Am 2. Mai diesen Jahres wäre Wolfgang Abendroth 100 Jahre alt geworden. Auf drei Symposien in Marburg, Frankfurt und Leipzig wurden er selbst und seine theoretische wie praktische Arbeit gewürdigt. Vor allem wurde die Frage diskutiert, ob und in welchem Maße seine Analysen heute noch dem Kampf für eine Demokratisierung und soziale Umgestaltung der Gesellschaft gegen die voranschreitende Kapitalisierung von Individuum und Gesellschaft Impulse und Orientierung zu geben vermögen. Über diese Tagungen wird im folgenden berichtet. Schließlich zeigt eine kleine Übersicht, dass auch in der Tages- und Wochenpresse, in Zeitschriften und im Hörfunk eine Reihe von Beiträgen erschienen, die sich Abendroth widmeten. Auf einige wird in einem abschließenden Beitrag eingegangen.
„Politische Wissenschaft – Arbeiterbewegung – Demokratie“. Symposium zum 100. Geburtstag von Wolfgang Abendroth, Marburg, 2. Mai 2006
Anlässlich des 100. Geburtstages von Wolfgang Abendroth veranstaltete das Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg am 2. Mai 2006 ein Symposium mit dem Titel „Politische Wissenschaft – Arbeiterbewegung – Demokratie“. „Zur politischen Aktualität Wolfgang Abendroths“ wäre vielleicht passender gewesen, weil der Auftakt der Veranstaltung von Studierenden der Marburger Universität genutzt wurde, um auf den drohenden „Tod der Marburger Schule“ nach der Pensionierung der letzten Schüler hinzuweisen. Zudem, so der studentische Redner, degeneriere die aktuelle „Hochschulreform“ zu einem Prozess der Entdemokratisierung und zum Verlust von Selbstverwaltung. Wie steht es also um die Aktualität Abendroths?
Im Zentrum des großen Podiums zu Beginn der Veranstaltung standen ein persönlicher Rückblick von Norman Birnbaum auf seine Begegnungen mit Wolfgang Abendroth im Marburg der fünfziger Jahre und ein Eröffnungsreferat von Frank Deppe (vgl. die Druckfassung in diesem Heft). Frank Deppe arbeitete zunächst heraus, wie sehr Abendroths Laufbahn gezeigt habe, dass linke Politik auch gegen den „Widerstand der Mitläufer“ durchgesetzt werden könne. Dies gelte nicht erst mit seiner Berufung ins „braune Marburg“, wo er seinem Ruf als „Repräsentant der geradlinigen Abweichung“ (Herbert Claas) gerecht wurde. Die „Karriere“ Abendroths spiegele, so Deppe, das „Zeitalter der Katastrophen“, wie Hobsbawm es nannte, wider. Das „Schlüsselereignis“ für die Generation Abendroths war das Jahr 1933: Mit dem Siegeszug des Hitlerfaschismus in Deutschland, wurde die Weimarer Republik zu Grabe getragen. Für Abendroth bedeutete dies nicht nur Zuchthaus, sondern lebenslange Denunziation. Im „Land der Mitläufer“ sei er auch nach 1945 ein „Ausgestoßener“ (Claas) geblieben, ein „Partisanenprofessor“, wie es Jürgen Habermas Jahre später formulierte. Abendroth, so Deppe, wusste darum, dass bürgerliche Hegemonie mehr sei als politische Herrschaft. Gerade moderne Gesellschaften seien derart komplex, dass Klassenkämpfe auch in den verschiedenen Institutionen und dem Recht geführt werden müssten. Dies mache auch verständlich, warum Abendroth immer von einer „Wissenschaft von der Gesellschaft“ und einer „Politischen Soziologie“ gesprochen habe. So wenig Abendroth eine partielle Autonomie des Politischen und des Rechts geleugnet habe, so klar sei ihm stets gewesen, dass die Gesellschaft „kein fester Kristall“ sei. Mit Blick auf eine ideologiekritische Herangehensweise hieße das, dass der Aufstieg der Arbeiterklasse weder kontinuierlich, noch nach mechanistischer Naturgesetzlichkeit verlaufe.
Am Nachmittag wurde in drei parallelen Foren diskutiert. Franz Neumann, Hans See und Gerhard Stuby widmeten sich im Forum „Grundgesetz, Sozialstaat, Demokratie“ der Abendrothschen Verfassungsinterpretation, während Michael Buckmiller, Eike Henning, Reinhard Kühnl und Friedrich-Martin Balzer das Verhältnis der Arbeiterbewegung zu anderen politischen und sozialen Bewegungen analysierten. Buckmiller wandte sich in diesem Zusammenhang gegen eine mechanizistische Deutung der Transformation des Kapitalismus in eine sozialistische Gesellschaft. Die Arbeiter seien keine „abschnurrenden Roboter“, sondern lernfähige Subjekte. Es sei ein wichtiger Zug im Denken von Wolfgang Abendroth gewesen, gerade dort, wo es um die Wandelbarkeit kapitalistischer Verhältnisse gegangen sei, „Realist“ gewesen zu sein. Als Frage blieb – wie im Anschluss an die Abendrothsche „Offenheit“ – verschiedene soziale Bewegungen zu einem gemeinsamen Kampf integriert werden könnten. Balzer untersuchte frühe Arbeiten Abendroths zur Rolle der Religion. Ausgehend von Lenins Analysen, hätte Abendroth die Beziehung von Sozialismus und Religion neu bestimmt. Im Angesicht aktueller Tagespolitik, auch mit Blick auf die Einheitsfront, gäbe es sehr wohl eine revolutionäre Theologie – dies hätten u.a. die Bauernbewegungen gezeigt. Antitheistische Propaganda hätte die Einheitsfront unmöglich gemacht („Wir wurden auch ohne Religion geschlagen“, wie Abendroth sagte). Nach Balzer geht es darum, Religion innerhalb einer Dialektik von Basis und Überbau zu begreifen. Im „Kampf um die beste Sache der Welt“, könnten beide – Marxismus und Religion – durchaus auf einer Seite stehen.
