Anfang Juli 2005 bat die Redaktion der Z. die Mitglieder des Z-Beirates und einige Autorinnen und Autoren im Vorfeld der Bundestagswahlen im September 2005 um eine Stellungnahme zum sich abzeichnenden neuen Linksbündnis. Die abgedruckten Statements gingen zwischen dem 10. und dem 27. Juli 2005 ein.
Ein auf der parteipolitischen Ebene auftretendes Linksbündnis hat in unserem politischen System – ob es uns gefällt oder nicht – die Chance, eher gehört und ernst genommen zu werden als dies durch all die großen Demonstrationen der letzten Jahre geschehen ist (was man schon an der relativ großen, bisher unüblichen Resonanz auf das Linksparteiprojekt in den Medien sieht). Genau darin liegt aber auch die Gefahr eines solchen Projekts: die ständige, Einfluss und Akzeptanz erweiternde Balance von außerparlamentarischen und parlamentarischen Aktivitäten zu treffen, ohne eine Seite zu verabsolutieren und vor allem neben tagespolitischen Forderungen die Arbeit an grundsätzlichen Alternativen nicht zu vernachlässigen. Dies bedeutet dann aber keineswegs, dass sich „die neue Linkspartei zurücknehmen muss, wenn sie ihre politische Bedeutung stärken will“ (U. Brand, in: FR v. 13.7.05). Es verweist vielmehr darauf, dass diese Partei die institutionelle und synthetische Plattform von sehr vielen Aktivitäten werden muss. Innerhalb dieser könnten marxistische Denkansätze natürlich eine stimulierende Wirkung entfalten. Ein großes Problem sehe ich in der Vermittlung von kurzfristigen, auf nationalstaatliche Re-Regulierung abstellenden Maßnahmen mit einer mittel- oder längerfristigen Perspektive der notwendigen transnationalen Re-Regulierung, für die die Bedingungen erst geschaffen werden müssen. Aber ein Problembewusstsein für derartige Ambivalenzen des aktuellen Handelns zu schaffen und die Arroganz des dominanten „pensée unique“ zurückzuweisen, wäre schon ein erheblicher Fortschritt gegenüber den gegenwärtigen Verhältnissen.
Dieter Boris
Während sofort ab dem 22. Mai 2005 verantwortungsvolle Menschen sich fragten,
- welche Erwartungen an ein Linksbündnis zu richten seien,
- welche Chancen es biete,
- ob es eine Rolle für eine grundsätzliche Kritik am Kapitalismus spielen könne,
- welche Perspektiven es über den Wahltag hinaus habe und
- wo etwa noch Probleme liegen,
während sie also sich auf diese Weise schlaflose Nächten bereiteten, schlugen gleichzeitig per Telefon, Mail, in Vorgesprächen und Hinterzimmern junge, mittelalte und betagte demokratische Sozialistinnen und Sozialisten sowie Verfechter von Arbeit und Sozialer Gerechtigkeit sich um die aussichtsreichen Listenplätze wie Junkies um die letzte Flasche Bier.
Das ist ermutigend. Es signalisiert, daß die Linkspartei es wohl schaffen wird.
Auch mich erfüllt dies mit Vorfreude. Schon hat die zweiköpfige PDS-Kreistagsfraktion, der anzugehören ich die Ehre habe, sich folgsam in „Die Linkspartei.“ umbenannt. Seit langem steht für mich fest, daß ich bei der hessischen Kommunalwahl 2006 nicht mehr kandidieren werde, aus Altersgründen. Dies fällt mir jetzt besonders leicht, denn niemand wird mir vorhalten, daß ich etwa ein sinkendes Schiff verlasse. Zeiten, in denen eine politische Organisation keine Sekundärtugenden benötigt, sind denjenigen Durststrecken vorzuziehen, in denen sie nur noch von abgehängten Prinzipienreitern aufrechterhalten werden kann.
Auch nach der Wahl wird für die dann hoffentlich siegreiche Linkspartei nicht die Frage nach den strategischen Perspektiven im Vordergrund stehen. Vielleicht muß sie sich schnell entscheiden, ob sie gegen eine Große Koalition opponieren oder diese durch Tolerierung einer rotgrünen Minderheitsregierung verhindern helfen will.
In dem Moment aber, in dem sie wieder ausschließlich mit der Erkundigung nach Erwartungen, Chancen, antikapitalistischer Kritik, Perspektiven über den Wahltag hinaus befasst sein wird, wird der Niedergang schon begonnen haben, und wir Spinner sind dann wieder unter uns.
