Klimakrise & Klimapolitik

Die ideologische Dimension der CO2-Diskussion

Juni 2010

Ich gliedere meinen Aufsatz in zwei Teile. Zunächst sollen die in der Debatte kursierenden technischen „Lösungen“ untersucht werden. Das ist als Grundlage nötig, weil uns ja ständig suggeriert wird, die behandelten Probleme seien rein technischer Natur. Bereits hier wird die ideologische Dimension deutlich. Soziale Probleme sollen also durch Einsatz entsprechender Technik gelöst werden. Die soziale Dimension wird damit „wegdiskutiert“. Um dies zu erkennen ist ein Wissen darüber nötig, was eigentlich technisch möglich ist und was die Konsequenzen des z.B. in den „Klimakonferenzen“ diskutierten Technikeinsatzes sind. Im zweiten Teil soll die Beziehung der ökonomischen Triebkräfte der gegenwärtigen Entwicklung zu der politischen Debatte untersucht werden, damit der aus den Widersprüchen resultierende Ideologiebedarf gefasst werden kann.

1. Der technische Aspekt

Ich möchte zeigen, dass in der öffentlichen Debatte der technische Aspekt nur scheinbar im Vordergrund steht und in Wahrheit für andere – ökomomische und politische – Interessen instrumentalisiert wird. Helmut Kohl erkannte, welche Bedeutung der Besetzung der Begriffe und damit der Hegemonie im öffentlichen Diskurs zur Durchsetzung bestimmter Interessen zukommt. Bei dem Begriff „Demokratie“ kennen wir das schon lange. Im Moment wird offenbar um die Besetzung von Begriffen wie Umwelt, Klima usw. gerungen.

Sehen wir uns zunächst die Verteilung der CO2-Emissionen nach Quellen an. Ich gehe für die BRD von einem Richtwert von ca. 10 t pro Person und Jahr aufgrund der von uns angewandten Technologien aus. Diese verteilen sich wie folgt:

Grafik siehe Download/Dokumente unten.

Quelle: Nationaler Aktionsplan der Bundesregierung

Mit „Gewerbe“ wurde hier der Bereich Handel und Dienstleistungen bezeichnet. Diese im „Nationalen Aktionsplan“ der Bundesregierung genannten Zahlen sind Anlass zu Missverständnissen. Der Sektor „Kraftwerke“, also die Erzeugung von Elektroenergie, hat hier nur scheinbar den größten Anteil. Die Elektroenergie wird ja an die anderen Sektoren geliefert, taucht aber in deren Bilanz – was die CO2-Emission betrifft – nicht auf. Der Strom kommt eben aus der Steckdose. Außerdem muss mit dem Mythos „saubere Elektroenergie“ aufgeräumt werden. Wenn man für ein Kohlekraftwerk einen Gesamtwirkungsgrad von 25% annimmt, so ist zu bedenken, dass pro produzierter Kilowattstunde die vierfache Menge an Kohle aufgewandt werden muss. Wer also elektrisch heizt, produziert viermal soviel CO2 wie jemand, der die Kohle einfach vor Ort verbrennt. Der größte Anteil der in den Kraftwerken zum Einsatz gebrachten Primärenergie wird also zum Aufheizen von Luft bzw. Wasser benutzt. Das gilt in gleichem Maße für die Kernenergie.

Gegenstand der Betrachtungen soll nun beispielhaft der Verkehr sein, der bei uns 19% der CO2-Emissionen ausmacht, davon allein 12% durch den PKW–Verkehr. Beginnen wir unsere Betrachtungen zunächst hier.

Ursprünglich war für die EU ein durchschnittlicher Flottenwert von 130 g CO2 pro km Fahrstrecke ab 2012 vereinbart. Nach monatelangen Verhandlungen wurde nun am 1.12.2008 als Kompromiss bekannt gegeben, dass der vereinbarte Zeitpunkt erst einmal auf 2015 verschoben wurde.[1] Damit keine Missverständnisse auftreten: Es wurde nicht vereinbart, dass ab 2015 Fahrzeuge, die mehr als 130 g/km ausstoßen, nicht mehr zugelassen werden. Ein Hersteller darf durchaus Fahrzeuge anbieten, die darüber liegen, wenn er nur gleichzeitig Modelle in seiner Angebotspalette hat, die diesen Wert entsprechend unterbieten. Das ist unter dem Begriff „mittlerer Flottenwert“ zu verstehen. Für den Zeitraum dazwischen wurden Übergangsregelungen mit höheren Grenzwerten vereinbart.