Im Forum „Klassen – Kämpfe – Wissenschaft“ ging es um den von Abendroth verkörperten Intellektuellentypus und die mit ihm verbundene Forderung nach eingreifendem Denken und politischem Engagement. Gert Schäfer betonte den engen Zusammenhang von „politischer Soziologie“ und „politischer Bildung“ bei Abendroth. Ein besonderer Akzent habe stets auf der Lehrerausbildung gelegen, die Abendroth als eine „historisch-politische Bildungsarbeit“ konzipiert habe, der eine entscheidende Bedeutung im Kontext gesellschaftlicher Demokratisierung zukomme. Wolfram Burkhardt charakterisierte Abendroth als einen „politischen Intellektuellen aus und in der Arbeiterbewegung“. Im Unterschied zu vielen seiner Zeitgenossen habe Abendroth keinen „Klassenverrat“ begehen müssen. Kennzeichnend für Abendroth sei es gewesen, das er Mut und Unabhängigkeit in „Zeiten der Schwäche gegenhegemonialer Bewegungen“ bewiesen und zugleich die Notwendigkeit erkannt habe, auch in diesen Zeiten das „beharrliche Organisieren von Gegenhegemonie zu betreiben und sie nicht nur in den Hochzeiten einer Bewegung im medialen Scheinwerferlicht zu genießen.“ Die Aktualität Abendroths sieht Burkhardt darin, dass es auch heute – „auf andere Weise“ und unter anderen Bedingungen – um den Mut gehen müsse, „den eigenen Verstand gemeinsam mit anderen für das Universelle zu nutzen“. In einem gemeinsamen Vortrag stellten Conny Weißbach und Stefan Schoppengerd Beziehungen von Abendroths Rechtsauffassung und Gesellschaftsanalyse zu Fragen und Problemkomplexen, die in sozialen Bewegungen der Gegenwart eine Rolle spielen, her. Insbesondere im Kontext einer „Akkumulation durch Enteignung“ – etwa bei Patentierungen und Privatisierungen – stellten sich zentrale Fragen von Eigentum und Verfügungsgewalten auf neue Weise. Intellektuelles Engagement in der Tradition Abendroths sei auch heute dort, wo Wissenschaft und (Arbeiter)Bewegung zusammengedacht würden.
In der abschließenden Podiumsdiskussion thematisierte zunächst der Bremer Soziologe Lothar Peter die gegenwärtige Situation der Arbeiterklasse. Jenseits der Debatten von einer „nivellierten Mittelstands-“ oder der viel beschworenen „Risikogesellschaft“ gelte es die Rolle der Arbeiterklasse neu zu bestimmen. Ausgehend von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, wies er darauf hin, welchen Wandel die Arbeiterklasse vollzogen habe. Wie, so fragte er, hätten sich Lebensstile gewandelt und welche Schlüsse ließen sich hieraus für die Praxis ziehen? Karl-Hermann Tjaden stellte die Frage, inwieweit unter gegenwärtigen Bedingungen, die Arbeiten Abendroths zum demokratischen und sozialen Rechtsstaat überhaupt noch haltbar seien. Tjaden wies darauf hin, dass das kapitalistische System, und mit ihm die Rolle des Staates, sich im Verhältnis zum fordistischen Kassenkompromiss derart transformiert hätte, dass jede Fokussierung auf die juristische Ausgestaltung zwangsläufig zu einer „unkonkreten Abstraktion“ führen müsse. Ein antineoliberaler Kampf könne sich politisch zwar auf Verfassungsgrundsätze berufen, eine marxistische Analyse müsse jedoch primär die Reorganisation der materiellen Basis thematisieren. Kurt Kliem sprach über die Möglichkeiten und Grenzen, das Abendrothsche Verständnis von „wissenschaftlicher Politik“ als „praktischer“ (Kommunal)Politiker „anzuwenden“. Gerhard Stuby rekurrierte hingegen auf die bleibende Aktualität von Abendroths Rechtslehre. So habe dieser immer eine „realistische“ Sichtweise des Internationalen Rechts vertreten. Politische Akteure auf der internationalen Bühne seien hiernach stets die Einzelstaaten. Sie seien insofern die wirklichen Subjekte, als sich nur in ihnen Klassenverhältnisse verdichteten. Nur so könne man die internationale Gemeinschaft (den Völkerbund bzw. die UNO) verstehen. Zudem sei eine hegemoniale Positionierung der Arbeiterklasse nur vermittelt über die parlamentarische Demokratie eines Staates, nicht aber international, möglich.
In einer Abendveranstaltung im Marburg Kulturzentrum Kfz las Andreas Diers, moderiert von Georg Fülberth, aus seiner jüngst erschienenen Teilbiographie Abendroths.
