Wenn eine andere Welt möglich und nötig ist, dann geht das nicht ohne ein anderes Wirtschaften und eine andere Wirtschaftspolitik. Hier sind die Linken mit neuen Ideen, Konzepten und Projekten herausgefordert, wenn sie dem hegemonialen Neoliberalismus und der ökonomischen Dauerkrise der letzten Jahrzehnte entgegentreten wollen – so der Tenor zum Auftakt eines dreitägigen internationalen Workshops der Rosa-Luxemburg-Stiftung.[1] Anliegen des Workshops sei es, wie Günter Krause von der Rosa-Luxemburg-Stiftung einleitend bemerkte, neoliberale Denkmuster aufzubrechen, andere Wirtschaftskonzepte vorzustellen und auf ihre Brauchbarkeit im praktischen Handeln zu prüfen.
Mit obigem Thema ordnete sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung in die wissenschaftlichen und wirtschaftspolitischen Diskussionen der Gegner des Neoliberalismus ein, die in einem Rückgriff auf viele Denkansätze des Ökonomen John Maynard Keynes - niedergelegt vor allem in seinem Hauptwerk „Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ (1936) - Chancen für eine andere Wirtschaftspolitik und neue Handlungsspielräume zur Gestaltung einer gerechteren Wirtschaftsordnung sehen.[2]
Keynesianische Ansätze für linke Wirtschaftspolitik
Der erste Referent, Michael Heine (Berlin), untersuchte in seinem Beitrag „Systemische Unsicherheit und keynesianische Wirtschaftspolitik“ angesichts der Krisenpotenziale der realen Welt die zentralen Kategorien gesellschaftlicher Entwicklung „historische Zeit“ und „Unsicherheit“. Sie seien bisher zur Erklärung gegenwärtiger „geldgesteuerter Ökonomien“ mit ihren gravierenden Entwicklungsbrüchen allgemein vernachlässigt worden. Keynes habe sich dieser Problematik intensiv gewidmet und es sei deshalb nicht akzeptabel, den Keynesianismus nur mit einer wirtschaftspolitischen Strategie der antizyklischen und nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik zu identifizieren. Die postkeynesianischen Modelle versuchen nun, das Problem durch exogene Setzung rationaler Erwartungen zu lösen und beziehen das Element Unsicherheit bewusst ein. Jedoch wären verlässliche Schätzungen beispielsweise zum Konjunkturablauf oder technologischen Wandel auch künftig nicht möglich, was wiederum zu wirtschaftspolitischen Fehlentscheidungen führen kann. Die Reduktion von Unsicherheit sei ein Maßstab zur Beurteilung wirtschaftspolitischer Maßnahmen und deshalb - erklärte Heine - sei die Einrichtung von „Reglements und Institutionen“ unverzichtbar, die der „Sicherheitsproduktion“ dienten, so wie es in der Vergangenheit u.a. das Bretton-Woods-System, der IWF, Weltbank, aber auch die sozialen Sicherungssysteme in den einzelnen Ländern gewesen seien. Ab Mitte der siebziger Jahre aber sei es zum Abbau dieser Sicherungssysteme gekommen, was die Krisenprozesse im Kapitalismus zweifellos verstärkt habe.
Um die kapitalistische Ökonomie zu stabilisieren, ist erstens ein Nachfrage-Keynesianismus gegenwärtig allein nicht ausreichend, wohl aber „unabdingbar notwendig“. Zur Ergänzung benötigt er adäquate Sicherheitsinstitutionen einschließlich sozialer Sicherungssysteme. Zweitens sind ordnungspolitische Reformen notwendig. Sie sollten gemäß Heine auch den Maßstab für Regierungsbeteiligungen linker Kräfte bilden. Die Konsequenzen solcher Reformen müssten präzise durchleuchtet werden: Beispielsweise dürften Privatisierungen nicht generell abgelehnt, sondern müssten nach ihrem wirtschaftlichen und sozialen Stellenwert differenziert eingeschätzt werden. Drittens müsse der Gefahr einer „Übersteuerung“ der Wirtschaft u.a. durch Planung entgegengewirkt werden. Der Umfang von Regulierungsmaßnahmen sei im Übrigen eine Frage gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. In jedem Falle sei allerdings gegen neoliberale Deregulierung und Liberalisierung anzugehen. Heine hielt eine Synthese von Marx und Keynes für sinnvoll und verwies mehrfach auf die Kompatibilität ihrer theoretischen Ableitungen.
Judith Dellheim (Berlin) stellte die Frage: „Was nützt Keynes moderner linker Wirtschaftspolitik?“ Zunächst ging sie auf den Erkenntnisgewinn durch die produktive Auseinandersetzung mit der Methodik, den Zielen und Inhalten der Forschungen von Keynes ein und hob sein Verständnis für die gesellschaftlichen Probleme seiner Zeit hervor. Daran anknüpfend forderte sie sowohl im Kampf gegen den Neoliberalismus als auch im Ringen um die sozialistische Transformation der Gesellschaft, dass man Keynes „schonungslos ausbeuten sollte“. Keynes sei aber weder die einzige noch die entscheidende theoretische Grundlage für sozialistische Wirtschaftspolitik. Ein Haupteinwand gegen Keynes sei, dass er über eine „Zivilisierung und Verbesserung des Kapitalismus“ nicht hinaus denken konnte, weil die Analyse der Produktionsverhältnisse bei ihm keine Rolle spielte. Dazu gehöre vor allem mehr Marx. Für die Einbeziehung sozialökologischer Erfordernisse in die künftige Gestaltung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses biete der Keynesianismus ebenfalls wenig Ansatzpunkte.
