Die sozialen Ungleichheiten sind allgegenwärtig und das Gefühl von Unsicherheit ist realitätsprägend geworden (vgl. Castel 2005). So kommt es auch in den Sozialwissenschaften (nach einer Phase der Abwendung von den sozialen Strukturierungsfragen) zu einem verstärkten Interesse an diesem Thema. Worte wie „Ausgrenzung“ und „Exklusion“ prägen diese Debatte. Der neue Realitätssinn wird jedoch gleichzeitig an die Behauptung gekoppelt, dass die Ungleichheiten nicht mehr aus den alten Klassenwidersprüchen zu erklären seien. Eher paradox scheint somit die Entstehung einer neuen „Klasse“ zu sein, die ebenfalls den aktuellen Diskurs um die soziale Ungleichheit kennzeichnet: die Unterklasse (Koch 1999: 35).
Da es – entgegen der vorherrschenden Meinung – plausible Gründe für die Annahme gibt, dass die sozialen Ungleichheiten nicht ohne den Klassenwiderspruch von Kapital und Arbeit erklärt werden können, sie funktional darauf bezogen sind, soll die Unterklasse-Diskussion mit Fragegestellungen konfrontiert werden, die vom Projekt Klassenanalyse@BRD im Rahmen der Marx-Engels-Stiftung formuliert wurden (vgl. Lieberam u.a. 2003).
Das Konzept der „underclass“
Die „Unterklasse“ ist ein Konzept sozialer Ausgrenzung bzw. Spaltung. William J. Wilsons Studie The Truly Disadvantaged von 1987 eröffnete die Debatte, die von diesem Begriff geprägt ist.[1]
Das wissenschaftliche Interesse entwickelte sich angesichts objektiver Problemkonstellationen: Als es in den 1970er und 80er Jahren in einigen Städten im Nordosten und mittleren Westen der USA zu einem Rückgang der Arbeitsplätze für an- und ungelernte Arbeitskräfte in der Industrie kam, war dies verbunden mit einem Anstieg der Minderheitenpopulation in diesen Städten. So waren es vor allem junge Schwarze, die von der Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Niedrigqualifikationssektor des Arbeitsmarktes betroffen waren. Wilson stellte in diesem Zusammenhang eine Ausbreitung und vor allem räumliche Konzentration von Armut in bestimmten Stadtvierteln fest sowie eine soziale Verdichtung der Armut, die das Problem zuspitzte (vgl. Kronauer 1998: 23). Das Besondere an seiner Arbeit ist, dass er, im Gegensatz zu konservativen Theoretikern[2] den ökonomisch-strukturellen Wandel des Übergangs von einer Güter produzierenden Industrie zu einer Dienstleistungs- und Informationsindustrie, die u.a. höher qualifizierte Arbeitskräfte erfordert, als Ursache für die Entstehung einer „underclass“ ausmacht (vgl. Gebhardt 1995: 53ff). Neben der Abwanderung produzierenden Gewerbes aus den Innenstädten habe überdies die Abwanderung der wohlhabenden Schwarzen aus den Ghettos – ermöglicht durch die Aufhebung der Mobilitätsbarrieren im Rahmen der Gleichstellungspolitik der 60er Jahre – zu einer räumlichen Konzentration der armen Schwarzen und damit zu einer Ausdifferenzierung der Klassenstruktur unter der afro-amerikanischen Bevölkerung geführt. Die Entstehung und Migration einer schwarzen Mittelklasse und damit der Verlust von wichtigen Institutionen des sozialen Lebens habe zu einer Verschärfung der sozialen Isolation geführt, womit die Ghettos zu einem „Ort der underclass“ geworden seien (vgl. Bremer/Gestring 1997: 57f). Dass Wilson hierbei den Faktor der rassistischen Diskriminierung weitestgehend ausblendet und die soziale Isolation einzig aus dem Abzug der Mittelklasse erklärt, wurde vielfach kritisiert und seine These teilweise widerlegt bzw. relativiert (vgl. Bremer/Gestring 1997: 59f, Gebhardt 1995: 53f).