Obwohl die Frage der Aktualität Abendroths nicht restlos geklärt werden konnte, gelang es dem Symposium die Vielfalt und den Facettenreichtum des Abendrothschen Denkens zu würdigen. Anregend für die „Enkelgeneration“ war es – auch aufgrund der gut besetzten Podien – allemal.
Thorsten Markstahler/David Salomon
„Arbeiterbewegung – Wissenschaft – Demokratie“. Tagung von IG Metall-Vorstand, Herausgeberkreis der Schriften von Wolfgang Abendroth und WISSENTransfer, Frankfurt/M., 6. Mai 2006
Die Aktualität des Denkens und Handelns von Wolfgang Abendroth war anläßlich seines hundertsten Geburtstags Gegenstand einer gut besuchten Tagung im großen Saal der Frankfurter IG Metall-Zentrale unter dem Motto „Arbeiterbewegung, Wissenschaft, Demokratie“. Viele im Saal verbanden persönliche Kenntnis und Erlebnisse mit Wolfgang Abendroth als marxistischem Lehrer, Mentor, politischem Berater und engagiertem Kämpfer in den außerparlamentarischen und gewerkschaftlichen Bewegungen der alten Bundesrepublik. Seine Biographie – sein „Leben in der Arbeiterbewegung“ – , seine Rolle als marxistischer Intellektueller, seine Beiträge zur Strategie der politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung, seine Staatsrechtslehre, insbesondere seine Sozialstaatsinterpretation, waren wesentliche Gesichtspunkte, die zur Sprache kamen. Die Herausgeber der Abendrothschen Schriften stellten den ersten von acht Bänden seiner „Gesammelten Schriften“ vor.
Der IG Metall-Vorsitzende Jürgen Peters gab in seiner Eröffnungsrede einen eindrucksvollen Rückblick auf die politische Biographie Abendroths: Er erinnerte an Abendroths Kampf um Einheitsfrontpolitik in der kommunistischen Bewegung vor und nach 1933 und seine Teilnahme am antifaschistischen Widerstand, seine Auseinandersetzungen in der Sozialdemokratie bis zum Ausschluß 1961, seine Rolle in der sozialistischen Opposition der Bundesrepublik und seine vielfältigen Aktivitäten, die ihn mit den Gewerkschaften, besonders der IG Metall, verbanden, wobei heftige Konflikte nicht ausgeschlossen waren. Erwähnt wurden die Beziehungen zu Gewerkschaftern wie Otto Brenner, Fritz Opel oder Willi Bleicher. Peters bezog sich insbesondere auf Abendroths Grundgesetzinterpretation und dessen Sozialstaatsgebot, dessen Kern Abendroth zufolge darin bestehe, „dass der Glaube an die immanente Gerechtigkeit der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufgehoben ist“ und die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der politischen Gestaltung bedürfe, wobei, wie Peters zitierte, „die Garantie der Möglichkeit zu legaler Transformation der sozialökonomischen und soziokulturellen Basis in Richtung auf eine sozialistische Gesellschaft, die auch real (und nicht nur juristisch-fiktiv) wirklich allen gleiche Rechte gewährt“, gegeben sei. Er plädierte dafür, Abendroths Denken „in die Welt des 21. Jahrhunderts zu tragen“ und in der Auseinandersetzung mit heutigen Problemen fruchtbar zu machen: Demokratisierung unter Bedingungen des Finanzmarkt-Kapitalismus, Begrenzung der durch die Globalisierung ungeheuer gewachsenen wirtschaftlichen Macht, Gestaltung eines zeitgemäßen demokratischen Sozialstaats. Für die Linke seien das Scheitern des Staatssozialismus und die „Krise des sozialdemokratischen Projekts“ ebenso aufzuarbeiten wie die radikal veränderten Bedingungen gewerkschaftlicher Arbeit. Hier nannte Peters als Stichworte die Auflösung proletarischer Milieus, Hegemonie des neoliberalen Individualismus, wachsende Kluft zwischen Arbeiterbewegung und nachwachsenden Generationen.
Jürgen Habermas würdigte Wolfgang Abendroth in einem Grußwort als großen Intellektuellen der Arbeiterbewegung, Politikwissenschaftler und bahnbrechenden Juristen. Abendroth hat seiner Ansicht nach in der Universität einen zwar einsamen, aber erfolgreicheren Kampf ausgefochten als auf der politischen und gewerkschaftlichen Bühne. Ihm als dem einzigen marxistischen Ordinarius in der frühen Bundesrepublik sei der Anschluß an die bedeutenden Staatsrechtsdebatten der Weimarer Republik zu verdanken, wobei er in der Auseinandersetzung mit Ernst Forsthoff „zum Hermann Heller der Bundesrepublik“ geworden sei. Die Abendrothsche Interpretation der Grundgesetzbestimmung vom demokratischen und sozialen Rechtsstaat sei so überzeugend gewesen, dass der Sozialstaat heute als Legitimationsbedingung des demokratischen Rechtsstaats allgemein anerkannt sei.
