Rund 80 TeilnehmerInnen kamen am 13./14. März in Kassel zusammen, um sich über sozialistische Perspektiven auf die ökologischen Probleme und Herausforderungen auszutauschen. Man darf vorwegnehmen: Sie wurden nicht enttäuscht.
Den Veranstaltern war im Vorfeld daran gelegen, ein möglichst breites und – wie es allgemeines Merkmal der Bildungsgemeinschaft Soziales, Arbeit, Leben & Zukunft, kurz: SALZ ist – strömungsübergreifendes Spektrum für die Konferenz zu gewinnen. So hatten neben „junge Welt“, Lunapark21, ak, SoZ, der Marx-Engels-Stiftung und der Initiative Ökosozialismus zahlreiche VertreterInnen der DKP, Der Linken, des Marxistischen Forums, von RSB, isl, SAV, „Avanti – Projekt undogmatische Linke“ und weitere Einzelpersonen zur Teilnahme an der Konferenz aufgerufen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützte die Konferenz.
Nach einem Grußwort von Karl Hermann Tjaden (siehe die erweiterte Fassung seines Beitrags in diesem Heft) war ein erster Block der Bestandsaufnahme der Probleme gewidmet: Bruno Kern (Initiative Ökosozialismus) betrachtete die internationale Krisensituation aus ökologischer Perspektive und betonte, dass „das Wegbrechen der fossilen Energiebasis die Grundfesten unserer Industriegesellschaften insgesamt erschüttern könnte“, worüber die offizielle Politik in unverantwortlicher Weise hinwegtäusche. „Nicht nur der Kapitalismus, unsere Industriegesellschaft insgesamt steht zur Disposition. Unsere Aufgabe kann es nur sein, dem Zusammenbruch möglichst zuvorzukommen und den industriellen Abrüstungsprozess bewusst zu steuern.“ Dies schließe ein verändertes Konsumverhalten, ja eine „Ökonomie und Kultur des ‚Genug’“ ein, die sich „vom parasitären Charakter unseres Scheinwohlstands“ verabschiedeten.
Winfried Wolf (attac, Lunapark21) begriff „die Umwelt- und Klimakrise als Teil der Weltwirtschaftskrise“. Eine neue Klimapolitik sei nur mit einer gleichzeitigen Verkehrs- und Energiewende zu haben, ein Zusammenhang, der entgegen neoliberaler Ansichten zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen könne. In der Regel handele es sich aber bei der „Krisenbewältigungspolitik um eine Klimakrisen-Verstärkungspolitik“.
Der zweite Themenblock bot Perspektiven, derer es gleich drei gab: Eva Sternfeld (TU Berlin) beleuchtete Chinas Perspektive auf die ökologischen Probleme. Das rasante Wirtschaftswachstum in der „Fabrik der Welt“ gehe mit einem ebensolchen Anstieg beim Ressourcenverbrauch und bei der Umweltbelastung einher. So stieg der Steinkohle-Verbrauch zwischen 2000 und 2007 um 75%. Sternfeld zitierte den stellvertretenden Umweltminister: „Das Wirtschaftswunder ist bald zu Ende, denn die Umwelt hält nicht mehr mit: Auf einem Drittel des chinesischen Territoriums geht saurer Regen nieder… Ein Viertel der Bürger hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ein Drittel der Städter muss stark verdreckte Luft einatmen.” So seine Worte schon 2005. Bedrohliche Ausmaße nehme auch die chinesische Urbanisierung an. Trotz bedeutsamer Veränderungen in der Umweltpolitik werde der Klimawandel gravierende Auswirkungen auf China haben und die sozialen Konflikte verschärfen.
Eine Perspektive ganz anderer Art wurde von Klaus Engert (RSB, Redaktion Avanti) entwickelt. Er stellte und beantwortete die Frage, ob es eine ökologische Planwirtschaft gäbe, mit einem klaren Ja, sofern sie als eine neue Kreislaufwirtschaft mit dem Prinzip „Soviel Zentralisierung wie nötig – Soviel Regionalisierung wie möglich“ realisiert werde und auf „regionale Produktion und Vermarktung“ setze. Mit der Betonung „einer basisdemokratischen Entscheidungsfindung über Produktionsweisen, Produkte und Produktionsbedingungen“ zog Engert die Lehren aus den realsozialistischen Erfahrungen.
Der ehemalige grüne Europaabgeordnete Frieder Otto Wolf beschrieb die Neuordnung der Produktionsweise als „Prozess der Befreiung“, wobei jede Suche „nach dem ‚neuen historischen Subjekt’ als Irrweg“ anzusehen sei. Stattdessen erfolge die „Konstitution und Umbildung historischer Subjekte in gesellschaftlichen Prozessen und Initiativen“.