Georg Fülberth
Seit der Ankündigung von Bundeskanzler Schröder im Mai 2005 „so rasch wie möglich Neuwahlen für den Deutschen Bundestag“ anzustreben, hat sich für die Linke in Deutschland plötzlich eine kaum vorhersehbare Chance aufgetan, die m.E. zu Recht als ‚historisch’ bezeichnet wird: Die Möglichkeit eines linken Bündnisses gegen die ‚Neoliberale Einheitspartei’ (Altvater). Dass es sich dabei vorerst um ein bloßes Wahlbündnis handelt, muss kein Nachteil sein. Die durch taktische Entscheidungen anderer und durch rechtliche Regelungen von Grundgesetz und Wahlrecht gebotene Eile zwingt dazu, – nicht nur unberechtigte – Zweifel zunächst einmal hintanzustellen. Anfang Juli scheint der erste Schritt für ein Linksbündnis, das Wahlbündnis zwischen PDS und WASG, faktisch vollzogen. Erste Wählerumfragen zeigen, dass dieses Wahlbündnis wahrscheinlich in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen wird, möglicherweise sogar als drittgrößte Kraft. Entsprechend aufgeregt sind die Reaktionen im etablierten Parteiensystem und in der politischen Öffentlichkeit. Tatsächlich brächte eine entschieden linke Oppositionsfraktion, die nicht mehr – wie in der Vergangenheit die PDS – als vorübergehendes Überbleibsel der DDR abgetan werden könnte, eine völlig neue Kräfte-Konstellation nicht nur in den Bundestag, sondern in das gesamte politische System der BRD. Entscheidend wäre, dass diese neue Kraft ihrem politischen Inhalt nach erstmals eine unzweideutig linke Alternative zu den bisherigen ‚rot-grünen‘ bzw. ‚schwarz gelben‘ Varianten des neoliberalen Blocks an der Macht repräsentierte. Hierin liegt die historische Chance, die nicht vertan werden sollte.
Eine ‚Chance‘ bezeichnet eine objektive Möglichkeit, die nicht mit der Wirklichkeit verwechselt werden darf, und ‚historisch‘ ist sie nur, wenn aus dem Wahlbündnis 2005 auf mittlere und lange Sicht ein stabiles politisches Bündnis wird. Unumgängliche Basis hierfür ist eine demokratisch und sozial dem Neoliberalismus radikal entgegentretende und zugleich einen möglichst großen Teil der Bevölkerung überzeugende Programmatik sowie eine entsprechende und glaubwürdige politische Praxis mit der Perspektive auf eine gemeinsame Partei der Linken. ‚Gemeinsam‘ meint nun aber keineswegs eine politisch, sozial und/oder kulturell homogene Einheitspartei, wie sie natürlich von den herrschenden Medien jetzt schon zur Abschreckung wie zum Zwecke der Spaltung an die Wand gemalt wird. ‚Gemeinsam‘ meint vielmehr, bestehende Differenzen – und das sind nicht nur, aber sicher auch, die zwischen ‚West‘ und ‚Ost‘ – anzuerkennen, sie aber zugunsten einigender, die aktuellen wie auch zukünftigen Bedürfnisse und Interessen einer großen Mehrheit der Bevölkerung artikulierender Ziele allmählich zu überwinden.
Diese Aufgabe zu bewältigen wird weitaus schwerer sein, als ein ad hoc Wahlbündnis zustande zu bringen. Nicht zuletzt auch, weil zu den angedeuteten inneren Problemen der Druck von Außen stärker werden wird. Diffamierungen, Spaltungsversuche u. ä., die jetzt schon begonnen haben, werden verstärkt fortgesetzt werden. Das aber sollte auch als Anzeichen dafür begriffen werden, wie wichtig der Vorgang für die zukünftige Entwicklung dieser Gesellschaft ist. Dissonanzen, auch Fehler, wie sie schon in der derzeitigen Frühphase des Wahlkampfes 2005 auftreten und in mancher Hinsicht wohl auch unvermeidlich sind, müssen bald nach der Wahl – ohne Hektik aber entschieden und offen – diskutiert und in der Perspektive einer gemeinsamen, alle Politikbereiche umfassenden Programmatik selbstkritisch erörtert werden. Die spezifischen Defizite beider Gruppierungen, die jetzt formell das Wahlbündnis eingegangen sind – der Regionalismus und die Neigung zur Nostalgie der PDS, die bisherige thematische Beschränktheit der WASG, um nur die offenkundigsten zu nennen – müssen mittel- und langfristig überwunden werden.