Nun zu der Regelung, die ab 2009 bzw. 2012 verbindlich gilt: In den von der EG herausgegebenen Verordnungen Euro-5 und Euro-6[2] werden die Richtlinien für die Grenzwerte von Schadstoffemissionen für PKW formuliert. Euro-5 sollte ab September 2009 verbindlich gelten, Euro-6 erst ab 2012. Als Zielsetzung der Verordnung heißt es zunächst, dass „der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet werden muss“. Für die CO2-Emissionen werden noch keine Grenzwerte festgelegt. In Artikel 14 („Neufestsetzung der Grenzwerte“) heißt es: „Es sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um striktere Emissionsgrenzwerte einzuführen, einschließlich der Senkung von Kohlendioxidemissionen.“ Dem wurde am 1.12. 2008 Rechnung getragen. Für die nächsten Jahre gilt aber zunächst: „Die Euro-5- und Euro-6-Normen sind eine der Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen von Partikeln und Ozonvorläuferstoffen wie Stickstoffoxid und Kohlenwasserstoffen.“ CO2 wird nicht erwähnt. In den Tabellen für die Grenzwerte werden aufgeführt: CO, Kohlenwasserstoffe, Nichtmethankohlenwasserstoffe, Stickstoffoxide, Partikelmasse. Auch hier kommt CO2 nicht vor. Der Grund ist ganz einfach.

Während man die in der Verordnung genannten Stoffe durch besser geregelte Verbrennung, Katalysatoren und Filter reduzieren kann, ist dies bei CO2 nicht möglich. CO2 ist nämlich das Endprodukt der Verbrennung aller kohlenstoffhaltigen Substanzen. Selbst CO wird im Katalysator dadurch beseitigt, dass es zu CO2 oxidiert wird. Von „sauberer Verbrennung“ spricht man also dann, wenn als Verbrennungsprodukte nur Wasserdampf und CO2 entstehen. Das heißt natürlich nicht, dass man diese „sauberen“ Abgase einfach einatmen kann, sie enthalten nämlich so gut wie keinen Sauerstoff mehr. Man erstickt an ihnen also genauso wie an den alten „schmutzigen“ Abgasen. In hinreichender Verdünnung sind sie aber für den Menschen weniger schädlich.

Kommen wir zu den technisch bereits gegebenen Möglichkeiten und vergleichen die vier verschiedenen Motor- bzw. Kraftstofftypen Benzinmotor, Dieselmotor, und Erdgasmotor. Ausgehend von dem günstigsten Benziner führe ich vergleichbare Modelle der anderen Sparten an. Die Emissionswerte betragen laut „Verband der Automobilindustrie e.V.“ für 2008:[3]

Toyota Prius 57 kW Benzinmotor 104 g CO2/km

VW Polo 1,4 TDI 59 kW Dieselmotor 99 g CO2/km

Citroen C3 1,4 49 kW Erdgasmotor 119 g CO2/km

Man sieht also, dass es bereits heute möglich ist, die erst für 2015 vereinbarten Grenzwerte deutlich zu unterbieten und das bei einer durchaus passablen Motorleistung. 59 kW sind immerhin 80 PS. Aber auch eine andere, verblüffende Tatsache fällt ins Auge. Die nach EU-Richtlinien so schadstoffarmen, vielgepriesenen Gasmotoren schneiden gerade beim CO2 am schlechtesten ab. Das liegt daran, dass der Wirkungsgrad beim Dieselmotor am besten ist und beim Erdgasmotor am schlechtesten. Die mit Erdgas betriebenen Fahrzeuge „schlucken“ also viel, weil sie eine schlechte Energieausnutzung haben. Um für den Vergleich der Motortypen eine einheitliche Bezugsgröße zu haben, rechne ich den von den Herstellern angegebenen Kraftstoffverbrauch pro km um in die Größen Energieverbrauch pro km und CO2-Ausstoß pro kWh Energieinhalt und vergleiche das Diesel- mit dem Erdgasfahrzeug.