Was den letzten Gesichtspunkt betrifft, setzte der hannoveraner Jurist Joachim Perels insofern einen anderen Akzent, als er daran erinnerte, dass Abendroth bei seiner Verteidigung der zentralen Norm des GG – die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat, dessen Gewährleistungsfunktion selbst durch die verfassungsändernden Gesetzgeber nicht eingeschränkt oder aufgehoben werden kann – bereits 1953/54 in der Forsthoff-Kontroverse unter defensiven Bedingungen argumentierte und von Anfang an nur eine Minderheitsposition einnahm. Dass dies heute nicht anders ist, unterstrich Perels nicht nur mit Hinweis auf die Tagung der bundesdeutschen Staatsrechtler 2004 und die „Interpretationsherrschaft“ der konservativen Staatsrechtslehre, sondern (wie auch Detlef Hensche in seinem Vortrag) mit Verweis auf die massiven, den Prinzipien des sozialen Rechtsstaats widersprechenden sozialpolitischen Eingriffe der rot-grünen Bundesregierung und die völlig ungenierte Kapitalismusapologie führender sozialdemokratischer Politiker von Schröder bis Steinbrück und Beck. Perels verwies auch auf den Beitrag der Bundesregierung dazu, auf europäischer Ebene die privatwirtschaftliche Ordnung im europäischen Verfassungskonvent verfassungsrechtlich festzuschreiben. Er plädierte wie andere dafür, die politische und ideologische Hegemonie „der Kopflanger der gegenwärtigen Stufe des Kapitalismus“ zurückzudrängen, um neuen Handlungsspielraum für die Durchsetzung eines sozialen Rechtsstaats zu gewinnen.
Die Abendroth’sche Perspektive einer sozialistischen Umgestaltung innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens hält Habermas heute aus mindestens zwei Gründen für obsolet: Die Konkurrenz der Gesellschaftssysteme sei zugunsten eines globalen Kapitalismus entschieden, „dessen inklusive Netzwerke keinen Ausgang mehr offen lassen“. Die politische wie soziale Zähmung des Kapitalismus von innen, die „dringlicher denn je auf der Tagesordnung steht“, sei innerhalb des nationalen Rahmens nicht mehr möglich, „nachdem die kapitalistische Wirtschaft nicht länger in ein internationales System eingebettet ist, sondern umgekehrt die Nationalstaaten ihren Imperativen unterworfen hat“. Aus dieser Sicht gibt es offenbar keinen Ausweg mehr aus dem geschlossenen Gehäuse des Kapitalismus, was wohl kaum der Abendrothschen Sicht entsprechen dürfte.
Differenzen zwischen der Frankfurter Schule und Abendroth wurden auch im Vortrag von Alex Demirovic thematisiert. Er verwies auf das wechselseitig eher distanzierte Verhältnis von Abendroth einerseits und Horkheimer/Adorno andererseits, die mit dem Marburger „Outcast“ möglichst wenig zu tun haben wollten und auch in anderen Fragen (sei es die Habilitation von Habermas, sei es die Beteiligung an der Kritik des Godesberger Programms) kniffen. Demirovic machte auch auf das eher gebrochene Verhältnis der „Frankfurter“ zu den Gewerkschaften aufmerksam.
Hier kann nicht überraschen, dass Abendroth Gewerkschaften als Organisationen kämpferischer Interessenvertretung der Lohnabhängigen verstand. Demgegenüber ist das Besondere seiner Gewerkschaftskonzeption, so Hans-Jürgen Urban, die dringliche Zuweisung eines umfassenden Demokratieauftrags an die Gewerkschaften als spezifische Anforderung, die aus der historisch-konkreten Gestalt der restaurativen bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft erwuchs und auf das Grundgesetz bezogen ist (demokratischer Mitwirkungsauftrag, Sozialstaatsgebot einer umfassenden Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft). Also die Ausreizung und Ausweitung von Spielräumen sozialer Gestaltung, die nur durch Klassenkampf und Veränderung von Kräfteverhältnissen zu haben ist. Hier sieht Urban Anregungen für die Strategiedebatte der Gewerkschaften um deren gesellschaftspolitische Rolle („pragmatischer Modernisierungsbegleiter“ oder „konstruktive Vetospieler“ mit politisierter Interessenvertretung?), um Arbeitskampfrecht (offensive Betonung ihres demokratischen Charakters) und Mitbestimmung (Frage nach Wirtschaftsdemokratie im Finanzmarktkapitalismus, Transnationalisierung von Mitbestimmung) sowie Fragen der Organisationsreform (kämpferische Interessenvertretung oder Dienstleistungsorganisation?).
Abendroth überzeugte durch seine persönliche Integrität, seine moralische Kompetenz als Widerstandskämpfer, seinen ungebrochenen Mut, sich auch in finsteren Zeiten nicht nur des Faschismus, sondern auch des Kalten Krieges als Marxist zu bekennen. Frank Deppe sieht in ihm „den Typus des intervenierenden sozialistischen Intellektuellen“ verkörpert, der die Spannung zwischen dem Wirken in der Arbeiterbewegung (der Loyalität zur Bewegung und ihren Organisationen) und der Autonomie der wissenschaftlichen Analyse und kritischen Solidarität mit den Organisationen der Arbeiterbewegung ausgetragen und ausgehalten habe. Hierin ortete er auch die Wurzel für Abendroths Fähigkeit, die selbst durchlebten Schwächen, tiefen Niederlagen und strategischen Fehler der Arbeiterbewegung (die Katastrophe von 1933, die Auswirkungen des Stalin’schen Terrors, das Scheitern der Neuordnung nach 1945, Kalter Krieg und Restauration) durch Neuorientierung, „Neu Beginnen“ und theoretische Aufarbeitung der neuen Handlungsbedingungen aufzufangen. Diese Fähigkeit sei heute genauso gefragt, wenn das Projekt der Gegenhegemonie gegen den Neoliberalismus praktisch gelingen solle. Die Abendrothsche Frage lautet insofern: Was ist historisch geworden, was wirkt fort, auf welche neuen Kampfbedingungen haben sich Bewegungen, Organisationen und Intellektuelle auf der Linken einzustellen?