Eine neue Linkspartei muss schließlich auch offen sein für weitere Strömungen der Linken, die dem Bündnis bisher eher skeptisch gegenüberstehen; dazu gehören ökologisch und internationalistisch orientierte Gruppen, Anhänger von Attac und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen der feministischen, anti-rassistischen, pazifistischen und bürgerrechtlichen Bewegungen. Sie dürfte sich nicht als bloßes Sammelbecken für Wählerstimmen verstehen, sondern müsste sich als diskutierendes und organisierendes Zentrum gemeinsamer Interessen und Zielsetzungen aller Gruppierungen der Linken in Deutschland begreifen und vor allem auch praktisch erweisen; dies könnte freilich nur gelingen, wenn die jetzigen Gründerorganisationen keinen Führungsanspruch a priori erheben.
Werner Goldschmidt
Das Linksbündnis von PDS und WASG sehe ich als große Chance, eine starke linke Opposition im Bundestag zu etablieren und damit der politischen Auseinandersetzung auf parlamentarischer Ebene um eine wirksame Alternative zur neoliberalen Politik von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP neuen Auftrieb zu geben.
Wie auch die Reaktion in der Öffentlichkeit der Bundesrepublik zeigt, reicht die Bedeutung des Zusammengehens von PDS und WASG weit über ein Wahlbündnis hinaus. Zum ersten Mal seit 1990 bietet sich in der Bundesrepublik die Chance für linke Kräfte in West und Ost, sich unter einer gemeinsamen Zielsetzung zu vereinen. Zugleich ist das Linksbündnis für weitere linke Kräfte offen und kann damit einer Zersplitterung der politischen Linken in Deutschland wirksam begegnen. Es eröffnet sich die Möglichkeit, daß es in der Bundesrepublik zu einer Partei links von der SPD kommt, die bundesweit gesellschaftlichen Einfluß ausüben kann. Damit würde sich tatsächlich eine Zäsur in der Entwicklung der Bundesrepublik seit 1990 ergeben.
Um so wichtiger ist es daher, daß die beiden Parteien des Linksbündnisses nach der Wahl ihre bekundete Absicht zielstrebig verfolgen, innerhalb von zwei Jahren eine Vereinigung herbeizuführen. Ich sehe dabei durchaus auch Probleme. Jetzt steht bis zu den Wahlen für beide Parteien die Auseinandersetzung mit dem Sozialabbau und dem gesamten neoliberalen Kurs der bisherigen Regierung wie auch mit den Wahlprogrammen von CDU/CSU und FDP im Vordergrund, und dabei gibt es zwischen PDS und WASG weitgehend Übereinstimmung.
In der Diskussion über eine mögliche Vereinigung werden Grundfragen einer Programmatik eine große Rolle spielen, wie z.B. demokratischer Sozialismus als Ziel, das Verhältnis von Regierungsbeteiligung und (Fundamental-)Opposition. Dabei treffen unterschiedliche Erfahrungen und historische Wurzeln der beiden Parteien aufeinander. Alte Fronten innerhalb der PDS werden sich u.U. wieder öffnen. Aber die neue politische Situation, das Erkennen der glücklichen Chance für die Linke in Deutschland sollten eine Verständigung eher ermöglichen als in der Vergangenheit. Dabei müssen die PDS-Mitglieder verstehen, daß die Perspektive ihrer Partei auf Dauer nur innerhalb einer geeinten Linken in Deutschland gesichert ist.
Horst Heininger
Der Coup Schröders wird den Machtwechsel in Berlin bringen in kleiner oder großer Koalition. Ein positives Ergebnis ist das Zusammengehen von PDS und WASG bei den Wahlen und der damit wohl abgesicherte Einzug in das Parlament, was auf jeden Fall eine deutlichere parlamentarische Kritik des neoliberalen Systemwechsels verspricht.
Anders steht es mit der grundsätzlichen Kapitalismuskritik, mit der sozialistischen Position. Im Stern (27/2005) erklärte Gregor Gysi, dass die SPD sich ändern werde. „In vier Jahren kann die Welt ganz anders aussehen, dann kann man über Zusammenarbeit reden.“ Mit Schröder ginge es allerdings nicht. Nur für eine gewisse Zeit mache es Sinn, „dass es eine Kraft links von der SPD gibt.“ Eine veränderte SPD sei, wie Lafontaine hinzufügt, „natürlich unser Partner“. Wer erinnert sich hier nicht an den Traum André Bries „von einer neuen linken Kraft mit völlig neuen Formen“, wobei sich Gysi und Lafontaine an die Spitze stellen sollten (ND vom 6.8.2002).