Motortyp Energieeinsatz pro km CO2-Ausstoß pro kWh Primärenergie

Diesel 0,45 kWh 220 g

Erdgasmotor 0,65 kWh 183 g

Wir sehen also, dass die CO2-Emission bei Erdgas tatsächlich günstiger ist, wenn man sie dem Energieinhalt gegenüberstellt. Dem steht ein zu 45% höherer Energieverbrauch des Motors gegenüber, was diesen Vorteil wieder zunichte macht. Das Problem besteht also hier darin, dass die im Kraftstoff vorhandene Energie schlecht genutzt wird.

Die Unterschiede bei den drei Krafstofftypen sind strukturbedingt, weil der Energieinhalt pro Zylinderfüllung je nach Motortyp unterschiedlich ist, lassen sich also durch verbesserte Technik kaum beheben. Der unschlagbare Vorteil des Erdgasmotors liegt bei den unter den Richtlinien Euro-5 und Euro-6 benannten Emissionen, die im Vergleich zu den anderen beiden Motortypen fast null sind.

Das Ziel der EU-Richtlinien ist also zum jetzigen Zeitpunkt nicht unmittelbar geringer Energieverbrauch bzw. geringer CO2-Ausstoß, sondern – wie in der Verordnung ganz am Anfang benannt – die Erhöhung der Mobilität u.a. von Personen. Eigentlich müsste es heißen: „der Ware Arbeitskraft“. Für diese Mobilität gibt es Bedarf. Die Anzahl der Berufspendler, die in Berlin wohnen und in Brandenburg arbeiten, ist im Jahr 2008 um 5,6% auf 139 000 gestiegen, umkehrt waren es 5,2%. Die Größe der PKW ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Jeder PKW transportiert im Schnitt 1,8 Personen. Damit spielt nur die Emission von Stoffen eine Rolle, die für den Menschen unmittelbar vor Ort schädlich sind. CO2 gehört nicht dazu und das mit dem Kraftstoffverbrauch ist so eine Sache. Der Kraftstoff ist natürlich eine Ware, die verkauft werden will. Dasselbe gilt für die Erdgastechnologie.

Der Slogan „Erdgas fahren, clever sparen“ ist nur in soweit richtig, als dass diese Technologie durch Steueranreize subventioniert wird. Was Energieausnutzung und CO2-Emission betrifft, ist das Erdgasfahrzeug kontraproduktiv. Es ist eben günstiger, das Erdgas in Heizungsanlagen zu verbrennen, wo sein Energiegehalt vollständig genutzt werden kann, und die Fahrzeuge mit dem Heizöl, was chemisch gesehen nichts anderes als Dieselöl ist, zu betreiben. Ginge es wirklich um eine Verringerung des CO2-Ausstoßes, müsste sofort Schluss sein mit der Förderung des erdgasgetriebenen Fahrzeugs.

So ist zu erklären, dass man zunehmend erdgasbetriebene PKW, aber nicht erdgasbetriebene LKW sieht. Beim LKW ist die Berechnungsgrundlage eine andere. Hier wird der CO2-Ausstoß nicht pro Fahrzeug, sondern auf die Transportleistung (Masse mal Strecke) berechnet. Während nämlich die Fahrzeuggröße beim PKW nur eine geringere Rolle spielte (1,8 Personen pro Fahrzeug), ist sie beim LKW die wichtigste Eigenschaft. Hier ist also offenbar die Hemmschwelle für solche energiepolitisch kontraproduktiven Mätzchen höher. Es wurde ja auch keine Abwrackprämie für LKW beschlossen.

Für das CO2 insgesamt gibt es nur eine Möglichkeit den Ausstoß zu verringern: weniger Kraftstoff verbrennen. Reduzierung des CO2-Ausstoßes würde also unter den gegenwärtigen Bedingungen bedeuten: steuerliche Anreize zum Kauf kleinerer Automobile, Tempolimits, Reduzierung der Fahrleistung insgesamt. Davon ist natürlich in der gegenwärtigen Debatte nicht die Rede, weil es dem politisch explizit gesetzten Ziel der Erhöhung der Mobilität entgegensteht.

