Die aktuelle politische Situation in der Bundesrepublik Deutschland ist geprägt durch die Zuspitzung politischer Widersprüche und die Entwicklung von sozialen Auseinandersetzungen. Ein Teil der Handelnden diskutiert über Alternativen und Perspektiven zum real-existierenden neoliberalen Kapitalismus. Die in der bisherigen Geschichte bestimmenden gesellschaftspolitischen Kräfte und Parteien der Bundesrepublik Deutschland haben offensichtlich Bindekraft gegenüber ihren Mitgliedern, Wählerinnen und Wählern verloren. Anders als zur Zeit der Systemkonkurrenz mit dem Sozialismus sind substantielle Unterschiede zwischen den verschiedenen Spielarten bürgerlicher Politik und der sozialdemokratischen Politik kaum noch erkennbar. Eine Große Koalition neoliberaler Politik in der Sache war schon während der Regierungszeit Schröder/Fischer unübersehbar. Nicht zuletzt die vorgezogenen Neuwahlen zum Bundestag signalisieren als Folge ein labileres System parlamentarischer Mehrheiten und Regierungsverhältnisse.
Bürgerliche und sozialdemokratische Politik kommen immer mehr in Widerspruch zu Wertmaßstäben, Grundsätzen und inhaltlichen Zielen, die sie vorgaben durchsetzen zu wollen. Nicht nur der Krieg gegen Jugoslawien ist ein anschaulicher Beweis dafür. Auch in der Sozialpolitik und in der demokratischen und kulturellen Verfasstheit unseres Landes zeigt sich diese Entwicklung. Aus dieser Situation entstehen neue Widersprüche, die zu Konflikten führen und verschiedensten Formen von Abwehr und Widerstand gegen gesellschaftspolitische Entscheidungen. Es entwickelt sich erneut eine außerparlamentarische Bewegung, die sich aus unterschiedlichen Konfliktfeldern speist. Entsprechend den jeweiligen Herausforderungen führen Zuspitzungen in bestimmten Konfliktfeldern, wie zum Beispiel der Krieg der USA gegen den Irak, zu Massenprotesten und deutlichen Mehrheitspositionen in der Bevölkerung gegen den Krieg. Aber auch gegen Sozial- und Demokratieabbau bleibt Protest und Widerstand in unterschiedlicher Qualität präsent.
Die für die antikapitalistische Arbeiterbewegung wichtigste Entwicklung der jüngsten Zeit ist die Abspaltung eines Teils der SPD-Mitgliedschaft und ihre Formierung zu neuen Organisationen: Erstens der Wahlalternative, die sich aus ver.di-Mitgliedern, Intellektuellen und ehemaligen unzufriedenen PDS-Mitgliedern und Sozialdemokraten konstituierte. Zweitens der Alternative Soziale Gerechtigkeit, die vorwiegend von Gewerkschaftssekretären der IG Metall initiiert wurde. Der Unterschied zwischen Wahlalternative und ASG bestand unter anderem darin, dass die Wahlalternative auf die Bündelung eines möglichst breiten Spektrums gegen neoliberale Politik orientierte (von Kommunisten bis Sozialstaatskonservativen), um diese Kräfte in einem Bündnis auch wahlpolitisch zur Wirkung zu bringen. Die ASG war wesentlich stärker auf die „Läuterung“ der SPD orientiert. Ihre treibenden Kräfte wollten schnell eine Partei gründen, deren Existenzberechtigung so lange bestehen würde, bis die SPD sich wieder ihrer Traditionen und Aufgaben besinnt. Dies ist auch der Grund, warum DKP-Mitglieder im Verein der Wahlalternative von Anbeginn dabei waren, nicht jedoch bei der ASG. Beide Initiativen hatten in den politischen Mittelpunkt den Widerstand gegen Sozialabbau gestellt. Alternativ wurden linkskeynesianische Forderungen gegen die Agenda 2010 und weiteren Sozialabbau entwickelt. Sympathie, Zustimmung und Unterstützung erhielten beide Initiativen von eher gewerkschaftlich orientierten Teilen der PDS und linken Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, von nicht politisch gebundenen Linken, unter ihnen auch ehemaligen Mitgliedern der DKP.
Die DKP und linke Formierungen
Aktuell befinden wir uns in einem Prozess der Herausbildung einer gemeinsamen Linkspartei aus PDS und WASG, der an der Basis nicht so widerspruchsfrei und reibungslos abläuft, wie seine Architekten es wollen. Die partnerschaftliche Teilnahme an den vorgezogenen Bundestagswahlen war sicher ein wesentlicher Grund zur Beschleunigung der ersten Phase dieses Prozesses. Aus meiner Sicht ist diese Entwicklung eine Bereicherung für die außerparlamentarische Bewegung. Sie stellt eine objektive Stärkung für linke Politik und Bewegung dar. Sie hat nach dem Wahlergebnis eine gute Möglichkeit geschaffen, die parlamentarische Ebene wirkungsvoll zu nutzen. Letztendlich bedeuten die 54 Abgeordneten eine Chance zur Entwicklung linker Politik in einer parlamentsfixierten Gesellschaft.