Mit dem Beschluss des Parteitages am 17. Juli 2005, den Namen PDS für die Bundespartei gänzlich aufzugeben und für die Länder(West) die Entscheidung den Landesverbänden zu überlassen, hat die PDS ohne Not vor dem Ultimatum der WASG und von Gysi/Bisky kapituliert. Der angekündigte Neuanfang besteht darin, dass im Namen der Partei auf das Ziel des Sozialismus, so verschwommen es auch im Programm der PDS charakterisiert ist, verzichtet wird. Gleiches dürfte für die Feststellungen des Parteiprogramms zur DDR gelten. Mit dem von uns, Mitgliedern der KPF, des Marxistischen Forums, des Geraer Dialogs sowie den Mitgliedern des Ältestenrates Stefan Doernberg und Manfred Weckwerth im Änderungsantrag vorgeschlagenen Namen „Die Linkspartei. Partei des demokratischen Sozialismus“ hätten beide Seiten ihre Identität noch nicht aufgegeben. Jetzt ist der Rubikon überschritten. Ein Zugeständnis nach dem anderen wird folgen. Ich weiss nicht, ob dieser Weg zurück zur Mutter Sozialdemokratie noch aufzuhalten ist.
Uwe-Jens Heuer
Das jetzt verabredete linke Bündnis für die Wahlen zum Bundestag ist in meiner Sicht zum einen deshalb sehr bedeutend, weil es die Möglichkeit schafft, die in der Gesellschaft weit verbreitete Kritik an der neoliberalen Politik der rot-grünen Bundesregierung und an der noch schärferen Politik einer schwarz-gelben Regierung auch parlamentarisch zu formulieren und damit zu verstärken. Es kann damit dazu beitragen, dass sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die sich unmittelbar nach der Wahl und nach einem Regierungswechsel möglicherweise noch einmal weiter nach rechts verschieben werden, durch die Formierung und Konsolidierung eines linken Blockes mittelfristig dadurch zugunsten der demokratischen und sozialen Kräfte verändern, dass fortschrittliche, linke und radikale Analysen und Konzepte in der Öffentlichkeit als Normalität akzeptiert werden und auch wieder in die Sozialdemokratie und die Grünen hinein wirken. Damit das Linksbündnis nicht den Weg der Grünen geht und sich nach kurzer Blüte nicht bruchlos in den Neoliberalismus einbinden lässt, ist allerdings dreierlei erforderlich:
Erstens sollte die programmatische Diskussion über die Ursachen und Haupttendenzen der krisenhaften Entwicklung in Deutschland intensiv und öffentlich mit dem Ziel geführt werden, hieraus eine theoretisch wie politisch tragfähige gemeinsame Programmatik zu entwickeln.
Zweitens sollte das Linksbündnis in der parlamentarischen Arbeit machbare Alternativen zur vorherrschenden neoliberalen Politik entwickeln und propagieren.
Drittens kann der Fortschritt, der in der parlamentarischen Repräsentanz der Linken liegt, nur dann weitergeführt werden, wenn die ParlamentarierInnen den Kontakt zu den außerparlamentarischen Bewegungen gegen den Neoliberalismus aufrecht erhalten und festigen.
Jörg Huffschmid
Das Bündnis aus Linkspartei.PDS und WASG bringt die Linke und die sozialen Interessen der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten mit neuer Macht in die Politik zurück. In den vergangenen Jahren waren sie durch die Nichtexistenz einer breit verankerten linken Partei und die Rechtsentwicklung von Sozialdemokratie und Grünen politisch immer weiter ausgeschaltet worden. Außerparlamentarische Proteste allein blieben in ihrer Wirkung begrenzt und konnten von den wirtschaftlichen und politischen Eliten „ausgesessen“ werden.
In vielen europäischen Ländern konnten die soziale und politische Krise und die Frustration und das Bedrohtheitsgefühl großer Teile der Bevölkerung von rechtspopulistischen Parteien propagandistisch genutzt und in parlamentarische Stärke umgesetzt werden. Wenn es dem Linksbündnis gelingt, soziale Interessen und Protest parteipolitisch glaubwürdig von links zu besetzen, kann das in Deutschland verhindert werden.
Die linke Fraktion im Bundestag muss einen Schwerpunkt ihrer Arbeit darauf legen, sich öffentlichkeitswirksam und offensiv mit den wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen und Behauptungen der Neoliberalen auseinander zu setzen und linke, soziale Alternativen dagegen zu setzen. Hierfür ist der durch die WASG verstärkte Einfluss von GewerkschafterInnen und VertreterInnen alternativer Wirtschaftspolitik von entscheidender Bedeutung. Die angeschlagene Hegemonie des Neoliberalismus muss auf ihrem zentralen Feld angegriffen und überwunden werden. Dazu gehört auch, eine nachhaltige und ernsthafte, also marxistisch fundierte Kritik des Kapitalismus wieder in den politischen Diskurs der Republik einzubringen.