Sven Giegold (Verden) erläuterte in seinen Ausführungen zu „Diskussionen über die Ambivalenzen Keynesianischer Ökonomie in sozialen Bewegungen“ die Schwierigkeiten, keynesianisches Gedankengut in globalisierungs-kritischen sozialen Bewegungen zu verankern. Einer der Gründe dafür sei die Heterogenität dieser Bewegungen. Während bei Einzelfragen (z.B. Tobin-Steuer) relativ rasch Einigkeit erzielt werden könne, werde eine übergreifende Theorie nicht akzeptiert. Die globalisierungskritische Bewegung sei zu stark nach Sachfragen segmentiert, was der makroökonomischen Gesamtsicht von Keynes entgegenstehe. Keynes sei außerdem schwierig zu verstehen und die Spielarten des Keynesianismus hätten sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Zudem gebe es grundsätzliche Vorbehalte. Keynes werde auch deshalb nicht aufgegriffen, weil die Mitglieder der sozialen Bewegungen z.T. aus Richtungen kämen, die einen aus keynesianischer Sicht anzustrebenden stabilen Wachstumspfad in der Wirtschaft aus ökologischen Gründen ablehnten, wie Attac. Soziale Bewegungen, so Giegold, sehen die von Keynesianern stark betonte regulierende Rolle des Staates in der Wirtschaft und internationale Institutionen skeptisch und eher als Feld von Auseinandersetzungen. Angesichts der Schwierigkeiten, ständig zwischen Kompromiss und Akzeptanz zu balancieren, wies Giegold auf ein notwendig kritisches Nachdenken über Keynes und die Dringlichkeit gemeinsamer Positionsfindung hin.
Keynes als Leitfigur?
In einer Podiumsveranstaltung standen Josef Baum, Judith Dellheim, Miren Etxezarreta, Jörg Huffschmid und Axel Troost Rede und Antwort zu der Frage, ob ein Lord Keynes Leitfigur einer erneuerten Linken sein könne. In kurzen Statements wurde von den Teilnehmern zunächst der Gebrauchswert des Keynesianismus für die Linke geprüft und/oder infrage gestellt. Miren Etxezarreta (Barcelona) warnte davor, den Konservativen Keynes als Linken darzustellen. Zu seiner Sache habe die Verteidigung des Sozialstaates nicht gehört. Der Keynesianismus stelle das kapitalistische System nicht infrage und könne kein Ersatz für die fehlende ökonomische Theorie der Linken sein. Diese müsse über den Kapitalismus hinausweisen und alle gesellschaftlichen Probleme ansprechen. Sie müsse aufzeigen, was und wie produziert wird, welche Techniken genutzt werden, wie das Nachhaltigkeitsproblem gelöst wird und vor allem, dass nicht alles den privaten Interessen untergeordnet werden könne. Man müsse deshalb genau wissen, was man von Keynes nutzen könne – wie auch von anderen Theoretikern wie Ricardo, Schumpeter sowie von Marx. Der Österreicher Josef Baum (Purkersdorf) sinnierte darüber, was verloren wäre, wenn man Keynes nicht hätte, denn vieles könne man auch woanders finden. Er verwies auf die Austro-Marxisten, die Ökonomen der III. Internationale, auf Schumpeter und die Austro-Keynesianer unter Kreisky. Wichtig war seine Feststellung, linke Theoretiker hätten Jahrzehnte lang Exegese betrieben und nicht systematisch an einer eigenen Theorie gearbeitet. Zudem bemängelte er nicht nur den Rückgriff auf bürgerliche Theorien, sondern vor allem das Ergebnis keynesianischer Reformpolitik, die letztendlich der Stabilisierung des Systems diene.
Im Widerspruch dazu wies Jörg Huffschmid der Theorie von Keynes eine viel größere Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus zu, wenn einige „essentials“ beachtet würden. Man dürfe nicht auf den Markt vertrauen. Arbeitslosigkeit sollte durch Nachfragepolitik reduziert werden. Vor allem aber müsse die Instabilität erzeugende dominierende Rolle der Finanzmärkte einer politischen Kontrolle unterworfen werden. Den verheerenden Folgen der internationalen Konkurrenz sei durch eine internationale Kooperation der Wirtschafts- und Währungssysteme als Gegengewicht zu begegnen. Zur Überwindung langfristiger Stagnationstendenzen könnte der öffentliche Sektor eine größere Rolle in der staatlichen Intervention übernehmen. Das reiche als Alternative zwar nicht aus, könne aber für eine demokratische Wirtschaftspolitik und für eine solidarische Weltwirtschaft von Nutzen sein. Keynes sei auch deshalb von links aufzunehmen, damit er nicht von rechts vereinnahmt werde. Außerdem weise Keynes mit seiner Fähigkeit, prognostisch zu denken, gegenüber anderen Ökonomen wie z.B. Schumpeter einen analytischen Vorteil auf.
Axel Troost (MdB) hob das makroökonomische Herangehen des Keynesianismus als Fortschritt gegenüber dem betriebswirtschaftlichen Denken des Neoliberalismus hervor, welches auch in den Köpfen von Linken zu finden sei. Makroökonomische Gesamtsicht sei unverzichtbar für den alternativen Entwicklungstyp - ergänzt um die Fragen der sozialen Sicherheit, der Verteilungsgerechtigkeit, der ökologischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftsdemokratie sowie der Geschlechterproblematik. Das sei nicht mehr einfach Keynes sondern „Keynes Plus“.
