Axel Honneth versucht mit dem Stichwort Verdinglichung „ein bedeutendes Thema des westlichen Marxismus“ zu reformulieren und zu aktualisieren und dabei „den Begriff der Anerkennung für ein Thema fruchtbar zu machen, das bis heute zur unbewältigten Erbmasse der Tradition der Kritischen Theorie gehört“ (7). Entstanden ist seine Untersuchung[1] in Form von Vorlesungen an der Universität Berkeley für „eher analytisch“ geschulte Hörerinnen und Hörer; sie ist aber auch für Marxisten und Kenner oder Vertreter der Kritischen Theorie interessant.
Zum Schlüsselbegriff wurde ‚Verdinglichung’ erstmals durch Georg Lukács in Geschichte und Klassenbewusstsein (1923): Während ‚Vergegenständlichung’ unproblematisch und unvermeidlich ist, so unterscheidet man wohl am besten, ist ‚Verdinglichung’ pejorativ besetzt und hat mit Entfremdung zu tun (in seiner zu pauschalen Selbstkritik im neuen Vorwort von 1967 hat Lukács leider versäumt, beides sorgfältig gegeneinander abzugrenzen; Honneth folgt ihm darin, insofern er überhaupt nicht von ‚Vergegenständlichung’, sondern nur von ‚Verdinglichung’ spricht). Lukács spricht vom „im Kapitalismus aufgewachsenen Menschen mit verdinglichtem Bewusstsein“ (Geschichte und Klassenbewusstsein (GuK), Neuwied u. Berlin 1970, 505). Die Warenform, so Lukács, wird im modernen Kapitalismus zur „Herrschaftsform der gesamten Gesellschaft“ (GuK, 173), und zwar so, dass die menschliche Tätigkeit und „das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst“ für die Menschen, wie Marx sagt, „die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annehmen“ (Das Kapital I, MEW 23, 86). Lukács spricht leider nur von einer Totalisierung der Warenform, nicht von Wertform (und Wertgesetz), strukturgesetzlich herrschend im Kapitalismus wird aber meines Erachtens (mit Marx und Adorno, der missverständlich vom ‚Tauschprinzip’ sprach) die selbstreferenzielle Totalisierung der Wertform, als Tauschwert zwar der Ware, aber sich verselbständigend zur Basisrelation (oder Zentralreferenz) des sich selbst verwertenden Wertes. Honneth hat freilich kein Interesse, Lukács diesbezüglich zu präzisieren, auch er spricht nicht von Wertform; allerdings rekonstruiert er Lukács wohl soweit richtig: „Die Subjekte sind im Warentausch wechselseitig dazu angehalten, (a) die vorfindlichen Gegenstände nur noch als potentiell verwertbare ‚Dinge’ wahrzunehmen, (b) ihr Gegenüber nur noch als ‚Objekt’ einer ertragreichen Transaktion anzusehen und schließlich (c) ihr eigenes Vermögen nur noch als zusätzliche ‚Ressource’ bei der Kalkulation von Verwertungschancen zu betrachten“ (20). Dabei spricht Lukács, dies sollte m.E. sowohl zusammenfassend als auch gesondert aufgeführt werden, „die knechtende Herrschaft der verdinglichten Beziehungen über den Menschen“ an, die aufzuhebende „Herrschaft der Ökonomie über die Gesellschaft“ (GuK, 397); durch Verdinglichung lassen Menschen sich real fremdbestimmen. Verdinglicht werden die menschliche Tätigkeit, das menschliche Bewusstsein, der andere Mensch, die Natur und das eigene Selbst, während dies alles in Wahrheit, so Lukács, nicht Dinge, sondern prozessuelle Beziehungen sind. Diese dialektische Sichtweise rekonstruiert Honneth nicht, er legt den Schwerpunkt auf etwas anderes: Statt ein aktiver Teilnehmer am Handlungsgeschehen seiner Umwelt zu sein, wird das Subjekt in „die Gewohnheit eines bloß beobachtenden Verhaltens“ versetzt, „in dessen Perspektive die natürliche Umwelt, die soziale Mitwelt und die eigenen Persönlichkeitspotentiale nur noch teilnahmslos und affektneutral wie etwas Dingliches erfasst werden“ (24). Honneth greift von Lukács auf, was bei diesem als „Spur“ vorhanden sei, nämlich den mit ‚Verdinglichung’ gemeinten Sachverhalt „als Verkümmerung oder Verzerrung einer ursprünglichen Praxis“ zu verstehen, „in der der Mensch zu sich und zu seiner Umwelt ein anteilnehmendes Verhältnis einnimmt“ (27). Tatsächlich ist bei Lukács von einer „Perspektive zu einer Wiedererlangung von nicht verdinglichten Beziehungen zwischen Mensch und Mensch, zwischen Mensch und Natur“ die Rede (GuK, 377).