Es geht letztlich um die Formierung eines gesellschaftlichen Kräfteblocks, der als Subjekt sozial fortschrittlicher Veränderungen im modernen Kapitalismus wirken kann. Dazu ist ein neuer Anlauf, eine Neu-Bildung der ArbeiterInnenbewegung erforderlich, in einem – niemals widerspruchsfreien – Zusammenspiel von Gewerkschaften, anderen sozialen Bewegungen, kritischer Wissenschaft und Kultur und linken Parteien. Dies ist Bedingung dafür, Kritik am Kapitalismus wieder praktisch wirksam werden zu lassen.
Ein solches Bündnis der Veränderung braucht die Vorstellung, dass eine andere Welt möglich ist. Aber es macht keinen Sinn, abstrakte Forderungen nach einer Systemalternative, zu deren möglicher Gestalt und demokratischen Wegen dahin heute nur wenig gesagt werden kann, in den Mittelpunkt zu stellen. Wir müssen für reale Schritte kämpfen, die die Macht des Kapitals zurückdrängen, das Leben der Menschen verbessern, und eine grundlegende Demokratisierung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse vorantreiben. Diese können sich nicht auf die nationale Ebene beschränken, sondern müssen in hohem Maße auf die Europäische Union ausgeweitet werden.
Ralf Krämer
Das Bündnis „Linkspartei“ und WASG und dessen Kandidatur ist notwendig und richtig – ungeachtet aller offenen Fragen, die nach der Wahl eher mehr als weniger werden.
Der Teil der Linken im Land, der sich nun als heterogenes Wahlbündnis zusammenfindet, muss in der Opposition des Parlaments dafür Verantwortung übernehmen, dass Erwartungen und Hoffnungen von Teilen der Arbeiterklasse nicht enttäuscht werden – und das ist zunächst eine Stimme, die im Parlament der Sozialabbau-Koalition aller anderen Parteien laut widerspricht. Soziale Deklassierung durch Arbeitsplatzverlust oder drastische Lohnminderung ist für viele Menschen eine ganz reale Bedrohung. Daraus erwächst der Wunsch nach Sicherheit, nach einer irgendwie anderen Politik. Den aktuellen und potentiellen Opfern der Krise ist deren Tiefe und Dauer theoretisch höchst unklar, gefühlt und erfahrungsgemäß aber höchst nah. In den zurückliegenden Jahren hat dieses vor allem zu Wahlenthaltung, bei nicht wenigen Arbeiterinnen und Arbeitern aber auch zur Wahl rechter Parteien geführt. Wahlenthaltung schert die Herrschenden wenig, rechte Parteien werden da schon eher als Ventil gesehen und benutzt.
Wenn die „Linkspartei“ ihrem Namen und ihrer Verantwortung gerecht werden will, muss sie die Mechanismen der Spaltung der Arbeiterklasse ebenso aufdecken wie sie diejenigen beim Namen nennen muss, die davon profitieren.
Die „Linkspartei“ muss uneingeschränkt internationalistisch sein und entsprechend argumentieren und agieren. Die soziale Frage ist längst international. Nun muss der soziale Protest internationalisiert werden. Die erste Bedingung dafür ist, dass die Träger des sozialen Protestes jeglichen Nationalismus, Rassismus, Sexismus und Chauvinismus über Bord werfen.
Zunehmend werden hochwertige Konsumgüter nach Deutschland importiert; zunehmend werden „billige“ Arbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern zu uns kommen. In Verbindung mit wachsender Arbeitslosigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen sowie der entsprechenden sozialen Demagogie der Medien wird dies ein gefährlicher Nährboden für Nationalismus und rechtes Gedankengut auch unter Teilen der Arbeiterklasse. Dagegen braucht die „Linkspartei“ ein alternatives Wirtschaftsprogramm einschließlich der Entwicklung alternativer Produkte und von Alternativen zum bisherigen protestantischen Ethos und Ideal von Erwerbsarbeit.
Internationalismus heißt auch, der Kolonien ähnlichen Abhängigkeit solcher Länder wie Portugal oder Slowakei von einer Branche oder gar einem Konzern mit den Linken dieser Länder entgegen zu wirken.