Der Verband der Automobilindustrie e.V. scheut sich wie die Politik, klare Worte zu sprechen: „Die CO2-Emissionen eines Fahrzeugs hängen von der Fahrzeugmasse, der Motorisierung, dem Stand der eingesetzten Technologie und von der verwendeten Kraftstoffart ab.“ Die entscheidende Zielgröße „Kraftstoffmenge“ hängt zwar von den genannten Faktoren ab, wird aber nicht explizit genannt. Warum spricht man ständig von der Reduzierung des CO2-Ausstoßes und scheut sich die für diese Reduzierung entscheidende Größe „Energiemenge“ überhaupt auszusprechen? Der Verband der Automobilindustrie ist hier offener als die staatliche Politik, indem er die direkte Kopplung der CO2-Emissionen an die eingesetzte Kraftstoffmenge benennt. So benennt er am Beispiel eines Fahrzeugs, das 120 g/km aussstößt: „Das entspricht 4,5 l Diesel bzw. Benzin Verbrauch pro 100 km.“ Es wäre also für die technische Bewertung viel einfacher, diese Werte als Richtgrößen festzusetzen. Sie bedürfen nämlich nur des Blickes auf den Kilometerzähler und die Zapfsäule an der Tankstelle und nicht aufwendiger chemischer Analysen der Abgase. Die Bewegründe können nicht technischer Natur sein.

Um hier weiter zu kommen betrachten wir nun den Löwenanteil des CO2-Ausstoßes, die Emissionen der Kraftwerke von 41% des Gesamtausstoßes. In Norwegen betreibt Statoil seit 1996 ein Abgaslager unter der Nordsee und wirbt zusammen mit der Regierung für sein CCS-Verfahren (carbon capturing and storage) „Die Norweger möchten, dass die CCS-Technologie einen festen Platz in dem internationalen Klimabkommen bekommt.“[4] Hier also einige Erläuterungen zu diesem Verfahren: Es besteht darin, zunächst das in den Abgasen vorhandene CO2 von den übrigen Gasen zu trennen und an geeigneter Stelle im Boden zu verpressen. Dort soll es nach Angaben der Betreiber für mehrere Jahrhunderte lagern können. Norwegen hat dafür aus mehreren Gründen günstige Voraussetzungen. Das in den Boden verpresste CO2 muss dauerhaft unter einem Druck von ca. 50 bar gehalten werden, damit es in flüssiger Form vorliegt und nicht gleich wieder durch poröse Erdschichten entweicht. Das ist auf dem Festland grundsätzlich schwieriger als auf dem Meeresboden, wo man sich einfach des Wasserdrucks bedienen kann. Dazu ist allerdings eine Wassertiefe von ca. 500 m nötig und Norwegen hat solch einen Streifen der nötigen Tiefe unmittelbar vor seiner Haustür. Zum zweiten kann Norwegen zumindest als Zwischenlagerstätten die leergepumpten, ehemaligen Erdgaslager verwenden. Die Bohrlöcher sind ja bereits vorhanden. Und drittens muss hier angemerkt werden, dass das in Norwegen verpresste CO2 gar nicht aus Kraftwerken stammt. Norwegen bezieht fast seine gesamte Elektroenergie aus Wasserkraftwerken. Das hier verpresste CO2 entsteht als Abfallprodukt der Erdgasförderung in der Nordsee selbst. Es ist ein Bestandteil des geförderten Erdgases und muss von diesem abgeschieden werden um die Qualität des produzierten Erdgases zu verbessern. Das Verfahren wird schon lange angewandt und ist technisch erprobt. Ungleich schwieriger ist es, CO2 im Kraftwerk abzuscheiden. Hier müssen CO2 und Stickstoff getrennt werden, aus dem die zugeführte Verbrennungsluft zu 80% besteht. Dazu wurden drei verschiedene Varianten entwickelt: Postcombustion (Abscheiden des CO2 aus den Abgasen nach der Verbrennung), Precombustion (Umwandlung des Brennstoffes in ein Brenngas bestehend aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff und anschließender Abscheidung) und Oxyfuel (Abscheidung des Stickstoffs aus der Verbrennungsluft bereits vor der Verbrennung). Zu allen drei Varianten existieren z.Zt. Versuchsanlagen. Zu der ersten in den USA und in Dänemark und zu der dritten in der Lausitz (Schwarze Pumpe). Zu der zweiten Variante gibt z.Zt. mehrere Anlagen in Europa und den USA, allerdings noch ohne CO2-Abscheidung. Es ist noch nicht absehbar, ob sich eine der Varianten durchsetzen wird. Sie unterscheiden sich zwar durch die Art der Abscheidung, aber allen gemeinsam ist ihr enormer Energiebedarf von ca. 30% der Kraftwerksleistung. Die Energie muss von dem CO2 produzierenden Kraftwerk zusätzlich aufgebracht werden. Dadurch sinkt der Gesamtwirkungsgrad bei einem üblichen Kohlekraftwerk von ca. 35% auf 25%, was durch einen größeren Einsatz von Kohle ausgeglichen werden muss. Fazit:

