Berichte

100 Tage Rot-Schwarz

Gesellschaftspolitisches Forum, 12. März 2006, Frankfurt/Main

Juni 2006

Vor gut 200 Teilnehmern eröffnete Horst Schmitthenner (IG Metall) die von der Initiative für einen Politikwechsel, der Friedens- und Zukunftswerkstatt, der Redaktion Sozialismus, der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie von WISSENtransfer organisierten Tagung mit einer kurzen Einführung.

In seinem Impulsreferat stellte Arno Klönne (Paderborn) einleitend fest: „100 Tage schwarz-rot haben wir hinter uns und das Schlimmste sicher noch vor uns.“ Die Regierungspolitik von CDU und SPD sei kaum noch nach den Parteien unterscheidbar. „Kaum jemand kann sicher sagen, ob das jetzt ein sozial- oder christdemokratischer Minister war, der die gerade aktuelle soziale Grausamkeit umsetzt.“ Als Willenserklärung und Praxis der schwarz-roten Regierung sei deutlich erkennbar, dass die Kapitalseite davon befreit werden solle, noch irgendetwas zur Finanzierung des Gemeinwesens beizutragen. Während gleichzeitig weite Teile der Bevölkerung unter der fortgesetzten Demontage des Sozialstaates litten, sei es bemerkenswert, wenn der (damalige, d. Red.) SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck öffentlich feststelle, dass die aktuelle Regierungspolitik zu zwei Dritteln sozialdemokratisch sei. Klönne charakterisierte dies als einen wirtschaftlich-sozialen Feldzug nach der Maxime „Krieg den Hütten – Friede den Palästen“, mithin als Klassenkampf von oben. Zur Kontroverse um die Linkspartei ob ihrer Regierungsbeteiligung im Land Berlin meinte Klönne: „Demokratie ist nur da, wo es auch Opposition gibt und wer sich da auf den Parlamentsbetrieb verlässt, der ist schon verlassen.“ Eine schrittweise Wiederaneignung des Politischen sei nur möglich durch soziale Bewegungen, wenn immer mehr Menschen sagen, so lassen wir nicht mit uns umspringen, wir nehmen die Sache selbst in die Hand.

Georg Fülberth (Marburg) bezog sich zustimmend auf Klönnes Kritik am unscharfen Begrifflichkeiten wie der des „Neoliberalismus“: Wenn jemand seine Rede mit den Worten „demografischer Faktor“ oder „im Zeitalter der Globalisierung“ anfange, müsse man nicht weiter zuhören. Stattdessen sollte man klar von Kapitalismus sprechen, so Fülberths Plädoyer. Die Hoffnungen auf einen Politikwechsel nach skandinavischem Vorbild in der BRD bewertete er skeptisch. Davon sei man in der Bundesrepublik so weit entfernt wie vom Kommunismus. Joachim Bischoff (Redaktion Sozialismus) stellte fest, dass die Linke mit einem großen ideologischen Kartell konfrontiert werde, die einen Marktradikalismus vertrete, der in eine andere Republik führen soll. Mit Anspielung auf die Linkspartei.PDS meinte Bischoff, dass selbst Teile der Linken im Bundestag Teil dieses Kartells seien. In Abgrenzung zu Klönne und Fülberth konstatierte Bischoff, dass das Ergebnis der letzten Bundestagswahl mit seiner strukturellen Mehrheit jenseits von CDU und FDP und dem Erfolg der Linken dazu geführt habe, dass ein entschlossener Totalangriff auf die Sozialstandards in der eigentlich geplanten Radikalität bisher nicht stattfinde. Unterschiede und Widersprüche der herrschenden Politik seien genau zu analysieren. Eine Öffnung der Sozialdemokratie nach links sei dennoch nicht auszumachen. Die Mehrheitsströmung der Sozialdemokratie sage, es gibt keine Alternative zum sozial gerechten Verzicht. Obwohl Bischoff die Kritik an der Beteiligung der Linkspartei an den Koalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern teilte, plädierte er gegen eine eigenständige Kandidatur der WASG in Berlin. Stattdessen müssten zumindest Essentials im gemeinsamen Projekt WASG und Linkspartei.PDS festgezurrt werden, die Bischoff mit den Schlagworten „zurück an die Seite der Gewerkschaften“, „keine Privatisierungen“, „keine militärischen Auslandseinsätze“ umriss.

