‚Negativität’ ist einer der methodischen Grundbegriffe, wenn nicht der methodische Grundbegriff der hegelschen Philosophie. Da es bei Hegel davon keine zusammenhängende Explikation gibt, muss man sich die Bedeutung aus unterschiedlichen Kontexten zusammensuchen, was einige Schwierigkeiten bereitet.
‚Reine Negativität’ in der
Phänomenologie des Geistes.
Die bestimmte Negation
In der Vorrede der Phänomenologie des Geistes (PhG) gibt es drei Stellen, wo von ‚reiner Negativität’ die Rede ist: Beim Konzipieren des Absoluten, so sagt Hegel hier, komme „alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt auszudrücken“ (3,22f.).[1] Die lebendige Substanz ist als Subjekt „die Bewegung des Sichselbstsetzens oder die Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst“, was Hegel auch so ausdrückt, sie sei „als Subjekt die reine einfache Negativität, eben dadurch die Entzweiung des Einfachen; oder die entgegensetzende Verdopplung“ (3,23, kursiv jeweils Hervorhebungen von Hegel). Hier kann man an das ‚A = A’ der Identität denken, die im Sichselbstsetzen des A eben ein ‚Sichanderswerden mit sich selbst’ ausdrückt, eine Entzweiung und entgegensetzende Selbstverdopplung des einfachen Allgemeinen, ein negatives Sich-von-sich-zu-sich-Unterscheiden, welches im Kern bereits Negation der Negation ist, „Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit“ des A und „ihres Gegensatzes“ und „Reflexion im Anderssein in sich selbst“ (ebd.); die konkrete Identität des Begriffs („sich wiederherstellende Gleichheit“) ist daher die Wahrheit dieser abstrakten Identität und sie allein „ist das Wahre“, „nicht eine ursprüngliche Einheit als solche oder unmittelbare als solche“, sondern „das Werden seiner selbst, der Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt“ (ebd.). Subjektsein ist „Sichselbstwerden“ (3,24), Sichvermitteln zu sich. ‚Die Substanz ist Subjekt’ bedeutet soviel wie ‚Identität ist Negativität’ (entsprechend wird in der Wissenschaft der Logik (WdL) die Substantialität zunächst „in der Form nur ihrer Identität, nicht ihres negativen Wesens“ expliziert, „aber sie ist ebensosehr Reflexion“ (6,222), die Substanz ist causa sui, so wird gegen die Substantialität das Moment der Nichtidentität in Gestalt der Kausalität vorgebracht). „Denn die Vermittlung ist nichts anderes als die sich bewegende Sichselbstgleichheit, oder sie ist die Reflexion in sich selbst, das Moment des fürsichseienden Ich, die reine Negativität oder, auf ihre reine Abstraktion herabgesetzt, das einfache Werden“ (3,25). Es sei falsch, so Hegel, „die Geduld und Arbeit des Negativen“ (3,24), die „Vermittlung“, „die Reflexion“ (3,25) aus dem Absoluten, dem Wahren auszuschließen. „Das Wahre ist das Ganze. Das Ganze aber ist nur das durch seine Entwicklung sich vollendene Wesen“ (3,24), eben der Prozess des Sichvermittelns zu sich. Was Hegel ‚reine Negativität’ nennt, wird also expliziert als ‚Bewegung des Sichselbstsetzens’, ‚sich bewegende Sichselbstgleichheit’, ‚Entwicklung (des Sichvollendens)’; er spricht auch von „Selbstbewegung“ (3,27) und „Selbsterzeugen“ (3,28), „reine(r) Sichselbstgleichheit im Anderssein“ (3,53). Doch nicht nur die Bewegung als solche, auch die „Kraft“ des Subjekts, „zu bewegen“, ist, „abstrakt genommen, (...) das Fürsichsein oder die reine Negativität“ (3,26). Bei der Darstellung der Philosophie des Aristoteles heißt es in den Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie: „Energeia aber ist die reine Wirksamkeit aus sich selbst. (...) Dynamis ist Anlage, das Ansich, das Objektive (...). Erst die Energie, die Form ist die Tätigkeit, das Verwirklichende, die sich auf sich beziehende Negativität“ (19,154); „Was als Wirklichkeit, Energie ausgedrückt ist, ist eben diese Negativität, Tätigkeit, tätige Wirksamkeit“, und so „Unterscheiden, Bestimmen“ (19,155), Negativität also als Formtätigkeit im Sinne der „Realisierung des Zwecks“, Entelechie (19,154). Mit einem modernen Begriff kann man ‚reine Negativität’ als ‚Selbstorganisation’ explizieren, bei Hegel allerdings in einem teleologisch-entelechischen Sinne. Was sich bewegt und dabei sich auf sich bezieht, ist in der PhG das Selbst des Geistes: „Der ausgeführte Zweck oder das daseiende Wirkliche ist Bewegung und entfaltetes Werden; eben diese Unruhe aber ist das Selbst; (...) das in sich Zurückgekehrte aber“ ist „eben das Selbst und das Selbst die sich auf sich beziehende Gleichheit und Einfachheit“ (3,26). ‚Unruhe’ lässt sich im Sinne der Antinomie verstehen, als selbst-bezügliches Oszillieren zwischen einer Aussage und ihrer Negation (als wechselseitiger Implikation), das durch explizierendes Setzen ‚an sich’ implizierter Komplexität (Bedingungszusammenhang) im Sinne des Zweckes produktiv ist. Der Geist ist „das sich selbst tragende, absolute reale Wesen“, in diesem Sinne ist das Sein alles Seienden „das im Selbst aufgelöste Sein“ (3,325). Die „Unruhe“ des Inhalts, „sich selbst aufzuheben“, ist „die Negativität“ (3,588), ‚Negativität’ lässt sich somit explizieren als prozessuelles, selbstreferentielles Sich-von-sich-Unterscheiden als Sich-zu-sich-Aufheben.