Zu dieser Feststellung gehört selbstverständlich auch der Hinweis auf die Gefahren, die sich aus einer völligen Integration in das gesellschaftspolitisch-parlamentarische System entwickeln kann. Ein nachhaltig negatives Beispiel dafür bleiben die Grünen. Nicht wenige ihrer Frontleute kamen aus verschiedenen K-Gruppen, die der DKP gegenüber feindlich auftraten und sie als reformistisch bzw. revisionistisch abstempelten. Aus Entwicklungen bei den Grünen kann manches gelernt werden.
In den letzten zwanzig Jahren hat die DKP vor vielen Herausforderungen gestanden, zu denen sie sich positionieren musste. Viele Entscheidungen betrafen letztendlich die Existenz der DKP als eigenständige Kraft in der Bundesrepublik Deutschland. Da waren zunächst die 80er Jahre, in deren zweiter Hälfte eine umfassende Parteikrise entstand, die sowohl die ideologische Verfasstheit als auch die Politik und die Organisation betrafen. Da war der Zusammenbruch und die Zerschlagung des Sozialismus auf deutschem Boden und in Europa mit seine Folgen für das politische Selbstverständnis unserer Mitglieder, für gesellschaftspolitische Konzeptionen und die Frage nach der Existenzberechtigung für eine revolutionäre Partei.
Nicht wenige Mitglieder der DKP hatten auf eine starke gesamtdeutsche kommunistische Partei nach der Niederlage des Sozialismus in der DDR gehofft. Schon bald wurde klar, dass die PDS-Entwicklung auch in deutlicher Abgrenzung zur DKP stattfand. Aus unserer Sicht zeigte sich dabei auch sehr deutlich, dass die Mehrheit der Leitungen und Mitglieder der PDS die Westlinke und die DKP politisch nicht kannten und auch nicht wahrnahmen, welche Veränderungen es in der Politik und organisatorischen Verfasstheit in der DKP nach 1990 gab.
Und seit kurzem existiert nun mit der Linkspartei.PDS/WASG ein Projekt mit dem Anspruch der Vereinigung linker Kräfte. Auch das ist eine Herausforderung für die DKP. Die DKP hat sich in ihrer bisherigen Traditionslinie vor und nach 1989 immer eindeutig für die Bündelung linker Kräfte und eine möglichst umfassende solidarische Zusammenarbeit entschieden. Man kennt uns als zuverlässigen Partner in Bündnissen und Bewegungen. „Eine andere Welt ist möglich“ heißt für uns „Sozialismus ist möglich“. Nicht zuletzt darum setzen unsere Mitglieder vor dem Hintergrund ihrer Weltanschauung, ihres sozialistischen Ziels und der zu seiner Erreichung notwendigen Strategie und Taktik auf Eigenständigkeit der Organisation, auf den Erhalt der Partei. Das ist für uns kein Widerspruch. Die aus unserer Sicht notwendige konstruktive Weiterentwicklung der DKP ergibt sich aber auch aus der politischen Identität ihrer Mitglieder. Kommunistin oder Kommunist wird man, um einen konkreten Beitrag zur Veränderung der Verhältnisse zu leisten. Die Organisation muss wirksames Mittel zum Zweck sein. Dagegen ist die Rolle als oppositionelle Plattform in einer breiter angelegten Linkspartei auf Dauer kein tragfähiges Fundament für kommunistisches Engagement. Die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen um eine sozialistische Zukunft schaffen nicht wenige Beziehungen der Solidarität, der Kultur, des miteinander Lebens in einer Partei. Viele Mitglieder der DKP gewinnen durch die aktive Tätigkeit – durch Wissen, Kampferfahrung und Solidarität –, es entwickeln sich Persönlichkeiten, die in der Arbeiterklasse Ansehen und Vertrauen genießen.
