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Holloways ‘Open Marxism’

Bemerkungen zur Formanalyse als Handlungstheorie und Revolutionsromantik

von Ingo Elbe
September 2006

Verschiedene Ansätze innerhalb des Marxismus versuchen das „Dilemma der dringlichen Unmöglichkeit der Revolution“[1] zu lösen, indem sie die revolutionstheoretischen Konsequenzen einer Form- und Fetischtheorie des Sozialen als ‚Pessimismus’, ‚Strukturalismus’, ‚Hermetik’, ‚Funktionalismus’ oder als ‚Ökonomismus’ kritisieren. In jeweils unterschiedlicher Intensität und aus unterschiedlichen geistesgeschichtlichen Traditionen heraus werden ‚Praxis’ gegen ‚Struktur’, ‚Kampf’ gegen ‚Integration’, ‚Widerspruch’ gegen ‚Identität’, ‚Symbolisches’ gegen ‚Ökonomisches’, ‚konjunkturelle Dichte’ gegen ‚systemische Grenze’ ins Feld geführt. Das Spektrum reicht dabei vom klassischen Operaismus bis zum ‚Postmarxismus’ von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe.

Auch bei Vertretern der neuen Marx-Lektüre[2] machen sich solche Tendenzen in elaborierter Form bemerkbar: etwa in dem unter anderem von Werner Bonefeld und John Holloway vertretenen ’Open Marxism’. ‚Offener’ Marxismus soll auch hier, in Abgrenzung zu jenen vermeintlich hermetischen Lesarten der Kritik der politischen Ökonomie, die Öffnung formtheoretischer Kategorien für die Konzepte ‚Praxis’, ‚Kampf’ und ‚Widerspruch’ anzeigen[3]. Der Fetischbegriff wird dabei zunächst als zentrale Säule einer kritischen Gesellschaftstheorie betrachtet. Er biete eine wesentlich anspruchsvollere und plausiblere „Erklärung für die Stabilität der bürgerlichen Gesellschaft[4] als traditionelle Ideologie- oder Hegemonietheorien und erweise sich als „das zentrale theoretische Problem, vor das sich jede Theorie der Revolution gestellt sieht“[5]. Im Gegensatz zu poststrukturalistischen Ansätzen, die den Begriff der Mystifikation schlicht verabschieden[6] oder versuchen, das Fetischproblem durch Rekurs auf eine schlichte Manipulationstheorie des Ideologischen zu umgehen[7], formuliert Holloway den Anspruch, innerhalb eines in seiner revolutionstheoretischen Konsequenz „bis zur Unerträglichkeit vorangetrieben(en)“[8] Fetischismuskonzepts Möglichkeiten des Auswegs aus der revolutionstheoretischen Sackgasse zu finden. Dieses Programm macht seine Überlegungen für eine Rekonstruktion der neuen Marx-Lektüre interessant. Die postmoderne Vorstellung von Mikropolitik, die den Gedanken einer Emanzipation von ‚instrumentellen’ Machtverhältnissen[9] aufgebe[10], wird ebenso abgelehnt wie der arbeiterbewegungsmarxistische Ansatz, der von einem exterritorialen Verhältnis von (revolutionärem) Proletariat und (reaktionärer) Bourgeoisie ausgehe und den Prozess der Revolution auf eine bloße Organisationsfrage reduziere[11]. Einen Ausweg sieht Holloway allerdings nur darin, dass kritische Theorie sich vom Modell des „starren Fetischismus“[12] lossagt.

