten ist, und das nicht nur im Rüstungsbereich. Die wesentliche Lehre, die die immer mehr pragmatisch als ideologisch agierende herrschende Klasse der USA aus der Weltwirtschaftskrise (die erst mit der Rüstungskonjunktur geendet hatte) gezogen hatte, war doch: der Staat mu ss sowohl im Inneren als auch nach Außen permanent aktive Wirtschaftspolitik betreiben. Deshalb setzten die USA nach 1945 eine neue Weltwirtschaftsordnung durch, die die außenwirtschaftlichen Abschließungseffekte der dreißiger Jahre rückgängig machte und durch die Expansion des Welthandels zu einem eigenständigen Wachstumsfaktor wurde: „Die US-amerikanische Hauptstrategie im Verlauf des Kalten Krieges machte nicht nur eine Eindämmung des Kommunismus erforderlich, sondern es bedurfte auch der Ergreifung aktiver Maßnahmen, um die Welt politisch, kulturell und vor allem wirtschaftlich zu öffnen.“ (PG 49)
Die Imperialismus-Debatte nach 1945 reflektierte „die ‚Zähmung’ der zwischenimperialistischen Konkurrenz durch die Hegemonie der USA in den westlichen Bündnissystemen. Nunmehr war die Machtkonstellation des Kalten Krieges mit der Konfrontation der atomaren Waffensysteme Charakteristikum der Epoche. Als imperialistisch wurden fortan die Beziehungen zwischen dem Zentrum der ‚Ersten Welt’ und der Peripherie der ‚Dritten Welt’ [...] kritisiert“ (D 129). Eine Ausnahme stellt „Monopolkapital“ von Baran/Sweezy dar. Sie argumentieren in der Tradition von Lenin und Luxemburg und reduzieren den Imperialismus nicht – wie Deppe u.a. meinen (D 56) – auf den militärisch-industriellen Komplex. Baran/Sweezy begreifen den Monopolkapitalismus vielmehr als gesamtgesellschaftliches System, dessen grundlegendes Problem die Unterkonsumtion/Überakkumulation darstellt. Davon ausgehend und dem Totalitätsbegriff verpflichtet, zeigen sie, wie das seiner Form nach bürgerlich-demokratische System der USA immer autoritärer wird und welche spezifischen Formen von Entfremdung der Monopolkapitalismus hervorbringt. Neben Militarismus und Imperialismus bilden das Phänomen des Konsumismus und die Kulturindustrie den Schwerpunkt ihrer Analyse. Ökonomisch gesehen handelt es sich hierbei um in den letzten Jahrzehnten immer wichtiger gewordene Bereiche der „inneren Landnahme“. Aus politischer Sicht sind es zwei zentrale Momente imperialistischer Strategie: Die Fähigkeit der USA, als Führungsmacht zu fungieren, gründet, wie Perry Anderson bemerkte, auf „der Anziehungskraft des US-amerikanischen Produktions- und Kulturmodells, zweier Modelle, die in zunehmenden Maße in der Konsumtionssphäre vereinigt wurden“ (PG 32). Das ist insofern von Bedeutung, als Kultur die Form ist, in die Menschen ihre politisch-ökonomischen Interessen und ihre Triebe kleiden. In ihr drücken sie die persönliche wie auch die kollektive Identität aus. Einerseits stellt es keine Novität dar, dass Hegemonie ihren kulturellen Ausdruck findet. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war „britischer Stil“ das Vorbild der liberalen Bourgeoisie von Bari bis Berlin. Andererseits ist Kultur genau jener Ort, wo Hegemonie auf Widerstand stößt. Durch die Kulturindustrie und die damit verbundene „Vermassung“ der hegemonialen Kultur sind jedoch Interesse und Möglichkeit, Widerstand zu leisten, geringer geworden. Im Gegensatz zu dem Brüche und Diskontinuitäten andeutenden Begriff des „neuen Imperialismus“, scheint sich aus der Sicht von Baran/Sweezys Analyse der Monopolkapitalismus doch eher kontinuierlich entwickelt zu haben. Diese Vorstellung liegt wohl auch Bollingers Definition zu Grunde: „Im engeren Sinne sollte aus heutiger Sicht der Begriff Imperialismus auf die politische Dimension dieses Monopolverhältnisses angewandt werden und der Begriff Monopolkapitalismus auf die neue Etappe des Kapitalismus selbst“. (B 13)