Während bei Wilson die Verbindung von ökonomischer Marginalität und sozialer Isolation die Kriterien einer „underclass“ sind, haben in den 90er Jahren Devine und Wright sein Konzept weiterentwickelt. Ihnen zufolge gibt es vier Dimensionen der „underclass“: eine ökonomische, eine sozialpsychologische, eine Verhaltens- und eine räumliche bzw. ökologische Dimension. Alle vier Dimensionen müssten gleichzeitig auftreten, um von einer „underclass“ reden zu können (vgl. Devine/Wright 1993: 88f).
Merkmale für eine Unterklasse in der BRD
Zwar ist die europäische Diskussion eher mit dem Begriff der sozialen Ausgrenzung bzw. Exklusion (vgl. Kronauer 2002) verbunden, doch sie beschäftigt sich im Grunde genommen mit denselben Phänomen wie das Konzept der „underclass“: Beide begreifen die Umbrüche in der Erwerbsarbeit und ihre Folgen als Kern eines neuen Ausgrenzungsproblems[3]. Bremer und Gestring diskutieren vier Kriterien, die eine Unterklasse von anderen sozialen Schichten klar trennen sollen (vgl. im Folgenden Bremer/Gestring 1997: 63-65):
Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt: Dauerhafte Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt führt zu Armut und Abhängigkeit von Sozialtransfers und folglich zum Verlust der Möglichkeit, sich selbst, und abhängige Haushaltsmitglieder zu versorgen.
Räumliche Ausgrenzung durch Segregation: Deregulierung des Wohnungsmarktes schlägt auf die Wohnsituation der vom Arbeitsmarkt Ausgegrenzten durch und führt langfristig zu einer räumlichen Separierung, die eine neue Qualität sozialer Isolation ausmacht.
Kumulation von Benachteiligungen: Durch die räumliche Isolation kommt es zu einer Unterversorgung vor allem im Bereich der sozialen Infrastruktur (z.B. Bildungseinrichtungen), in Folge dessen verschlechtert sich die Chance auf eine Wiedereingliederung, bzw. mangels verwertbarer Qualifikationen bei Jugendlichen überhaupt auf einen Zugang zum Arbeitsmarkt.
Individuelle Reproduktion der Ausgrenzung: Durch wiederholte negative Erfahrungen kommt es bei den „Entmutigten“ zu einer Akzeptanz der gesellschaftlichen Randständigkeit, zu Hoffnungslosigkeit und Resignation. Dies kann bis hin zu einer Ablehnung von Normen und Werten des Mainstreams und abweichendem Verhalten (z.B. Kriminalität) führen.
Treten alle diese Kriterien gemeinsam auf, kann von einer neuen Dimension sozialer Spaltung, von einer Unterklasse gesprochen werden.
MigrantInnen und Langzeiterwerbslose: Gesichter einer „neuen Unterklasse“?
Bremer und Gestring vermuten, dass in Deutschland vor allem die ausländische Wohnbevölkerung die Herausbildung einer Unterklasse zeigen müsste und untersuchen ihre These anhand ihrer definierten Kriterien am Beispiel der so genannten „Gastarbeiter“ und ihrer Nachfolgegenerationen unter Bezugnahme auf verschiedene empirische Studien (vgl. ebd.: 65-73). Im Ergebnis können sie die meisten Kriterien als erfüllt betrachten (vgl. aktuell: BMGS 2005: 157ff), jedoch nicht in einem zentralen Punkt: Zwar führt die Lebenssituation in Armenvierteln im Allgemeinen zu einer die Ausgrenzung reproduzierenden Kultur, dies trifft jedoch nicht auf den ausländischen Bevölkerungsteil in diesen Stadtteilen zu. Im Gegenteil: Während die deutschen BewohnerInnen eher als sozial isoliert beschrieben werden können, erhalten sich MigrantInnen ihre sozialen Netzwerke – wenn auch meist auf die eigene Herkunftsgruppe beschränkt –, die in diesen Vierteln ein stabilisierendes Moment darstellen (Bremer/Gestring 1997: 71f).