Dieser Ansatz gestehe zwar eine ursprüngliche Konstitution der kapitalistischen Produktionsweise durch (Klassen-) Kampf zu, begreife aber die Formen dieser Produktionsweise und ihre Selbstmystifikationen daraufhin als fertige, abgeschlossene Tatbestände, als stabile Formen gesellschaftlicher Verhältnisse: „Der Wert wird nur in Bezug auf den Kampf in der Übergangsperiode als Kampf angesehen“[13]. Damit werde der formtheoretische Sinn des Fetischismusbegriffs sekundär negiert: Das als historisch-spezifische Praxisform und Existenzweise des Gesellschaftlichen Dechiffrierte unterliege so einer verdinglichenden Umwandlung in die Gestalt fester Strukturen und äußerlicher Formen, in die das Handeln der Akteure hineingegossen werde. Der Kapitalismus existiere dieser „Fetischisierung des Fetischismus“[14] gemäß als Struktur, gerate als durch Strukturierung Gemachtes aber aus dem Blick. Dadurch werde auch das Klassenverhältnis dem Kapital nachgeordnet, Klassenkampf als bloßes Reproduktionsmoment des Kapitals, als abgeleitete Größe und immanenter Widerspruch konzipiert. Die von Marx fetischismuskritisch intendierte Rede vom Kapital als automatischem Subjekt unterliege so einer Mystifizierung zur Vorstellung vom Wert als „tätige(m) und sich selbst konstituierende(m) Ding“[15], was den Marxismus auf einen szientistischen Objektivismus reduziere, der – in Analogie zum ‚Standpunkt der fertigen Phänomene’ der politischen Ökonomie – nur noch das Verhältnis von als „transzendentale Größen“[16] vorausgesetzten, konstituierten Formen untersuchen wolle. Die „Trennung von Konstituierung und Existenz“[17] könne Instabilität nur an den zeitlichen (Anfang oder Ende des Kapitalismus), räumlichen (nichtkapitalisierte Zonen, das schwächste Glied der imperialistischen Kette) und sozialen Rändern (Marginalisierte) des kapitalistischen Formzusammenhangs ausmachen. Sie begreife den „Anti-Fetischismus“[18] als außergewöhnliches Phänomen, das vom privilegierten, dem Gegenstand des mystifizierten Alltagslebens äußerlichen Kritiker repräsentiert werde und somit die Rückkehr des edukationistischen ‚leninistischen Problems’ des Hereintragens des unverstellten Bewusstseins in die gewöhnliche Praxis der gewöhnlichen Masse evoziere[19].

Dagegen beansprucht der Ansatz der „Fetischisierung-als-Prozess“[20] ein konsequentes Zu-Ende-Denken der Formtheorie: Er fragt nicht nach den Funktionen vorausgesetzter Strukturen, sondern dechiffriert die Reichtums- und Zwangsformen des Kapitalismus als spezifisch gesellschaftliche Verhältnisse und rekonstruiert deren permanente Konstitution resp. Besonderung aus den sozialen Antagonismen[21]. Von diesem Hinweis auf die Tatsache, dass die Formen nur durch das Handeln der Akteure hindurch reproduziert werden können – wobei ja gerade die Fetischtheorie darauf hinweist, dass Reproduktion bei aller Kontingenz nicht mit einer beständigen völligen Neuproduktion zu verwechseln ist –, verspricht sich Holloway die Erkenntnis der persistenten Möglichkeit des Aufbrechens des Formzusammenhangs. Hier beginnt nun aber die Erschleichung einer revolutionstheoretischen Öffnung der Marxschen Formtheorie: Holloway ist natürlich zuzustimmen, dass der Ware-Geld-Zusammenhang als gesellschaftliches Verhältnis der Sachen nur solange existiert, wie sich die Menschen unter bestimmten unhinterfragten Bedingungen der Vergesellschaftung ihrer Arbeit auf diese Sachen als Waren beziehen[22] und eine Formtheorie deshalb auch die Möglichkeit der Abschaffung dieses verselbständigten sozialen Verhältnisses aufweist. Doch „er macht aus der abstrakten Möglichkeit eine unmittelbare Anwesenheit“[23]: Mittels einer eigentümlichen Dialektik wird aus der Subsumiertheit der Menschen unter das Kapital eine „ständige Negation unserer Revolte gegen das Kapital“[24] und so die Existenz des Anti-Fetischismus abgeleitet: „Allgegenwärtige Macht bedeutet allgegenwärtigen Widerstand“[25]. Kaum merklich wird die Bedeutung spezifischer Kategorien der Ökonomiekritik verändert, um aus derart abgewandelten Prämissen hoffnungsfrohe Schlüsse zu ziehen. Aus der Reflexion auf die beständige Rekonstitution sozialer Formen mittels menschlicher Praxis wird geschlossen, die Formen Wert, Geld, Kapital und Staat seien Formen des Kampfes[26]. Wie im klassischen Operaismus wird dabei die Einsicht, dass der Wert der Arbeitskraft ein historisch-moralisches Element beinhaltet[27] dazu genutzt, Wert schlechthin nicht mehr als gesellschaftliches Einheitsprinzip privat dissoziierter Arbeit, sondern als Kampf, „tobende(s), blutige(s) Schlachtfeld(...)“[28] zu bestimmen. Wenn das Kapital einst vornehmlich durch die Erkämpfung des Normalarbeitstages zu Formen relativer Mehrwertproduktion gezwungen wurde, soll die gesamte Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte und Produktionsprozesse plötzlich nichts als Reaktion des Kapitals auf die ‚Widerständigkeit’ der Arbeitskraft sein. Diese wird damit zum „natürlichen Sitz jeder kapitalistischen Dynamik“[29], die Bedeutung innerkapitalistischer Konkurrenz um Extraprofit wird ausgeblendet[30]. Die ökonomischen und politischen Formen werden so aber nicht für eine Perspektive des Kampfes geöffnet, diese wird ihnen schlicht unterstellt. Holloway vollzieht diese Operation am Beispiel des Staates: Der Staat reguliert demnach in systemstabilisierender Weise gesellschaftliche Antagonismen und Konflikte. Diese selbstdestruktiven Potentiale der kapitalistischen Ökonomie – die spontane Tendenz zur Verletzung der Aneignungsgesetze des Warentauschs durch die gegensätzlichen Interessen der Privateigentümer und die Tendenz zur Untergrabung der stofflichen Existenzbedingungen des Gesamtkapitals durch die konkurrenzinduzierten Maßnahmen des Einzelkapitals – werden aber nicht als solche benannt, sondern sogleich durch „Ausbrüche der menschlichen Revolte“[31] substituiert, die mittels staatlicher Maßnahmen zu integrieren und kanalisieren seien. Schon ist der Staat in eine Reaktionsform gegen systemtranszendierende Konflikte verwandelt.