Organisiertes, solidarisches Handeln ist eine der Voraussetzungen, nicht nur um das Fernziel Sozialismus zu erreichen. Selbst der eher tagespolitische Abwehrkampf und der Kampf um progressive Reformen kann nur erfolgreich geführt werden, wenn es gelingt, ihn stärker als bisher antikapitalistisch auszurichten, mit gesellschaftspolitischen Alternativen und Zielen zu verbinden. Natürlich geht es derzeit vorwiegend um Abwehrkämpfe gegen Kriegspolitik, Arbeitsplatz-, Sozial- und Demokratieabbau. Ob die in der Linken diskutierte Zielstellung, einen politischen Richtungswechsel durchzusetzen, realistisch ist, hängt vor allem davon ab, wie stark die außerparlamentarische Bewegung dafür ist, wie stark die Bereitschaft ist, mit geeigneten Formen dafür zu kämpfen und ob es ihr gelingt, mehrheitsfähig in der Bevölkerung zu werden und ob es gelingt, Abwehrkämpfe schlüssig mit dem Kampf um progressive Reformen und gesellschaftliche Perspektiven zu verbinden. Ein einfaches Zurück zur alten „Sozialstaats-BRD“ aus der Zeit der Systemkonkurrenz kann und wird es nicht mehr geben. Heutige Kämpfe zur Durchsetzung von Beschäftigungsprogrammen, für die Erhöhung der Reallöhne, zur Sicherung von Arbeitsplätzen, Standorten und sozialer Standards verlangen ein deutlich höheres Maß an Kraftentfaltung, Organisation und Einsatzbereitschaft als in der Vergangenheit.
Aus der Sicht der DKP hängen Erfolge im Kampf um fortschrittliche Reformen entscheidend davon ab, inwieweit es gelingt, die Arbeiterklasse zu motivieren und zu mobilisieren. Daher ist für uns die Orientierung auf aktive, konstruktive Arbeit in den Gewerkschaften und die Konzentration auf die sozialen Orte, Betriebe, Verwaltungen etc. unerlässlich. Die Gewerkschaftsbewegung kann die entscheidenden Impulse geben, um breitestmögliche gesellschaftliche Allianzen und Bündnisse zu schaffen und ihre Forderungen in der Gesellschaft mehrheitsfähig machen.
Darum orientiert die DKP auf außerparlamentarische Aktivitäten, auf Teilnahme an sozialen Kämpfen wie bei den Aktionen gegen Hartz IV und Agenda 2010, gegen die Preistreiberei der Energiekonzerne, die Bolkestein-Richtlinie, gegen Port Package II oder bei betrieblichen Kämpfen in der Automobilindustrie, bei AEG in Nürnberg und Gate Gourmet in Düsseldorf. Darum setzt sich die DKP auch in der Kommunalpolitik für die Zusammenführung und Bündelung aller linken Kräfte ein und beteiligt sich, wo es geht, in unterschiedlichster Form an Bündniskandidaturen oder öffnet ihre Listen.
Ausblick
Die DKP hat auch in vielen Gesprächen auf Landes- oder Bundesebene für das Zusammenführen aller Kräfte gegen die Rechtsentwicklung geworben. Ich habe den Vorschlag gemacht, ein organisatorisches Dach zu schaffen, unter dem wirklich alle linken Kräfte, Parteien, Organisationen, die es wünschen, zusammenarbeiten, gemeinsam diskutieren, außerparlamentarische Aktivitäten koordinieren und Verabredungen treffen z.B. zur Beteiligung an Wahlen. Dieses Kooperationsmodell ist aus Sicht der DKP bis heute die bessere Variante als die sehr schnelle Herausbildung einer neuen Partei, die nicht das gesamte Spektrum linker Kräfte umfasst – z.B. gewachsene kommunale Bündnisstrukturen und grün-alternative Kräfte, die sich von ihrer Nato-olivgrünen Mutterpartei losgelöst haben.
Dieser Vorschlag wurde bisher nicht diskutiert. Bei Kooperationsabsprachen zwischen Linkspartei und WASG oder auch weitergehenden Überlegungen wurde die DKP nicht einbezogen. Der Parteivorstand der DKP hat darum WASG und Linkspartei.PDS zu seiner Vorstandstagung im Februar eingeladen. Mein Vorschlag, von dem ich ganz fest ausgehe, dass er der Mehrheitsmeinung der DKP entspricht, beruht nicht nur darauf, dass die DKP als eigenständige politische Kraft weiter existieren will. Er beinhaltet ebenfalls, dass alle (!) Linken – unabhängig von unterschiedlicher, gewachsener Identität und Größe ihrer Organisationen – gefordert sind, die Zusammenarbeit zu suchen und auch Andersartigkeit zu tolerieren. Wir Kommunistinnen und Kommunisten gehen selbstbewusst in den politischen Dialog mit anderen politischen Kräften. Die politischen Herausforderungen werden wachsen. Angesichts der sich zuspitzenden Widersprüche in der Gesellschaft wird es zu Diskussionen und Neupositionierungen kommen. Die Frage danach, in welcher Zukunft die Menschen leben wollen, wird heftiger diskutiert werden. Sozialismusvorstellungen werden mehr und mehr auch in der Linken pro und kontra diskutiert werden. Mittel- und langfristig wachsen die Chancen der DKP. Ausgrenzungen und Etikettierungen haben politisch noch nie genützt.