Berichte

Arbeitsplätze auf der Flucht?

Tagung von IG Metall, Otto-Brenner-Stiftung und Friedrich-Ebert-Stiftung am 25./26. Januar 2006 in Bonn

Juni 2006

Ziel der Tagung war es, betriebliche und gewerkschaftliche Handlungsmöglichkeiten in Auseinandersetzung mit der im internationalen Rahmen stattfindenden Arbeitsplatzvernichtung auszuloten.

Wolfgang Rhode vom geschäftsführenden IGM-Vorstand charakterisierte Sozialabbau und Arbeitsplatzvernichtung als Ausdruck unersättlicher Profitgier. Sinkende Lohnstückkosten in Deutschland drohen die ökonomische Entwicklung in der EU ins Ungleichgewicht zu bringen – darin war Rhode sich mitGustav Horn und anderen einig. Aber das reicht noch nicht, die Frage, ob „Arbeitsplätze auf der Flucht“ seien, zu beantworten. Wenn Kapital sich immer die profitabelsten Anlagemöglichkeiten sucht, dann spreche dies angesichts der Entwicklung der Lohn(stück)kosten, des Sozialabbaues und der Arbeitszeitverlängerung eher dafür, dass Arbeitsplätze in Deutschland bleiben oder nach Deutschland kommen. Und tatsächlich – so wurde diagnostiziert – ist Deutschland Gewinner der Globalisierung, auch bei der Arbeitsplatzbilanz. In anderen Ländern inner- und außerhalb der EU ist die Arbeitsplatzvernichtung noch größer und rasanter als in Deutschland. Dieses nicht nur wegen der genannten Faktoren, sondern auch wegen hervorragender Infrastruktur, wegen komplexer Lieferanten-, Produktions- und Verteilungssysteme in Deutschland, wegen seiner berühmten und zunehmend berüchtigten Stabilität.

Statt sich der eigentlichen Frage zuwenden, wie der globalen Arbeitsplatzvernichtung entgegenzutreten wäre und welche destruktive Rolle die größte Wirtschaftsmacht der EU dabei spielt, redeten Rhode, der stellvertretende IGM-Vorsitzende Huber und andere dem Wachstum das Wort und benannten einen schwindenden Wissensvorsprung sowie – zu Recht – die sinkende Binnennachfrage als Ursachen für Arbeitsplatzvernichtung. Diese Sicht läuft jedoch nur auf „besser statt billiger“ hinaus und ist insofern kein Beitrag zur Überwindung der Konkurrenzmechanismen, sondern setzt sie auf „höherer“ Ebene fort.

Drei Gesichtspunkte aus dem Vortrag von Christian Scherrer (Universität Kassel) waren demgegenüber besonders bemerkenswert, die er gegen die altruistische These, die Globalisierung sei ein Gewinn für die Welt, selbst wenn Deutschland nicht zu den Gewinnern gehöre, setzte:

- Die Zerstörung des Sozialstaates sei nicht das Ziel der neoliberalen Protagonisten der Globalisierung, sondern ein bedauerlicher, aber unvermeidlicher „Kollateralschaden“. Wenn dem so wäre (was natürlich nicht der Fall ist), müssten wir uns nur darüber verständigen, ob wir uns mit solchen Kollateralschäden wie der Abschaffung des Flächentarifes abfinden wollen.

- Der Wohlstand in den Zielländern der hierzulande „flüchtigen“ Arbeitsplätze steigt nicht wirklich allgemein und nachhaltig. Die Arbeitsbedingungen in den Maquiladoras in Mexiko sind ebenso wenig ein Gewinn für die Menschen dort wie die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken in China – von massiven Umweltbelastungen ganz zu schweigen.

- Schließlich sei zu prüfen, ob es einen positiven Rückkopplungseffekt auf Deutschland gäbe – nach dem Motto, wenn es den anderen gut geht, wird es uns auch besser gehen. Die arbeitspolitischen und fiskalischen Vorteile für Unternehmen in EU-Ländern sind oft auf direkte und indirekte Subventionen für Arbeitsplatzverlagerungen zurück zu führen. Alle mittel- und osteuropäischen (MOE)-Staaten (außer der Slowakei) haben eine negative Handelsbilanz. Und auch hier hinken die Löhne massiv hinter der Produktivitätsentwicklung hinterher.

In zwei Regionalforen über China und MOE wurde an konkreten Beispielen und Erfahrungen diskutiert. Aus China wurde ein durchschnittliches Wachstum von 9 Prozent pro Jahr berichtet – ohne positive Beschäftigungseffekte. Sollte bei solchen Erkenntnissen nicht das zugrunde liegende Modell einer Kritik unterzogen werden?