Das abenteuerliche hermeneutische Manöver bewegt sich von Konstitution zu Kampf und von Kampf zu Revolte: Wenn Wert eine Praxisform ist, diese ein blutiger Kampf und dieser Kampf wiederum Ausdruck eines ständigen Hinterfragens[32] und Zur-Disposition-Stellens[33] dieser Form von einer Seite des Konflikts aus, dann ist der revolutionstheoretische Bann der Form- und Fetischtheorie gebrochen. Damit ist allerdings auch die Form- und Fetischtheorie selbst gebrochen: Holloway gilt, wie dem Operaismus, bereits jeder noch so banale Diebstahl, jedes Blaumachen, jede Arbeitsverzögerung, jedes gewaltsame Aufbegehren gegen die Staatsmacht als unbewusster Ausdruck[34] des Widerstands eines unschuldigen und humanen Prinzips, des „warme(n) ineinander-Weben(s) des Tuns“ gegen dessen Fragmentierung in „unzählige kalte Atome der Existenz“[35]. Marx’ Formtheorie, die fragt, in welcher Weise der Vergesellschaftungszwang arbeitsteiliger Produktion sich organisiert, wird in eine normativistische Entfremdungstheorie verwandelt, die danach fragt, wie ein unentfremdetes Humanum, die „Gesellschaftlichkeit des Tuns (...) und damit auch der Prozess gegenseitiger Anerkennung und gesellschaftlicher Bestätigung“ „zerbrochen[36] wird und wie seine „Wiederzusammenführung“[37] bewerkstelligt werden könnte. Wie im westlichen Marxismus[38] wird hier der gesellschaftliche Charakter menschlicher Produktion im Zuge eines naturalistischen Fehlschlusses zur Grundlage einer normativ ausgezeichneten Gemeinschaftlichkeit, wird die bloße Tatsache menschlicher Handlungsfähigkeit zu kreativer Macht verklärt und wird der Gebrauchswert als Kategorie für nützliche Gegenständlichkeit schlechthin (die auch Atombomben meinen kann) zum rebellischen Prinzip überhöht[39]. Holloways Dichotomien sind ebenso simpel wie altbekannt: Kreative Macht, Gemeinschaftlichkeit, Anerkennung, Selbstbestimmung, Gebrauchswert, Nichtidentisches, Tun hier – instrumentelle Macht, Isolation, Unterdrückung, Fremdbestimmung, Wert, Identität, Produkt dort.

