Extrem rechte Bewegungen haben in den letzten Jahren in ganz unterschiedlichen Ländern einen deutlichen Aufschwung erfahren. Im Zentrum der Diskussionen auf der Tagung standen die Entwicklungen in Russland, Deutschland/Europa und Indien. Es sollte untersucht werden, wie diese Bewegungen im Kontext der Transnationalisierung von Kapital und Staat zu verstehen sind. Die russische Situation wurde in den Beiträgen von Artem Magun (Ass. Prof. am Smolny Institute for Arts and Science, Sankt Petersburg), Oxana Timofeeva und Alexei Penzin (beide Philosophisches Institut der Akademie der Wissenschaften, Moskau) analysiert, die alle der Arbeitsgruppe „Chto delat“ (Was tun? www.chtodelat.org) angehören; die Gruppe von kritischen Wissenschaftler/innen und Künstler/innen gibt eine russisch-englische Zeitschrift heraus, die marxistische und poststrukturalistische Diskussionen und Politik reflektiert.
Magun nutzte zur Analyse der russischen Entwicklungen die Konzepte von Jean-Luc Nancy und Philippe Lacoue-Labarthe (The Nazi Myth, 1991), die den „Mythos“ des Faschismus zunächst in Verbindung bringen mit einer „fiction/figure“, die dem Individuum aufgeprägt wird, dann mit einer Ästhetisierung der Politik, in der die Praxis den Notwendigkeiten der Repräsentation unterstellt wird. Dem stehe die Identifikation der desorientierten, panischen Massen gegenüber. Magun fügt als subjekttheoretische Ergänzung eine hysterische Identifizierung des beschädigten Subjekts mit jeglichen machtvollen Rollen und Positionierungen hinzu. Als „hysterisch“ fasst er die zynisch-aggressiven Vorgehensweisen der politischen Technologen, die abstruse und hemmungslose Beschimpfungen und Verdächtigungen in die politische Kultur eingeführt haben. Anhand der Wahlkampfstrategen Dorenko und Leontyev in Jelzins/Putins Wahlkampf von 1999 zeigt er die Technik der persönliche Demontage der Gegenkandidaten (bis hin zur öffentlichen Präsentation von Röntgenaufnahmen einer Hüftverletzung) und die Feindbildkonstruktion „Tschetschenen und andere ausländische Staaten“ jenseits von Argumenten.
Ende der 1990er engagieren Teile der akademischen Eliten sich in einem „postmodernen“ rechten Diskurs, der zumeist den Krieg ästhetisiert. Bereits in den frühen 1990ern waren viele junge Intellektuelle liberal orientiert, aber dennoch ideologisch desorientiert: in der russischen politischen Landschaft blieb „links“ reserviert für die als reaktionär, nationalistisch und klerikal angesehene „Kommunistische Partei der russischen Föderation“, während die demokratischen Liberalen sich als „rechts“ verstanden und Thatchersche Werte von „natürlicher“ Freiheit der Märkte und einen extremen Individualismus verteidigten, westliche Wohlfahrtsstaaten und affirmative actions als Entsprechung zu sowjetischer paternalistischer Politik verstanden. Dadurch wurde die ideologische Orientierung der russischen Intellektuellen stark eklektizistisch. Oxana Timofeeva verdeutlichte diesen Eklektizismus anhand von schnellen Positionswechseln verschiedener Intellektueller.
Komplementär zur ‚aggressiven Hysterie von oben’ versteht Magun die „Theatralisierung der Passivität“ in der russischen Gesellschaft als ebenfalls hysterisch. Passivität werde so zu einer aktiven Form. Mit dem Aufkommen der „farbigen Revolutionen“ in einigen post-sowjetischen Staaten habe sich dieser Diskurs in verschiedener Hinsicht verschoben: Vor dem Hintergrund wachsender rechtsextremer Gewalt, die in einigen spektakulären Mordfällen gipfelte, und den sozialen Protesten aus dem Jahr 2005 begann in Regierungskreisen ein „antifaschistischer“ Diskurs. Als „Faschismus“ wird dabei alle Systemopposition von rechts und links gleichermaßen bezeichnet. Besonders hervorgetan hat sich hier die von Regierungsseite gegründete Jugendbewegung „Nashi“ („die Unsrigen“). Gleichzeitig wird die Regierung selber von der Opposition des Faschismus’ beschuldigt. So spricht etwa Limonow (Gründer der nationalbolschewistischen Partei) vom „Faschismus der Regierung gegen den Faschismus der Kleingewerbetreibenden/Kleinbürger“.