In der anschließenden Debatte stand die Frage im Mittelpunkt, wie weit die Interventionsmöglichkeiten der Linken, auch und gerade über ihre gestärkte parlamentarische Vertretung, reichen können. Sepp Mayer (DKP Frankfurt) plädierte für einen Austritt der Linkspartei.PDS aus den Regierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, da dies für die Glaubwürdigkeit der Linken dringend notwendig sei. Christine Buchholz (WASG Bundesvorstand) betonte, dass der Wahlerfolg der Linken bei den Bundestagswahlen zumindest in Teilbereichen zu Reaktionen geführt hätte, die eine Verbesserung für die Menschen darstellten. Sie verwies auf die Anhebung des ALG II in Ostdeutschland auf Westniveaus. Richard Detje (Redaktion Sozialismus) fragte, sich auf Fülberth beziehend, warum es denn nicht möglich sei, einen anderen Pfad hin zu einem Ausbau des Sozialstaates einzuschlagen, worauf dieser entgegnete, dass über 92 Prozent der Wähler bei der Bundestagswahl für schwarz-rot-grün-gelb gestimmt hätten und damit die herrschende Politik bestätigt worden sei.

Auf einem zweiten Podium erläuterte Sybille Stamm (ver.di) Details zur Tarifrunde im öffentlichen Dienst und regte mit Blick auf die parallele Tarifauseinandersetzung in der Metallindustrie an, darüber nachzudenken, ob die Arbeitskämpfe nicht über Branchen- und Gewerkschaftsgrenzen hinweg zusammengeführt werden sollten. Sie kündigte an, ver.di werde in den laufenden Landtags- und Kommunalwahlkämpfen gezielt die Repolitisierung der Tarifauseinandersetzungen betreiben: „Wir sagen: Wer unsere Tarife gezielt verschlechtern will, der ist für die Beschäftigten nicht wählbar!“ Stefan Körzell (DBG-Vorsitzender Hessen-Thüringen) forderte einen engagierten Einsatz für einen gesetzlichen Mindestlohn. Ziel müsse es sein, den untauglichen Kombilohn zu verhindern. Des Weiteren ginge es um die Einrichtung eines zweiten Arbeitsmarktes, welcher aber auf keinen Fall über die Einrichtung von Ein-Euro-Jobs verwirklicht werden dürfe.

Peter Wahl (attac) verwies auf die Berechtigung des Globalisierungsbegriffes, in dem sich eine Gegenwart spiegele, in der die vielfältigen Internationalisierungstendenzen den nationalstaatlichen Rahmen als Steuerungs- und Regelungsebene zunehmend verließen und der von daher auch nicht das alleinige Durchsetzungsfeld für politische Gegenbewegungen sein könne. So müsse man sich den übernationalen Institutionen, wie der Europäischen Zentralbank zuwenden, welche mit ihrer einseitigen Fixierung auf das Ziel der Geldwertstabilität konjunkturpolitisch negativ wirke. Auch die Linke solle sich stärker international vernetzen. Treffpunkte wie das Europäische Sozialforum seien dazu gut geeignet, reichten aber bei weitem nicht aus. Dabei sehe es global gar nicht so schlecht für die Globalisierungskritik aus. Wahl verwies auf die Entwicklungen seit den Protesten in Seattle Ende der 90er Jahre und lenkte die Aufmerksamkeit auf den Politikwechsel in Lateinamerika, wo der Neoliberalismus gescheitert sei und jetzt auf breiter Front eine Sozialdemokratisierung der Politik stattfinde.