Über Abendroths Biographie sprachen auch Uli Schöler (Berlin) und Michael Buckmiller (Göttingen). Beide sind zusammen mit Joachim Perels Herausgeber der Abendrothschen Schriften, deren ersten Band Buckmiller unter dem Stichwort „Einheitsfrontblick“ vorstellte. Schöler gab „Streiflichter“ zum politischen Lebensweg Abendroths. Von Krieg und Revolution als prägenden Erlebnissen des sich 1920 in der KPD organisierenden Jugendlichen über dessen spätere Erfahrungen in der Arbeiterjugendbewegung, in den Richtungs-Auseinandersetzungen der marxistischen Arbeiterbewegung der 20er Jahre über die Zeit von Illegalität und Widerstand bis zur Organisation in der SPD nach 1946 und dem Ausschluß nach langen Zeiten vergeblicher Opposition 1961. Abendroths Wirken in der sozialistischen Opposition der sechziger Jahre und seine Einstellung auf die Jugend- und Studentenbewegung der 70er und 80er Jahre sowie sein Engagement in der Friedensbewegung und der Bewegung gegen die Berufsverbote lösten vielfältige Erinnerungen und Interventionen in der Diskussion und der Schlußrunde mit Zeitzeugen und Mitstreitern (Heinz Brakemeier, Jakob Moneta, Norman Birnbaum, Reinhard Schwitzer, Franziska Wiethold und Jörg Wollenberg) aus. Das gilt auch für das aus Schölers Sicht wohl zu „unkritische“ Verhältnis Abendroths zur DKP, in der viele seiner Schüler und Studenten organisiert waren, wobei Schöler in der Diskussion Offenheit für Dialog und unvoreingenommene Aufarbeitung dieser Zeit signalisierte.
Dies war keine nostalgische Veranstaltung, wenn sie auch viele Erinnerungen wachrief und viele Personen zusammenführte, die sich nicht alle Tage sehen. Die Tagungsbeiträge unterstrichen eine bemerkenswerte Aktualität des Abendrothschen Denkens und seiner Haltung in durchaus veränderten Zeiten. Die vergleichsweise geringe Präsenz aus Gewerkschaftsvorständen (einschließlich der IG Metall selbst), aus den Organisationen der sich neu formierenden Linken und die insgesamt eher schwache Resonanz in der Presse zeigen freilich, dass Abendroth heute selbst auf der Linken erst wieder entdeckt werden muss.
Die Beiträge der Tagung erscheinen bei VSA (Hamburg) als Buch.
André Leisewitz
Gegenmacht schaffen. Arbeitskonferenz zum 100. Geburtstag von Wolfgang Abendroth, Leipzig, 13. Mai 2006
Unter dem Thema „Gegenmacht schaffen“ fand nach Marburg und Frankfurt (Main) am 13. Mai 2006 im Leipziger Liebknechthaus eine weitere Konferenz zum 100. Geburtstag des marxistischen Sozialisten und Kommunisten Wolfgang Abendroth statt, dem wohl strategisch klügsten politischen Denker der marxistischen Linken in Deutschland nach Rosa Luxemburg. Wer es unternimmt, die heutige Aktualität Abendrothscher Positionen auszuloten, kommt um ihre frühere Aktualität natürlich nicht umhin. Mit verschiedenen Filmausschnitten kam Wolfgang Abendroth deshalb selber zu Wort. Den Veranstaltern (Marxistisches Forum Sachsen, RotFuchs-Förderverein Region Leipzig und Marx-Engels-Stiftung), den Referenten und den etwa 30 Teilnehmern ging es insofern auch um Erinnerung und Gedenken. Vor allem aber war es ihr Anliegen, sich in der aktuellen Debatte um politische Strategie und Programmatik mit Wolfgang Abendroth zu beraten.
Der Streit um Abendroth, der heute wieder aufkeimt, wird in seinem Fortgang bestimmt vom Klassenkampf in der Klassengesellschaft der Bundesrepublik mit der Besonderheit einer kolonialisierten DDR und einer in ihrer Proletarisierung fortschreitenden Lohnarbeiterklasse. Es geht also nicht darum, Abendroths Gedanken zum Ausgangspunkt zu nehmen und sie auf ihre etwaigen Wurzeln in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zurückzuführen, sondern die Wirkung von der Ursache selbst abzuleiten. So ist die Übereinstimmung, die Entsprechung immer zugleich ein Gegensatz, ein Widerspruch. Im Mittelpunkt des Meinungsstreites stehen die Grundlagen der marxistischen Methode und somit die materialistische Weltanschauung selbst. Denn eins ist immer wieder festzustellen, nämlich dass Abendroth die grundlegenden Ideen von Marx, Engels und Lenin entwickelt - dabei ihre Schüler gebührend (aber nicht unkritisch) würdigt.