Das sukzessive Sich-zu-sich-Aufheben ist Selbsttätigkeit über bestimmte Negationen, dabei wird die Tätigkeit des Analysierens, des differenzierenden Trennens und „Scheidens“ als „Kraft und Arbeit des Verstandes“ noch spezifisch mit der „ungeheure(n) Macht des Negativen“ assoziiert: „es ist die Energie des Denkens, des reinen Ichs“ (3,36), die bewirkt, dass das „nur in seinem Zusammenhange mit anderem Wirkliche ein eigenes Dasein und abgesonderte Freiheit gewinnt“, es wird also innerhalb der lebendigen Bewegung „das Tote“ festgehalten, und den Tod (das in diesem Sinne ‚Negative’, als Sichabarbeiten am Wirklichen) zu ertragen und sich in ihm zu erhalten, ist „das Leben des Geistes“, der seine Wahrheit nur gewinnt, „indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet“ (ebd.). Durch die Negativität hindurch, durch „diese Bewegung werden die reinen Gedanken Begriffe und sind erst, was sie in Wahrheit sind, Selbstbewegungen, Kreise, das, was ihre Substanz ist, geistige Wesenheiten“ (3,37). Dazu müssen die abstrakten Bestimmungen aufgelöst werden, aber nicht in das abstrakte Nichts, sondern in ein Positiv-Vernünftiges hinein. In der WdL wird ‚das Logische’ als ein dynamisches Zusammenspiel dreier Momente, des abstrakten oder verständigen, des dialektischen oder negativ-vernünftigen sowie des spekulativen oder positiv-vernünftigen Momentes expliziert. Dabei wird zum einen der Geist als ganzer, verständige Vernunft oder vernünftiger Verstand, als ‚das Negative’ charakterisiert: „Er ist das Negative, dasjenige, welches die Qualität sowohl der dialektischen Vernunft als des Verstandes ausmacht“ (5,17). Die Charakterisierung des Verstandes als des Negativen aus der PhG ist hier also enthalten. Da aber dem dialektischen Moment, das die festgehaltenen Abstraktionen des Verstandes auflöst, die sogenannte (antinomische) Bewegung des Begriffs obliegt, wird es im engeren Sinne als das Negative apostrophiert: „Das, wodurch sich der Begriff weiterleitet, ist das vorhin angegebene Negative, das er in sich selbst hat; dies macht das wahrhaft Dialektische aus“ (5,51). Es ist das, wodurch jede Bestimmung ‚begeistet’ wird (vgl. 3,37: „durch das Aufheben der festen, bestimmten Gedanken das Allgemeine zu verwirklichen und zu begeisten“), in ihrer Antinomie oszilliert und über sich hinausgetrieben wird. Das ‚Negative’ ist bestimmte Negation: „Das Einzige, um den wissenschaftlichen Fortgang zu gewinnen (...), ist die Erkenntnis des logischen Satzes, dass das Negative ebensosehr positiv ist oder dass das Widersprechende sich nicht in Null, in das abstrakte Nichts auflöst, sondern wesentlich nur in die Negation seines besonderen Inhalts, oder dass eine solche Negation nicht alle Negation, sondern die Negation der bestimmten Sache, die sich auflöst, somit bestimmte Negation ist“ (5,49). Dadurch wird ‚Negativität’ zu einem umfassenden, auch das Positiv-Vernünftige und den Geist überhaupt charakterisierenden Prinzip: „Es ist dies Resultat, in seiner positiven Seite aufgefasst, nichts anderes als die innere Negativität desselben, als ihre sich selbst bewegende Seele, das Prinzip aller natürlichen und geistigen Lebendigkeit überhaupt“ (5,51).