Auch Langzeiterwerbslose gelten als eine ausgegrenzte Gruppe, die sich zu einer Unterklasse entwickeln könnte (vgl. z.B. Kronauer 1997: 31). Berthold Vogel hat auf Grundlage qualitativer Interviews diese Gruppe von „Überzähligen“ und „Überflüssigen“ untersucht (vgl. Vogel 2004). Wenn sie auch keine homogene Gruppe bilden (vgl. ebd.: 13), lassen sich jedoch Untergruppen unterscheiden, die Merkmale von Unterklasse-Kriterien aufweisen (vgl. im Folgenden ebd.: 13-16):
ArbeiterInnen, die in Folge des gesamtwirtschaftlichen Strukturwandels erwerbslos geworden sind: Sie verfügen meist über spezielle Qualifikationen, die nicht mehr nachgefragt werden. Da sie ihren Arbeitsplatz stets als Mittelpunkt ihres Lebens wahrgenommen haben, gehen ihnen mit ihrer Erwerbslosigkeit zentrale Halte- und Orientierungspunkte verloren, was zu sozialer Isolierung führt. Ihre eigene Lage empfinden sie als perspektivlos. Sie fühlen sich ausgegrenzt und resignieren.
Deklassierte FacharbeiterInnen und Angestellte aus unterschiedlichen Branchen: In ihren „besten Jahren“ erwerbslos geworden, haben sie seither eine Abwärtsspirale fortlaufender Deklassierung (Kurzfristjobs, Leiharbeit, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) hinter sich gebracht. Unter ihrer unstetigen Erwerbsbiografie haben ihre sozialen Kontakte gelitten, so dass auch hier soziale Isolation die Konsequenz ist. Aus ihrer Hoffnungslosigkeit und Verzweifelung entwickeln sich Ressentiments gegenüber anderen Erwerbslosen (vgl. dazu auch Castel 2005: 67-74).
Erwerbslose, die stets GrenzgängerInnen zwischen Erwerbsarbeit und Erwerbslosigkeit waren: Diese Gruppe unterscheidet sich vor allem dadurch von den anderen, dass sie nie die Erfahrung einer stabilen Beschäftigung gemacht hat. Gerade deswegen haben sie gelernt, sich mit ihrer Situation zu arrangieren und sind auch nicht von sozialer Isolation betroffen. Sie haben weder resigniert, noch schämen sie sich für ihre Randständigkeit.
Jugendliche, die niemals einen Zugang zum Arbeitsmarkt gefunden haben: Sie sind die zentrale Zielgruppe der „aktiven“ Arbeitsmarktpolitik. Diese wird von ihnen zwiespältig wahrgenommen: Als sinnloser Zeitvertreib und Disziplinierung einerseits, aber andererseits auch als Brücke in die Erwerbsarbeit. Zwar empfinden sie ihre Situation auf Grund ihres geringen Alters nicht als komplett aussichtslos, doch schätzen sie ihre Chancen auf eine wirkliche Etablierung im Erwerbssystem sehr pessimistisch ein. Obwohl teilweise noch sozial eingebunden (z.B. in familiäre Netzwerke), fühlen sie sich gegenüber ihren Altersgenossen unterlegen und „sozial abgehängt“.
Auch wenn diese Befunde keine Aussagen über wichtige Kriterien einer Unterklasse (Kulmination von Benachteiligungen und vor allem die Wohnsituation) zulassen, so können sie belegen, dass auch in Deutschland Ausgrenzung am Arbeitsmarkt oftmals – wenn auch nicht zwingend bei allen Betroffenengruppen – soziale Isolation erzeugt. Mit dem Vorhandensein des Gefühls der Resignation und der Akzeptanz der Randständigkeit sind auch Ansätze der individuellen Reproduktion der Ausgrenzung vorhanden, die zumindest langfristig „das normative Fundament der bürgerlichen Gesellschaft“ beschädigen können, denn die verinnerlichten Disziplinierungsmuster verlieren durch die Arbeitslosigkeit einen Teil ihrer Prägekraft (vgl. Seppmann 2003: 27f). Gerade durch den Widerspruch der Anerkennung von Leistungs- und Arbeitsorientierung auf der einen und der Unmöglichkeit ihrer Realisierung auf der anderen Seite, kommt es zu einer „zunehmenden Gleichgültigkeit gegenüber den herrschenden Wertpräferenzen“ (ebd.).
Langfristig sei die Herausbildung einer Unterklasse aus Unqualifizierten, älteren Arbeitslosen, Dauerarbeitslosen und ausgegrenzten MigrantInnen nicht ausgeschlossen (Bremer/Gestring 1997: 73f). Allerdings sind die konkreten Formen und die Bedeutung der Ausgrenzungsdimensionen von Land zu Land doch stark verschieden (Kronauer 1997: 43). Von daher ist zumindest momentan davon abzusehen, in der BRD so etwas wie eine Unterklasse als Äquivalent zur US-„underclass“ auszumachen.[4]
Lumpenproletariat reloaded?