Ausgangspunkt und roter Faden der Debatte war das Konzept einer auf progressive Gesellschaftsveränderung gerichteten wissenschaftlichen Politik. Dabei gehe es insbesondere darum, die Kluft zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und gesellschaftlicher Möglichkeit zu überbrücken, Gegenmacht gegen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse zu entfalten, um diese Verhältnisse einzuschränken und am Ende die Möglichkeit sozialistischer Gesellschaft zu verwirklichen. Es war dies genau das Politikverständnis von Abendroth, „das jeweils der Situation angepasste Kettenglied zu ergreifen und dazu anzuhalten, aus der Verteidigung gegenwärtiger Positionen die Möglichkeiten der Vorbereitung einer Offensive zu entwickeln“ (Brief von Wolfgang Abendroth an Heinrich Brandler vom 19. 3. 1963). „Theorien der Hoffnungslosigkeit“ hielt Abendroth stets für verfehlt. Einheitsfrontpolitik bedeutete für ihn, der sich niemals auf Spontaneität verließ, Parteibildung der Arbeiterklasse selbst.
Abendroth war Theoretiker und Klassenkämpfer. Wie die Referenten deutlich machten, warnte er vor einer praxisfernen Übertheoretisierung des Marxismus, steht aber vor allem für die Position, dass es nichts Praktischeres gibt als eine gute Theorie. Friedrich-Martin Balzer, der sich maßgeblich für eine Werkausgabe der Arbeiten von Abendroth engagiert und dem wir die tragenden Zuarbeiten zum ersten Band der „Ausgewählten Werke“ verdanken, berichtete darüber, wie Wolfgang Abendroth mit dem griechischen Widerstand zusammenarbeitete und sich ihm angeschlossen hat (Vgl. auch jW vom 12. 05. 2006). Lebendig wurde dabei die Bedeutung antifaschistischer Solidarität für das wissenschaftliche Credo von Abendroth, Theorie und Praxis als Einheit zu betrachten, der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse zu dienen. Peter Römer wandte sich gegen die Tendenz nicht zuletzt von Vertretern der L.PDS, Abendroth für illusionäre Politikkonzepte zu vereinnahmen. Es bestehe die Gefahr, dass er so das gleiche Schicksal erleiden könne, wie einst Rosa Luxemburg. Römer betonte die Einheit von Wissenschaft, Politik und Praxis im Denken und Handeln von Abendroth. Entschieden grenzte er sich gegen die Ideologie des Unpolitischen ab. Nach Abendroth sei Politik die Machtstruktur der antagonistischen Gesellschaft und Eigentum die konzentrierte Macht selbst. Einer Uminterpretation Abendrothscher „Sozialstaatsauffassung“ zur Stabilisierung kapitalistischer Verhältnisse unter Umgehung der Eigentumsfrage müsse entgegengetreten werden. Ekkehard Lieberam sprach zum Thema „Wissenschaftliche Politik als Gegenmachtstrategie“. Er unterbreitete einen Acht-Punkte-Vorschlag für die Diskussion, das Gegenmachtkonzept Abendroths als programmatisches, d. h. handlungsorientierendes Transformationskonzept zu fassen. Dabei unterscheide sich ein solches Verständnis von Transformation infolge seiner Verknüpfung mit dem „Stellungskrieg im Klassenkampf“ und ihres Ziels (der Eroberung der politischen Macht) grundlegend von den Transformationsvorstellungen der „Modernesozialisten“. Damit waren auch Anknüpfungspunkte für Ingo Wagner gegeben, der sich mit dem Problem eines zeitgemäßen Übergangsprogramms beschäftigte, denn die geschichtlich-ökonomische Entwicklung stellt selbst die Aufgabe, die kapitalistische Gesellschaft zugleich an ihrer Basis und an ihrer Spitze anzugreifen. In den Leverkusener Gesprächen z. B. sei dieses Problem zu kurz gekommen, ein marxistisches Übergangsprogramm sei aber nötig, um in den Tageskämpfen bestehen zu können und die sozialistische Perspektive nicht aus dem Auge zu verlieren. Und diese Perspektive kann und muss konkretisiert werden. Wagner verwies zu Recht darauf, dass heutige Übergangsforderungen komplexerer Art sind, als zur Zeit der Weimarer Republik. Beispiele dafür wurden von Werner Roß (Zwickau) aufgezeigt.
Die Debatte zu den Vorträgen war offenherzig, engagiert und zielgerichtet. Gerade die Übergangsproblematik, zu der auch Michael Mäde, Wolfram Triller und Dieter Götze sprachen, löste eine lebhafte Debatte aus. Die Leipziger Konferenz verdeutlichte den politischen Anspruch und die programmatische Aktualität Wolfgang Abendroths, der nicht wie einst z. B. Hegel oder Spinoza von Geistern, die nicht ihnen glichen, als „toter Hund“ zu behandeln ist. Ihre Ergebnisse werden in TOPOS (Heft 26) publiziert.