Den Begriff einer anteilnehmenden Praxis bei Lukács vergleicht Honneth mit Heideggers Begriff der ‚Sorge’, der ebenfalls das starre Subjekt-Objekt-Schema überschreite und der, wenn damit eine intersubjektive oder interaktive Einstellung gemeint sei, ebenfalls ein „Moment der positiven Befürwortung, der existentiellen Zugewandtheit“ ausdrücke (38). In einem zweiten Schritt ersetzt er den Begriff der ‚Sorge’ durch die von Hegel stammende Kategorie der ‚Anerkennung’: Es geht ihm nun um die Begründung der These, „dass im menschlichen Selbst- und Weltverhältnis eine befürwortende, anerkennende Haltung sowohl genetisch als auch kategorial allen anderen Einstellungen vorhergeht“ (39). Zum Vergleich führt er auch Deweys ‚praktisches Engagement’ an, das einen Brückenschlag zwischen Kognition und Gefühl vorsehe. „Wir räumen den Gegebenheiten der uns umgebenden Welt zunächst stets einen Eigenwert ein, der uns um unser Verhältnis mit ihnen besorgt sein lässt. (...) Eine anerkennende Haltung ist mithin Ausdruck der Würdigung der qualitativen Bedeutung, die andere Personen oder Dinge für unseren Daseinsvollzug besitzen“ (42). Wenn diese Haltung durch eine Distanznahme abgelöst wird, durch die ein Erkenntnisobjekt herausdestilliert wird, darf, so Dewey, der ursprüngliche, qualitative Erfahrungsgehalt im Abstraktionsprozess nicht verlorengehen.
Für Honneth kommt es nun darauf an, den sowohl genetischen wie begrifflichen Vorrang des Anerkennens vor dem Erkennen weitergehend zu begründen, ohne eine bloße Berufung auf philosophische Autoritäten. Er greift hierzu auf Ergebnisse der Entwicklungspsychologie und Sozialisationsforschung zurück, wonach für das Kind der Erwerb kognitiver Fähigkeiten an die Ausbildung erster kommunikativer Beziehungen gebunden ist: Der Säugling beginnt schon früh, den Blick der Bezugsperson zu erheischen und auf bedeutungsvolle Objekte zu lenken, um so experimentell die Unabhängigkeit einer anderen Perspektive auf die umgebende Welt zu testen. Im neunten Monat wird die Fähigkeit erworben, „die Bezugsperson als einen intentionalen Aktor wahrzunehmen, dessen Einstellung zur umgebenden Welt ebenfalls zielgerichtet ist und insofern gleichgroße Bedeutung wie die eigene besitzt“ (47f.). Die Übernahme der Perspektive des Anderen (vgl. G.H. Mead: „taking the attitude of the other“) ist Bedingung der Entwicklung symbolischen Denkens und objektiver Gegenstandserkenntnis. Dabei wurde lange unterschätzt, welch fundamentale Rolle dabei die affektive Besetzung der Bezugsperson spielt (dies ist es, wozu autistische Kinder nicht in der Lage sind): Erst die emotionale Identifikation mit dem Anderen ermöglicht es, sich in seine Perspektive hineinzuversetzen und sie als korrektive Instanz bei der erkennenden Erschließung der Umwelt und Handhabung des Symbolischen gelten zu lassen. Honneth weist darauf hin, dass auch Adorno die Imitation der geliebten Bezugsperson als Bedingung der Entwicklung geistiger Fähigkeiten ansah: Ein Mensch werde zum Menschen, schrieb Adorno in den Minima Moralia, überhaupt erst indem er andere Menschen imitiere, und dies sei die Urform der Liebe. Durch die libidinöse Besetzung des Anderen als Objekt kommt die Perspektivübernahme zustande, durch die ein Mensch eine schließlich entpersönlichte, des Egozentrismus entkleidete Vorstellung von der umgebenden Wirklichkeit erwirbt. „Insofern bemisst sich für Adorno die Exaktheit unserer Erkenntnis am Maß der emotionalen Anerkennung, des affektiven Geltenlassens anderer, möglichst vieler Perspektiven“ (53). Der bloß ontogenetische Primat des Anerkennens vor dem Erkennen ist mit diesen wichtigen Hinweisen bereits in Richtung auf einen begrifflichen, kategorialen Primat überschritten. Nicht umsonst gehört der soeben referierte Abschnitt zu den intensivsten des Buches.