In der Diskussion um die Entstehung einer Unterklasse in der BRD wird oft auf das Konzept des Lumpenproletariats bei Marx und Engels hingewiesen, sowohl um Analogien zu benennen, als auch um Unterschiede zu betonen (vgl. z.B. Herkommer 1996: 79, Diettrich 1999: 148f, Koch 1999: 45, Lieberam u.a. 2003: 66). Besonders die Tendenz zur Anomie, die sich aus der sozialen Randständigkeit des Lumpenproletariats ergibt (vgl. MEW 23: 673, MEW 7: 28) scheint eine Parallele zur Unterklasse zu sein. Die populärste Beschreibung des Lumpenproletariats ist sicherlich die im Kommunistischen Manifest: „Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebensweise nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.“ (MEW 4: 472)
Sebastian Herkommer (1996: 84) betont in seinem Aufsatz, dass die Unterklasse schon allein deswegen nicht mit dem Lumpenproletariat verglichen werden kann, weil Letzteres das Produkt einer vergangen Gesellschaft (Feudalismus) war, wohingegen die neuen „Überzähligen“, wie wir gesehen haben, Produkt des Strukturwandels der aktuellen kapitalistischen Klassengesellschaft sind (vgl. Cowling 2003: 134). Somit handelt es sich bei dem Lumpenproletariat um freigesetzte Kleinbürger, während sich die Unterklasse aus vom Produktionsprozess ausgeschlossenen ArbeiterInnen rekrutiert. Wir haben es also mit einem völlig anderen Phänomen zu tun.
Ein weiterer Punkt, in dem sich das Lumpenproletariat von der Unterklasse zu unterscheiden scheint, ist seine Stellung zur Arbeiterklasse. Während gemeinhin davon ausgegangen wird, dass die „Lumpen“ nicht zur Arbeiterklasse gehören (vgl. Lieberam u.a. 2003: 64, Krätke 1994: 449), lässt sich dieses zumindest für die Unterklasse so einfach nicht behaupten. So merkt Kronauer (1997: 39) an, dass auch prekär Beschäftigte – wenn weitere Dimensionen der Ausgrenzung hinzukommen – zu den Ausgegrenzten gehören können. Seppmann (2005b: 792) stellt klar, dass sie, ob ausgegrenzt oder „nur“ marginalisiert, dennoch eine „Reservearmee“ bilden und bezüglich ihrer objektiven Stellung zu den Produktionsmitteln der Arbeiterklasse zuzurechnen sind.[5]
Somit scheint mir ein Vergleich mit dem, was bei Marx der Pauperismus, „der tiefste Niederschlag der relativen Überbevölkerung“ genannt wird (MEW 23: 673f), treffender zu sein. Er unterscheidet neben ausgeschlossenen Arbeitsfähigen bzw. -willigen und armen bzw. verwaisten Kindern eine dritte Gruppe, die er allesamt zum „Invalidenhaus der aktiven Arbeiterarmee“ zählt: „Es sind namentlich Individuen, die an ihrer durch die Teilung der Arbeit verursachten Unbeweglichkeit untergehen, solche, die über das Normalalter eines Arbeiters hinausleben, endlich die Opfer der Industrie, deren Zahl mit gefährlicher Maschinerie, Bergwerksbau, chemischen Fabriken etc. wächst ...“ (ebd.) So gesehen könnte es sich bei den Ausgegrenzten einer neuen Unterklasse viel mehr um das „tote Gewicht der industriellen Reservearmee“ (ebd.) des entwickelten Kapitalismus unserer Zeit handeln. Robert Castels Beschreibung der „Überzähligen“ klingt wie ein zeitgemäßes „update“ der Beschreibung von Marx: „... sie sind nicht an den Stromkreis des produktiven Austauschs angeschlossen, sie haben den Zug der Modernisierung verpaßt und bleiben mit ganz wenig Gepäck am Bahnsteig zurück.“ (Castel 2000: 359)
Gebrauchswert für die marxistische Klassenanalyse