Der geschichtsphilosophische Topos einer sich selbst unbewussten Arbeit an der menschlichen Emanzipation, die naive Selbstberuhigung, dass, wenn man nur genau genug hinsehe, man überall Formen von ‚Kampf’ und ‚Revolte’ gegen das System erblicken könne, ignoriert gerade die zentralen Einsichten der Marxschen Theorie der Mystifikationen: Dass um Anteile am gesellschaftlichen Reichtum gekämpft wird, dass die Regeln des Wertzusammenhangs verletzt werden, dass Gebrauchswert im Wert niemals aufgehen kann, wird von ihr nicht bestritten. Ihr geht es aber vielmehr um die Frage, wie sich diese Kämpfe und Konflikte artikulieren. Und hier ist zu konstatieren, dass die Mystifikationen kapitalistischer Alltagspraxis die spontanen Denkformen einer systemkonformen Interpretation von Bedürfnissen, Ungleichheiten und Konflikten bereitstellen[40], dass die Ziele von Kämpfen dadurch wesentlich bestimmt werden und diese Ziele von einer kritischen Theorie nicht ignoriert werden dürfen. Genau das geschieht aber, wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist. So kann Holloway eine simple Kontinuität von Alltagspraxis und Kritik behaupten, womit das Problem der Bildung und Aufklärung systemoppositionellen Bewusstseins schon im Ansatz gelöst ist: Da die Kritik als immer schon existent unterstellt ist – „sie ist das Leben der Welt“[41] -, kann ihre theoretische Gestalt als schlichte Systematisierung und Ausformulierung des Standpunkts „des alltäglichen Kampfes um die Erschaffung gesellschaftlicher Verhältnisse auf einer humanen Grundlage“[42] begriffen werden. Dieser ominöse ‚alltägliche Kampf’, den Holloway, unter Absehung der vom Marx analysierten „Religion des Alltagslebens“[43], zuerst kontrafaktisch den wirklichen Kämpfen und Zielen der Akteure unterstellen muss, ist leider nichts als ein diffuses begriffliches Äquivalent für den ‚Standpunkt des Proletariats’ und sein ‚Klassenbewusstsein’. So sympathisch und politisch alternativlos der Gedanke „der Revolution als Selbstemanzipation“[44] auch sein mag, Holloway erschleicht ihn sich durch die Umgehung der ideologiekritischen Konsequenzen der Ökonomiekritik und scheint das letztlich auch selbst zu bemerken. Nach seinen Ausführungen zur vermeintlichen Existenz des Antifetischismus schreibt er: „Wenn wir andererseits den Fetischismus vollständig ausblenden, wird das Subjekt wieder zum Helden“[45]. Dies muss leider auch als unfreiwillige Bilanz seiner eigenen Bemühungen um eine positive Revolutionstheorie auf der Höhe der Ökonomiekritik gelesen werden.