Übereinstimmung herrschte unter den Teilnehmern des Podiumsgespräches über die Existenz eines akuten Theoriedefizits in der linken Ökonomie. Ob Keynes dabei wirklich nützlich ist, wurde hingegen kontrovers beurteilt. Als Stichworte kann man hier nur nennen: die Notwendigkeit, über Keynes hinausgehende wirtschaftspolitische Stränge zu betonen wie Sozialplanung und Verteilungsfragen im Interesse der Menschen, Strukturreformen sowie Fragen der politischen Macht. Eine Nachfragepolitik keynesianischer Prägung müsste unbedingt ergänzt werden um ökologische Aspekte. Vor allem aber sei eine Logik des Widerstandes gegen die Logik des Kapitals zu entwickeln, seien Konzepte und Alternativen publik zu machen und Mehrheiten für eine andere Wirtschaftspolitik zu gewinnen.
Keynes mit Blick auf Europa
Dieser Themenkomplex befasste sich mit keynesianischer Finanzpolitik und seinen Reflexionen auf der europäischen Ebene sowie mit der Europatauglichkeit des Keynesianismus. Arne Heise (Hamburg) ging in seinem Beitrag „Zwischen Intervention und Nachhaltigkeit“ von zwei Erstaunlichkeiten aus: erstens von der Einmütigkeit bei der Ausrichtung der neoliberalen Finanzpolitik der EU-Länder auf die Konsolidierung öffentlicher Haushalte und zweitens von der Tatsache, dass die Bedeutung der Finanzpolitik in der neueren postkeynesianischen Theorie weitgehend zugunsten einer geldpolitischen Steuerung der Wirtschaft in den Hintergrund getreten ist. Es gebe zudem den Postkeynesianismus als einheitliches wissenschaftliches Paradigma eigentlich nicht, aber alle seine Strömungen seien sich bei der Ablehnung der neoklassischen Allgemeinen Gleichgewichtstheorie von Walras einig. Das postkeynesianische Paradigma beruhe auf der Vorstellung einer Markthierarchie, an deren Spitze der Kredit- bzw. der Vermögensmarkt stehe, deren Entscheidungen alle anderen Märkte nachgeordnet seien, was zu Unsicherheit führe. Eine wirtschaftspolitische Intervention könne nur dann wirksam werden, wenn die Wirtschaftssubjekte keine Verunsicherung in ihren Bewertungskalkülen erführen. Langfristige Beeinflussung des Wirtschaftsgeschehens sei möglich, aber ihre Steuerkapazität begrenzt. Unter bestimmten Bedingungen könne öffentliche Defizitpolitik Selbstfinanzierungseffekte generieren, die sich nicht zu Ungunsten der rational handelnden Wirtschaftssubjekte auswirkten. Heise betonte den unbedingt nachhaltigen Charakter der Finanzpolitik, die Beachtung der künftigen Wirkungen einer Politik des dauerhaften deficit spendings und des capital budgeting, des Verhältnisses von investiven zu konsumtiven öffentliche Ausgaben sowie die Abstimmung mit anderen makroökonomischen Politikbereichen wie der Lohn- und Geldpolitik. Postkeynesianische Finanzpolitik könne durchaus dazu beitragen, nicht nur die Arbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren, sondern auch die Einnahmeprobleme der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherung zu mildern.
Marica Frangakis (Athen) charakterisierte unter der Überschrift „Revisiting Keynes. The case of EU financial integration policy“ die in den letzten Jahren beschleunigt vorangetriebene Integration der EU-Finanzmärkte als Gefahr für Stabilität und Zusammenhalt in der EU. Sie sei ein Fall von neoliberal determinierter wirtschaftspolitischer „Kurzsichtigkeit“. Wie ihr Vorredner wies sie auf den Forschungsbedarf der Linken zu diesem wichtigen Aspekt der keynes’schen Wirtschaftspolitik hin, der aus der Überbetonung der Rolle des Geldes und der Vernachlässigung der Rolle des Finanzsektors durch den Postkeynesianismus resultiere. Gerade der Finanzsektor sei für direkte Beeinflussung der wirtschaftspolitischen Aktivitäten geeignet. Globale Finanzsysteme könnten allerdings selbst Quelle von Unsicherheit sein – vor allem in Form von Politikversagen –, erläuterte sie anhand der EU-Entwicklung. In den letzten Jahren hat sich die Struktur des EU-Finanzsystems von seiner traditionellen Bankenorientierung zu einem marktbasierten System gewandelt. Durch den Beitritt der zehn neuen Länder im Jahre 2004 seien in der Folge große Unterschiede und Probleme entstanden, da bei ihnen der Finanzsektor nicht nur schwächer entwickelt sei, sondern sich auch zum überwiegenden Teil im Eigentum von westeuropäischen Bankkonzernen befinde. Diese strukturellen Unterschiede einerseits und die politische Beschleunigung der Integration der Finanzmärkte andererseits erhöhten die Labilität des Systems. Die Finanzintegration als Reaktion auf das angewachsene Konkurrenzniveau zwischen den Ländern orientiere seit den späten siebziger Jahren, aber besonders seit Ende der neunziger Jahre als Teil der Lissabon-Strategie schwerpunktmäßig auf Marktliberalisierungen. Eine Weiterführung der EU-Finanzmarktintegration jedoch ohne adäquate Absicherungen gegen seine instabilen Momente und ohne wirksamen Konsumentenschutz erzeuge ernsthafte Ungleichgewichte und untergrabe letztlich die Politik. Die Schwierigkeiten bei der Integration der Finanzmärkte liegen demnach nicht nur darin, dass es Probleme mit der Identifizierung der Finanzierungsinstrumente gibt, sondern dass eben die Geld- und Finanzpolitik nicht neutral ist und davon abhängt, in wessen Interesse regiert wird. Für uns sei es wichtig, so Frangakis, diese Probleme in der wissenschaftlicher Analyse mehr zu beachten und Alternativen zu suchen.