Um nun zu verstehen, wie Hegel vom ‚bloß Negativen’ spricht, ist zu beachten, dass Hegel zwischen der ersten Negation als verstandesmäßiger Grenze, Schranke, Mangel (dazu gehören auch die festgehaltenen, ‚toten’, zu verflüssigenden Bestimmungen) und dem selbstreferenziellen Negativen der Vernunft unterscheidet. In der Erstausgabe der WdL erläutert Hegel: „Wenn fernerhin von Negativität oder negativer Natur die Rede sein wird, so ist darunter nicht jene erste Negation, die Grenze, Schranke oder Mangel, sondern wesentlich die Negation des Andersseins zu verstehen, die, als solche, Beziehung auf sich selbst ist“ (L I, 78)[2]; die „Negation jener ersten Bestimmtheit, welche als Nichtsein, als Schranke gesetzt ist“, ist „Negation der Negation und absolute Negation“ (L I, 77). Die erste Negation ist gemeint, wenn es in der PhG heißt: „Das unmittelbare Dasein des Geistes, das Bewusstsein, hat die zwei Momente des Wissens und der dem Wissen negativen Gegenständlichkeit. (...) Die Ungleichheit, die im Bewusstsein zwischen dem Ich und der Substanz, die sein Gegenstand ist, stattfindet, ist ihr Unterschied, das Negative überhaupt“ (3,38f.). Es ist ein Mangel, „das Bewegende zwar als das Negative, aber dieses noch nicht als das Selbst“ zu erfassen (3,39). Das „bloß Negative“ aufzuzeigen, gehört dem „räsonierenden Verhalten“ an (3,56), es ist „das Negative, das nicht das Positive in sich erblickt. (...) Dagegen (...) gehört im begreifenden Denken das Negative dem Inhalt selbst an und ist sowohl seine immanente Bewegung und Bestimmung wie als Ganzes derselben das Positive. Als Resultat aufgefasst“ – resultativ im Sinne von Entelechie, Sich-im-Ziel-Haben – „ist es das aus dieser Bewegung herkommende, das bestimmte Negative und hiermit ebenso ein positiver Inhalt“ (3,57). Es kommt also darauf an, gegen das abstrakt festgehaltene, verfestigte Negative des Verstandes die Negativität der Reflexion „selbst (...) zum Inhalte“ zu gewinnen (ebd.), d.h. den tätigen Selbstbezug, das Selbst des Begriffs oder allgemeiner des Geistes. So ist etwas „nicht eine bloß negative Bewegung“ (3,73). Das unbestimmt Negative bzw. Abstrakt-Negative, das „Nichts“, ist „bestimmt das Nichts dessen (...), woraus es resultiert. Das Nichts ist aber nur, genommen als das Nichts dessen, woraus es herkommt, in der Tat das wahrhafte Resultat; es ist hiermit selbst ein Bestimmtes und hat einen Inhalt“ (3,74). In der WdL wird deutlich, dass die bestimmte Negation die Bewegung des ‚Aufhebens’ zur Identität der Identität und der Nichtidentität leitet: „Sie“, die bestimmte Negation, „ist ein neuer Begriff, aber der höhere, reichere Begriff als der vorhergehende; denn sie ist um dessen Negation oder Entgegengesetztes reicher geworden, enthält ihn also, aber auch mehr als ihn, und ist die Einheit seiner und seines Entgegengesetzten. In diesem Wege hat sich das System der Begriffe überhaupt zu bilden“ (5,49). Das Was des Resultierenden ist ein bestimmtes Etwas gegen das Andere, aus dem es herkommt und das es in ein neues ‚Sich’ aufhebt; so soll, wie es schon in der PhG heißt, eine in sich wohlbestimmte Reihe positiver Bestimmungen resultieren: „Indem (...) das Resultat, wie es in Wahrheit ist, aufgefasst wird, als bestimmte Negation, so ist damit unmittelbar (!) eine neue Form entsprungen und in der Negation der Übergang gemacht, wodurch sich der Fortgang durch die vollständige (!) Reihe der Gestalten von selbst (!) ergibt“ (3,74; Ausrufungszeichen von mir hinzugefügt, T.C.). Statt auf konstruktiver Tätigkeit soll hier das Gewicht auf dem „reine(n) Zusehen“ liegen (3,77), einem „reine(n), von außen nichts hereinnehmende(n) Gange“ (5,49). Diesen enorm hohen Anspruch – notwendiger, sich aus sich selbst heraus bestimmender Übergang zu diesem und keinem anderen neuen allgemeinen Begriff und schließlich Vollständigkeit des Ganzen der explizierten Reihe – soll die Systemfigur einlösen (ein zu hoher Anspruch, denn faktisch erprobte Hegel durchaus unterschiedliche Übergänge und zeigte Tätigkeiten des, etwa historisch motivierten, Konstruierens). Die bestimmte Negation ist dabei je bereits Negation der Negation, wie etwa an folgender Stelle deutlich wird: „Das Ding ist gesetzt als Fürsichsein oder als absolute Negation alles Andersseins, daher absolute, nur sich auf sich beziehende Negation; aber die sich auf sich beziehende Negation ist Aufheben seiner selbst oder (dies,) sein Wesen in einem Anderen zu haben“ (3,103). Dabei scheint die ‚List’, die beim ‚reinen Zusehen’ wirkt, aber durchaus (vielleicht gegen Hegels Intention) auf die Unabdingbarkeit eines gewissen konstruktiven Geschicks im Umgang mit der bestimmten Negation hinzudeuten: „die List, die, der Tätigkeit sich zu enthalten scheinend, zusieht, wie die Bestimmtheit (...) sich selbst auflösendes und zum Momente des Ganzen machendes Tun ist“ (3,53f.). Diese Stelle scheint das ‚reine Zusehen’, den Inhalt „durch seine eigene Natur, d.h. durch das Selbst als das seinige, sich bewegen zu lassen und diese Bewegung zu betrachten“ (3,56), doch zu relativieren.