Die Proteste gegen die Monetarisierung der Rentenbezüge (2004/05) werden von Alexei Penzin genauer beleuchtet. Auf sie folgte sowohl die nationalpopulistische Welle von unten wie die antifaschistischen Rhetorik von oben, die die Alternative konstruierte, entweder das Bestehende – die neoliberale politische Ordnung – beizubehalten oder sich der Gefahr eines faschistischen Putsches ausgesetzt zu sehen. Dies produzierte den paradoxen Effekt, dass „Faschismus“ als performatives und symbolisches Ensemble als „schlechtes“ oppositionelles Benehmen populär wurde und sich mit tatsächlichen nationalistischen und xenophoben Tendenzen und einer steigenden Gewalt gegen Migranten verband – und damit zur wirklichen Gefahr wurde. Timofeeva zeigte darüber hinaus, wie eine Ästhetisierung faschistoider Symbole bis weit in die Massenkultur – etwa in der russischen Ausgabe der ‚Newsweek’ – eindringt.
Die subjekttheoretischen Fragen, ob die Hinwendung zu faschistoiden Denkformen als Zeichen der Irrationalität und der Beschädigung der Subjekte zu verstehen seien, wurden kontrovers diskutiert. Gerade die subjektive Funktionalität der Denkweisen in den Anforderungen der Lebensweise kämen so nicht ins Blickfeld. So schlägt Penzin (unter Bezug auf Paolo Virno) vor, die Attraktivität rechtsextremer Denkweisen darin zu suchen, dass die veränderten Formen der abhängigen „immateriellen“ Arbeit und ihre Anforderungen nicht politisch repräsentiert seien und so sich auch die Subjekte den repräsentativen politischen Formen entzögen.
Dem widersprach Christina Kaindl (Berlin), die sehr wohl die neuen Anforderungen der Arbeit, nicht aber die (psychischen) Kosten für die Subjekte repräsentiert sah. Diese würden in Deutschland und Europa zunehmend von rechtsextremen und faschistoiden Bewegungen und Parteien artikuliert. Anders als noch in den 1980er Jahren hätten die Parteien nicht mehr die Funktion der „neoliberalen Dammbrecher“. Mit dem Schwenk der Sozialdemokratie zum Neoliberalismus hätten sich die rechten Parteien auf die „Lücke der Repräsentation“ zurückgezogen und stellten sich nun als letzte Vertreter der „guten ehrlichen Arbeit“ dar – was nicht hindert, dass sie die von ihnen angesprochenen Bevölkerungsteile dem hegemonialen neoliberalen Projekt bei- und unterordnen, sobald sie in Regierungsverantwortung kommen. So gelingt es ihnen, das Unbehagen in der neuen Produktionsweise in einer „autoritären Rebellion“ still zu stellen.
Alex Demirovic (Frankfurt/M.) nahm das Erstarken der rechtsextremen Bewegungen ebenso in den Blick wie die Frage, wie dieses Erstarken beobachtet wird. Probleme würden dabei auch durch die Art von linken Aufarbeitungen genährt, die Rassismus und Faschismus kollektivstereotyp vor allem als deutsches Problem sehen und damit das gesellschaftstheoretische Wissen um die Breite immer wieder zerstörten. Formveränderungen der rechten Ideologien und Organisationen könnten so nicht verstanden werden, beispielsweise die große Bewegung militanter Faschisten in den USA, die Geschichtspolitik der japanischen Regierung, die Wahlbereitschaft für rechte Parteien, die in Ländern wie Frankreich, Belgien, Norwegen, Schweiz, Dänemark oder Österreich sehr hoch läge. Dabei sei wichtig, dass Ideologien und ökonomische Prozesse nicht auseinander gerissen werden. Ideologie könne den Menschen nicht „abgekauft“ werden, wie Modernisierungstheoretiker meinen, die nahe legen, Rechtsextremismus sei allein ein Phänomen von Modernisierungsverlierern, denen der Rückhalt in der Familie, im Milieu und der Halt an festen Normen abhanden gekommen sei.