Die Begriffe Klasse und Fetischismus selbst sind im Open Marxism bereits unklar formuliert. Sowohl Bonefeld als auch Holloway weisen auf die Marxsche Formulierung aus den ‚Pariser Manuskripten’ hin, dass „Privatbesitz Konsequenz und nicht Ursache vor entfremdeter Arbeit ist“[46], um einem Strukturprimat in der Sozialanalyse entgegenzuwirken. Marx ist hier das Verhältnis von Struktur und Handlung im Reproduktionsprozess des Kapitals aber noch nicht geläufig. Interpreten wie Thomas Meyer, die sich ebenfalls auf diese Stelle im Marxschen Frühwerk beziehen, sehen wenigstens dieses Problem, versuchen es aber idealistisch zu lösen (bzw. zu verschieben): Am Anfang steht demnach eine ‚Verstandesverwirrung’ der Arbeiter, die Ursache gesellschaftlicher Entfremdung sein soll[47]. Werner Bonefeld wählt zwar nicht diesen Weg, er postuliert aber schlicht, der Klassenkampf begründe im Zuge der ursprünglichen Akkumulation die Genese kapitalistischer Formen, die daraufhin „ständig reproduziert werden muß“[48]. Es ist aber zu fragen, von welchen Kämpfen hier überhaupt die Rede ist. Es kann kaum der Kampf kapitalistischer Klassen gemeint sein, der die kapitalistischen Formen hervorbringt. Marx äußert dagegen deutlich, dass der Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, die als Klassen in der von einer anderen Produktionsweise gewaltsam geschaffenen Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln als Vergesellschaftungsbedingung begründet sind, aus der rechtlichen Pattsituation im Austausch zwischen Ware Arbeitskraft und Kapital hervorgeht[49]. Dies darf man getrost eine Ableitung des Klassenkampfes nennen, in der man den „Klassenkonflikt logisch auf den Umstand (...)gründet (...), daß die Beziehungen zwischen Arbeitern und Kapitalisten durch den Warenaustausch vermittelt werden“[50]. Kurz gesagt: Das Klassenverhältnis (Produktionsmitteleigentümer vs. Nichteigentümer) als Strukturbegriff begründet die Möglichkeit universalisierter Warenform (dies ist zum Beispiel gegen die Krisis-Position einzuwenden), der Klassenkampf als strukturdeterminierter Handlungsbegriff resultiert aus dieser Warenförmigkeit der Produktionsbeziehungen (was gegen die undifferenzierte These von Praxisprimat des Klassenkampfs[51] spricht). Die handlungstheoretische Hybris des Open Marxism ignoriert nicht nur den darstellungsstrategischen Sinn des Strukturprimats in der Ökonomiekritik[52], ihr gerät nicht nur tendenziell aus dem Blick, dass zwar die Formen praktisch konstituiert sind, aber erstens unter bestimmten Bedingungen und zweitens als Voraussetzungen existieren, die nicht in seliger Allmenschlichkeit aufgehen, sie konfundiert auch die theoretische Betonung des Strukturprimats aufgrund der realen Verselbständigung des gesellschaftlichen Zusammenhangs im Wert mit einem Votum für die Fremdbestimmung des Menschen[53]. Demnach wäre Marx’ Kategorie der Charaktermaske moralisch abzulehnen. Unklar bleibt auch der Sinn des Fetischismusbegriffs. Neben der geradezu klassischen Verwechslung von (realer) Form und (mystifizierter) Kategorie[54] wird immer wieder die reale Verkehrung von Subjekt und Objekt mit Fetischismus identifiziert, sodass der Verdacht erweckt wird, das durch Sachen vermittelte gesellschaftliche Verhältnis der Arbeitenden sei bloßer Schein, hinter dem eine Form personaler Herrschaft versteckt sei[55]. Eine solche Auffassung des Warenfetischismus steht komplementär der von Robert Kurz gegenüber: Während dieser von der Identität der Subjekt-Objekt-Verkehrung mit dem Fetisch ausgeht[56], um die ‚paradoxe’ Realität des Fetischs zu proklamieren und ungeniert vom automatischen Subjekt zu reden, versucht Bonefeld offenbar aus der Identitätsbehauptung die Scheinhaftigkeit der Verselbständigung der Produktionsverhältnisse abzuleiten. Das Kapital ist aber beides: reales automatisches Subjekt, weil verselbständigte Reproduktionsdynamik, und Form subjektloser Herrschaft (und als solche nicht auf den Willen oder das Interesse von Akteuren zurückzuführen); automatisches Subjekt als bloßer Schein eines sich nicht durch ein Produktionsverhältnis hindurch auf sich selbst beziehenden Dings[57]. Diese Problematik versteckt sich schon in der meist unverstandenen Passage aus dem sog. ‚Fetischkapitel’ des ‚Kapital’, in der Marx einerseits betont, es sei nur ein bestimmtes soziales Verhältnis der Menschen selbst, das „für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt“[58], und andererseits davon spricht, den Akteuren erschienen die „gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen (...), sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“[59]. Dieter Wolf hat darauf hingewiesen, dass sowohl die Gesellschaftlichkeit des Sachenverhältnisses, also die Tatsache, dass Gebrauchswert für andere produziert wird, als auch die Austauschbarkeit der Sachen, die Tatsache, dass der Gebrauchswert des Produzenten A nur Mittel zum Zweck darstellt, um an den Gebrauchswert des Produzenten B zu gelangen, den Warenbesitzern nach Marx bewusst gegeben ist. Was ihnen unbekannt bleibe, sei dasjenige, worin die Austauschbarkeit der Waren begründet liegt, nämlich der Wert. Aufgrund der gegenständlichen Erscheinungsform des Werts im Gebrauchswert einer ausgeschlossenen Ware, die den Akteuren stets als Resultat vorausgesetzt ist, wenn sie austauschen, dechiffrieren sie das reelle gesellschaftliche Verhältnis der Sachen nicht als sachlich vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Menschen unter spezifischen Vergesellschaftungsbedingungen ihrer Arbeit. Das gesellschaftliche Verhältnis der Sachen erscheint ihnen deshalb als das, was es ist, aber in seiner vermittlungslosen Form, d.h. ‚phantasmagorisch’: Der Unterschied, der „zwischen dem Verhältnis der Dinge, das als Erscheinungsform der gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen ein gesellschaftliches ist, und dem dinglichen Verhältnis der Dinge, das aus ihren physischen Beschaffenheiten entspringt“[60], ist für sie ausgelöscht.