Im zweiten Teil dieses Themenkomplexes ging es um Keynes und die EU-Wirtschaftspolitik. Jörg Huffschmid (Bremen) verwies eingangs auf die Arbeit der Euromemorandum-Gruppe, die während ihres zehnjährigen Bestehens mit acht Memoranden zur alternativen Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union an die Öffentlichkeit trat. Ihren Analysen liege keine einheitliche Theorie zugrunde, sondern es würden verschiedene theoretische Ansätze aufgegriffen. Seine Ausführungen zum Thema „Eurokeynesianismus als Grundlage alternativer Wirtschaftspolitik in Europa“ sollten klären, ob die Probleme der europäischen Wirtschaft durch keynesianische Politik gelöst und welche Ansätze in der Theorie von Keynes für Politikvorschläge genutzt werden könnten und welche Einwände es dagegen gibt. Das hänge natürlich auch von der Offenheit des keynes’schen Theoriegebäudes für Korrekturen und Erweiterungen ab. Die gegenwärtige Situation der EU, der regionale Wirtschaftsblock mit der geringsten wirtschaftlichen Dynamik, den niedrigsten Wachstumsraten, anhaltend hoher und im Trend steigender Arbeitslosigkeit, lasse sich mit dem Standardansatz von Keynes als die Verkettung der drei zentralen Elemente Wachstum, Arbeitslosigkeit und Verteilung interpretieren, die sich gegenseitig verstärkten und zu einer stagnierenden oder absteigenden Wirtschaft verfestigen. Als Therapie wäre nach Keynes eine staatliche Wachstumspolitik in Form von öffentlichen Investitions- und Beschäftigungsprogrammen mit positiven Folgewirkungen für Wachstum, Arbeitsmarkt, Lohn und privaten Konsum geeignet. Dies könnte durch die Einbeziehung der Finanzmärkte erweitert werden, berge damit aber auch die Gefahr von Spekulationsblasen. Die Hauptschwäche der Theorie von Keynes liege in ihrer stofflichen (ökologischen) und strukturellen Indifferenz. Ein „Keynes Plus“-Konzept könnte diesen Defiziten begegnen und wäre wohl auch geeignet, den Wachstumseinwand verschiedener linker Strömungen zu entkräften.
Ein wesentliches Argument gegen Keynes resultiert aus den Problemen der Heterogenität der europäischen Wirtschaft, denn die europäische Wirtschaft, so Huffschmid, gebe es nicht, einheitliche europäische Rezepte für Geld- und Fiskalpolitik seien nicht möglich. Die Antwort darauf könne in institutionalisierter Kooperation bestehen, welche auf unterschiedliche Situationen reagiert und die Haushalts- und Finanzpolitik koordiniert – ähnlich der währungs-politischen Kooperation im EWS – plus einer „Wirtschaftsregierung“. Die gegenwärtige Konstruktion der wirtschaftspolitischen Institutionen widerspreche jedoch zutiefst dem Gedankengut von Keynes. Für die Weltwirtschaft mit ihrer Herrschaft der Finanzmärkte, die bei liberalisierten Kapitalmärkten stabile Wechselkurse und eine autonome Wirtschaftspolitik nicht ermögliche, empfahl Huffschmid neben dem konstruktiven Rückgriff auf die Konzepte von Tobin und Bretton Woods vor allem eine neue internationale Finanzarchitektur auf Basis eines kooperativen Währungssystems mit schärferen Beschränkungen gegen Finanzspekulationen – eine keynes’sche Konzeption. Keynes habe ein beachtliches Reservoir an wirtschaftspolitischen Instrumenten geschaffen. Die weißen Flecken bei Keynes – besonders die von ihm lediglich als Organisationsprinzipien angesehenen zentralen Kategorien Konkurrenz, Eigentum, Staat und Klassen – müsse eine alternative Wirtschaftspolitik über ihn hinausgehend ausfüllen. Dabei gehe es um Regeln für die internationale Konkurrenz, den Aufbau eines starken öffentlichen Sektors, die Koordinierung der Geld- und Finanzpolitik, eine Struktur- und Sozialpolitik auf europäischer Ebene sowie insgesamt die Demokratisierung der Wirtschaftspolitik.