Statt 1t müssen jetzt 35/25 = 1,4 t Kohle verbrannt werden, womit natürlich auch die 1,4-fache Menge an CO2 entsteht. Wenn man zusätzlich bedenkt, dass bei den genannten Abscheidungsverfahren nur 90% des Kohlendioxids aus dem Rauchgas entfernt werden, verbleiben nun von vorher einer Einheit CO2 weiterhin 1,4 x 0,1 Einheiten im Rauchgas und gehen in die Luft. Es wurden also faktisch nur 86% CO2 verpresst, was dazu führte, dass es Vattenfall per Gerichtsurteil verboten wurde, seine Oxyfuel-Anlage in der Lausitz als CO2-frei zu bezeichnen.

Die Verfahren sind also besonders aus rein energiepolitischer Sicht außerordentlich problematisch, da der momentan reduzierte CO2-Ausstoß mit einem um 40% höheren Energieaufwand verbunden ist. Die erzeugte Elektroenergie wird für den Verbraucher also nicht nur teurer. Darüber hinaus wird nicht weniger, sondern um 40% mehr CO2 produziert, von dem man noch nicht genau weiß, was aus ihm nach einigen hundert Jahren werden soll. Nach uns die Sintflut. Zumindest sollte aus den dargestellten Überlegungen deutlich geworden sein, warum es ganz handfeste physikalische Beweggründe gibt, um das Wort „Energieumsatz“ in der Politik einen großen Bogen zu machen. Kommen wir zu den zugrunde liegenden Interessen.

2. Die ökonomischen Triebkräfte und die Bedeutung der staatlichen Energiepolitik

Zunächst zu der von Helmut Kohl erkannten Besetzung der Begriffe. CCS (carbon capture and storage) nennt sich das Verfahren der CO2-Abscheidung und Verpressung. Die Bundesregierung hat hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt: „Gesetz zur Regelung von Abscheidung, Transport und dauerhafter Speicherung von Kohlendioxid (CCS-Gesetz)“ Hier möchte ich anmerken: „Storage“ bedeutet im Englischen nur „vorübergehende Speicherung“ und nicht etwa Endlagerung. Der noch weiter gehende Begriff, der im Moment an Attraktivität gewinnt, lautet „Geo-Engeneering“. Dahinter verbirgt sich die faszinierende Vorstellung, man könne globale Prozesse mit technischen Mitteln einfach nach Belieben „modeln“. Man steht damit in langer Tradition. „Macht euch die Erde untertan“ hieß es doch bereits in der Schöpfungsgeschichte. Die ideologische Brisanz dieses Begriffs besteht in der Ausklammerung sozialer Prozesse. Die eigentliche Herausforderung bestünde ja gerade darin, diese einer bewussten Gestaltung zugänglich zu machen. Bei „Geo-Engeneering“ handelt es sich also nicht um ein Verfahren, sondern um eine Philosophie mit dem Paradigma, dass mit den entwickelten kapitalistischen Staaten der Endpunkt der für die Menschheit möglichen gesellschaftlichen Entwicklung erreicht sei. „The end of history and the last man“ lautet der Titel des Hauptwerkes von Francis Fukuyama.[5]