Ottmar Schreiner (Vorsitzender AfA in der SPD) thematisierte den Zusammenhang zwischen steigender Produktivität und der damit verbundenen Notwendigkeit von Arbeitszeitverkürzungen. Die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre weise in genau die andere und damit falsche Richtung. Letztlich gehe es nur um eine Rentenkürzung durch die Hintertür. Die SPD habe in den letzten Jahren „viel Lehrgeld gezahlt.“ Alleine elf verlorene Landtagswahlen seien zu verzeichnen. Dies wäre jedoch nicht völlig ohne Wirkung geblieben, so Schreiner, der in der SPD einen Umkehrungsprozess zu erkennen meint. So sei das Engagement der Sozialdemokratie gegen die Bolkesteinrichtlinie gut und richtig gewesen. Auch der aktuell von ver.di und NGG geforderte Mindestlohn habe Chancen, sich innerhalb der SPD durchzusetzen. In den nächsten 12 bis 14 Monaten werde sich zeigen, ob die Reise der SPD hin zu einer sozialen Erneuerung oder weiter in Richtung Hartz IV gehen werde. Ebenso sei die Entwicklung der Linkspartei noch nicht abzusehen.

Lothar Bisky (Vorsitzender der Linkspartei)schilderte die Aktivitäten der Linkspartei im Bundestag und kündigte eine massive Kampagne für die Einführung des Mindestlohnes an. In der Vergangenheit sei die Linkspartei, und dafür stehe sie auch in der Kritik, zu unsichtbar gewesen. Eine Einschätzung, die durch einen Einwurf von Jürgen Hinzer (Gewerkschaft NGG) illustriert wurde. Er beschrieb die aktuelle Situation des Streiks bei Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen und kritisierte, dass die frisch gewählten Bundestagsabgeordneten der Linkspartei viele Wochen gebraucht hätten, bis sie sich endlich vor Ort mit den Streikenden solidarisierten. Bisky stellte selbstkritisch fest, dass die Fraktion der Linkspartei in einer Situation gesteckt habe, wo sie vor allem damit beschäftigt gewesen sei, sich selbst zu finden. Nun allerdings sei diese Phase vorbei. Die Situation für die Linkspartei habe sich insgesamt deutlich verbessert. Die Medien würden die Partei nicht mehr kategorisch ignorieren und das Verhältnis zu den Gewerkschaften habe sich deutlich verbessert. Bisky zeigte sich zuversichtlich, dass es eine gemeinsame deutsche linke Partei geben werde, die sich stark an der sozialen Frage sowie der Friedenspolitik orientieren müsse.

Abschließend fasste Horst Schmitthenner die Ergebnisse der Tagung zusammen und fragte nach den Anforderungen, denen sich die Linke gegenübergestellt sieht. Er betonte, dass die Linke deutliche Alternativen herausarbeiten müsse, die die Bevölkerung von der Notwendigkeit für einen Politikwechsel überzeugen. Zum zweiten müssten weitere gemeinsame Protestaktionen und Kampagnen nach dem erfolgreichen Beispiel der Demonstrationen gegen die Bolkensteinrichtlinie durchgeführt werden. „Wir brauchen gemeinsame Bündnisse, ohne uns in allem gleich zu machen, aber wo wir uns da treffen, wo es geht.“ Beispielhaft sei das Projekt der IG Metall, 6000 „Botschafter gegen den Neoliberalismus auszubilden“, welches von attac, der KAB und vielen Initiativen unterstützt würde. Ferner plädierte Schmitthenner für die Durchsetzung von partizipativen Elementen der direkten Demokratie und sagte mit Blick auf die WASG-Linkspartei, dass dieses Projekt auch den Linken in der SPD helfe, den weiteren Ausverkauf des Sozialen zu verhindern. Er forderte die Bundestagsabgeordneten von WASG und Linkspartei.PDS auf, sich auch außerhalb des Parlamentsbetriebes stärker zu bewegen: Es gehe nicht darum, vor allem nach neuen parlamentarischen Koalitionen zu suchen, vorrangig brauche man eine kritische und mobilisierende Opposition.