Riccardo Bellofiore (Bergamo) ging auf die Frage ein, ob die EU für den Keynesianismus überhaupt geeignet und auf eine keynesianische Wirtschaftspolitik vorbereitet sei. Historisch gesehen kann man im europäischen Integrationsprozess von einer Keynes-Phase nur in den fünfziger Jahren sprechen, wofür die Bildung der Montan-Union (1951) steht. Die Integration lief auf ein System des koordinierten Kapitalismus hinaus, bei dem die US-Unternehmen eine wichtige Rolle spielten. Schutz der monopolkapitalistischen Industrie und die Umsetzung gemeinsamer Kapitalinteressen auf Grundlage des Marshall-Planes waren in dieser Zeit die Hauptcharakteristika. Diese Entwicklung setzte sich nach Gründung der EWG (1957) fort, jedoch änderten sich die Bedingungen und es erfolgte zunehmend eine Abkehr von keynesianischen Institutionen. Die siebziger Jahre führten mit dem Ende der festen Wechselkurse, der differenzierteren Entwicklung zwischen einzelnen Ländern und der damit einhergehenden verschärften Konkurrenz zur endgültigen Abwendung von einer keynesianisch untersetzten koordinierten Wirtschaftspolitik. Mit Blick auf die USA in den achtziger Jahren und die globale Rolle des US-Finanzsystems bei der Lösung der ökonomischen Probleme mit ihren sozialen Folgen, wie der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse, ging Bellofiore auf das auch von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz geforderte Sicherheitsnetz ein, für das der Staat Anreize schaffen müsse. Keynesianismus in der gegenwärtigen EU bezeichnete er als Utopie, da es in den Regierungen dafür keine Akteure oder Befürworter gäbe.
Vollbeschäftigung und neues Sozialmodell
Trudy Goldberg (New York) präsentierte die Ergebnisse einer Studie zum Problem Vollbeschäftigung, die von drei US-amerikanischen Wissenschaftlern im Jahre 2005 für die Euromemorandum-Gruppe erarbeitet worden war. Zugrunde liegt eine schriftliche Befragung von ökonomischen und anderen Wissenschaftlern in der ganzen Welt, von der 50 Antworten aus 16 Ländern ausgewertet werden konnten. Der Begriff Vollbeschäftigung wurde von den Autoren in Anlehnung an das Konzept der ILO über zumutbare Arbeit (decent work), welche gerechtes Einkommen und soziale Absicherung garantieren soll, übernommen. Es ging dabei nicht nur um die Definition dieser Kategorie, den Wechsel im heutigen Verständnis von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung, sondern vor allem um die Anerkennung einer sozialen Situation, in der jeder das Recht auf Arbeit hat. Fast alle der Befragten hielten demnach Vollbeschäftigung für wünschenswert, wenn auch nicht auf Dauer im Kapitalismus erreichbar, und bezeichneten das Beschäftigungsproblem als eines von höchster gesellschaftlicher Priorität zur Beseitigung von Benachteiligungen. Die Studie trug nach Meinung der Autoren zum besseren Problemverständnis auf internationaler Ebene bei.
In den Ausführungen von John Grahl (London) zum Verhältnis von Wechsel in der Finanzpolitik und der europäischen Beschäftigung wurde eine enge Beziehung zwischen der wachsenden Rolle der Finanzmärkte – aufgefasst sowohl als quantitatives Wachstum wie auch als Wandel ihrer Strukturen und als allgemein zunehmender Druck auf die Zinsraten – und dem Unvermögen festgestellt, unter diesen Bedingungen keynesianische Finanzpolitik zu betreiben. Die dominierende Rolle der Finanzmärkte, die durch die Politik der europäischen Eliten gefördert werde, bildet demnach den letzten „Schwenk“ hin zum Neoliberalismus. Von der Instabilität des Finanzsystems gehen, so Grahl, weit reichende Wirkungen auf die Beschäftigungsverhältnisse in Europa aus - wie Abbau des Sozialschutzes, Verlängerung von Arbeitszeit, Aushöhlung von Mitbestimmung. Das „Europäische Sozialmodell“ insgesamt werde infrage gestellt. Um dagegen anzugehen, müsse zunächst das Verständnis über die Wirkungsweise der Finanzmärkte unter den Linken größer werden. Der Finanzmarkt an sich sei keine Bedrohung für die Interessen der Beschäftigten. Es komme darauf an, Strategien durchzusetzen, um die Errichtung des integrierten Finanzsystems in Europa mit effektiven Maßnahmen ihrer sozialen Kontrolle zu verbinden.
Miren Etxezarreta (Barcelona) stellte in ihrem Beitrag „Können wir ein Europäisches Sozialmodell auf der Basis von Keynes bilden?“ die provozierenden Fragen, ob Keynesianismus in der gegenwärtigen konservativen Ökonomie und sozialen Atmosphäre überhaupt möglich und geeignet sei, ob eine nichtkapitalistische Gesellschaft realisierbar sei und was die Linken dazu tun könnten. Sie ging in diesem Zusammenhang auf wichtige Entwicklungen in Westeuropa ein und fragte, ob es überhaupt möglich sei, ein solches Sozialmodell unter den Bedingungen globaler Konkurrenz zu implementieren. Der Keynesianismus könne in der Auseinandersetzung mit neoliberaler Politik wohl nützliche Ergebnisse bringen, eine emanzipatorische Linke müsse jedoch darüber hinausgehen. Im Zentrum sollte das Problem der Beschäftigung stehen. Es sei unverzichtbar, bestimmte Prozesse und Entwicklungen zu planen sowie eine größere Rolle des Staates in der Wirtschaft einzufordern. Verbunden mit eigenen Zweifeln zu den Perspektiven setzte sie sich u.a. mit der unrealistischen Haltung einiger sozialer Bewegungen zum Wachstum auseinander. Die Linke solle Wege finden, um den Kampf um keynesianische Politik in das weitere und wichtigere Ziel der Transformation der kapitalistischen in eine bessere Gesellschaft einzubetten, was eine langfristige Aufgabe sei. Dies sei nicht nur eine Frage der Modifikation der Wirtschaftspolitik, sondern schließe einen gesellschaftlichen Fortschritt in der politischen Repräsentation und die direkte Demokratie mit ein. Die Vorschläge der Linken sollten kühner und radikaler sein.