Erste und zweite Negation (Negation der Negation) in der Seinslogik der Wissenschaft der Logik
Die Abfolge der Begriffsbestimmungen in der WdL erfolgt nach dem Dreischritt ‚Moment der Identität – Moment der Nichtidentität – Herstellung der Identität der Identität und der Nichtidentität und damit (Sich-)Herstellen der je spezifischen Totalität als eines neuen Allgemeinen, im Horizont der Totalität aller Totalitäten’. Den drei Stadien ‚Sein – Wesen – Begriff’ entsprechen zugleich spezifisch die drei Momente des Logischen (abstrakt – negativ-vernünftig – positiv-vernünftig), drei Formen des Selbstseins und drei Formen der Relation: Übergehen in Anderes in der Seinslogik, Scheinen in Anderes (oder im Anderen) in der Wesenslogik (Reflexion in Anderes versus Reflexion in sich) und Beisichsein im Anderen seiner selbst (im Anderen nur mit sich selbst Zusammengehen) in der Begriffslogik. Und den drei Formen der Relation entsprechen drei Formen von Negativität. In der Seinslogik wird die negative Konstitution von Grenze (erste Negation) und die negative Konstitution des Etwas in seiner Grenze und durch seine Grenze expliziert (Negation der Negation). Dabei wird in der Sphäre des Seins nach einem Prinzip der horizontalen Benachbartheit sequenziert. In der Sphäre des Wesens tritt eine vertikale Dimension der internen Tiefenstrukturen in den Vordergrund, entsprechend wird das Wesen als das ‚in sich gegangene Sein’ charakterisiert; das Wesen setzt sich selbst und gibt sich selbst sein Dasein, die Selbstabstraktivität, die das Sein ist, wird hier selber herausabstrahiert und als Selbstexplikativität von Negativität thematisiert, als interne Bewegung zwischen dem Negierenden und dem Negierten. Dabei wird wahrhafte Selbstbestimmtheit noch verfehlt; die Wesenslogik ist die Sphäre der Relativität und Vermittlung. In der Sphäre des Begriffs schließlich hat es der Begriff explizit nur noch mit sich selbst zu tun: horizontale und vertikale Dimension sind nun selber zusammengeschlossen zu einem Prinzip der Totalität, und wenn der Begriff sich selbst überschreitet, indem er sich objektiviert, so sind Begriff und Objektivität in der Idee zu einer absolut-konkreten Einheit zusammengeschlossen. Lässt sich die Wesenslogik unter das Motto stellen ‚Abstrakte Identität ist Negativität’, so die Begriffslogik unter das Motto ‚Negativität ist konkrete Identität’. Adäquates Selbstsein lässt sich nur durch den Begriff aussagen, der dafür sein eigenes Maß ist, entsprechend dominiert in dieser Sphäre das ‚Im-Anderen-nur-bei-sich-selbst-Sein’, alles Andere ist der Idee nach vollkommen und vollständig internalisiert.
Es soll nun die Rolle der Negativität in diesen drei Stadien, die aufeinander fußende Komplexitätniveaus von Selbstreferenz sind, beleuchtet werden. Auf den Anfang der WdL ist hier nur ein kurzer Blick möglich. Indem Hegel das ‚reine Sein’ vor das ‚reine Nichts’ stellt, stellt er die „abstrakte Grundlage“ des Positiven (5,86) vor die abstrakte Grundlage des Negativen, auch wenn er sagt, dass beide „untrennbar“ sind, nämlich die „die reine Unbestimmtheit und Leere“ (5,82). Auch wenn beide nur ‚leeres Anschauen und Denken’ sind, werden sie de facto doch bestimmt, und zwar in gleicher Weise: das Sein als „nur sich selbst gleich“, das Nichts als „einfache Gleichheit mit sich selbst“ (5,82f.), damit sind sie rudimentär bereits der Begriff (dessen ‚Selbst’). Sie gehen ineinander über, sind also sich bewegende Sichselbstgleichheit, insofern Negativität, deren absolute Selbstabstraktion. Die Sichselbstgleichheit des Seins ist ein leerer positiver Selbstbezug, der implizit negativer Selbstbezug ist: das Sein ist mit sich identisch, indem und insofern es nicht mit sich identisch ist, denn wäre es mit sich identisch, wäre es bereits intern bestimmt und hätte wie das ‚A = A’ eine Verschiedenheit in sich selbst, es soll aber „keine Verschiedenheit in sich selber noch nach außen haben“ (5,82). Es handelt sich hier um einen dialektischen Widerspruch von Irreflexivität und Primärreflexivität, weiter kann nicht zurückgegangen werden, sonst läge keine Diskursivität vor, und das ‚leere Denken’ wäre kein Denken. Implizit wird bei ‚Sein – Nichts – Werden’ bereits nach dem Schema ‚Moment der Identität – Moment der Negativität oder Nichtidentität – Identität der Identität und der Nichtidentität’ verfahren: „Die Analyse des Anfangs gäbe somit den Begriff der Einheit des Seins und des Nichtseins – oder , in reflektierterer Form, der Einheit des Unterschieden- und des Nichtunterschiedenseins – oder der Identität der Identität und Nichtidentität“(5,74).