Der begriffliche Primat des Anerkennens wird nun ausgebaut durch die Rezeption von Überlegungen von Stanley Cavell zum Problem des Fremdpsychischen und zur Analyse von Empfindungssätzen. Vor aller möglichen Erkenntnis von Empfindungszuständen eines anderen Subjekts muss eine gewisse Haltung des Betroffenseins, der Anteilnahme stehen, des existentiellen Einbezogenseins in die Empfindungswelt des Anderen. Dann können die Verhaltensäußerungen des Anderen als Aufforderung zu einer irgendwie gearteten Reaktion verstanden werden. Die Einnahme einer anerkennenden Haltung ist die Bedingung zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen. Das Fehlen eines privilegierten kognitiven Zugangs zur psychischen Welt des Anderen, insofern der Mangel an Erkennen, wird durch Anerkennen kompensiert. „Das Gewebe der sozialen Interaktion ist nicht, wie in der Philosophie häufig angenommen, aus dem Stoff kognitiver Akte, sondern aus dem Material anerkennender Handlungen gewebt“ (58). Und generell ist sprachliches Verhalten „an die nicht-epistemische Voraussetzung der Anerkennung des Anderen gebunden“ (59). Das ist unabhängig von dem Umstand, ob freundliche Gefühle für den Anderen vorliegen oder nicht, und es ist auch unabhängig von einer Bejahung spezifischer Eigenschaften des Anderen. Im Gegensatz zu Lukács, Dewey und Heidegger ist bei Cavell der Vorrang der Anerkennung auf den zwischenmenschlichen Bereich beschränkt und nicht auf die nicht-menschliche Welt ausgedehnt.
Nach diesen Ausführungen ist Honneth in der Lage, das Thema ‚Verdinglichung’ wiederaufzunehmen. Anders als bei Lukács ist das objektivierende Erfassen von Sachverhalten oder Personen „ein mögliches Produkt vorgängiger Anerkennung, nicht aber deren pures Gegenteil“ (65); angesichts seiner gesellschaftlichen Bedeutung kann es nicht einfach unter ‚Verdinglichung’ subsumiert werden. Die Neutralisierung jener Anerkennung und Anteilnahme dient „im Normalfall dem Zweck der intelligenten Problembewältigung“ (66); man könnte m.E. sagen, dass es darum geht, die Anerkennung und Anteilnahme dabei dialektisch aufzuheben (also aufzubewahren, zu erinnern) und nicht abstrakt zu negieren. Wo „Anerkennungsvergessenheit“ vorliegt (68), können wir von ‚Verdinglichung’ sprechen. Vor allem Adorno habe immer wieder betont, „dass die Angemessenheit und Qualität unseres begrifflichen Denkens davon abhängig ist, in welchem Maße es sich seiner ursprünglichen Bindung an ein Triebobjekt, also an geliebte Personen oder Dinge, bewusst zu bleiben vermag“ (69). Dann wird der Gegenstand nicht abstrakt zugerichtet, sondern in seiner konkreten Besonderheit erfasst (dabei steht z.B., wieder