Auffallend ist, dass in allen drei Werken die Zeit vor 1968 in eine diffuse Ferne rückt. Beispielsweise wird nicht wirklich deutlich, dass es sich beim Kalten Krieg um einen ganz realen Krieg gehandelt hat, dass also von einer „Friedensfähigkeit des Kapitalismus“ (B 23) auch angesichts des nuklearen Patts nicht die Rede sein konnte. Dass der Schauplatz der bewaffneten Auseinandersetzungen nach 1949 außerhalb Europas lag, hat sowohl mit der Bedeutung Chinas und des pazifischen Raums für die USA zu tun, wie die diversen Strategiepapiere des Nationalen Sicherheitsrates bis hin zur Dominotheorie zeigen, als auch mit dem höchst differenzierten Waffenarsenal, das die imperialistischen Staaten zum Einsatz bringen konnten. Nicht deutlich wird auch, dass die UNO immer ein von Washington dominiertes Instrument war. Das Mandat für den Koreakrieg bekamen die USA, weil sie mit ihren lateinamerikanischen Klientelstaaten über die Mehrheit am East River verfügten. Als diese im Zug der Dekolonisierung verloren ging, änderte das wenig, wie die Tatsache zeigt, dass von Vietnam bis Grenada usw. keine bewaffnete Aggression der USA jemals durch die UNO verurteilt wurde. Zu hinterfragen ist auch die These, dass sich die globalen Kräfteverhältnisse in den 70er Jahren zugunsten des sozialistischen Lagers verschoben haben. Die in der Regel als Beleg dafür genommene KSZE (D 52) ist jedenfalls keiner, denn die Sowjetunion konnte außer dass sie das Zustandekommen dieser Konferenz erreichte, keine einzige ihrer Forderungen durchsetzen. Vielmehr war schon bei der Unterzeichnung der Schlussakte deutlich, dass damit der Westen eine hervorragende Plattform für seine „Freiheits“- und „Menschenrechts“-Propaganda bekommen hatte. Vor allem aber erscheint fraglich, ob es je zu einem Ende des „containment“ gekommen war. Danach waren „die Russen“ an jedem Punkt, wo die Interessen der USA tangiert sind mit unabänderlicher Gegenmacht zu konfrontieren, um eine graduelle Schwächung hervorzurufen, die langfristig zum Zusammenbruch der Sowjetmacht führen musste. Diese Strategie war in unterschiedlichen Nuancen das zentrale Dogma der US-Außenpolitik, und auch Reagan vollzog keinen Strategiewechsel, sondern praktizierte nur eine offensivere Auslegung dieser Grundhaltung. Zweifelhaft erscheint auch, dass mit dem Ende der Diktaturen (Portugal, Griechenland, Spanien) „die Perspektive einer sozialistischen Transformation“ (D 75) in Europa real zu werden schien. Dies scheiterte nicht nur an der massiven Intervention von Bundeskanzler Schmidt, SPD und Ebert-Stiftung (D 74), sondern vor allem daran, dass die Krise 1973ff durch die mit ihr einhergehende Massenarbeitslosigkeit den historischen Optimismus der Arbeiterklasse in Europa gebrochen und sie demoralisiert hat. Auch hatte die Krise der herrschenden Klasse deutlich gemacht, dass die notwendige ökonomische Modernisierung nur als nationales Projekt mit der Arbeiterbewegung durchzuführen war, oder als Klassenprojekt gegen sie. Die Bourgeoisie fühlte sich stark genug, letzteres zu tun und die seit 1945 offene Rechnung mit den Arbeitern zu begleichen. Auf die Möglichkeit bzw. die Notwendigkeit eines solchen Strategiewechsels hatte Michal Kalecki schon Mitte der 40er Jahre (also am Beginn der „keynesianischen Revolution“) mit seiner Hypothese vom „politischen Konjunkturzyklus“ hingewiesen. Danach sind die Kapitaleigner aus längerfristigen politischen – und ökonomischen – Interessen nicht an dauerhafter Vollbeschäftigung interessiert und sogar bereit, die Rentabilitätsabsenkung in der Krise quasi als Kosten einer