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Konstrukte „Unterklasse“ und „Lumpenproletariat“ ist ihre empirische Schwäche und theoretische Uneindeutigkeit (vgl. zur Unterklasse: Klein u.a. 2005: 52ff, Young 2005, Konietzka/Sopp 2004, Koch 1999: 40). Detaillierte Beschreibungen des Lumpenproletariats bei Marx, etwa in Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (vgl. MEW 8: 161f), legen die Vermutung nahe, es handle sich hierbei mehr um einen „nebulösen Sozialcharakter“ als um ein seriöses Element einer Klassenanalyse. Es gibt daher gute Gründe, diesen Begriff nicht mehr zu verwenden (vgl. Getzschmann 2002: 74, Cowling 2003: 135f). Ferner spreche gegen die Verwendung des Begriffs, dass er lediglich dazu diene, Teile des Proletariats auszuschließen und zu denunzieren, die versagt haben, sich revolutionär zu verhalten, z.B. die Teile des Proletariats, die Bonaparte unterstützen, wie im 18. Brumaire beschrieben (Cowling 2003: 133ff, Getzschmann 2002). Äußerungen von Engels untermauern die politische Funktion[6] des Begriffs: „Jeder Arbeiterführer, der die Lumpen als Garde verwendet oder sich auf sie stützt, beweißt sich schon dadurch als Verräter an der Bewegung.“ (MEW 7: 536)[7]
Auch hier gibt es eine Parallele zur Unterklasse: Nicht nur in den USA ist der „underclass“-Begriff oftmals von Konservativen dazu benutzt worden, die Betroffenen zu stigmatisieren und reaktionäre Maßnamen in der Sozialpolitik durchzusetzen[8] (vgl. Gebhardt 1995: 50-52, Cowling 2003: 137-144, Bremer/Gestring 1997: 56f). Folgerichtig hält Cowling (2003: 144) beide Konzepte als Bestandteile der Klassenanalyse für ungeeignet.
Herkommer (1996: 84) betont ausdrücklich, dass die Unterklasse bzw. die „underclass“ keinesfalls eine Klasse im klassischen marxistischen (und weberschen) Sinne ist, da sie „weder unmittelbar durch das Kapitalverhältnis als ‚abstrakte Klasse’ zu bestimmen“ ist, „noch ist sie eine ‚soziale Klasse’ nach den Kriterien gemeinsamer objektiver Merkmale und einer gemeinsamer typischen Art der Lebensführung bzw. Mentalität“. Gleiches kann wohl auch über die „Lumpen“ gesagt werden.
Das alles soll nicht heißen, dass die mit dem Konzept der Unterklasse oder Exklusion beschriebenen Phänomene keine Relevanz für MarxistInnen hätten. Die Zunahme der prekären Beschäftigung einerseits und der (Dauer-)Arbeitslosigkeit andererseits sowie die Verschärfung, „Verräumlichung“ und „Verzeitlichung“ der Armut etc. resultieren aus der derzeitigen Defensive der Arbeiterklasse und verstärken diese gleichfalls. Die durchaus vorhandene neue Qualität der sozialen Spaltung und Ausgrenzung stellt immense Herausforderungen an die marxistische Klassenanalyse.
So liegt gerade die Schwäche der Unterklassen- und Exklusions-Diskussion darin, die realen Spaltungsprozesse zwar beschreiben, aber nicht wirklich ihre gesellschaftlichen Ursachen und soziale Funktionalität erklären zu können. Wenn auch der Selbstanspruch besteht, sich nicht auf die Betroffenen, sondern auf Akteure und Institutionen der Ausgrenzung zu beziehen (vgl. Kronauer 2002), bleiben die realen sozialen Kräfte, die auf die Spaltung der Arbeiterklasse orientiert sind oftmals genauso unerwähnt wie das Verhältnis von Ausgrenzung und Ausbeutung oder die Perspektiven von Gegenwehr. Durch die vorherrschende Tabuisierung konkreter Herrschaftsverhältnisse tragen diese Ansätze somit – wenn auch oft unfreiwillig – „zur sinnlosen Verlängerung sozialer Herrschaft“ bei (Bittlingmayer/Bauer/Ziegler 2005: 25, Klein u.a. 2005).