Die hier kursorisch betrachteten Theoreme des Open Marxism erweisen sich meines Erachtens als Ausläufer eines perennierenden Missverständnisses der Darstellungslogik im Marxschen ‚Kapital’ und zugleich als ein weiterer Beitrag zum Elend einseitig handlungstheoretischer Interpretationen der Formkategorie der Ökonomiekritik[61]. Auch was die von vielen Rezipienten so geschätzte Revolutionstheorie betrifft, hat der geöffnete Marxismus nur altbekannte Dichotomien und Erklärungsmuster zu bieten. Der Erfolg dieser Art von Theoriebildung dürfte wesentlich durch das unausrottbare Bedürfnis nach linker Wohlfühlliteratur zu erklären sein. Solange viele Linke vornehmlich einer „Art von Kritik“ zuneigen, „welche die Gegenwart zu be- und verurteilen, aber nicht zu begreifen weiß“[62], wird sich daran auch nichts ändern...

Literatur

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Sieferle, Rolf Peter (1979): Die Revolution in der Theorie von Karl Marx, Ff/M. – Berlin - Wien

Tronti, Mario (1974): Fabrik und Gesellschaft. In: http://www.wildcat-www.de/archiv.htm

Wolf, Dieter (1985): Ware und Geld. Der dialektische Widerspruch im Kapital, Hamburg

[1] Holloway 2002, S. 94.

[2] Vgl. u.a. die expliziten Bezüge auf Rubin, Paschukanis und die Form- und Fetischtheorie bei Holloway 2002, S. 95, 111ff.

[3] Vgl. ebd., S. 108.

[4] Ebd., S. 67; vgl. auch S. 69.

[5] Ebd., S. 69.

[6] Vgl. u.a.

[7] Vgl. Meyer 1973, S. 207f.

[8] Holloway 2002, S. 70.

[9] Holloway unterscheidet zwischen instrumenteller (‘power over’) und kreativer (‘power to do’) Macht, also zwischen Herrschaft und (kollektiver) Handlungsfähigkeit.

[10] Vgl. ebd., S. 94.

[11] Vgl. ebd., S. 71, 95f.

[12] Ebd., S. 97.

[13] Ebd., S. 98.

[14] Ebd., S. 99.

[15] Bonefeld 1997, S. 63.

[16] Ebd., S. 60.

[17] Holloway 2002, S. 99.

[18] Ebd., S. 107.

[19] Vgl. ebd., S. 99f., 107.

[20] Ebd., S. 107.

[21] Vgl. ebd., S. 112f., 123.

[22] Vgl. Heinrich 2004a, S. 73.

[23] Kettner 2005, S. 7.

[24] Holloway 2002, S. 110.

[25] Ebd., S. 96.

[26] Vgl. ebd., S. 118f.

[27] Vgl. MEW 23, S.

[28] Ebd., S. 110.

[29] Tronti 1974, S. 15.

[30] Vgl. auch Bonefeld (1997, S. 62), der sich vehement dagegen ausspricht, die Entwicklung der Produktionsweise als vom „Verhältnis zwischen Kapital und Kapital“ geprägte zu verstehen.

[31] Holloway 2002, S. 115.

[32] Vgl. ebd., S. 109.

[33] Vgl. ebd., S. 121: „Seine Existenz steht deshalb immer auf dem Spiel“.

[34] Vgl. ebd., S. 109: „Jedes Mal, wenn ein kleines Kind Süßigkeiten aus einem Laden nimmt, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass dafür Geld im Austausch gegeben werden muss, jedes Mal, wenn Arbeiter sich weigern, vom Markt diktierte Fabrikschließungen oder Arbeitsplatzverluste hinzunehmen (...) jedes Mal, wenn wir unsere Fahrräder, Autos oder Häuser anschließen – steht der Wert (...) in Frage, ist er ein ständig umkämpftes Objekt“. Vgl. auch ebd., S. 173, 216, 236. Vom Verfluchen des Weckers bis zum Selbstmord, vom Haare grün Färben bis zum Terrorismus – alles wird zum Bestandteil der großen untergründigen Revolte gegen das Kapital. Zur Kritik vgl. Kettner 2005.

[35] Ebd., S. 92.