Stabilisierung des Status quo hinzunehmen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Panitch/Gindin: „Die Mechanismen des Neoliberalismus (die Ausweitung und Vertiefung der Märkte und des Wettbewerbsdrucks) mögen nun zwar ökonomischer Natur sein, aber der Neoliberalismus war seinem Wesen nach eine politische Antwort auf die demokratischen Errungenschaften, die sich die unteren Klassen bis dahin erkämpft hatten und die sich – in ihrem neuen Kontext und aus der Sicht des Kapitals – zu einer Schranke für die Akkumulation entwickelt hatten.“ (PG 65) Auf weitere ökonomische Notwendigkeiten verweisen Deppe u.a.: „Die Schranken des binnenorientierten fordistischen Akkumulationsregimes mußten durch eine neue Stufe der Internationalisierung hinausgeschoben werden. Dabei mußte zugleich die Anwendung der neuen ‚mikroelektronischen Revolution’ als ein gewaltiges Rationalisierungspotential in der Produktion wie in der Verwaltung und im Dienstleistungssektor voll ausgenutzt werden.“ (D 76) Dieser Strategiewechsel konnte nicht nur deshalb ohne größere Brüche vollzogen werden, weil nach und durch „Achtundsechzig“ Individualismus, Konsumismus und Liberalismus zu Massenideologien geworden waren, sondern auch, weil die neoliberalen Netzwerke in Wissenschaft, Public Relations und Politikberatung seit den vierziger Jahren massiv ausgebaut worden waren und zudem der kastrierte Keynesianismus des „geplanten Kapitalismus“ in der Tat nicht fähig war, die ökonomischen Probleme zu lösen.
Was ist nun neu am gegenwärtigen Imperialismus? Angesichts der in der globalisierungskritischen Öffentlichkeit verbreiteten Illusionen ist es mehr als sinnvoll, dass Bollinger deutlich macht, dass die Frage direkter oder indirekter Herrschaft von sekundärer Bedeutung für die Imperialismusanalyse ist, und dass das Axiom „Demokratien sind friedlich“ jeder historischen Erfahrung widerspricht. Gleiches gilt aber auch für die von ihm selbst aufgestellte Behauptung, der Imperialismus „wurde zeitweise friedlich“ (B 9). Und seiner eigenen Definition widerspricht die Behauptung, die Sowjetunion habe imperialistische Politik betrieben (B 10).
Für Deppe u.a. zeichnet sich der neue Imperialismus „nicht allein durch die globale Supermachtrolle der USA aus, sondern hat sich in einer historischen Umbruchsperiode gefestigt, in der die traditionellen antikapitalistischen und antiimperialistischen Kräfte enorm geschwächt wurden“ (D 130). „Der ‚neue Imperialismus’ bliebe jedoch unverständlich, würde nicht die Frage beantwortet, wie das Funktionieren des Empires gewährleistet und koordiniert wird. [...] Imperialistische Politik agiert nicht hinter dem Rücken der Akteure, sondern vermittelt sich sowohl über die Fähigkeit, die Spielregeln des Weltmarktgeschehens zu bestimmen, als auch über die Fähigkeit und Bereitschaft, politisch-militärische Macht anzuwenden, um im eigenen – nationalen und internationalen Interesse – jeden Angriff, jede Störung auf dieses System abzuwehren sowie das System der globalen Kontrolle auch politisch abzusichern. Über diese Fähigkeit verfügen allein die USA.“ (D 123f.) Panitch/Gindin heben hervor, dass die USA zum Machtzentrum werden konnte, weil das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen über die Jahrzehnte kumulativ die Bourgeoisie gestärkt hat. Obgleich ihre militärtechnologische Überlegenheit ein gewichtiges Moment der Stärke der USA ist, hat sich nach dem Ende der Sowjetunion die Handlungsfreiheit der europäischen Staaten vergrößert. Panitch/Gindin meinen aber, dass die Welt des Kapitals sich trotz der großen Widerspruchskomplexe der Globalisierung „jenseits der zwischenimperialistischen Konkurrenz“ (PG 70) befinde.