Dagegen sei ein Blick auf Gramscis Analysen wichtig, der den Zusammenhang des Umbaus der Produktions- und Lebensweise mit den Widersprüchlichkeiten und Krisen des Bürgertums zusammen denkt. Dabei seien generische Elemente des Faschismus nicht mit Faschismus als solchem gleichzusetzen. In der aktuellen Situation der Umarbeitung von Produktions- und Lebensweisen verlagert der Staat Kompetenzen, die zu Mobilisierungsprozessen von oben (Regierungstechnologien der Etablierung von Normalisierungsmustern) und unten (u.a. Appelle an die Volksgemeinschaft) führen. Das Bürgertum organisiert einen mechanischen Konsens in der Bevölkerung und versucht, die eigene Panik, die es angesichts der Herausforderung der Globalisierung ergreift, auf die Subalternen zu übertragen. Gewalt wird mit einem Bündnis zur Passivierung beantwortet; die politischen Entscheidungen sind für Eingriffe von unten nicht mehr durchlässig. Es kommt also nicht erst der Neoliberalismus, dann der Rechtsextremismus, nicht erst der Rechtsextremismus, dann die Umarbeitungen des Staates.
Saroj Giri, Mitarbeiter an der Jawaharlal Nehru Universität in Delhi, skizzierte Themen und Formen der hindu-fundamentalistischen Bewegung, die vor allem als „Communialism“, also als Seperatismus und Ethnisierung auftritt und sich u.a. in kulturellen Kämpfen niederschlägt. Ihre Strategien zeichneten sich aus durch eine Verbindung von gelegentlichem offenem Missachten von Gesetzen und Organisation gewalttätiger Ausschreitungen mit einem langatmigen „grassroots“-Ansatz – vorbei an den liberalen Institutionen, die das duldeten. Dies nicht zuletzt, weil die liberalen Institutionen nicht über eine liberale soziale Basis verfügen. Dem politischen Liberalismus liege ein sozialer Konservativismus zugrunde, der die traditionellen, hinduistischen Eliten stütze und den Nährboden für faschistische Politiken biete. Der Hindu-Faschismus sei insofern nicht als Gegenbewegung zum Liberalismus zu verstehen, als Abwendung von „der Moderne“, sondern als Ausbau des traditionellen Liberalismus „nach innen“, der sich die traditionelle Hindu-Muslim-Hierarchisierung und das Kastenwesen zu Nutze machen könne. Er verfüge über keine Konzepte der Armenpolitik, nicht einmal im populistisch-instrumentellen Sinne; insofern könne er nicht als anti-neoliberale Gegenhegemonie auftreten. Vielmehr ist er eingebunden in transnationale Politik, bezieht sich positiv auf die USA und bietet eine über das Religiöse hinausgehende Lebensweise (Dharma) an, in der Neoliberalismus, traditionelle Herrschaftsverhältnisse und Großmachtspolitik in subjektive Sinnstiftung eingearbeitet ist.
John Kannankulam (Frankfurt/M.) nahm als Ausgangspunkt die Staatstheorie von Nicos Poulantzas mit ihrem starken Bezug auf Ökonomie und Ideologie als Ko-Konstitutive des Staates, die als Gegenkonzept zur Staatsableitung verstanden werden können. Indem die Trennung von Staat und Gesellschaft als Form der kapitalistischen Herrschaft zu sehen ist, wird deutlich, dass Politik, die sich auf den Staat beschränkt, diese Trennung nicht überwinden wird können. Andererseits sind die Auseinandersetzungen innerhalb des Staates nicht einfach den ökonomischen nachgeordnet, da hier immer aufs Neue eine relativ stabile gesellschaftliche Integration unter den hier herrschenden Bedingungen von Lohnarbeit, Privatproduktion und Konkurrenz erarbeitet wird. Poulantzas analysiert unter dem Begriff des „autoritären Etatismus“ eine Umarbeitung des Staates auf Kosten der Legislative, der Gewaltenteilung und der formalen Freiheiten. Der autoritäre Etatismus fungiert als „Geburtshelfer“ der neoliberalen, postfordistischen Politikkozepte. Vor dem Hintergrund der aus Russland, Indien und Europa geschilderten Entwicklungen wäre zu fragen, welcher Gesellschaftsformation wohl der aktuelle autoritäre Etatismus auf die Welt hilft.