Der Klassencharakter der Spaltungsprozesse
Robert Castel beginnt in seinem Buch das Kapitel Die Überflüssigen mit der These, dass die Arbeitslosigkeit nur ein – wenn auch sehr sichtbarer – Aspekt eines „grundlegenden Wandels der Beschäftigungssituation“ sei. Ein viel bedeutenderer Aspekt dieses Wandels sei jedoch die „Prekarisierung der Arbeit“ (Castel 2000: 349). Er begründet dies wie folgt: „Wenn man aber den Akzent auf die Prekarisierung der Arbeit legt, dann werden die Prozesse besser verständlich, welche der sozialen Verwundbarkeit Nahrung geben und am Ende Arbeitslosigkeit und Abkoppelung bewirken.“ (ebd.: 350, Hervorhebung im Original).
Es ist allgemein anerkannter Diskussionsstand, dass die aktuellen sozialen Spaltungs- und Ausgrenzungsprozesse eine neue Qualität erreicht haben und die Klassenunterschiede überlagern (vgl. z.B. Dörre 2003). So werden die „Überflüssigen“ als eine „transversale Kategorie“ beschrieben, die aus allen Schichten und Berufen kommen, deren Gemeinsamkeit lediglich darin besteht, von Sozialtransfers des Staates abhängig zu sein (vgl. Bude 1998). Kronauer behauptet gar, dass diese neuen Spaltungen, neuartige Arbeitslosigkeit und Armut nicht durch das „Projekt der Emanzipation der Arbeiter“ gelöst werden könne. Stattdessen „betrifft es unmittelbar die Gesellschaft als ganze“ (Kronauer 2002: 16).
Werner Seppmann (2005a: 26) hingegen erkennt die Überlagerung der Klassenunterschiede durch die neuen Spaltungen zwar an, sieht darin jedoch eher eine Vertiefung des „Zentralkonfliktes“ zwischen Kapital und Arbeit. Denn die „Produktion der Überflüssigen“ ist der vermittelte Ausdruck des Reproduktionsprozesses des Kapitalverhältnisses. Die Ausgrenzung wird durch die kapitalistische Ausbeutungsdynamik erzeugt (ebd.). Von dieser Perspektive aus ist erst zu verstehen, wie aktuell das „Projekt der Emanzipation der Arbeiter“ wirklich ist, das natürlich schon immer die ganze Gesellschaft betraf.
So kommt es im Rahmen des Wandels der Produktions- und Informationstechnologie zu neuen Konzepten in der Unternehmensführung und Personalrekrutierung. Durch Flexibilisierung interner (Belegschaft) und externer (Auslagerung/Zulieferer) Art werden Selektions- und Ausgrenzungsprozesse unter den jeweiligen Beschäftigten gefördert. Im Ringen um die Wettbewerbsfähigkeit und als Strategien zur Steigerung der Kapitalprofitabilität werden die am wenigsten angepassten Beschäftigten dequalifiziert. Insbesondere ältere, gesundheitlich angeschlagene und gering qualifizierte Beschäftige geraten unter den Druck einer „permanenten Selektion“. Dennoch sind die in der Arbeitswelt „Überflüssigen“ für das Kapital nicht vollständig nutzlos: Ihre Existenz gereicht zur Einschüchterung und Disziplinierung der (noch) Beschäftigten (vgl. Seppmann 2005a: 17f),[9] sie „ermahnt die Arbeitenden, daß es ihnen auch schlechter gehen könnte ...“ (Seppmann 2005b: 792).
Das Kapital benötigt also alle drei Segmente (Hoch- und Niedrigqualifizierte, aber auch die Ausgegrenzten), um die Intensivierung der Ausbeutung vorantreiben zu können (Seppmann 2005a: 28, vgl. auch Castel 2000: 355, Konietzka/Sopp 2004: 39f). So ist erst zu verstehen, dass „Arbeitslosigkeit und das Prekärwerden der Beschäftigung in der gegenwärtigen Modernisierungsdynamik fest verankert sind. Sie sind die zwangsläufigen Konsequenzen aus der neuartigen Strukturierung der Beschäftigten, der Schatten, den der industrielle Umbau und der Kampf um Wettbewerbsfähigkeit auf sehr viele Menschen wirft“ (Castel 2000: 350).
