Berichte

Die Linke in Bewegung

Kongress von Linkspartei und WASG Hessen, Frankfurt/Main, 17. Dezember 2005

März 2006

Nicht erst seit den Thesen Fausto Bertinottis gilt die Frage nach dem Verhältnis von Parteiprojekten und parlamentarischer Repräsentation zu außerparlamentarischen Bewegungen als eine der Kardinalfragen bei der Neuformierung einer linken Opposition. Die Bewegungen gegen eine neoliberale Globalisierung, die insbesondere mit dem Schlagwort „Hartz-IV“ verbundene Sozialstaatsdemontage und die Militarisierung der Außenpolitik, schließlich der Wahlerfolg von Linkspartei.PDS und WASG in der Bundestagswahl 2005 haben die tagespolitische Relevanz dieser Frage auch in der Bundesrepublik gezeigt: „Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, den neoliberalen Umbau der Gesellschaft zu stoppen. Dies kann nur über den Aufbau massiven Drucks von unten gelingen. Deshalb muss eine neue Linke die Entstehung außerparlamentarischer Bewegungen aktiv unterstützen und fördern“, heißt es in der Ankündigung des gemeinsamen Kongresses von Linkspartei und Wahlalternative. In zwölf Foren (ein frauenpolitisches wurde spontan bei der Auftaktveranstaltung gebildet) diskutierten die Referenten und Referentinnen mit über 300 Teilnehmern.

Um das grundsätzliche Verhältnis von Linkspartei(en) und außerparlamentarischer Opposition ging es im Auftaktpodium mit Sabine Leidig (attac), Daniel Cirera (Europäische Linkspartei/Frankreich), Rüdiger Stoltzenberg (DGB-Hessen), Marjana Schott (Linkspartei Hessen) und Dieter Hooge (WASG Hessen). Cirera bezeichnete das Ergebnis der französischen Volksabstimmung zur EU-Verfassung als ein Beispiel für die gelungene Zusammenarbeit von politischen Organisationen und sozialen Bewegungen: „Die Dynamik des Neins war eine linke Dynamik. Es war ein Nein aus der Bevölkerung, von unten her.“ Zugleich sei auch das organisatorische Engagement politischer Kräfte eine „Bedingung des Siegs“ bei der Abstimmung gewesen. Schott und Hooge waren sich einig, dass die Linkspartei für eine erfolgreiche parlamentarische Oppositionsarbeit die Unterstützung von breiten sozialen Bewegungen benötigt. Hooge brachte dies auf die Formel „Revitalisierung der APO“. Schott unterstrich, dass es zwischen der Parteiformation und den Bewegungen mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen gebe. Dabei dürften freilich etwaige Differenzen, wie die Beurteilung der Rüstungsindustrie aus friedenspolitischer und gewerkschaftlicher Sicht, nicht verschwiegen werden: „Eine Partei nützt den Bewegungen nichts, wenn es nicht gelingt, den Dialog voranzubringen.“ Zugleich betonte sie, die Bewegungen sollten keine „übertriebenen Erwartungen“ an eine parlamentarische Kraft richten. Eine Bilanz der bisherigen Politik der Linksfraktion drei Monate nach der Wahl zogen die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke und Werner Dreibus. Gehrcke verwies auf die Ausgrenzung der Linkspartei durch die Presse. Er erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die Debatte um CIA-Flüge erst durch eine Anfrage der Linksfraktion angestoßen wurde.

Dem „Kampf gegen Massenentlassungen“ widmete sich ein Podium mit Horst Blaschko (ver.di Betriebsgruppenvorsitzender Telekom Frankfurt), Frank Jäger (Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen und Sozialhilfeinitiativen), Rainer Roth (FH Frankfurt) und Renate Bastian (Linkspartei Hessen). Insbesondere Blaschko, Bastian und Jäger verwiesen auf die Zunahme von Existenzangst bei Beschäftigten, die zur Erpressung der Belegschaften eingesetzt werde. Jäger zufolge geht diese Entwicklung einher mit der Einführung von „Mini- und Midi-jobs“, die Tendenzen zur Entstehung von „working poor“ beförderten: „Die Armut ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Roth erläuterte in seinem Beitrag im wesentlichen Forderungen des von ihm als einem Erstunterzeichner mitgetragenen „Frankfurter Appells gegen Sozial- und Lohnabbau“ – so die Einführung eines „Mindestlohns, der zum Leben reicht“, eines „Mindesteinkommens für Erwerbslose ohne Bedürftigkeitsprüfung“, einer „Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich“ und die „Rücknahme der Gewinnsteuersenkungen“.