Der erste explizite Negativitätsbegriff ist also das selbstabstraktive ‚Nichts’. Nun ist ‚nichts’ grammatisch die Abkürzung von ‚nicht etwas’: „Nichts pflegt dem Etwas entgegengesetzt zu werden“ (5,84). Es soll hier aber nicht im Gegensatz zu etwas gedacht werden, sondern in seiner „unbestimmten Einfachheit“ (ebd.). Dem Sein kann man statt des Nichts auch das Nichtsein entgegensetzen, in dem der Bezug auf das Sein ausgedrückt ist, doch dies wäre hier am Anfang bereits zu beziehungsreich: Es ist hier „zunächst nicht um die Form der Entgegensetzung, d.i. zugleich der Beziehung zu tun, sondern um die abstrakte, unmittelbare Negation, das Nichts rein für sich, die beziehungslose Verneinung, – was man, wenn man will, auch durch das bloße Nicht ausdrücken könnte“ (ebd.). Diese Stelle ist bemerkenswert, denn der Operator ‚nicht’ wird als Satznegation und Sondernegation verwendet (letzteres z.B. bei ‚nicht etwas’), fundiert also gewissermaßen beides, und Hegel geht es hier um die „abstrakte Grundlage“ des Negativen (5,86). Näher betrachtet, ist die Bestimmung des Seins als ‚unbestimmt’ bereits dialektisch: seine „Unbestimmtheit ist (...) das, was die Bestimmtheit desselben ausmacht“ (5,104); dabei ist ‚Unbestimmtheit’ implizit bereits bestimmte Negation: „denn die Unbestimmtheit ist der Bestimmtheit entgegengesetzt; sie ist somit als Entgegengesetztes selbst das Bestimmte oder Negative, und zwar das reine, ganz abstrakt Negative“ (ebd.). Das Nichtentgegengesetztsein (das dem Entgegengesetztsein entgegengesetzt ist) geht also aus sich selbst in Entgegensetzung über. Als ununterschieden von und gegen Nichts gibt es eigentlich keinen Grund, Sein ‚das Sein’ zu nennen: das Sein, so kann man scheinbar zuspitzen, ‚ist nicht’, es ist aber die Bedingung, etwas als seiend, seiende Bestimmtheit auszusagen, und indem ich von ‚dem Nichts’ rede, es z.B. als das Nichtseiende aussage, ist es schon in bestimmter Hinsicht. Als „absolut unterschieden“ sind beide „untrennbar“ voneinander (5,82), das Sein ist immer schon in Nichts übergegangen, ihre erste Wahrheit ist so das reine Übergehen oder das Werden, als Übergehen von Sein in Nichts (Vergehen, Verschwinden) und Übergehen von Nichts in Sein (Entstehen, Anfang). Zu denken ist eine absolute Selbstabstraktion absoluter Negativität, worin bereits die Selbstkonstitution des bestimmten Seins, des Daseins liegt: jeder Anfang ist seinem Begriff nach wesentlich Anfang von etwas („Es ist noch Nichts, und es soll Etwas werden“, 5,73). Das Werden als „Übergehen in die Einheit des Seins und Nichts, welche als seiend ist oder die Gestalt der einseitigen unmittelbaren Einheit dieser Momente hat, ist das Dasein“ (5,113). Das Dasein ist ‚konkret’, seine Bestimmtheit wird nun analysiert, sie verdankt sich bereits der Negation (‚Omnis determinatio est negatio’, dieser Satz ist „von unendlicher Wichtigkeit“, 5,121), jede Bestimmtheit ist Grenzziehung gegen Anderes: „Die Bestimmtheit, so für sich isoliert, als seiende Bestimmtheit, ist die Qualität, – ein ganz Einfaches, Unmittelbares. (...) Die Qualität, sodass sie unterschieden als seiende gelte, ist die Realität; sie als mit einer Verneinung behaftet, Negation überhaupt, (ist) gleichfalls eine Qualität, aber die für einen Mangel gilt, sich weiterhin als Grenze, Schranke bestimmt“ (5,118).