Herbert Münchow
100 Jahre Wolfgang Abendroth – ein Blick in die Presse
Erwartungsgemäß nahmen zahlreiche Publikationsorgane der Linken das Datum zum Anlass für Berichte und Reflexionen, so z.B. (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) „junge Welt“[1], „Neues Deutschland“[2], „Freitag“[3], „Unsere Zeit“[4], „Sozialistische Zeitung“[5], „Blätter für deutsche und internationale Politik“[6], „forum wissenschaft“[7], „konkret“[8], „Sozialismus“[9], die „Marxistischen Blätter“[10] oder, mit gewissem Vorlauf, „Z“[11]. Aber auch das Marburger „Uni Journal“[12], die internet-Zeitschrift „literaturkritik.de“[13], die „Frankfurter Rundschau“, die „Süddeutsche Zeitung“, der hessische Rundfunk oder das Deutschland Radio wandten sich Abendroths Jubiläum zu. Auffallend war dabei insgesamt ein Tenor lobender Wertung und mehr oder weniger ausführliche Überblicke über den Werdegang der Person Wolfgang Abendroth und seines Werkes. Er wird durchgängig als konsequenter und dabei stets differenziert denkender Marxist beschrieben, dessen Erfahrungen aus mehreren geschichtlichen Epochen – der Weimarer Republik, dem Faschismus und der Bundesrepublik der Nachkriegszeit – seine Lehre und sein politisches Handeln geprägt hatten. Eine wichtige Rolle wurde auch seiner Auseinandersetzung mit dem Dogmatismus des sowjetisch geprägten Sozialismus zugemessen. Im Mittelpunkt des Interesses stand immer wieder seine Verfassungsinterpretation – sein Insistieren auf der Möglichkeit einer grundgesetzkonformen Transformation zu einer sozialistisch-demokratisch verfassten Gesellschaft. Einige Beispiele:
Jutta von Freyberg, Schülerin Abendroths, und Wolfgang Gehrcke, Abgeordneter der Linkspartei im Bundestag, sahen in Abendroth ein unverzichtbares Vorbild für die Linke sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zukunft. „Ohne Wolfgang Abendroth ist die Herausbildung einer unabhängigen Neuen Linken in der Bundesrepublik undenkbar. Mit seiner Arbeit als Hochschullehrer hat er unzählige Studenten, Lehrer, Gewerkschafter an die Grundlagen marxistischen Denkens herangeführt. Die großen Bewegungen der Bundesrepublik – Friedensbewegung, Kampf gegen die Notstandsgesetze, Bewegung gegen den Vietnamkrieg, die Studentenbewegung – sind von ihm beeinflusst worden. Seine Arbeiten zur Verfassung und zur Arbeiterbewegung sind von großer Bedeutung. Die Neue Linke verfügt nicht über viele geschichtliche Persönlichkeiten von seinem Format. Es ist für die Linke höchste Zeit, Professor Abendroth neu- und wiederzuentdecken.“[14]
Freyberg und Gehrcke unterstrichen insbesondere Abendroths durch historische Erfahrung begründete Erkenntnis, dass demokratisches Verfassungsrecht immer Ausdruck und nur momentanes Ergebnis von Klassenkämpfen sei, das die gesellschaftlich herrschenden Klassen in Krisenzeiten einzuschränken versuchten und das deshalb verteidigt werden müsse. Hier sahen Freyberg und Gehrke einen zentralen Punkt, um auch heute noch das gesellschaftliche Fernziel – den Sozialismus auf der Grundlage eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates – durch den kontinuierlichen Kampf um die rechtlich gesicherte Beteiligung marginalisierter Gesellschaftsgruppen zu erreichen. Weil es dazu der Bildung politischen Bewussteins bedarf, sei linke politische Bildungsarbeit von großer Bedeutung, auch um im Kampf um tagespolitische Nahziele den Horizont auf das Fernziel hin zu erweitern. Dass es darum gegenwärtig nicht gut bestellt ist, verdeutlichten an einem ein Zitat Abendroths: „In der Auseinandersetzung darüber, wie das [Fernziel] zu erreichen ist, ‚werden sich dann immer wieder Denkanstöße in Richtung auf Wiederentwicklung von Klassenbewusstsein’ [ergeben]. An dieser optimistischen Überzeugung Abendroths soll festgehalten werden.“[15]
Eberl und Fischer-Lescano verwiesen darauf, Abendroths Verfassungsverständnis, das auf demokratischer Selbstbestimmung, sozialer Verpflichtung und rechtsstaatlicher Sicherheit insistiere, sei auch heute noch von erheblicher Brisanz und auch politisch notwendig. Gerade weil gegenwärtig soziale Rechte durch Internationalisierung nationalstaatlicher Normen ab- und umgebaut und somit dem demokratischen Willensbildungsprozess entzogen würden, erweise sich diese Rechtsauffassung Abendroths als äußerst aktuell.[16]
An Abendroths international orientiertem Kampf für eine starke und geeinte Arbeiterbewegung gegen Faschismus und Antikommunismus erinnerte Friedrich-Martin Balzer, Schüler Abendroths, in einem Beitrag, der Abendroths Erfahrungen während der Kriegsgefangenschaft im griechischen Widerstand und sein Engagement über diese Zeit hinaus schildert. Mit Blick auf die sozialen Bewegungen der Gegenwart mahnt Balzer an, sich an Abendroths Erfahrungen zu erinnern und ein Beispiel zu nehmen, es Abendroth gleich zu tun und sich solidarisch einzumischen in die herrschenden Verhältnisse, um mehr Bewusstsein für die Notwendigkeit einer anderen Gesellschaftsordnung zu schaffen.[17]
Wolfgang Abendroth als differenzierter, unangepasster marxistischer Intellektueller, der sich einmischte in die bundesdeutsche Wirklichkeit und zugleich keine Scheu kannte, sich öffentlich kritisch mit dem real existierenden Sozialismus auseinander zu setzen, das ist das Bild, das auch Rudolf Walter in der „Frankfurter Rundschau“ zeichnete. Sein Fazit aus Abendroths Wirken: „Demokratie ist nicht einfach da, sondern lebt vom Erneuern und Verbessern. Das ist ungefähr das Gegenteil davon, was heute ‚Reform’ heißt.“[18]
Ähnlich, aber konkreter war die Würdigung Abendroths bei hr-online, wo man ihn heute, lebte er noch, im Engagement bei aktuellen sozialen Bewegungen sah. „Insofern müsste man ihn auch heute wieder als Vordenker einordnen und nicht zuletzt als Persönlichkeit mit moralisch unanfechtbarem Charakter, der die Tugend als der Tugend Lohn begreift. In der heutigen Globalisierungs- und Ökologiediskussion, in der Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformdebatte wäre Abendroth gut platziert mit Zitaten wie: ‚Verelendung ist nicht notwendig abwesend, weil die Sklaven besser gefüttert sind’ oder ‚Der Begriff Sozialstaat enthält nicht nur beliebige Ansprüche einzelner an die öffentliche Hand, sondern hat den Sinn zu zeigen, dass eine Demokratie […] allen sozialen Schichten im Wirtschaftsprozess die gleiche Chance bietet.’“[19]
Nach so viel positiver Würdigung des politischen Menschen und Wissenschaftlers Wolfgang Abendroth zu seinem 100. Geburtstag bleibt zu hoffen, dass sich diese auch in den politischen und sozialen Auseinandersetzungen niederschlägt. Es würde sich als Bereicherung erweisen, eine Aktualisierung seiner Arbeiten im Hinblick auf die gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftspolitischen Herausforderungen vorzunehmen.
