Mit 1850 Teilnehmern/innen – und damit einem neuen Besucherrekord – fand zum elften Mal die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt unter dem Titel „Mit dem Sozialismus rechnen“ in der Humboldt-Universität statt. So ging es in den Referaten auch vor allem um die Perspektive eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“.
In seinem einleitenden Vortrag forderte Heinz Dieterich, Professor an der Autonomen Universität Mexiko-Stadt, eine neue Zivilisation als Voraussetzung eines Endes der Marktökonomie. Für diese sozialistische Gesellschaft sei wesentlich, dass sich ihre Mitglieder mittels Partizipation an Entscheidungsprozessen mit ihr identifizierten. In den ehemals sozialistischen Ökonomien habe stattdessen nur eine „Fiktion des Volkseigentums“ bestanden, in dem die Produzenten ihr Produkt nicht besessen hätten und damit auch nicht bereit gewesen wären, es zu verteidigen. Der realexistierende Sozialismus sei im Grunde ein utopischer Sozialismus gewesen, da die objektiven Bedingungen zur Realisierung einer wirklich partizipativen Gesellschaft noch nicht gegeben waren. Stattdessen, so Dieterich, habe die bürgerliche Ökonomie erst in den letzten Jahren die materiellen Voraussetzungen geschaffen, um eine wirkliche Beteiligung aller Bürger/innen zu gewährleisten.
Paul Cockshott, Mitarbeiter der Abteilung Computerwissenschaften der Universität Glasgow, ging in seinem Vortrag auf die neuen Möglichkeiten einer Planwirtschaft mit heutigen Computertechnologien ein. Als wesentliches Problem einer sozialistischen Ökonomie beschrieb Cockshott die mangelnde Preissteuerung bei Produktionsentscheidungen. Diese könne heute – analog zur Marx'schen Arbeitswerttheorie – durch eine Berechnung der in einem Produkt enthaltenen gesellschaftlichen Arbeitzeit ausgeglichen werden. Was bisher wegen seiner Komplexität als undurchführbar galt, sei nun durch neue mathematische Verfahren und der extremen Leistungssteigerung von Computern realisierbar. Wegen der extrem kurzen Rechenzeit könnte auch weit schneller und flexibler auf veränderte Produktionsanforderungen reagiert werden, als dies in einer Ökonomie mittels eines Marktes möglich wäre, so Cockshott. Der bereits weit verbreitete Einsatz von Computern in Produktion und Verwaltung sowie deren Vernetzung könnten dafür die Grundlage liefern.
Im Gegensatz zu seinen Vorrednern forderte Hans Heinz Holz in seinem Beitrag, dass bei der Konzeption eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts auch weiterhin die Eigentumsfrage in den Vordergrund gestellt werden müsse. Die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln verstand er als revolutionären Prozess, der die Vorbedingung für eine wirkliche Demokratisierung und eine gerechte Verteilung sei. So könnten auch die Möglichkeiten der Computer- und Kommunikationstechnik erst auf eben dieser Grundlage wirklich erschöpfend für gesellschaftliche Planungs- und Verwaltungsaufgaben genutzt werden. Weiter betonte Holz, dass ein Entwurf einer sozialistischen Gesellschaft heute nicht möglich sei. Die konkrete Ausgestaltung ergebe sich aus der Bewegung der geschichtlichen Abläufe und vor allem aus den konkreten nationalen und historischen Bedingungen.
Die Frage der Eigentumsverhältnisse stand beim Vortrag von Eugenio Suárez Pérez weniger Vordergrund. Der kubanische Vertreter hob vielmehr die Notwendigkeit eines gemeinschaftlichen Handelns aller progressiven Kräfte beim Kampf gegen einen sich weltweit zunehmend aggressiver gebärdenden Neoliberalismus unter der Ägide der Bush-Regierung hervor; eines Neoliberalismus, der nach Pérez nicht nur in den Staaten der „Dritten Welt“ wütet und besonders in Lateinamerika gewütet hat, sondern auch in den Industriestaaten zunehmend Armut und Ungleichheiten hervorruft. Hoffnung für seinen Kontinent und auch für sein seit 1959 von den USA in einem nicht erklärten Krieg bedrohtes Heimatland schöpft er vor allem aus der Entwicklung und dem Anwachsen der sozialen Bewegungen weltweit und den Regierungsübernahmen linker und sozialistischer Politiker in Ländern wie Bolivien, Uruguay oder Venezuela.