dialektisch gesprochen, Qualität vor Quantität). Wo hingegen Denkschemata und Vorurteile regieren, liegt entweder Vergessen oder Leugnung bzw. Abwehr der vorgängigen Anerkennung vor. Um nun von Verdinglichung nicht nur von Menschen, sondern auch von Natur sprechen zu können, schlägt Honneth vor, „die Anerkennungsbedingungen der menschlichen Interaktion in die Dimension unseres Umgangs mit der natürlichen Welt hinein zu verlängern: Wir verletzen zwar keine praktische Voraussetzung unserer kognitiven Beziehung zur Natur, wenn wir ihr gegenüber eine nur noch objektivierende Einstellung einnehmen, aber wir verletzen doch in einem indirekten Sinn die nicht-epistemischen Bedingungen unseres Umgangs mit anderen Menschen“ (79). Hier möchte ich jedoch vorschlagen, einen von der menschlichen und zwischenmenschlichen Perspektive losgelösten Eigenwert der Natur anzuerkennen, der menschliche Wertzumessungen und Identifikationen überhaupt transzendiert: Die Natur wäre auch sie selbst, wenn es keine Menschen gäbe und keine geistige Erkenntnis und Anerkenntnis stattfände (wenngleich man sagen kann, dass mit dem Menschen die Natur bis zu einem gewissen, nicht genau spezifizierbaren Grade sich selbst erkennt). Sicher, unser anerkennender, liebender oder auch nur objektivierender Umgang mit Natur bleibt in Grundzügen ein Umgang mit uns selbst bzw. mit dem Anderen-unserer-selbst; wir müssen aber an ihr auch einen Bereich anerkennen, an den unser interessengeleitetes Erkennen und die Anerkennungsbeziehung und unsere Interaktivität nicht heranreichen. Dies wäre eine materialistische Position, die dem nahe kommt, was Adorno den Vorrang des Objekts und die Anerkennung des ‚Nichtidentischen’ nannte. Es ist eine Anerkennung, die sich selbst transzendiert und auch nicht in einer Übernahme der Perspektive des ‚Anderen’ aufgeht: Denn wir können nur so weit die Perspektive der Natur übernehmen, wie wir selbst Natur sind, meinen aber mit dieser Anerkennung gerade etwas, das uns selbst und allen Perspektivismus transzendiert. Gerade dieses noch die Anerkennung überschreitende und sich dabei dialektisch ‚aufhebende’ Moment von Anerkennung kann dann aber in der interaktiven Praxis zu einem respektvollen Umgang mit Natur führen (eine sich selbst abstrakt negierende Anerkennung hingegen wäre schon wieder ‚Anerkennungsvergessenheit’). Lukács, der sagt, Natur sei „eine gesellschaftliche Kategorie“ (GuK, 372), und der wie Marx vom gesellschaftlichen ‚Stoffwechsel’ mit der Natur spricht, darf man diesbezüglich freilich kein avanciertes ökologisches Bewusstsein zusprechen, wie es erst die globale ökologische Problematik der letzten Jahrzehnte hervorbrachte.