Stephan Krull
Angesichts der wahrscheinlichen Ergebnisse der vorgezogenen Bundestagswahl (schwarz-gelbe Bundesregierung oder Große Koalition), muss davon ausgegangen werden, dass weitere Umverteilungsschritte zu Gunsten des Kapitals bevorstehen. Der erwartete Einzug der neuen Linkspartei in den Bundestag kann das nicht verhindern, auch wenn sich damit die Bedingungen für wirksame Opposition verbessern.
Die Frage, ob es in Deutschland gelingt, weiteren neoliberalen Umbau zu behindern und einen Beitrag zur Entwicklung einer solidarischen und friedlichen europäischen Perspektive zu leisten (die sich weltweit auswirkt), wird entscheidend von den sozialen Bewegungen beeinflusst werden. Die Herausforderung besteht darin, einerseits breite anti-neoliberale Koalitionen zu schmieden, um Schlimmeres zu verhindern und „Dumpingdruck“ auf andere Länder zu mindern und andererseits ein neues linkes Projekt zu stärken, das glaubwürdige und zeitgemäße alternative Perspektiven entwickeln kann.
Für beide Aufgaben kann die neue Linkspartei nicht der wesentliche Akteur, aber ein wichtiger Katalysator sein. Für die Synchronisation und Bündelung der vielen eher vereinzelten Proteste müssen vor allem die Gewerkschaften Verantwortung übernehmen. Attac wird dabei, vor allem für die Verankerung von globalen Perspektiven, Impulsgeber sein.
Um die Kapitalismus-Analyse und -Kritik weiter zu entwickeln und „handhabbar“ zu machen, ist es notwendig, dass die marxistischen Intellektuellen und Gruppen gemeinsam strategische Positionen entwickeln. Dazu gehört die Frage, wie unter „globalisierten“ Bedingungen kapitalistische Besitz- und Machtverhältnisse verändert werden können, was „Demokratisierung von Finanzmärkten und Konzernen“ bedeuten kann, welche Rolle die Arbeit und die Verfügung über die Produktionsmittel spielt.
Fehlt das systemüberwindende geistige Potential, so besteht die Gefahr, dass sich der linke Horizont in der Wiederherstellung „echter“ sozialdemokratischer Positionen erschöpft und Chancen verpasst werden, die sich aus dem Scheitern des Neoliberalismus ergeben, aus der „Politisierung der EU“ und aus der Entwicklung eines lebendigen Linkspartei-Projektes in Deutschland.
Sabine Leidig
Die vorgezogenen Bundestagswahlen finden in einer Situation statt, in der die neoliberale Politik auf wachsende Ablehnung stößt. Die etablierten Parteien verlieren an Bindekraft. So entsteht eine wahrscheinlich zeitlich befristete Situation, in der die Linke ihre gesellschaftlichen Positionen ausbauen kann. Mit dem Wahlbündnis besteht die Chance, dass die Opposition gegen den Neoliberalismus auch im Parlament eine Stimme erhält. Die zu erwartende Radikalisierung neoliberaler Politik wird dadurch zwar nicht aufgehalten, aber wenn eine linke Opposition im Bundestag mit wachsenden sozialen Protesten kombiniert wird, kann dies zu einer Verschiebung des politischen Klimas nach links führen. Dies wiederum würde Mut zum Widerstand in den Betrieben, im Wohngebiet und auf der Straße machen und den sozialen Bewegungen Auftrieb verleihen.
Es geht jetzt um zwei Dinge: zum einen um die Bildung eines Wahlbündnisses, das sich nicht nur auf PDS und WASG beschränken darf, sondern die Linke in ihrer Pluralität umfassen soll. Zweitens kommt es darauf an, parteiübergreifend einen gesellschaftlichen Block gegen den Neoliberalismus zu formieren. Dabei ist darauf zu setzen, dass die Ablehnung der neoliberalen Politik weit über linke Bevölkerungsschichten hinaus geht.
Wenn es dieses Reformbündnis ernst meint mit Stärkung der Massenkaufkraft, mehr sozialer Gerechtigkeit, Umverteilung von oben nach unten, Eindämmung der Finanzspekulation und der Auswüchse der neoliberalen Globalisierung, wird es auf heftigsten Widerstand des transnationalen Kapitals und seiner politischen Vertreter stoßen. Schon die ersten Reformschritte werden den Nerv der Interessen des transnationalen Kapitals treffen. Schließlich handelt es sich beim Neoliberalismus nicht um eine von den Herrschenden bevorzugte Politik, die man je nach politischer Konjunktur wählen oder abwählen kann, sondern um eine innere Notwendigkeit des transnationalen Kapitalismus in der heutigen Zeit. Globalisierter Kapitalismus und Neoliberalismus bedingen einander.