Was Hegel als ‚erste Negation’ fasst, ist eine Operation des figurierenden und bestimmenden Abgrenzens und Eingrenzens, Ausgrenzens und dabei Einbeziehens – und unmittelbar damit verbunden (geradezu gefasst als) Operationen des Sich-auf-sich-Beziehens, Sich-Ausdifferenzierens, Sich-Herstellens, Sich-Abstoßens, Sich-Propellierens und in konkreterer Gestalt In-sich-Zurückkehrens, mithin bereits zweite Negation oder Negation der Negation. Etwas soll (!) allererst werden durch Ziehen einer Grenze gegen Anderes und Aufheben dieser Schranke als konstitutiven Zug an dem Etwas selbst, das über sie hinaus und hinter sie zurück geht. „Das Etwas ist die erste Negation der Negation, als einfache seiende Beziehung auf sich. (...) Das Negative des Negativen ist als Etwas nur der Anfang des Subjekts; – das Insichsein nur erst ganz unbestimmt. Es bestimmt sich fernerhin zunächst als Fürsichseiendes und so fort, bis es erst im Begriff die konkrete Intensität des Subjekts erhält. Allen diesen Bestimmungen liegt die negative Einheit mit sich zugrunde. Aber dabei ist die Negation als erste, als Negation überhaupt wohl zu unterscheiden von der zweiten, der Negation der Negation, welche die konkrete, absolute Negativität, wie jene dagegen nur die abstrakte Negativität ist“ (5,123f.). ‚Konkrete Negativität’ bedeutet anders gesagt, dass Etwas „die Vermittlung seiner mit sich selbst“ ist (5,124), worin bereits ein Vorgriff auf das Wesen und den Begriff ersichtlich wird. Etwas und Anderes sind beide Etwas und beide sind das Andere des Anderen. Das Andere ist das Andere des Etwas, aber es ist, wie das Nichts, auch für sich isoliert zu nehmen, ohne Beziehung auf (das) Etwas, und ist dann „das Andere an ihm selbst, d.i. das Andere seiner selbst“ (5,127f.), denn es gibt in dieser Betrachtung nur das Anderssein des Anderen selbst. Etwas nur auf sich bezogen, gegen alle Kontexte abgeschottet, ergibt den negativen Selbstbezug der Antinomie, aus dem durch Setzen des Kontextes (Aufnahme von Zusatzkomplexität) wieder herausgekommen wird. Das Sein des Etwas bestimmt sich nun weiter zum ‚Ansichsein’, dessen Anderssein zum ‚Sein-für-Anderes’, dieses ist Negation der einfachen Beziehung des Seins auf sich, „Nichtdasein, das auf das Ansichsein als auf sein in sich reflektiertes“ – d.h. für sich verfestigtes – „Sein hinweist, so wie umgekehrt das Ansichsein auf das Sein-für-Anderes hinweist“ (5,129). Dem Ansichsein als dem Impliziten und Vorausgesetzten wird zweitens das Gesetztsein als das Explizite und sich ‚an ihm’ Zeigende entgegengesetzt (eine Unterscheidung, die in der Wesenslogik näher erläutert wird). Insofern das Ansichsein sich auch ‚an ihm’ zeigt, ist die Bestimmung „offen dem Verhältnis zu Anderem“ 5,134). Das Anderssein ist im Etwas als sein eigenes Moment gesetzt, der Negationsbegriff des ‚Andersseins’ bestimmt sich zur ‚Grenze’ weiter; zwischen dem Etwas und dem Anderen ist „die Grenze als das Nichtsein eines jeden (...) das Andere von beiden“ (5,137): insofern die Grenze dem Etwas und dem Anderen immanent (für sie konstitutiv, bestimmend) ist, sind sie weiterhin implizit das Andere ihrer selbst. Das Etwas verändert sich, seine Beschaffenheit wird anders, dies ist seine Negativität (sein Sich-von-sich-Unterscheiden) und sein Werden zu sich, es kommt aus Anderem her und geht in Anderes über, „das Insichsein des Etwas als Negation der Negation ist sein Ansichsein, und zugleich ist dies Aufheben als einfache Negation an ihm“ (5,135); das heißt aber, die Grenze, die es zu Anderem zieht, „als Aufhören des Anderen an ihm“ ist, so kann man sagen, zum einen „selbst nur das Sein des Etwas“ (denn „dieses ist durch sie das, was es ist, hat in ihr seine Qualität“, 5,136), sie ist aber auch selber ein Etwas und ein Anderes und damit implizit schon Negation der Negation, d.h. die zweite Negation ist Grundlage auch der ersten, der Grenze, und Negation dieses Andersseins. Die Grenze als „in sich reflektierte“ – schillernde, bewegliche, aber dabei relativ verfestigte, in sich zurückgebeugte – „Negation des Etwas“ enthält „die Momente des Etwas und des Anderen in ihr ideell“ (ebd.). Indem Etwas „sein Dasein nur in der Grenze hat“, ist es das Andere seiner selbst, trennt „sich von sich selbst“ (Negativität als Sich-von-sich-Unterscheiden) und weist „über sich hinaus auf sein Nichtsein“ und spricht dies „als sein Sein“ aus (5,137f.).