Im vorletzten Kapitel des anregenden Buches umreißt Honneth „Konturen der Selbstverdinglichung“, denn Lukács habe neben der intersubjektiven Welt der Mitmenschen und der objektiven Welt natürlicher Gegebenheiten „auch die Welt der inneren Erlebnisse, also der mentalen Akte, als einen Phänomenbereich begriffen, dem wir statt in der geforderten Einstellung der Anteilnahme in einer bloß betrachtenden Haltung begegnen können“ (80); er habe aber weder die verdinglichende noch die nicht verdinglichende Haltung genauer beschrieben. Honneth greift auf Aristoteles’ Begriff der ‚Selbstfreundschaft’ zurück, bei der „ein gelingendes Selbstverhältnis an die Voraussetzung der wohlwollenden Meisterung der eigenen Triebe und Affekte gebunden wird“ (81), und auf Peter Bieri, der von einer Aneignung unseres eigenen Willens spricht. Hier geht es nun „um eine Anerkennung, die das Subjekt sich selbst vorweg entgegengebracht haben muss, um überhaupt in einen expressiven Kontakt mit seinen mentalen Zuständen treten zu können“ (89); die eigenen Wünsche und Empfindungen müssen einer Artikulation für würdig erachtet werden. Honneth erläutert die Standpunkte des Detektivismus und des Konstruktivismus als defizitäre Modi, in denen man Formen der Verdinglichung sehen könne: „Im ersten Fall bezieht sich ein Subjekt auf seine mentalen Zustände wie auf etwas starr und fest Gegebenes, während es im zweiten Fall diese Zustände als etwas zu Produzierendes betrachtet, über dessen Charakter es je nach Situationsgegebenheit verfügen kann“ (91). Einmal werden die eigenen Empfindungen als abschlusshaft fixierte Gegenstände erlebt, die es zu entdecken und zu beobachten gilt, das andere Mal werden sie als etwas instrumentell erst Herzustellendes und zu Manipulierendes betrachtet.
Im Schlusskapitel über „Soziale Quellen der Verdinglichung“ wendet sich Axel Honneth endlich dem „Herzstück“ der Analyse von Georg Lukács zu, nämlich der gesellschaftstheoretischen These, dass für die von ihm genannten Verdinglichungserscheinungen „nur die kapitalistische Verallgemeinerung des Warentausches verantwortlich zu machen ist“ (94). Hier wird nun eine gewisse Ambivalenz sichtbar. Zum einen nämlich konzediert Honneth, „mit großem Recht“ habe Lukács „zunächst auf solche Verdinglichungseffekte aufmerksam machen wollen, die mit der institutionellen Ausweitung des kapitalistischen Marktverkehrs einhergehen können“ (99). Und im letzten Satz betont er, sein Buch sei „nicht ohne Besorgnis darüber geschrieben worden, dass unsere Gesellschaften eine Entwicklung nehmen könnten, die Lukács vor achtzig Jahren mit unzureichenden Mitteln und in weit überzogener Verallgemeinerung vorausgeahnt hat“ (107). Das klingt so, als stehe Kapitalismuskritik für ihn durchaus noch auf dem Programm. Doch andererseits plädiert Honneth für eine vollständige Entkoppelung von Verdinglichungskritik und Kapitalismuskritik. Es seien mindestens „vier Probleme, die es heute ratsam erscheinen lassen, sich von dem soziologischen Erklärungsrahmen der Lukácsschen Verdinglichungsanalyse im ganzen zu verabschieden“ (98f.). Erstens sei die Lukácssche Gleichsetzung von Entpersönlichung und Verdinglichung so nicht haltbar. In einer durch Geldverkehr ‚entpersönlichten’ Beziehung müsse der Andere doch „als Träger allgemeiner Personeneigenschaften präsent bleiben, um überhaupt als verantwortungsfähiger Tauschpartner gelten zu können“ (96). Insbesondere habe Lukács, das präzisiert wohl diesen (nicht unberechtigten) Kritikpunkt, übersehen, dass „im ökonomischen Austausch der Interaktionspartner normalerweise zumindest als rechtliche Person gegenwärtig bleibt“ (94). Die „Schutzfunktion des Rechts, in der letztlich eine dürftige, aber um so wirksamere Übersetzung des Faktums vorgängiger Anerkennung zu sehen ist“, habe Lukács „nicht angemessen wahrnehmen können, weil er die Institution des modernen Rechts selber