Es steht also die Preisfrage: Wie soll humane Arbeit und soziale Gerechtigkeit hergestellt werden, ohne dass der Bruch mit der Vormacht des transnationalen Kapitals organisiert wird? Es liegt an der marxistischen Linken, zu der Erkenntnis beizutragen, dass ein Politikwechsel bzw. ein Bruch mit dem Neoliberalismus ohne strukturelle Eingriffe in die monopolistischen Eigentums- und Verfügungsrechte nicht zu haben sein wird.
Leo Mayer
Objektiv besteht mit dem Linksbündnis die Chance zur Neugründung der politischen Linken. Im Bundestag kann das Bündnis den politischen Forderungen der sozialen, außerparlamentarischen Bewegung und den sozialen Interessen der abhängig Beschäftigten wieder eine parlamentarische Stimme geben. Es kann die Wirkungslosigkeit des neoliberalen Politikansatzes der anderen im Bundestag vertretenen Parteien für die drängensten Probleme (Arbeitslosigkeit, ausreichendes nachhaltiges Wirtschaftswachstum, zunehmende Armut, soziale Ungleichheit bei den sozialen Sicherungssystemen usw.) wirksam offen legen, Alternativen deutlich machen und damit die Basis in der Gesellschaft für eine andere Politik verbreitern helfen.
Der gemeinsame politische Nenner des Bündnisses wird in einer Politik bestehen, die die kapitalistische Marktwirtschaft über einen weiterentwickelten ausgebauten Sozialstaat sozial bändigt und in einem umfassenden Umverteilungsprojekt (nicht nur von Einkommen und Vermögen, auch von Arbeit, Macht, Bildungs-, Gesundheits-, Lebenschancen usw.).
Allerdings könnte gleichzeitig deutlich gemacht werden, dass der (auch sozial gezähmte) Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte ist. Vom Bündnis könnte die Utopie einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus auf die Tagesordnung gesetzt werden, damit solche Perspektiven wieder Gegenstand der öffentlichen Diskussion werden.
Das Bündnis will nicht nur in den Bundestag kommen. Noch wichtiger ist die Verabredung auf ein alternatives Politikprojekt und die Gründung einer gesamtdeutschen Partei links von der SPD zwei Jahre nach der vorgezogenen Bundestagswahl. Das wird eine neue Linke sein, die politisch anders ist als PDS und WASG es jetzt sind – eben eine neue Linkspartei.
Entscheidend ist, ob diese Verabredungen im Bündnis auch mittelfristig eingehalten oder den parlamentarischen Verlockungen um Teilhabe an der Regierungsmacht geopfert werden. Dies kann „Die Linkspartei“ nicht allein steuern. Notwendig ist eine in den Grundzügen der alternativen Politik einige außerparlamentarische Linke, die durch politische Initiativen und Aktionen Einfluss nehmen kann. Eine Linke, die gemeinsam mit der Linkspartei den direkten Einfluss der Bürger auf die Politik durch wirksame Formen direkter Demokratie (Volksbegehren, Bürgerentscheide usw.) gesetzlich verankert.
Horst Schmitthenner
Die von der SPD als alternativlos dargestellte Agenda 2010, durch die der Sozialstaat angeblich gerettet werden soll, in Wahrheit aber für breite Kreise der Bevölkerung nur den Abbau sozialer Leistungen bis hin zur Armut zur Folge hat, fördert bei linken politischen Gruppierungen nahezu zwangsläufig das Bestreben über soziale, ökonomische und kulturelle Alternativen nachzudenken und sich bei den wahrscheinlich stattfinden Wahlen auch den Wählerinnen und Wählern zu stellen.
Die im Wahlmanifest der SPD weich gespülte Agenda 2010 desillusionierte sowohl die traditionellen SPD Wählerinnen und Wähler als auch die der „neuen Mitte“. In dem noch eindeutigeren Wahlprogramm von CDU/CSU wird der Sozial- und Demokratieabbau mit nachhaltiger Entschlossenheit vorangetrieben. „Sozial ist, was Arbeit schafft“ ist eine verlogene und zynische Formulierung, durch die die Zumutungen verschärft und durch die dem Sozial- und Demokratieabbau Tür und Tor geöffnet werden.
Für ein Linksbündnis aus PDS und WASG ist es in erster Linie wichtig, sich auf eine gemeinsame Basis zu einigen. Dazu gehören die Kritik an der neoliberalen Wirtschaftsordnung mit der Tendenz zur Ausbeutung der Einzelnen, der Völker, besonders die der Dritten Welt und der Natur; friedenspolitische Auffassungen; die Stärkung demokratischer Rechte insbesondere auch im Bereich der Wirtschaft und allen Bemühungen für eine gerechte Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen.