Das Diskussionsforum „Jugend ohne Chance“ beschäftigte sich mit dem Mangel an Ausbildungsplätzen ebenso wie mit der aktuellen Entwicklung an den Hochschulen, die vor allem durch den Bologna-Prozess und die Umgestaltung der Lehrerausbildung gekennzeichnet ist. Darüber hinaus kam die verbreitete Einführung von Studiengebühren zur Sprache, die nach der Stärkung der Länderkompetenz im Bildungsbereich bereits in mehreren Ländern beschlossen wurde, wie Katharina Volk (Demokratischen Linke, Uni Gießen) betonte. In der Diskussion spielte vor allem die Frage eine Rolle, wie eine neue Linke ihren Einfluss auf die Jugend erweitern kann. Kolja Möller (Mitglied im DGB Landesjugendvorstand) nannte als Aufgaben der Linken, sich stärker als Träger einer alternativen politischen Kultur in der Öffentlichkeit einzubringen, Fragen der internationalen Gerechtigkeit, der Ökologie und des Feminismus anzusprechen, spezielle Angebote für jugendliche Zielgruppen zu machen und zur Vernetzung verschiedener Jugendstrukturen und unterschiedlicher Perspektiven beizutragen. Auch die Notwendigkeit einer eigenständigen Bildungspolitik der Linkspartei wurde betont.

Das Forum „Kommunen in der Klemme“ befasste sich mit den Möglichkeiten linker Politik auf kommunaler Ebene unter den Bedingungen leerer Kassen. Die drei Referenten – Heiner Halberstadt, Frankfurt/Main, Hartmut Bohrer, Wiesbaden und Christian Knoche, Landkreis Kassel – sind Abgeordnete in Stadtparlamenten, bzw. im Kreistag und brachten daher praktische Erfahrungen ein. Heiner Halberstadt formulierte zunächst das Problem, dass der „Finanzstandort“ Frankfurt/Main die Stadtteile zunehmend vernachlässige. Unter dem Vorwand, sparen zu müssen, würden soziale, kulturelle und demokratische Rechte der Bürger abgebaut. Städtische Einrichtungen würden zugunsten privater Betriebe abgeschafft und damit der öffentlichen Kontrolle entzogen. In der Diskussion standen die praktischen Erfahrungen in Kommunalparlamenten und Ortsbeiräten im Vordergrund. Dabei wurde deutlich, welch großer Diskussionsbedarf über die konkrete Arbeit auf kommunaler Ebene besteht. Die Linke wird nicht umhin kommen, besonders zu Fragen der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen kommunalpolitische Alternativen zu formulieren.

In einem Forum mit Frank Deppe (Politikwissenschaftler, Marburg) Hans Kroha (ver.di Hessen) und Jens Becker (Politikwissenschaftler, Frankfurt) wurde die Politik des Sozialabbaus im Kontext der globalen Veränderungen des Kapitalismus analysiert. Weitere Podien behandelten Fragen der Friedensbewegung, der Globalisierungskritik und der Migration. Das Abschlusspodium mit Stefan Körzell (DGB-Vorsitzender Hessen), Frank Segbers (Bündnis soziale Gerechtigkeit in Hessen), Klaus Hanschur (Peronalratsvorsitzender des Uni-Klinikums Gießen und Marburg), Janine Wissler (WASG-Hessen) und Ulrich Wilken (Linkspartei Hessen) widmete sich konkreten „Perspektiven für die außerparlamentarische Bewegung in Hessen“. Im Zentrum der Diskussion standen dabei insbesondere die Proteste gegen die Privatisierung der Univeritätsklinika in Gießen und Marburg. Das offene und produktive Diskussionsklima der Tagung unterstreicht die von Wolfgang Gehrcke formulierte Forderung nach einer Wiederholung „in möglichst allen Bundesländern.“