Stefan Sjöberg (Stockholm) stellte in seinem Beitrag „Über Keynes hinaus“ ausgehend von den zwei traditionellen Wegen der Arbeiterbewegung zur Wirtschaftsdemokratie - Mitbestimmung und Vermögensbildung - das Modell der „Kollektiven Vermögensbildung“ in Schweden vor. Er verwies dabei auf den großen Einfluss der deutschen Sozialdemokratie und der Gewerkschaften, was namentlich vor allem an Naphtali, Agartz, Meidner und Gleitze festgemacht werden könne. Während die deutsche Sozialdemokratie einen anderen Weg gegangen sei, werde in Schweden seit den siebziger Jahren ein Modell kollektiver Vermögensbildung praktisch erprobt. Es handelt sich nach Sjöberg um Arbeitnehmerfonds, in die ein Teil des Kapitals und der Profite großer schwedischer Unternehmen einfließt. Sjöberg bezeichnet diese Form der Vermögensbildung als ein „neues keynesianisches Modell“ und bewertete sie sowohl als eine Form der „Vergesellschaftung von Investitionen“ wie auch als wichtiges Gegengewicht in der aktuellen Privatisierungsdebatte. Die Verwendung der Fondsmittel wird von den Gewerkschaften kontrolliert. Die angestrebte Umverteilung von Investitionen würde funktionieren, allerdings nicht in Stagnationszeiten. Es zeige sich auch, dass die auf diese Weise ausgeübte begrenzte kollektive Kontrolle der Profitverwendung nicht ausreiche, dass die Kontrolle von Unternehmen allein noch keine Wirtschaftsdemokratie schaffe. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass sich das in den siebziger Jahren bei Einführung des Modells erklärte Ziel, in dreißig bis vierzig Jahren den überwiegenden Teil der schwedischen Unternehmen in gesellschaftliches Eigentum zu überführen, als reine Utopie erwiesen habe.
Nachhaltigkeit und Langfristperspektive
Weitere Beiträge behandelten die Erfordernisse nachhaltiger Wirtschaftspolitik sowie den regionalen Aspekt beim Keynesianismus. Klaus Steinitz (Berlin) ging im Beitrag „Keynesianische Ökonomie und Probleme der Nachhaltigkeit“ davon aus, dass nachhaltige Wirtschaftsentwicklung eine Grundvoraussetzung für die alternative linke Wirtschafts- und Sozialpolitik sei. Das schließe die Präzisierung der Zielstellung für ökonomisches Wachstum, die komplexe Verankerung wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit in der Wirtschaftspolitik und die Aufdeckung der Wechselwirkungen, Widersprüche und Konflikte sowie Problemlösungen mit ein. Hinsichtlich der Behandlung von Umweltfragen in der keynesianischen Ökonomie formulierte er zwei Thesen: Erstens spiele die Umweltproblematik in den Arbeiten von Keynes deshalb keine Rolle, weil seine Theorie auf Nachfrage orientiert sei, Umweltfragen jedoch auf der Angebotsseite angesiedelt seien. Außerdem sei das gesellschaftliche Umweltbewusstsein zu seiner Zeit noch nicht weit entwickelt gewesen.
Zweitens sei die Umweltproblematik in eine von der keynesianischen Ökonomie beeinflusste alternative Wirtschaftspolitik gut integrierbar, wenn man die Langzeitprognose von Keynes bzw. das von ihm begründete Stagnationstheorem als Ansatzpunkt wähle. Die neue Qualität der wirtschaftlichen Entwicklung könne allerdings nicht durch bloßes Hinzufügen von Umwelt zu Keynes erreicht werden, denn Keynes habe auf eine Systemalternative verzichtet.
Steinitz plädierte für ein „Keynes Plus“-Konzept, das offen sein solle für neue Entwicklungen. Dabei sollten folgende Aspekte eine vorrangige Rolle spielen: Staatliche Ausgaben für Umweltinvestitionen sollten antizyklisch getätigt werden. Wirtschaftswachstum solle anstatt quantitativ vor allem qualitativ realisiert werden, was mit der zunehmenden Bedeutung der Reproduktion der natürlichen Umwelt für die menschlichen Bedürfnisse und der „Verwirklichung sozialer Gleichheit“ begründet werde. Die Befriedigung der neuen „ökologischen Bedürfnisse“ würde der von Keynes festgestellten Sättigungstendenz entgegenwirken. Das setzt nach Steinitz mehr öffentliche Investitionen und staatliche Investitionslenkung voraus. Ökologische Nachhaltigkeit sei übergreifend in das Konzept eines „Eurokeynesianismus“ und darüber hinaus international einzubinden. Die Herausbildung einer neuen Regulationsweise in der Wirtschaft müsse in Richtung Ökologisierung des gesamten Reproduktionsprozesses gehen.