für eine Ausgeburt der Verdinglichungstendenzen des kapitalistischen Wirtschaftssystems gehalten hat“ (101). Um so mehr sind allerdings auch für Honneth „Praktiken des puren Beobachtens, Registrierens oder Berechnens von Menschen“ anzuprangern, die „nicht mehr an die minimalen Anerkennungsgarantien des Rechts zurückgebunden“ sind. Dabei erwähnt er nicht, dass sein Beispiel „der wachsenden Aushöhlung der rechtlichen Substanz des Arbeitsvertrags“ (ebd.) doch ein innerkapitalistisches Phänomen darstellt. Ebenso könnten Praktiken der Überwachung (und Selbstüberwachung) aufgeführt werden. Bei Lukács findet man, von Honneth nicht erwähnt, Verdinglichungstendenzen der Bürokratie genannt (vgl. GuK, 191f. u. 300), worin übrigens ein Potential der Kritik nicht nur an kapitalistischen Staaten, sondern auch an den verwirklichten sozialistischen Modellen steckt. Doch kommen wir zu einem zweiten Kritikpunkt: Abzulehnen sei auch „die Tendenz, zwischen den unterschiedlichen Dimensionen der Verdinglichung eine Art von notwendiger Einheit zu sehen“ (96). Dies ist m.E. zu relativieren: Wenn es richtig ist, dass die Wertform sich im Kapitalismus totalisiert (aber das sieht Honneth eben nicht so), gibt es wenigstens zwischen einigen Dimensionen der Verdinglichung unbestreitbar einen Zusammenhang, nämlich zwischen der verwertungslogischen Zurüstung der Mitmenschen, der Natur und des eigenen Selbst. Wenn z.B. das sogenannte Selbstwertgefühl bei Erwerbslosen (oder psychisch Kranken) Schaden nimmt, ist hier die axiologische Bedeutung von ‚Wert’ sichtlich durch die ökonomische Wertform vermittelt. Honneth aber findet es (dritter Punkt) überzogen, der ökonomischen Sphäre ein so hohes Maß an „kulturprägender Kraft“ zuzuschreiben und in dieser Weise von einer ‚Durchkapitalisierung’ der Gesamtgesellschaft“ zu sprechen (97). Zu kritisieren wäre m.E. lediglich (vierter Punkt, eng damit zusammenhängend) das ‚Nur’, nämlich Lukács’ Tendenz, „Phänomene der Verdinglichung überhaupt nur in engster Verknüpfung mit Tauschprozessen zur Erwähnung“ zu bringen: „Den Einfluss von ideologischen Überzeugungen, die ganze Gruppen von Personen als entmenschlicht und daher wie bloße Dinge erscheinen lassen, wollte Lukács auf keinen Fall berücksichtigt wissen“ (98). Man muss allerdings sehen, dass Lukács das verdinglichte ‚Selbst’ des Menschen nicht nur in einem individualistischen, sondern gerade auch in einem kollektivistischen Sinne thematisiert (wenn er etwa von Verdinglichung des (Klassen-)Bewusstseins des Proletariats spricht, vgl. GuK, 163f. u. 473). Nun ist es sicher richtig, dass z.B. „Rassismus“ (98) nicht als bloßer Reflex kapitalistischer Verhältnisse gewertet werden kann, aber schon das andere Beispiel Honneths, der „Menschenhandel“, kann in vielen Facetten als typisch innerkapitalistisches Phänomen gelten (z.B. der ja keineswegs bloß illegale Handel mit Leiharbeitern, Frauenhandel, Organhandel usw.). Und das gilt auch für die beiden Beispiele, die Honneth für verdinglichende „Selbstrepräsentation von Subjekten“ anführt: das Bewerbungsgespräch, das zunehmend einem Verkaufsgespräch mit Inszenierungszwängen ähnelt („und je häufiger ein Subjekt solchen Inszenierungszumutungen ausgesetzt ist, desto eher wird es die Tendenz entwickeln, alle seine Wünsche und Absichten nach dem Muster beliebig manipulierbarer Dinge zu erfahren“, 105), und die internetvermittelte Partnersuche (das Internet ist ein Produkt der kapitalistischen Globalisierung). Selbst wenn nicht länger die Kapitalismusanalyse und -kritik den normativen und explikativen Gesamtrahmen für Verdinglichungsanalyse und -kritik abgeben soll, wird Honneth nicht umhin können zuzugeben, dass Verdinglichungsanalyse und -kritik in vielen Fällen und Facetten eine Kapitalismusanalyse und -kritik implizieren muss.
[1] Axel Honneth, Verdinglichung. Eine anerkennungstheoretische Studie, Frankfurt/M. 2005