[36] Ebd., S. 62 (Hervorhebung von I.E.).

[37] Ebd., S. 108 (Hervorhebung von I.E.). Vgl. auch ebd., S. 126.

[38] Vgl. tendenziell bei Fleischer 1975, S. 32, 55ff. vor allem aber bei Kofler. Diesem gelten zwar anthropologische Bestimmungen zunächst nur als formale Ermöglichungsbedingungen menschlicher Geschichtlichkeit („Anthropologie als (...) Wissenschaft (...) von den unveränderlichen Voraussetzungen menschlicher Veränderlichkeit“ (Kofler 2000b, S. 188)), dennoch wird die Tatsache, dass sich menschliches Handeln nicht instinktgeleitet, sondern bewusstseinsvermittelt und in sozialen Zusammenhängen vollzieht, oft mit normativen Aussagen über den Menschen als an sich freies Wesen konfundiert. Die biologische Nicht-Festgelegtheit auf bestimmte Verhaltensformen, die primäre Sozialität usw. werden dann zum „originären Wesen des nichtentfremdeten (...) Menschen“ (Kofler 2000a, S. 186) verklärt.

[39] Vgl. Holloway 2002, S. 58.

[40] Vgl. ausführlich Sieferle 1979, S. 182-194.

[41] Holloway 2002, S. 119.

[42] Ebd.

[43] MEW 25, S. 838.

[44] Holloway 2002, S. 125.

[45] Ebd.

[46] Holloway 2002, S. 61 (FN); vgl. auch Bonefeld 1997, S. 64, 80, 88.

[47] Vgl. Meyer 1973, S. 100.

[48] Bonefeld 1997, S. 81.

[49] Vgl. MEW 23, S. 249.

[50] Postone 2003, S. 479.

[51] Vgl. Bonefeld 1997, S. 80, 87.

[52] Zu diesem vgl. Neuendorff 1973, S. 124: „Der Vorrang der Analyse des objektiven Konstitutionszusammenhangs der kapitalistischen Produktionsweise und der sich in ihr entfaltenden Widersprüche gegenüber einer Analyse der gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse, die vom (...) Handeln von Individuen oder Gruppen ausgeht, ergibt sich zwangsläufig aus der im Kapitalverhältnis verankerten Dominanz der abstrakten Wertgegenständlichkeit über das Handeln und Bewußtsein der Subjekte“. Vgl. auch die Kritik Michael Heinrichs an Karl Reitter in Heinrich 2004c, S. 36.

[53] Vgl. Bonefeld 1997, S. 61.

[54] Vgl. ebd., S. 76f. Vgl. auch Holloway 2002, S. 63, 65: Beide reden im objekttheoretischen Sinne von ‚verrückten Formen’ des Kapitalismus, die sogleich mit einer „irrationalen, pervertierten Welt“ (ebd., S. 63) übersetzt werden. Marx bezeichnet aber die Selbstmystifikation der realen Erscheinungsformen als „verrückte(...) Form“ (MEW 23, S. 90). Auf die Konfundierung von Entfremdung und Fetischismus bei Holloway macht auch Werner Imhof aufmerksam (Imhof 2004, S. 7). Trotz seiner über weite Strecken erhellenden Kritik an Holloways Verfehlung der Marxschen Formtheorie mittels der Kategorien ‚Tun’ und ‚Getanes’, verharmlost er die Problematik des Fetischismus und der Verselbständigung der Produktionsverhältnisse: Die Mystifikationen werden dabei zu „subjektive(n) Affirmation(en)“ der Produktionsweise verdünnt, die bloß aus „ihrer (der Warenbesitzer) eigenen Subjektivität“ (13) resultieren sollen. Zur Frage, wie die Akteure zu einem kritischen Bewusstsein kommen können, das dazu führt, dass sie sich die privat-dissoziierte Produktionsweise vom Hals schaffen, kann auch Imhof nichts sagen.

[55] Vgl. Bonefeld 1997, S. 68, 71.

[56] Vgl. Kurz 1987.

[57] Vgl. dazu Brentel 1989, S. 268.

[58] MEW 23, S. 86.

[59] Ebd., S. 87.

[60] Wolf 1985, S. 217 (Teil 3, Kap. 1). Vgl. auch Heinrich 2004a, S. 72.

[61] Vgl. zur Kritik dieser Ansätze u.a. Heinrich 2004b.

[62] MEW 23, S. 528.