Auf einen direkten Zusammenhang zwischen Keynes und Regionalpolitik konnte auch Josef Baum (Purkersdorf) in seinem Beitrag „Effektive Regionalpolitik ist keynesianisch – und was noch?“ nicht verweisen. Regionalpolitik sei aber, wenn auch nicht explizit genannt, ein Element keynesianischer Gesamtpolitik. Die Strukturfonds- und Kohäsionspolitik der EU sei keynesianisch, würde in ihrer Bedeutung unter dem Neoliberalismus aber zurückgehen. Auf der regionalen und lokalen Ebene seien Alternativen besonders schwierig durchzusetzen, aber regionale Nachfragepolitik könne regionale Kreisläufe stärken und auf dieser Ebene die Durchsetzung sozialökologischer Ziele anstreben. Es bedürfe dazu, wie am Beispiel der Energiewirtschaft in Österreich erläutert, einiger „Keynes Plus“. Regionalpolitik könne nicht nur ökonomisch gesehen werden, so Baums Argumentation, sie erfasse unmittelbar alle Bereiche des menschlichen Lebens und sei deshalb unmittelbar mit der Frage der Wirtschaftsdemokratie verbunden. Keynes zu bewerten heiße auch unter regionalem Aspekt, die alte Frage nach Reform oder Revolution aufzuwerfen. Nach Baum ist der Keynesianismus eine wichtige Grundlage für Reformstrategien. Es sollte aber im Blickfeld bleiben, dass Reformen nicht zur Systemtransformation führen. Ihre Ambivalenz besteht darin, einerseits Fortschritt zu sein, andererseits systemstabilisierend zu wirken.
Die Ausführungen von Karl Georg Zinn (Wiesbaden) mit dem Thema „Mit Keynes zu einer ‚anderen Wirtschaft’?“ bezogen sich auf die Langfristperspektive in der Theorie von Keynes. Zu Unrecht werde Keynes häufig als Ökonom der kurzen Frist bezeichnet. Sein Stagnationstheorem sei der Beweis für die Erfassung längerfristiger Entwicklung in kapitalistischen Marktwirtschaften. Keynes habe nicht nur die Wirkungen kurzfristig-zyklischer Krisenprozesse analysiert, sondern nachdrücklich auf langfristige strukturelle Veränderungen im kapitalistischen Akkumulationsprozess hingewiesen. Langfristig nachlassendem Wachstum und steigender struktureller Arbeitslosigkeit setzte er als Gegenmaßnahmen staatliche Investitionsförderung, Konsumausweitung und Arbeitszeitverkürzung entgegen. Die Konsequenzen daraus könnten bis hin zur Systemtransformation gedeutet werden. Anders ausgedrückt: Nur wenn die Langzeitüberlegungen von Keynes gebührend gewürdigt werden, können die Überlegungen für ein alternatives Wirtschaftsmodell durch seine Theorie plausibel untersetzt werden. Keynes trat in seiner Zeit für eine „andere“ Wirtschaft ein, erklärte Zinn. Er erläuterte, wie durch die europäische Nachkriegswirtschaft die Prognosen von Keynes bestätigt wurden und versuchte, aktuelle Entwicklungsprozesse mit der Stagnationstheorie zu erklären. Das scheint allerdings hypothetisch, da solche grundlegenden Sachverhalte wie die Umweltproblematik, die ungeheure Machtkonzentration in der Wirtschaft und die Globalisierung von Keynes noch nicht berücksichtigt werden konnten.
Günter Krause (Berlin) erwog im abschließenden Beitrag noch einmal das pro und contra Keynes für eine „andere Wirtschaft“ und listete jeweils Felder für und gegen den Zugriff auf keynesianisches Gedankengut auf. Er bekannte sich zu der programmatischen Feststellung: „eine andere Wirtschaft ist möglich“ und verwies auf die gerade begonnene neue strategische Diskussion von Linken und sozialen Bewegungen dazu. Dabei suchte er zunächst die Begrifflichkeit „andere Wirtschaft“ in ihrer strategischen Dimension zu klären. Für Krause ist sie Gegenposition zu den aktuellen Verhältnissen, die im Zusammenhang mit der veränderten Regulierungsweise des Kapitalismus, mit der notwendigen Ausarbeitung eines wirtschaftsprägenden gesellschaftlichen Leitbildes bei Akzeptanz durchaus unterschiedlicher ökonomischer Entwicklungspfade und dem Ringen um ein alternatives theoretisches Konzept gesehen werden. Gerade unter dem Aspekt des Neudenkens von wirtschaftlicher Gestaltung, sozialer Sicherung und staatlicher Steuerung gesellschaftlicher Reproduktion werde der keynesianischen Ökonomie wieder größere Aufmerksamkeit zuteil. Die Antwort auf die Frage nach dem praktischen Gebrauchswert der keynesianischen Ökonomie für die politische Linke jedoch müsse kontrovers ausfallen. Pro und contra Keynes hänge in erster Linie davon ab, welche Maßstäbe an seine Ökonomie angelegt würden, für die wiederum die konzeptionellen Ziele der potentiellen Nutzer ausschlaggebend seien.