In der letzten Bundestagssitzung vor dem sog. Klimagipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen lieferten sich die politischen Fraktionen heftige (Schein-)Gefechte bezüglich der anzustrebenden Ziele. Während die SPD lediglich anmerkte, dass die Zielsetzungen der Bundesregierung zu unkonkret seien, forderte die Fraktionsvorsitzende der Grünen Kynast einen „grundlegenden ökologischen Umbau“ und eine „CO2-freie Gesellschaft“. Sie sprach auch von „Emissionsausstoß“, was aber wohl eher ein Versprecher war.[6] Bundesumweltminister Röttgen bezeichnete die Klimafrage als „technisches Problem“. Als Zielsetzung forderte er außerdem, dass es möglich sein müsse, ein Wirtschaftswachstum ohne zusätzlichen Rohstoffeinsatz zu erreichen. Das CCS-Verfahren steht zu dieser Forderung in krassem Gegensatz. Röttgens Aussage beinhaltet das folgende Paradigma: Das Wachstum ist in jedem Falle zu gewährleisten. Dazu einige Zahlen zur Erzeugung von Elektroenergie in der BRD.[7]

Jahr 1990 1999 2007

CO2-Ausstoß 349 Mio. t 309 Mio. t 349 Mio. t

produzierte 480 TWh 494 TWh 560 TWh

Wir sehen, dass es beim CO2-Ausstoß tatsächlich einen kurzzeitigen Rückgang gegeben hat, der darauf zurückzuführen ist, dass nach Übernahme der DDR ältere Kraftwerke stillgelegt bzw. modernisiert wurden. Mittlerweile ist aber der Stand von 1990 wieder erreicht. Bei der produzierten Energiemenge sehen wir allerdings einen kontinuierlichen Anstieg. Was das betrifft, ist also Röttgens Forderung nach Wachstum erfüllt, und „Energie“ ist ja kein Rohstoff im eigentlichen Sinne. Es stellt sich die Frage, wie die von der Bundesregierung genannte Zahl von 23% CO2-Minderung erreicht wurde. Von den Kraftwerksbetreibern jedenfalls nicht. Richtig ist natürlich, dass bei uns sich durch Wärmedämmung und Effektivierung der Heizungsanlagen in den letzten Jahren eine wesentliche Verbesserung ergeben hat. Trotzdem ist auffällig, dass ein derartig hoher Wert nur in der BRD und in einigen anderen, ehemals sozialistischen Ländern erreicht wurde (Russische Föderation, Ukraine). Der Grund liegt auf der Hand: der drastische Rückgang der Industrieproduktion nach der Wende (auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auf etwa 1/3 gerade in den Jahren nach 1990).[8] Damit ergab sich durch den Anschluss der DDR für die BRD eine einmalige historische Situation, denn die alten Bundesländer konnten mit ihrer ohnehin nicht vollständig ausgelasteten Industrie die Lücke problemlos schließen. Dieser Prozess ist jedoch abgeschlossen. Somit muss der Auffassung Röttgens, dass die Tendenz sich fortsetzen werde und man bis 2020 40% Reduzierung erreichen könne, mit Skepis begegnet werden.

Vor diesem Hintergrund muss die Frage gestellt werden, warum die verschiedenen Staaten trotz unterschiedlicher Voraussetzungen in ihren eigenen Ländern an den gemeinsamen Gesprächen in Kopenhagen überhaupt teilgenommen haben, obwohl schon im Vorfeld klar war, dass über Absichtserklärungen hinaus nur wenig zu erwarten war. Die Interessenlage ist widersprüchlich. Zunächst kann davon ausgegangen werden, dass ökonomisch keine gemeinsamen Interessen vorliegen, da Konkurrenz im globalen Maßstab vorhanden ist. Ein Hauptadressat der Bundesregierung waren die sogenannten Schwellenländer. Man verlangte von ihnen Festlegungen auf Reduktionsziele, die zum Ausgangspunkt den status quo der entsprechenden Staaten nahmen.[9] Legt man diese Staaten auf den status quo fest, so verbietet man ihnen im Grunde genommen, technischen Fortschritt auf dem gleichen Wege zu erreichen, wie ihn die entwickelten Industriestaaten erreicht haben. Gleichzeitig will man über den Hebel der Festsetzung von Grenzwerten diese Länder zwingen die bei uns entwickelten Technologien zu importieren. Daneben hat man natürlich kein Interesse daran – und hier sieht man, dass es eben doch um die Ressourcen geht –, dass die an fossilen Energieträgern reichen Länder diese vermehrt selbst nutzen, was weltweit zum Steigen der Preise für alle Energieträger führen würde. Es leuchtet ein, dass sich Länder wie das auf Wachstum orientierte China nicht auf solche Festlegungen einlassen können.