Jasmin Romfeld
[1] Andreas Diers/Henning Tegeler, Transformation des Kapitalismus. Vom Rätegedanken zur Formel vom „demokratischen und sozialen Rechtsstaat“. Wolfgang Abendroth zum hundertsten Geburtstag, in: junge Welt, 2.5.2006; Hans Heinz Holz, Umkämpftes Recht, ebd., 3.5.2006; Friedrich Martin Balzer, „Im gemeinsamen Kampf“. Wolfgang Abendroth im griechischen Widerstand, ebd., 12.5.2006.
[2] Gert Meyer, „Schatten einer Möglichkeit“. Am 2. Mai wäre der Politologe und Jurist Wolfgang Abendroth 100 Jahre alt geworden, in: Neues Deutschland, 29./30. 4. 2006; Andreas Diers, Alles, was links ist, ebd.
[3] Georg Fülberth, Partisanenprofessor im Lande der Mitläufer. Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Abendroth, in: Freitag, 28.4.2006; Arno Klönne, Linientreu? Niemals, ebd.
[4] Raimund Gaebelein, Wolfgang Abendroth zum 100. Die Geschichte bietet Erfahrungen, keine Muster, in: UZ, 28.4.2006; Horst Gobrecht, Lebensnahe Theorie-Praxis-Beziehung. IG Metall gedenkt Wolfgang Abendroths, ebd. 12.5.2006; Reinhold Weismann-Kieser, Sozialstaat und Revolution. 16. Abendroth-Forum in Hannover, ebd., 9.6.2006.
[5] Christoph Jünke, Ein Politikum. In Marburg und Frankfurt/M. erinnerten Gewerkschafter, Intellektuelle und Weggefährten an den 100. Geburtstag von Wolfgang Abendroth, in: SoZ, 11.5.2006.
[6] Oliver Eberl/Andreas Fischer-Lescano, Der Kampf um ein demokratisches und soziales Recht, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2006.
[7] Friedrich Martin Balzer, Ein Marxist des 20. Jahrhunderts auch für das 21., in: forum wissenschaft 2/2006.
[8] Georg Fülberth, Annahme verweigert. Die Wiederentdeckung von Klassenbewußtsein hielt er für seine Aufgabe. Zum 100. Geburtstag des Politikwissenschaftlers Wolfgang Abendroth, in: konkret 5/2006.
[9] Neuveröffentlichung von: Wolfgang Abendroth, Was heißt heute „links“ in der Bundesrepublik? In: Sozialismus 5/2006; Karl Hermann Tjaden/Lothar Peter, Wolfgang Abendroth heute – kann man von ihm noch etwas lernen? Ebd., 6/2006.
[10] Georg Fülberth, Ein Mann der sozialistischen Einheit, in: Marxistische Blätter 2/2006.
[11] Peter Römer, Geltung und Wirksamkeit verfassungsrechtlicher Normen. Nach fünfzig Jahren: Wolfgang Abendroths Sozialstaatsinterpretation, in: Z. 58, Juni 2004; Andreas Diers, Staat, Recht und Politik bei Wolfgang Abendroth, in: Z 64, Dezember 2005.
[12] Frank Deppe, Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Abendroth, April 2006.
[13] Beiträge von Jürgen Habermas, Frank Deppe und Georg Fülberth, Ausgabe 5/2006
[14] Jutta von Freyberg/Wolfgang Gehrcke, Verfassungsrecht und Verfassungskampf. Wissenschaftler und Revolutionär: Über die Aktualität von Wolfgang Abendroth, in: junge Welt, 29./30.4.2006.
[15] Ebenda.
[16] Oliver Eberl/ Andreas Fischer-Lescano, a.a.O., S. 576 ff.
[17] Friedrich-Martin Balzer, „Im gemeinsamen Kampf“. a.a.O.
[18] Rudolf Walther, Demokratie muss erneuert werden, in: Frankfurter Rundschau, 2.5.2006. Die FR berichtete am 8.5.2006 auch über die Abendroth-Tagung der IG Metall.
[19] hr-online, Wolfgang Abendroth, in: http://hr-online.de/website/tolls/printsite.jsp?key= standard_document_2080921, 05.04.2006.