Die umweltpolitisch engagierten Bewegungen standen im Mittelpunkt des dritten Blocks. Thies Gleiss (SoZ) referierte über die „Geschichte, Bedeutung und Perspektiven der Anti-AKW-Bewegung“. Gerade im aktuellen Kontext einer schleichenden Wiederkehr der Kernkraft erinnerte er daran, dass die „Massenbewegung gegen die AKWs ein neues Jahrhundertthema aufgemacht und im Massenbewusstsein verankert hat: die Umweltzerstörung durch die herrschende Produktionsweise. Keine politisch zukunftsfähige Kraft wird auf dieses Thema verzichten können.“ Mignon Schwenke ergänzte dies um Erfahrungen der Bürgerinitiative gegen das Kohlekraftwerk in Lubmin bei Greifswald. Die zentrale Aussage von Hans-Gerd Öfinger (Bahn von unten) steckt bereits im Titel seines Vortrags: „Wer die Klimakatastrophe abwenden will, der darf die Eisenbahn als Rückgrat eines ökologischen und sicheren Verkehrssystems nicht in private Hände geben.“ Für einen ausgefallenen Referenten kurzfristig eingesprungen, bilanzierte Jonas von „Avanti – Projekt undogmatische Linke“ den Stand der Klima-Protestbewegung und plädierte für eine ökokommunistische Ausrichtung, da jedwede parlamentarische Orientierung in die Sackgasse führe.
Die Erklärungen des vierten Teils diskutierten zunächst die „ökosozialistische Erklärung von Belém“, die im Rahmen des Weltsozialforums 2009 entstand und deren Kernaussagen von Manuel Kellner (isl, SALZ) erläutert wurden. Kellner zitierte eine treffende Definition des Ökosozialismus, der „eine revolutionäre soziale Transformation bedingt, die die Begrenzung des Wachstums und den Wandel der Bedürfnisse durch eine grundsätzliche Abwendung vom quantitativen Wachstum hin zu qualitativen ökonomischen Kriterien und eine Schwerpunktsetzung auf den Gebrauchswert anstatt den Tauschwert bedeutet.“ Der Kasseler Arbeitswissenschaftler Jürgen Klippert untersuchte im Anschluss daran das Verhältnis von Ökologie und Arbeit: „Die Art und Weise wie gesellschaftliche Arbeit gestaltet ist, bestimmt somit unser Verhältnis zur Biosphäre und ist daher eine zentrale Frage beim Nachdenken über Ökologie.“ Und Klippert ließ keinen Zweifel daran, dass „Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen Menschen und Natur zerstört.“
Im Anschluss an die Konferenz führte die Initiative Solidarität in Arbeit & Gesellschaft e.V. (SOAG) eine Beschlusskonferenz durch, die mit großer Mehrheit die gemeinsame Erklärung „Für eine ökosozialistische Wende von unten!“ verabschiedete. Diese Erklärung zeitigte bereits die erste Kontroverse zwischen Peter Kämmerling (Die Linke) und Bruno Kern (Initiative Ökosozialismus) zur Frage des Konsumverzichts und industriellen „Rückbaus“ – eine spannende Diskussion, die online im SALZ-Forum weitergeführt wird.
Auf Einladung des SALZ-Arbeitskreises für Ökologie & Sozialismus, der aktiv zur Vernetzung der unterschiedlichen Strömungen beitragen will, haben sich zahlreiche interessierte TeilnehmerInnen auf die Konzeption einer Folgekonferenz zum Thema „Arbeit und Ökologie“ im kommenden Jahr verständigt. Neben Überlegungen zu den verschiedenen Formen von Arbeit, dem Komplex Arbeit und Gesundheit sowie Fragen der Demokratisierung des Arbeitslebens soll hierbei auch verstärkt auf Handlungsoptionen hingearbeitet werden. Auf regionale Probleme bezogene Einzelveranstaltungen u.a. in Hamburg und Berlin sollen die Folgekonferenz vorbereitend flankieren. Nach Sicht des Diskussionsverlaufs wird in diesem Rahmen auch die Kasseler Erklärung einer weiteren Prüfung unterzogen.
Alle Vorträge und Materialien der Tagung sind nachzulesen unter www.bildungsgemeinschaft-salz.de. Wer sich der Erklärung „Für eine ökosozialistische Wende von unten!“ anschließen, im SALZ-Arbeitskreis für Ökologie & Sozialismus mitwirken oder über Termine informiert werden möchte, wende sich bitte an salzkreis@yahoo.de oder an Bildungsgemeinschaft SALZ e.V. – Oberonstr. 21 – 59067 Hamm.
Michael Rieger/Peter Schüren