Spaltung der Arbeiterklasse – neue Proletarität
Durch die kapitalistische Präformierung der Produktivkraftentwicklung hat sich die Arbeiterklasse stärker segmentiert – in besser qualifizierte, bezahlte, jedoch tendenziell weniger werdende abgesicherte Beschäftigte im „primären Arbeitsmarkt“ und prekäre, weniger qualifizierte und direkt den Beschäftigungsschwankungen ausgesetzte, tendenziell mehr werdende Beschäftigte im „sekundären“ Arbeitsmarkt (Castel 2000: 355, Seppmann 2005a: 21f) – und fragmentarisiert – in Arbeitslose, Prekäre, arbeitende Arme und ganz und gar „Überflüssige“ (Seppmann 2005a: 27).
Diese Segmentierung und Fragmentarisierung, insbesondere die Dualität von Prekären und Integrierten dient einer selektiveren Ausbeutung der Arbeitskraft. Seppmann (2005a: 21f) erklärt, dass die integrierten Kernbelegschaften einen Stabilisierungsfaktor darstellen. Durch sie werden in den qualifizierten Produktionsbereichen Kreativitätspotenziale ausgeschöpft und somit die Ausbeutung effektiver gestaltet. Das Management ist daher auch bereit, ihnen Zugeständnisse zu machen. Nur in diesen Segmenten der industriellen Produktion ist „das Paradigma des ‚Fordismus’ in Frage gestellt, werden Maschienisierung und Fließbandproduktion durch neue Produktionskonzepte abgelöst“ (ebd.: 21). Diese „postfordistischen Inseln“ schienen bis vor kurzem noch die Stabilität der Beschäftigungsverhältnisse zu garantieren. Das hat sich im Zuge der neoliberalen Umgestaltungsstrategien jedoch schlagartig verändert – auch wenn auf Grund der noch vorhandenen Restbestände gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht der Arbeitsplatzabbau „sozialverträglich“ gestaltet wird. Ob das noch lange der Fall sein wird, ist fraglich.
Anders sieht es in den unteren Etagen des hierarchisch gegliederten Industriesystems, also auf der Ebene der Zulieferer aus. Die Beschäftigten sind hier in der Regel unmittelbar den Marktschwankungen ausgesetzt: Sie werden „geheuert und gefeuert, wie es die Auftragslage gerade erfordert“ (ebd.: 22). Karl Heinz Roth (1994) hat diese Entwicklung schon vor gut einem Jahrzehnt beschrieben. Seiner Prognose wurde nachdrücklich widersprochen, jedoch ist sie durch die reale Entwicklung bestätigt worden: „Ein neues Proletariat ist im Entstehen, dem die kollektiv geregelten Normalarbeitsverhältnisse und die sozialstaatlichen Vermögenssurrogate für die Wechselfälle des Daseins zunehmend fremd werden. Es wird über den aktuellen Krisenzyklus hinaus langfristig durch die Erfahrung von Erwerbslosigkeit, von prekären Beschäftigungsverhältnissen, von ‚zweiten’ und ‚dritten’ Arbeitsmärkten und von abrupt eintretenden Armutsphasen geprägt sein.“ (Roth 1994: 41)
Seppmann betont die Bedeutung dieser neuen Proletarität bei der voranschreitenden Klassenfragmentierung: „Die Klassenlandschaft erhält zusätzliche Polarisierungsmomente innerhalb ihrer Basisbereiche: Die Arbeitskräfte werden unterschiedlichen Segmenten der Arbeitswelt mit unterschiedlichen Rechts- und Entlohnungsformen, unterschiedlichen Standards der sozialen Absicherung und Perspektiven der Beschäftigungsrealität zugeordnet.“ (Seppmann 2005a: 22)
Dieser Prekarisierungsprozess wirkt jedoch auch auf die Zentren des Indus-triebereichs zurück und durchzieht stabilisierte Beschäftigungszonen (Castel 2000: 357, Seppmann 2005a: 24). Dies geschieht nicht nur durch die bloße Präsenz prekärer Beschäftigter, die in Betrieb und Gesellschaft eine Verallgemeinerung des Gefühls der sozialen Unsicherheit bewirkt (Dörre/Fuchs 2005: 30). Durch die Erfüllung dieser Disziplinierungsfunktion wächst der Druck auf die Normalbeschäftigten auch ganz real. Es kommt zu immer mehr Zugeständnissen: Sozialgesetzliche Errungenschaften und tarifvertragliche Vereinbarungen werden immer mehr in Frage gestellt (Seppmann 2005a: 24).