Wenn ‚das Andere’ ein grundlegender Negationsbegriff ist, der der ‚Grenze’ korrelativ ist und sogar, wie gesehen, wechselseitig dadurch expliziert wird (denn die Grenze ist das Andere des Etwas und das Andere die Grenze des Etwas), so ist also zu beachten, dass Hegel in der Neuausgabe der WdL ausdrücklich sagt, „dass die Grenze einfache Negation oder die erste Negation, das Andere aber zugleich die Negation der Negation, das Insichsein des Etwas ist“ (5,136). Jede Bestimmung ist Grenzziehung, und zwar gegen implizit schon bestimmtes Anderes, bestimmte Negation. ‚Bestimmung’ hat den Doppelsinn der destinatio, des Woraufhin (als ‚Sollen’), und der determinatio, der Bestimmtheit, als Grenze und zu überschreitende ‚Schranke’. Die Negation der Negation, als Konstitution eines Insichseins und Ansichseins, ist Bewegung zwischen dem Zubestimmenden, dem Bestimmenden und dem Bestimmten. Der Inbegriff aller Realitäten wird, „wenn sie ohne Grenze gedacht werden, zum leeren Nichts“, wie es in der Erstausgabe heißt: „Werden sie aber als bestimmte Realitäten erhalten, so wird der Inbegriff aller Realitäten (schon bei Kant ist dies Gott, mit Hegel das Absolute, T.C.) ebenso zum Inbegriff aller Negationen.“ Die Negation ist „als absolute Negativität wesentliche Bestimmung des absoluten Wesens, und die höhere Bestimmung als die Realität“ (L I, 76). Im Begriff der ‚absoluten Negativität’ ist die erste Negation, als Grenze, aufzuhebende Schranke, Inbegriff der endlichen Realitäten, ‚schlechte Unendlichkeit’ des Verstandes, in der zweiten Negation, die das gesollte Ziel, das Absolut-Konkrete, ‚wahrhafte Unendlichkeit’ der Vernunft ist, aufgehoben. In der Erstausgabe der WdL werden erste und zweite Negation nach dem Schema ‚erstens - zweitens’ expliziert, nachdem sich die Grenze zur aufzuhebenden Schranke und die Bestimmung zum ‚Sollen’ weiterexpliziert hat: „Die Bestimmtheit ist Negation überhaupt. Aber näher ist die Negation das gedoppelte Moment der Schranke und des Sollens. – Erstens: Die Negation ist nicht bloß das Nichts überhaupt, sondern reflektierte, auf das Ansichsein bezogene Negation; der Mangel als von Etwas, oder die Schranke; die Bestimmtheit, gesetzt als das was sie in Wahrheit ist, als Nichtsein. – Zweitens: Die Negation als Sollen ist die an sich seiende Bestimmtheit, oder umgekehrt, das Sollen ist die Bestimmtheit oder Negation als Ansichsein. Sie ist insofern die Negation jener ersten Bestimmtheit, welche als Nichtsein, als Schranke gesetzt ist. Sie ist somit Negation der Negation, und absolute Negation“ (L I, 77). Hier folgt nun eine der wichtigsten Hegel-Stellen zum Thema Negativität: „So ist die Negation das wahrhafte Reale und Ansichsein. Diese Negativität ist es, die das Einfache ist, welches als Aufheben des Andersseins in sich zurückkehrt; die abstrakte Grundlage aller philosophischen Ideen, und des spekulativen Denkens überhaupt, von der man sagen muss, dass sie erst die neuere Zeit in ihrer Wahrheit aufzufassen begonnen hat. – Diese (darauf liegt die Betonung, T.C.) Einfachheit hat an die Stelle des Seins, oder jeder Bestimmtheit zu treten, die in unmittelbarer Form, als an-und-für-sich-seiend genommen wird. Wenn fernerhin von Negativität oder negativer Natur die Rede sein wird, so ist darunter nicht jene erste Negation, die Grenze, Schranke oder Mangel, sondern wesentlich die Negation des Andersseins zu verstehen, die, als solche, Beziehung auf sich selbst ist“ (L I, 77f.). Man muss bedauern, dass diese Erläuterungen der Erstausgabe von 1812 in der Neuausgabe von 1831 nicht erhalten geblieben sind.
Etwas bestimmt sich weiter zum Endlichen: „Etwas mit seiner immanenten Grenze gesetzt als der Widerspruch seiner selbst, durch den es über sich hinausgewiesen und getrieben wird, ist das Endliche“ (5,139). Das Sein des Endlichen ist negativer Selbstbezug: „Die endlichen Dinge sind, aber ihre Beziehung auf sich selbst ist, dass sie als negativ sich auf sich selbst beziehen, eben in dieser Beziehung auf sich selbst sich über sich, über ihr Sein, hinauszuschicken. Sie sind, aber die Wahrheit dieses Seins ist ihr Ende“ (ebd.). Das lateinische ‚finis’ bedeutet (wie griechisch ‚peras’) Grenze, Ende, Ziel (vgl. auch griechisch ‚horos’, das ebenso wie ‚finis’ zunächst den eingerammten Grenzpfahl meint), auch das Äußerste, die Vollendung. Das Endliche vergeht, dialektisch kommt es aber darauf an, ein ‚Vergehen des Vergehens’ zu konzipieren. Als Sollen ist Etwas „über seine Schranke erhaben, umgekehrt aber hat es nur als Sollen seine Schranke“ (5,144). Hegel sagt zugespitzt, „dass darin selbst, dass etwas als Schranke bestimmt ist, darüber bereits hinausgegangen ist“ (5,145) – hierzu muss aber, so ist zu bedenken, nicht das Jenseits der Schranke als etwas Fertiges, Vollendetes gedacht werden, es kann sich einfach um eine Offenheit zum für das Diesseits konstitutiven Anderen handeln. Die Vernunft ist, so Hegel, „nur das Hinausgehen über die Schranke“ (5,146), das festgehaltene Sollen aber wird ihr nicht gerecht, es ist ein „unvollkommenes“, selbst „nur endliches Hinausgehen“ (5,147); es kommt vielmehr darauf an, das bestimmte Andere des Endlichen, das Unendliche, als affirmativ zu fassen. Hier kann nur sehr knapp darüber geschrieben werden. Solange das Unendliche noch mit dem Gegensatz gegen das Endliche behaftet ist, ist nur ein „selbst endliches Unendliches“ vorhanden (5,152). Solange