In beiden Foren wurde deutlich, dass die betrieblichen Akteure (Betriebsräte, GBR-Vorsitzende, EBR-Geschäftsführer) die betriebliche Brille nicht abzulegen in der Lage sind und damit auch nur betriebliche Antworten auf globale Probleme finden können. Vertreter von IGM oder IMB wirkten in diesen Foren nicht mit und die FES-Repräsentanten wurden ihrem Auftrag als Vermittler gerecht. Unappetitlicherweise konnte der ehemalige Referent des VW-Gesamtbetriebsrates Dr. Werner Widuckel, der innerhalb von 12 Monaten zum Personalchef von Audi aufgestiegen ist, die Gelegenheit nutzen, um vor breitem Publikum die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche zu fordern – zunächst natürlich nur für die Träger von Innovation.

Gustav Horn (Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung [IMK] in der Hans-Böckler-Stiftung), legte seine Positionen zu makroökonomischer Stabilität und neuer globaler Wettbewerbsordnung engagiert dar. Seine Argumentation gegen den „totalen Wettbewerb“ ist insoweit bedeutsam, als dieser „totale Wettbewerb“ im Zuge der neoliberalen Strategie auf jeden Arbeitsplatz bezogen und in die Köpfe aller Beschäftigten gehämmert wird. Eine Bremse gegen diesen „totalen Wettbewerb“ – „so paradox wie totale Freiheit“ – müssten soziale Mindeststandards in der EU sein. Dazu gehöre unbedingt die Einführung eines anständigen Mindestlohnes in Deutschland. Zum Vergleich: Der Mindestlohn in Großbritannien beträgt 5 €, der Tariflohn für Friseure in Thüringen beträgt 3,50 €, von Löhnen außerhalb von Tarifen und 1-€-Jobs ganz zu schweigen.

Sicher schon mit Blick auf die angelaufene Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie erklärte der IGM-Vorsitzende Jürgen Peters, Lohnzurückhaltung schaffe und sichere keine Arbeitsplätze – auch wenn dies aus betriebswirtschaftlicher Sicht im Einzelfall nicht deutlich würde. Kooperation und solidarisches Handeln mit Gewerkschaften der anderen Länder sei der Weg, der gegangen werden müsse. So wenig neu diese Erkenntnis ist („Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“), so sehr steht die bisherige Praxis der IG Metall im Widerspruch zu der richtigen Erkenntnis. Dennoch sind Weltkonzernbetriebsräte und globale Gewerkschaftsnetzwerke die richtigen Ansatzpunkte, die ausgebaut werden müssen. Die jüngsten Aktionen der Hafenarbeiter zur EU-Port-Package-Richtlinie als auch der europäischen Gewerkschaften zur Dienstleistungsrichtlinie sind Hoffnungsschimmer am Horizont der internationalen Solidarität.

Jörg Huffschmid unterstützte in seinem Beitrag die Lohnforderung der IG Metall. Die vier Rekorde des Jahres 2005 (Exportweltmeister, höchste Arbeitslosigkeit, geringste Lohnstückkosten, erstmals gesunkene Nominallöhne) seien kein Ausrutscher, sondern widerspiegelten die Kontinuität der Wirtschaftspolitik von Helmut Schmidt über Helmut Kohl und Gerhard Schröder bis zu Angela Merkel. Was nur beweise, dass es auf den Kanzler wohl zuletzt ankomme. Die Wirtschaft in unserem Land befände sich „in einer selbst gebastelten Umverteilungsfalle“. Ein noch so starker Export könne die Binnennachfrage nicht ersetzen, hier komme es auf die Löhne an. Die Unternehmer könnten nicht kapieren, dass sie es sind, die die Wirtschaft ruinieren, da sie als einzelne ja durchaus profitierten. Also bleibe auch in der anstehenden Tarifrunde und im Kampf um Arbeitsplätze nichts, als auf gewerkschaftliche Kraft und Solidarität zu setzen.

Zwei Schlussfolgerungen aus Sicht des Berichterstatters: Es gibt kein gewerkschaftliches Erkenntnisproblem, sondern – schlimmer eigentlich – ein Umsetzungsproblem. Diese Tagung konnte dabei nur ein kleiner Schritt auf einem noch langen Weg der IG Metall, des DGB, der globalen Gewerkschaften sein. Diesen Weg müssen nicht allein die Vorstände, die Funktionäre und Betriebsräte gehen, ihnen müssen dabei viele aktive kritische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter voran gehen.

Der Neoliberalismus funktioniert noch in der Praxis – weniger aber wirkt er in den Köpfen jener Menschen, die unter den Folgen zu leiden haben. Daraus kann und muss die Konsequenz gezogen werden, der ideologischen Infiltration von Presse (Blöd-Zeitung) und TV (Christiane Sabinsen) eine offensive, populäre Bildungsarbeit derjenigen entgegenzusetzen, die den neoliberalen Zerstoibern in den Arm fallen können und wollen.