Die einschneidenden Veränderungen der Klassenstrukturierung – Segmentierungs- und Fragmentarisierungsprozesse – stellen die Klassenanalyse vor neue Aufgaben:
1. Die Strukturen sozialer Ungleichheit müssen bei dem Vorhaben einer aktuellen Klassenanalyse, wie sie das Projekt der Marx-Engels-Stiftung anstrebt (vgl. Lieberam 2006), mit der Klassenspaltung in Verbindung gesetzt werden (Herkommer 2005: 61). Dazu gehört auch die Ausarbeitung einer „differenzierten Klassentheorie“ (vgl. ebd.: 69), um die eigenständige Dimension horizontaler Polarisierung und den „Verstärkereffekt“ askriptiver Merkmale (ebd.: 64) zu erfassen.
2. Schließlich muss es vor allem darum gehen, „trotz der realen Spaltungstendenzen das Verbindende zwischen den Klassensegmenten heraus[zu]arbeiten und die Möglichkeiten von organisatorischen Modellen [zu] erörtern, die eine Bewusstwerdung und Artikulation von Klasseninteressen fördern“ (Seppmann 2004: 53).
Aus den soziostrukturellen Veränderungen ergeben sich weitgehende Konsequenzen für eine klassenpolitisch orientierte Praxis. Dies wäre jedoch ein neues Thema.
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[1] Entwickelt wurde der Begriff „underclass“ allerdings bereits in den 60er Jahren von Gunnar Myrdal.
[2] So machen bspw. Oscar Lewis oder Charles Murray u.a. die Sozialpolitik oder – auf Grundlage der Rational-Choice-Theorie – das Verhalten der Armen („Kultur der Armut“) selbst für die „underclass“-Armut verantwortlich. Auch vor biologischen (rassistischen) Argumenten wird dabei nicht zurückgeschreckt (vgl. dazu Gebhardt 1995: 50-52, Bremer/Gestring 1997: 56f).
[3] Einen guten Überblick über die verschiedenen Deutungen sozialer Exklusion und eine Kritik des Ansatzes aus klassentheoretischer Perspektive bietet Young 2005.
[4] Es gibt eine ganze Menge Unterschiede zwischen der Ausgrenzung in den USA und in der BRD, die gegen eine Übernahme des „underclass“-Begriffs sprechen und auf die hier leider nicht näher eingegangen werden kann. Wichtige Faktoren dabei sind die Qualität der Armut und der räumlichen Segregation, der Charakter des Rassismus und das Verhältnis von Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung. Einen guten Überblick gibt z.B. Herkommer 2005.
[5] Auffassungen wie die von Ben Diettrich (1999: 208), der u.a. aus den Erwerbslosen eine eigenständige Klasse macht, sind deshalb mindestens in Frage zu stellen (vgl. Seppmann 2004: 47, Fußnote 38).
[6] So wurden etwa Mitglieder einiger „K-Gruppen“ in den 70ern von ihren Genossen als „lumpenproletarisiert“ ausgeschlossen, wenn sie plötzlich erwerbslos waren (vgl. Getzschmann 2002: 74).
[7] Dass, das Lumpenproletariat dazu tendiere sich reaktionär zu verhalten und Bündnisse mit der politischen Rechten eingehe, muss aus heutiger Sicht zumindest relativiert werden. So hat sich u.a. die durchaus revolutionäre – wenn auch nicht völlig widerspruchsfreie – Bewegung der Black Panthers in den USA zu einem großen Teil aus den Reihen des sog. Lumpenproletariats rekrutiert (vgl. Cowling 2003: 137).
[8] Zur Veranschaulichung so einer kulturalistisch argumentierenden Klassentheorie als Begleitung der jüngsten Arbeitsmarkt- und Sozialreformen in der BRD siehe Nolte 2004, dazu kritisch: Kessl 2005.
[9] Dabei spielen insbesondere die Konzepte der Ich-AG und Personal Service Agentur eine nicht unwesentliche Rolle (vgl. Seppmann 2003: 28-30).