Deppe u.a., die verdeutlichen, dass auch im Prozess der Globalisierung der Nationalstaat von der Bourgeoisie als „ideeller Gesamtkapitalist“ gebraucht wird, machen mehrere Widerspruchsebenen des neuen Imperialismus aus. Dazu zählt u. a. der zwischen Großkapital und Demokratie: „Der ‚Imperialismus’ der neoklassischen Ökonomie und der neoliberalen Ideologie – die alle gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bereiche den Regeln des Rational Choice und der Marktgesetze unterwerfen will, ist tendenziell antidemokratisch“ (D 136). Angesichts der Bedeutung der Kulturindustrie für die Herrschaftssicherung der Bourgeoisie ist es nur logisch, dass hier die Widersprüche massiv zutage treten. Seit den 80er Jahren hat die Kommerzialisierung der Alltagskulturen einen neuen Höhepunkt erreicht: „Diese zielt auf die Entpolitisierung der breiten Massen durch Unterhaltung, Sex, Verbrechen, Sensationsjournalismus, Sport, Lotterie – wobei sich diejenigen, die die Medien beherrschen, ganz eindeutig im Lager des Neoliberalismus und des neuen Imperialismus positionieren. [...] Die Entmoralisierung verstärkt kulturelle Widersprüche zwischen einem auf Rationalität angelegten kapitalistischen Wirtschaftssystem und anti-rationalen Verhaltensweisen, die mit der Vermarktung der Sexualität, des Konsums und der Gewalt verbunden sind.“ (D 139)
Und die antiimperialistischen Kräfte? Optimismus ist gegenwärtig nicht angebracht: „Die Subjekte einer Alternativ- bzw. einer Gegenhegemonie sind am Anfang des 21. Jahrhunderts nur schwer auszumachen.“ (D 130) Die NGOs, die quasi die neoliberalen und somit ambivalenten Nachfolger internationaler Solidaritätsbewegungen sind und die neuen sozialen Bewegungen „können als embryonale ‚Frühwarnsysteme’ zukünftiger Konflikte angesehen werden, in denen die progressiven Teile der Arbeiterklasse eine wichtige – mehr noch: eine unentbehrliche – Rolle übernehmen müssen, sofern die ‚andere Welt’ auch eine Neugestaltung der Systeme der Arbeit, der Produktion und der Weltmarktbeziehungen zum Gegenstand hat“ (D 141).
Z - Nr. 63
erscheint Anfang September 2005
voraussichtlich mit dem Schwerpunkt
Geplant sind Beiträge zum Schwerpunkt u.a.
von
Tatjana Fuchs, Kai Michelsen, Kai Mosebach, Klaus Priester,
Jürgen Reusch.
Weitere Beiträge u.a. von Wulf D. Hund (Perspektiven der historischen Rassismusforschung), Hans Luft (Wirtschaftslage Ostdeutschlands), Jörg Miehe (Rüstung, Krieg, Kapitalinteressen), Eva Müller (Gesellschaftliches Gesamtprodukt oder Bruttowertschöpfung?)
[1] Stefan Bollinger (Hg.), Imperialismustheorien - Historische Grundlagen für eine aktuelle Kritik, Promedia Verlag, Wien 2004, 184 Seiten, € 12,90 (im folgenden als B zitiert).
[2] Frank Deppe/Stephan Heidbrink/David Salomon/Stefan Schmalz/Stefan Schoppengerd/Ingar Solty, Der neue Imperialismus, Distel Verlag, Heilbronn 2004,155 Seiten, € 9,50 (im folgenden: D).
[3] Leo Panitch/Sam Gindin, Globaler Kapitalismus und amerikanisches Imperium, VSA-Verlag, Hamburg 2004, 94 Seiten, € 10,80 (im folgenden: PG).