Rege und kontroverse Diskussionen
In den Diskussionen kam zum Ausdruck, dass Keynesianismus ein wichtiges Element für alternative Wirtschaftspolitik sein könne, aber nicht überschätzt werden dürfe. Keynes komme das Verdienst zu, die Ökonomie wieder in die Gesellschaft zurückgebracht zu haben, wobei er allerdings andere Grundfragestellungen und eine andere Herangehensweise als seinerzeit Marx hatte. Seine Theorie lasse – bei aller Kritik und bei allen theoretischen Defiziten – viele Entwicklungsmöglichkeiten offen und habe prognostischen Wert. Sie ermögliche es aber nicht, Staat und Eigentum als Herrschaftsinstrumente im Kapitalismus zu erkennen. Keynes solle nicht als Wachstumsfetischist eingestuft, sondern könne eher als Stagnationstheoretiker charakterisiert werden. Kontrovers wurde auf seine Einschätzung als Ökonom der kurzen Frist reagiert, da die Arbeiten zur Langfristökonomie inzwischen gesicherte Erkenntnisse darstellten. Im Gegensatz dazu wurde eingewandt, dass hierin ein methodisches Problem enthalten sei, da bei langen Fristen verhaltenstheoretische Annahmen getroffen würden, die aber nie stabil seien. Europa, hieß es weiter, sei auf eine keynesianische Makroökonomie nicht vorbereitet, weil vor allem eine koordinierte Fiskal- und Lohnpolitik fehle. Für die osteuropäischen Länder seien die Voraussetzungen für Wachstum, Beschäftigung, bessere Verteilung unter keynes’schen Aspekten noch weniger gegeben, und in Deutschland hätten die EU-Maßnahmen eine Verstärkung der Disparität zwischen Ost- und Westdeutschland bewirkt. Die Frage, ob die globalisierungskritische Bewegung überhaupt eine Wirtschaftstheorie brauche, blieb offen. Bei Attac wären eigentlich eine ganze Menge Keynes-Gedanken präsent. In der finanzpolitischen Debatte ging es generell um das Verhältnis zwischen dem klassischen deficit spending und der Abschöpfung überschüssigen Kapitals durch den Staat, des weiteren um die Anpassung an und die Unterordnung des EU-Finanzsystems unter das US-Finanzsystem sowie um Reaktionen der Politik auf die Kapitalflucht ins Ausland. Im Verlauf der Diskussion wurden weitere Aspekte der Steuer-, Finanz- und Beschäftigungspolitik angesprochen. Es ging um Regulierungsmöglichkeiten der Finanzmärkte, wie die Begrenzung der Liquidität und Interventionen in den Wertpapiermarkt sowie auch um andere Wege in den sozialen Entwicklungen wie in Schweden. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die Eigentumsfrage im Kapitalismus durch „kollektive Fonds“ nicht gelöst würde. Um Arbeiter als Anteilseigner wirklich zu legitimieren, müsste die Kontrolle durch den Staat erfolgen. Die Fonds der Gewerkschaften sollten aber auf keinen Fall abgeschafft werden. Sie könnten, wie auch die gewerkschaftlichen Pensionsfonds, zur Umverteilung von Investitionen in der Wirtschaft beitragen und damit – im keynes’schen Sinne – Unsicherheit verringern. Viel wichtiger als die Ausweitung solcher „Hybridfonds“ sei jedoch die Erweiterung des öffentlichen Sektors.
Als Defizit wurde hervorgehoben, dass die gesellschaftliche Dimension der Regionalproblematik in der Forschung durch die Linken bisher ungenügend berücksichtigt wurde, besonders treffe dies auf die veränderte Rolle der Regionen unter den Bedingungen der Globalisierung zu. Das Grundproblem von Umwelt- und Regionalpolitik sei jedoch ihre Finanzierung. Angesichts des weiteren Rückgangs der Haushaltseinnahmen der Gebietskörperschaften verschärft sich diese Problematik absehbar. Unterschiedlich wurde der Einsatz von Wirtschaftsinstrumentarien auf der Basis von Keynes beurteilt. Einer sehr skeptischen Beurteilung des Platzes staatlicher Planung (bei Keynes makroökonomische Steuerung durch den Zentralstaat) in einer „anderen Wirtschaft“ wurde entgegengehalten, dass Investitionsplanung unverzichtbar sei.
Auf dem Workshop der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben zahlreiche linke Wissenschaftler und Vertreter sozialer Bewegungen ihre Sichtweisen des Keynesianismus dargelegt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihren Auffassungen herausgearbeitet. Es waren anregende, offene Diskussionen in einer freundschaftlichen Atmosphäre. Sie können als hoffnungsvoller Auftakt für eine inhaltliche Auseinandersetzung sowohl mit dem theoretischen Erbe von John Maynard Keynes als auch im Ringen um eine theoretische Plattform für alternatives Wirtschaften unter Nutzung keynesianischer Erkenntnisse gelten. Nicht ganz deutlich wurde, welchen Stellenwert die modernen Strömungen des Keynesianismus nun tatsächlich innerhalb einer alternativen Wirtschaftspolitik haben können. Zudem existiert noch ein großer Klärungsbedarf darüber, was unter linkem Keynesianismus heute zu verstehen sei. Der Rückgriff auf die Keynesianische Theorie kann nur eine, wenn auch bedeutsame Grundlage für ‚anderes Wirtschaften’ sein und entbindet die Linken nicht von der Notwendigkeit, die „weißen Flecken“ in der Theorie von Keynes auszufüllen und vor allem eigene wirtschaftspolitische Strategien auszuarbeiten. Ansätze dafür sind, wie – wie Beiträge und Diskussion des Workshops gezeigt haben – vorhanden.
[1] Workshop der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 24.-26. Februar in Berlin.
[2] Vgl. Jürgen Leibiger, Zwischen Marx und Keynes, in: Z 65, März 2006, S.113 ff.