Es gibt aber auch tatsächlich ein gemeinsames Interesse aller Teilnehmerstaaten, und dieses ist eher innenpolitischer Natur. Man muss nach innen demonstrieren, dass man auf dem Gebiet des sogenannten Klimaschutzes aktiv ist und sich wenigstens bemüht. Dazu ist es nicht unbedingt nötig alle politischen Kräfte zu integrieren. Es reicht das oppositionelle Potential so weit zu kanalisieren, dass die politische Gesamtzielvorstellung nicht gefährdet ist.

Die Reaktionen der Umweltverbände darauf sind unterschiedlich. Die großen Umweltverbände Norwegens stehen alle hinter den Plänen von Industrie und Regierung. Die Umweltstiftung Bellona behauptet sogar, mit Hilfe der CCS-Technik ließe sich der CO2-Ausstoß um ein Drittel reduzieren, wenn sie nur in großem Maßstab zum Einsatz komme. Da das in Norwegen mit seinen Wasserkraftwerken nicht möglich ist, sagte die energiepolitische Sprecherin von Bella Stangeland: „Wir hoffen, dass Deutschland endlich aufwacht und eine führende Rolle bei der Entwicklung von CCS in Europa einnimmt.“[10]

Völlig klar! 41% des Ausstoßes durch die Kraftwerke bei den genannten 86% Reduzierung. 86% von 41% sind 35%. So geduldig ist die Mathematik. Aber machen wir uns die Konsequenzen klar. Stangeland hat gut reden, denn in Norwegen werden 1 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr verpresst. Die deutschen Kraftwerke produzieren aber 349 Mio.t, mit CCS also fast 500 Mio.t. Da das verpresste CO2 in etwa die Dichte von Wasser besitzt, ist das einmal jährlich die Müritz und alle 5 Jahre einmal der Brocken im Harz. Den hat bekanntlich die Eiszeit nicht abgetragen und wir wollen ihn in 100 Jahren[11] gleich 20 mal im Boden verpressen.

Die deutsche Umweltorganisation „BUND“ lehnt den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf für das CCS-Gesetz ab.[12] Die Argumente sind:

(1) Es wird behauptet, es gäbe keine Alternativen zu CCS.

(2) Das Gesetz dient nicht dem Klimaschutz, sondern den Interessen der Stromkonzerne.

(3) Die im Gesetz vorgesehene Enteignung ist nicht zu rechtfertigen

(4) Es gibt Konflikte mit anderen Nutzungen.

(5) Die Risiken werden nicht hinreichend berücksichtigt.

(6) Die Reinheit des Kohlendioxidstroms ist nicht gewährleistet.

(7) Die Haftung der Betreiber ist unzureichend.

(8) Es wird nicht der neueste Stand von Wissenschaft und Technik berücksichtigt.

(9) Beim Emissionshandel werden CCS-Anlagen bevorzugt.

Der BUND fordert Nachbesserungen im Gesetzentwurf, aber eine grundlegende Ablehnung der CCS-Technik gibt es nicht. Auch wird keine Reduzierung des Energieverbrauchs insgesamt gefordert. Die Vorstellungen der Umweltorganisationen sind mit der Forderung nach Wachstum in großen Teilen vereinbar und so ist zu befürchten, dass diese Teile vom Kapital aufgesogen werden wie von einem Schwamm. Das gilt auch für Renate Kynasts Vorstellung von der „CO2-freien Gesellschaft“. Sollte sich nämlich die CCS-Technik in größerem Maßstab durchsetzen, so erhöht das die Abhängigkeit der Verbraucher von deren Betreibern.

Der „Zwang zum Wachstum“ hat sich als scheinbare Selbstverständlichkeit bis in die Umweltverbände hinein im Massenbewusstsein verankert. Und in der Tat ist dieser Zwang nicht einfach eine „Wachstumsideologie“, sondern eine ökonomische Gesetzmäßigkeit. Dieses Gesetz gilt aber nur für die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Energie ist in unserer Gesellschaft eine Ware, und eine politische Reglementierung der zu produzierenden Energiemenge wäre ein direkter Eingriff in den Markt. Das ist der Grund, warum man über den Energieeinsatz in der Politik nicht sprechen will und lieber über die CO2-Emissionen verhandelt. Das bei der Energieerzeugung anfallende CO2 kann nicht zur Ware werden, da es keinen Gebrauchswert besitzt.