Die wohl am besten besuchte und mit großer Spannung erwartete Rede hielt der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag Oskar Lafontaine. Die zentralen Inhalte seines Vortrages bestanden zum einen in einer Analyse der herrschenden neoliberalen Politik und Kultur und zum anderen im Aufzeigen von Chancen und Risiken für die neue Linkspartei bzw. für ein neues linkes Projekt. In diesem Kontext betonte er die Notwendigkeit der Schaffung einer positiven Utopie, die Untrennbarkeit von Demokratie und Sozialismus, aber auch die drohende Unglaubwürdigkeit bei einer Regierungsbeteiligung, in deren Rahmen öffentliche Dienstleistungen privatisiert werden. Zu Recht bemerkte die Moderation dazu an, dass Lafontaine damit die rot-rote Senatsregierung Berlins kritisiert hatte.
In der anschließenden Podiumsdiskussion waren vor allem Oskar Lafontaines Äußerungen über den Spielraum linker Politikgestaltung sowie die Verbindung von Macht- und Eigentumsfrage zentrales Thema. Angela Klein vom Sozialforum Deutschland sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, nicht bei der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer stehen zu bleiben, sondern weiterreichende Forderungen zu stellen, die jedoch nicht auf den nationalen Rahmen beschränkt bleiben dürften. Ähnlich äußerte sich Heinz Dieterich; er betonte die Notwendigkeit über den defensiven und europastaatlich begrenzten Charakter der Forderungen von Lafontaine hinauszugehen und eine „globalstaatliche Regierung“ einzufordern, die neben den Interessen der Industrie- auch die der Entwicklungsstaaten verteidigt. Hans Heinz Holz schließlich warf die Frage auf, ob denn durch administrative Maßnahmen die Struktur unseres heutigen Regierungssystems verändert werden kann, oder ob dazu vielmehr nicht die Einbeziehung der „revolutionierenden Macht außerparlamentarischer Bewegungen“ nötig sei, um die auf den Eigentumsverhältnissen beruhende Machtstruktur zu ändern.
Parallel zu den Vorträgen fand eine spezielle Jugendrunde statt. Nele Hirsch (MdB, Die Linke.), Marco Heinig (solid), Sebastian Große Ausber (SDAJ), Daniel Wucherpfennig (DGB-Jugend)diskutierten die jugendpolitischen Auswirkungen der Großen Koalition und Perspektiven des Widerstandes. Zunächst wurde auf den Spaltungscharakter der „Neoliberalisierung der Bildung“ hingewiesen. Insbesondere an den Hochschulen, so Nele Hirsch, habe sich die Konkurrenzlogik bereits durchsetzen können und erschwere somit den Widerstand und die Solidarität unter den Studierenden. Hirsch kritisierte des Weiteren die Überbetonung der Parlamentsarbeit in ihrer Partei und betonte stattdessen die Notwendigkeit strategischer Allianzen mit den außerparlamentarischen Bewegungen. Ein Beispiel für so eine Allianz könnte das Ausbildungsbündnis sein, das in Berlin durch die IG BAU und die SDAJ initiiert wurde und unter Einbeziehung weiterer Jugendorganisationen bundesweit umgesetzt werden soll. So könnten, wie Wucherpfennig ausführte, entsprechende Anfragen und Anhörungen der Linksfraktion „auf der Strasse“ begleitet und der Druck erhöht werden. Während Heinig den „Bruch mit dem Arbeitsfetisch“ und „alten Formen“ des Widerstandes forderte, betonte Große Ausber die Notwendigkeit, die Frage der Umlagefinanzierung und Qualität der Ausbildung mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zu verbinden. Ata wiederum unterstrich die Herausforderung für die Linke, sich künftig bei spontanen Bewegungen, wie den Hartz-IV-Demonstrationen an die Spitze zu stellen, um zu versuchen „diese Leute mitzunehmen“. Dafür sei es nötig, an den Widerstandsformen anzuknüpfen, die sich konkret aus der Bewegung ergeben. Alles in Allem zeichnete sich die Konferenz dadurch aus, ein breites Spektrum der Linken zusammenzubringen, Unterschiede zu benennen, aber auch zu zeigen, wo unmittelbar Einigkeit besteht. Fraglich bleibt jedoch weiterhin, ob die strategische Relevanz der Eigentumsfrage in den Überlegungen weiter Teile der Linken ausreichend berücksichtig wird.