jenseits des Endlichen jeweils eine neue Grenze gezogen und aufgehoben und darüber hinausgegangen wird, ergibt sich nur ein „und so fort ins Unendliche“, eine „Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen“ (5,154f.) oder der unendliche Progress, das ‚Schlecht-Unendliche’ des Verstandes. So wie das Vergehen des Endlichen selbst vergehen muss, muss über dieses Hinausgehen „selbst hinausgegangen“ werden (5,155). Beides, Endliches und Unendliches, ist „diese Bewegung, zu sich durch seine Negation zurückzukehren; sie sind nur als Vermittlung in sich, und das Affirmative beider enthält die Negation beider und ist die Negation der Negation“ (5,162). Hegel sagt nun deutlich, das wahrhaft Unendliche könne nicht in die Formel einer ‚Einheit’ des Endlichen und Unendlichen gefasst werden; stattdessen sei die Negation als „Idealität“ zu bestimmen: „das Ideelle ist das Endliche, wie es im wahrhaft Unendlichen ist“, nämlich als „Moment“. Damit wird aber nicht beantwortet, wie das wahrhaft Unendliche für sich zu fassen ist. Hegel bietet ein „Bild“: das Bild des Progresses sei die gerade Linie, das des wahrhaft Unendlichen hingegen „der Kreis, die sich erreicht habende Linie, die geschlossen und ganz gegenwärtig ist, ohne Anfangspunkt und Ende“ (5,164). Dieses Bild ist unbefriedigend: Der geschlossene Kreis ist eine endliche Figur; in der Enzyklopädie heißt es in einem mündlichen Zusatz zur Naturphilosophie sehr deutlich, der Kreis sei „die Kurve des Verstandes, der Gleichheit setzt“ (9,94; Enz. § 270 Z.). In der Tat zeigt sich das geschlossene System letztlich parteiisch für Identität, wenn in der Wesenslogik auch noch so nachhaltig betont wird, dass Identität wesentlich Negativität sei. Nun ist zwar bemerkenswert, dass wir die Figuren ‚schlechter’ Unendlichkeit, die Gründe von Gründen usw. vernünftig kritisieren können, anscheinend greifen wir dabei auf etwas, das über ‚schlechte’ Unendlichkeit hinausgeht, ebenso vor wie in bestimmtem Sinne auch bereits darauf zurück (befinden uns schon in diesem Sinnhorizont); das besagt aber nicht, dass wir einen resultativen Begriff des wahrhaft Unendlichen haben (ebenso wenig wie die Möglichkeit, eine bestehende Gesellschaftsform zu kritisieren, eine fertig ausgemalte Utopie voraussetzt). Hegel aber erhebt den Anspruch, per Negation der Negation über einen affirmativen Begriff des wahrhaft Unendlichen das Sein intensiver wiederherzustellen und damit zum ‚Fürsichsein’ überzugehen, dergestalt dass alles Endliche im Sinne der ersten Negation in diesem Sein ideell aufgehoben ist: Das Unendliche, eine neue Definition des Absoluten, „ist die Negation der Negation, das Affirmative, das Sein, das sich aus der Beschränktheit wieder hergestellt hat. Das Unendliche ist, und in intensiverem Sinn als das erste unmittelbare Sein“ (5,150). Im Horizont des Absoluten ist das Endliche immer schon in Unendlichkeit übergegangen, negiert seine Endlichkeit (seinen Mangel, sein Anderssein, erste Negation) und konstituiert sich als ideelles Moment im Unendlichen. Genau besehen macht den Übergang zum Fürsichsein nicht die Unendlichkeit, sondern die Idealität als „die Qualität der Unendlichkeit“: Als Aufheben der Endlichkeit und „ebensosehr der ihr nur gegenüberstehenden, nur negativen Unendlichkeit“ ist die Idealität „Rückkehr in sich, Beziehung auf sich selbst, Sein. Da in diesem Sein Negation ist, ist es Dasein, aber da sie ferner wesentlich Negation der Negation, die sich auf sich beziehende Negation ist, ist sie das Dasein, welches Fürsichsein genannt wird“ (5,166). Der ‚Negation der Negation’ kam also wiederum die Aufgabe zu, einen entscheidenden Schritt weiterzuführen: sie ist „die Beziehung auf sich selbst, nicht die unmittelbare, sondern die unendliche“ (5,168). Erst jetzt ist Quantifizierbarkeit gegeben. „Die Idealität des Fürsichseins als Totalität schlägt so fürs erste in die Realität um, und zwar in die festeste, abstrakteste, als Eins“ (5,183). Die unendliche Beziehung auf sich selbst generiert also an dieser Stelle eine Verfestigung, so wie später die bestimmende Reflexion. Die Relation zwischen dem Bestimmenden und dem Bestimmten (Negation der Negation) ist nun unendliches Selbstbestimmen: „Als Beziehung des Negativen auf sich ist das Eins Bestimmen, – und als Beziehung auf sich ist es unendliches Selbstbestimmen“ (ebd.).
(Teil II folgt in Z 66, Juni 2006)
[1] Ich zitiere Hegel nach den Werken in 20 Bdn. ed. Moldenhauer/Michel, Frankfurt/M. 1969ff. (u.ö.): Bd.3: Phänomenologie des Geistes; 5/6: Wissenschaft der Logik I/II (Text von 1831 bzw. 1813-16); 10: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830) III.Teil: Die Philosophie des Geistes (Z. = mündlicher Zusatz); 19: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (Michelet 1833-36) Bd.II
[2] L I = Erstausgabe der WdL von 1812 (I.Band, I.Buch: Das Sein), ed. W.Wieland (Faksimiledruck), Göttingen 1966