Die in der Öffentlichkeit geäußerte Kritik an dem Linksbündnis beschränkt sich bisher auf denunziatorische Zuweisungen von Populismus, vor allem gegenüber den beiden führenden Repräsentanten, für die PDS auf die gebetsmühlenartig vorgetragenen Vorbehalte als „SED-Nachfolgepartei“ und für die WASG auf die Kritik, sie sei eine traditionelle und rückwärtsgewandte Sozialdemokratie.
Für das Gelingen eines linken Projektes im parlamentarischen Raum sind die inneren Konflikte zwischen den beiden Formationen jedoch stärker zu bewerten.
Die kurzfristig zu führenden Debatten um eine gemeinsame politische Basis dürfen nicht dazu führen, dass aufgrund von Konflikten um Positionen auf den Wahllisten und um finanzielle Ressourcen die Rivalitäten zum Scheitern des linken Projektes führen. Die Glaubwürdigkeit auch über den Wahltag hinaus steht auf dem Spiel. Ein zivilgesellschaftliches Oppositionsbündnis, das die kapitalistische Globalisierung und das „Elend der Welt“ zum Ausgangspunkt einer durch wechselseitigen Respekt getragenen Debatte macht und außerparlamentarische Bewegungen mit einbezieht könnte als Kern einer linken Alternative eine längerfristige Perspektive haben. Das Projekt ist zum Erfolg verdammt.
Ursula Schumm-Garling
Das „Linksbündnis“ zwischen PDS und WASG war noch lange nicht in trocknen Tüchern, als es bereits Wirkung zeigte. SPD und Grüne drifteten zumindest verbal so schnell nach links, als gelte es auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Das zeigt, was dieses Bündnis sein kann – nicht was es bereits ist. Ginge es nur um eine Verabredung zwischen der PDS und der eben so jungen, wie zahlenmäßig kleinen WASG, könnte die Kommentierung kurz ausfallen. Seine Bedeutung erlangt das Bündnis durch seine Begleitumstände. Nämlich das Scheitern des rot-grünen Projekts und die Krise des marktradikalen Europas. Mit Rot-Grün scheiterte die Versöhnung zwischen Sozialdemokratie und Neoliberalismus, ihre Umwidmung der sozialen Frage und der Versuch, eine neue Mitte zu erobern, die sich als eine eben solche Fiktion erwies wie die angeblich neue Ökonomie.
Mit Sicherheit markieren beide Krisen noch keine politische Wende, sie sind aber für das Projekt einer neuen Linkspartei ausschlaggebender als alle guten Absichten der Akteure. Denn der Erfolg linker Parteigründungen und Bündnisse hängt gleichermaßen vom Aufschwung außerparlamentarischer Bewegungen wie von einer Krise der politischen Institutionen ab. Die erste Bedingung entstand mit den Montagsdemonstrationen des vergangenen Jahres, aber ihre Wirkungen wären verebbt, wenn ihnen nicht das arbeitsmarktpolitische und ökonomische Desaster der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und vor allem der Absturz der SPD gefolgt wäre.
Bislang stützt sich das Bündnis auf nicht mehr als einige formale Absprachen, wahlprogrammatische Grundsätze und gute Umfrageergebnisse. Aber es hat auch die Zeit auf seiner Seite, denn die Geschwindigkeit, mit der auf die verlorene NRW-Wahl die Ankündigung von Neuwahlen, dann die Konfusion im rot-grünen Lager und schließlich der Parteiaustritt von Lafontaine folgte, setzte nicht nur die Verhandlungspartner unter Druck, sondern erweckte insgesamt den Eindruck eines beschleunigten Wandels. Nach Jahren der Lähmung gewannen große Teile der Linken, die sich nach dem Crash von 1989 und dem Rechtsruck der SPD nach 1998 aus der aktiven Politik resigniert zurückgezogen hatten oder den Wahlurnen fernblieben, das Gefühl gesteigerter Handlungsmöglichkeiten. In der Tat sind Blockaden gelöst worden, die Dominanz der SPD über die Gewerkschaften bröckelt und die Sozialdemokratie ist von links unter Druck geraten. So viel Umbrüche und offene Anfänge gab es lange nicht mehr. Das ist es, was die neue Linkspartei möglich macht. Doch sie zu formieren dürfte die schwierigere Aufgabe sein.
Harald Werner