Wenn in einer Branche die Profitrate erhalten bleiben soll, so setzt das Wachstum voraus. Anderenfalls ist das dort akkumulierte Kapital gezwungen, in andere Branchen bzw. auf andere Territorien auszuweichen. Für das Wachstum einer Branche der Produktion gibt es zwei Möglichkeiten. Bei entsprechender Nachfrage kann man die Anzahl der Produkte – hier die Anzahl der zu verkaufenden Kilowattstunden – erhöhen. Die andere Möglichkeit ist die Erhöhung des Wertes des Einzelprodukts – hier der einzelnen Kilowattstunde. Dies geschieht bei der Einführung der CCS-Technik. Dieser erhöhte Wert schlägt sich für den Verbraucher natürlich nicht im Gebrauchswert der einzelnen Kilowattstunde nieder, sondern in der angeblichen Begrenzung der Erderwärmung, aber wir werden ihn anhand der steigenden Strompreise zu spüren bekommen. Die CCS-Befürworter haben bereits eine Erhöhung um 40-60% in Aussicht gestellt. Die staatliche Energiepolitik setzt den Rahmen für beide der genannten Möglichkeiten und genau darin besteht ihre Funktion.

Vor dem Hintergrund der geführten Debatte verschwinden die realen Bedürfnisse des Menschen und müssen sich dem höheren Ziel des „Klimaschutzes“ unterordnen. Der Mensch wird auf seine Rolle als Konsument der Ware Energie reduziert[13] und genau das ist die ideologische Dimension der Debatte. Hier findet nicht „Geo-Engeneering“, sondern „Sozio-Engeneering“ statt, aber dieses Wort wird sich wohl nicht durchsetzen, da es die im Hintergrund stehenden Interessen allzu deutlich macht.

Für die Fortschrittskräfte besteht die Aufgabe, diese Interessen offen zulegen und gesellschaftliche Alternativen zu formulieren, die nicht dem Wachstumszwang unterliegen. Einfach abwarten wäre ein Warten auf den Sanktnimmerleinstag, bis die Natur die Frage auf ihre Weise löst, indem sie uns keine Ressourcen mehr zur Verfügung stellt und wir vor einem Scherbenhaufen stehen. Wir wissen nicht, mit welchen technischen Entwicklungen und mit welchen gesellschaftlichen Veränderungen die uns nachfolgenden Generationen reagieren werden. Eines ist jedoch sicher: Sie werden mit weniger Energie auskommen müssen.

[1] Berliner Zeitung, 3.12.2008.

[2] VERORDNUNG (EG) Nr. 715/2007 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES.

[3] DAT Deutsche Automobil Treuhand GmbH, Ausgabe 2008, 4. Quartal.

[4] Süddeutsche Zeitung vom 3.11. 2009.

[5] In der deutschen Übersetzung ist der Titel schon wieder verwässert: Das Ende der Geschichte, wo stehen wir?

[6] Zitate nach der Nachrichtensendung des „Deutschlandfunk“ vom 3.12.2009, 11 Uhr.

[7] Zahlen nach Angaben des Bundesumweltamtes, 2009.

[8] Man bedenke, dass fast 50% der erzeugten Elektroenergie von der Industrie abgenommen wird.

[9] In der BRD beträgt dieser Ausgangspunkt 10 t pro Person und Jahr, in den USA 20 t, in China 5 t und in Indien 1,5 t.

[10] Süddeutsche Zeitung vom 3.11.2009.

[11] Schätzung von Vattenfall für die Anwendungsdauer von CCS in „Wissen 03, Daten, Fakten, Einblicke in die Energiewirtschaft“, Vattenfall-Europe.

[12] Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V., Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Abscheidung, Transport und dauerhafter Speicherung von Kohlendioxid (CCS-Gesetz), 3. März 2009.

[13] Im Deutschlandfunk gibt es regelmäßig die Sendung „Umwelt und Verbraucher“.

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