Berichte

Jugend im Visier

Fachtagung in Magdeburg am 7./8. November 2006

März 2007

Die Veranstaltung thematisierte die aktuelle Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik und beschäftigte sich aus jugendpolitischer sowie pädagogischer Perspektive mit möglichen Gegenstrategien im öffentlichen Raum.

Die rechte Szene, so Professor Hafenegger (Uni Marburg) konnte sich zunehmend im gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik verankern. In den letzten Jahren sind lokale und regionale Zentren rechter Jugendkultur und -politik entstanden. Diese Verfestigung ging einher mit einer Normalisierung v.a. in den ländlichen Kommunen. Rechtsextreme treten heute verstärkt im öffentlichen Raum auf und präsentieren sich – z.T. ohne erkennbaren Widerspruch oder Widerstand –mit ihrem kalkuliert provokativen Habitus, subkulturellen Codes und Symbolen. Parallel zum Auftreten rechtsextremer Jugendlicher in der lokalen Öffentlichkeit ist momentan eine zunehmende Vernetzung und Bildung überregionaler Kontaktstrukturen in der rechten Szene zu beobachten.

Zunehmende Prekarisierung beruflicher und schulischer Lebensläufe, der Zerfall stützender Milieus und der sozioökonomische Verfall in einigen Regionen stellt Jugendliche vor unüberschaubare Probleme und erzeugt Orientierungsunsicherheit. In den sozial „abgehängten“ Bevölkerungsschichten und ökonomisch abgekoppelten Regionen dünnen sich die adoleszenzspezifischen Vergemeinschaftungsangebote immer mehr aus. Vor diesem Hintergrund machen Rechtsextreme gezielt ideologische und jugendkulturelle Angebote (Rechts-Rock-Musik, Naturerleben, Sport/Erleben von Körperlichkeit, Feuer- und Fackelrituale, Schulungs- und Ausbildungsangebote). Mit der permanenten Präsenz im öffentlichen Raum (Wortergreifung auf öffentlichen Veranstaltungen, Flugblätter, Plakate, Verbreitung von Sprüchen und Witzen über Juden und Ausländer, Parolen, Pöbeleien und Gewalt auf der Straße usw.) wird zum einen die Normalisierung der eigenen Position in der Bevölkerung vorangetrieben und zweitens ein Verdrängungseffekt gegenüber anderen Jugendkulturen erzielt. Durch den systematischen Aufbau einer jugendspezifischen Infrastruktur gelingt es Rechtsextremisten, Jugendliche an sich zu binden.

Rechte Jugendkultur entfaltet besondere Attraktivität, so führt Professor Birgit Rommelspacher (Alice-Salomon-Hochschule Berlin) aus, weil die in ihr inszenierten Erlebnisse und Erfahrungen dem Bedürfnis der Jugendlichen nach Geltung und Anerkennung entgegenkommen. Auf der Grundlage rassischer oder national-kultureller Konstruktionen erfahren „deutsche“ Jugendliche in der Gruppe eine vermeintlich bedingungslose Anerkennung. Hassgefühle und Gewaltbereitschaft bis hin zu Vernichtungsphantasien gegenüber einer Minderheit dienen der Stabilisierung und Überhöhung des eigenen Selbstwerts. Ein solcher auf inszenierten Hass und Gewalt gestützter Gefühlshaushalt muss durch gewaltförmige Dominanzrituale ununterbrochen stabilisiert und erneuert werden und hat für Rommelspacher deshalb Suchtcharakter.

Schwerpunkt der Diskussion über Gegenstrategien bildet der ländliche Raum – und die Möglichkeiten in Gemeinden, mit einem Rechtsextremismus-Problem zu intervenieren. Hierbei sind Dirk Borstel (Zentrum Demokratische Kultur, Berlin) zufolge die besonderen Vergesellschaftungsformen in ländlichen Regionen zu beachten: eine hohe soziale Kontrolle (man kennt sich, abweichendes Verhalten wird schneller sanktioniert) und informelle Strukturen (Gerüchte und Hören-Sagen haben eine größere Bedeutung als Medien). Die Thematisierung des Rechtsextremismus und Aktivierung der Gemeinde kann, so Borstel, nur gelingen, wenn diese Bedingungen anerkannt und in die eigene Strategie integriert werden. Demokratisch ausgerichtete Jugendarbeit wird erschwert durch den – vor allem in den neuen Bundesländern – voranschreitenden Abbau der Jugendarbeit. Hinzu kommen, so betonte Dirk Wilking (Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung) die hohe Arbeitslosigkeit und die geringe Dichte an Vereinen und Verbänden im Osten, die Träger von Jugendarbeit sind. Kernelement einer demokratischen Jugendarbeit in rechtsextrem belasteten Kommunen ist Borstel zufolge die Schaffung alternativer Angebote für Jugendliche. Ein Jugendclub kann z.B. ein Raum sein, in dem sich nicht-rechte Jugendkulturen entfalten können. So kann die Dominanz und Attraktivität der rechten Jugendszene im Ort untergraben werden. Solche Angebote können aber nur Bestand haben, wenn im Dorf die Schlüsselpersonen für das Vorhaben gewonnen werden können. Die Öffnung der Schule und die Vernetzung kommunalpolitischer und zivilgesellschaftlicher Akteure vor Ort müssen die Verankerung solcher Angebote im Ort flankieren. Wilking schlug vor, die Entwertungserfahrungen in den ländlichen Räumen, gerade im Osten, durch Unterstützung von Selbstorganisation und ökonomischer Existenzgründung aufzufangen. Die Erarbeitung und Realisierung ökonomischer Perspektiven mit Jugendlichen lässt sich in diesem Sinne als Präventionsarbeit gegen den Rechtsextremismus verstehen.

Professor Roth(Uni Magdeburg) ging davon aus, dass die Gelegenheitsfenster für Rechtsextreme in den nächsten Jahren eher besser werden. Die zunehmende Ausgrenzung und Deklassierung schafft nach Roth günstige Gelegenheiten für Rechtsextreme. Seiner Meinung nach hat die sozialarbeiterische Strategie den Rechtsextremismus teilweise sogar gestärkt. Auch die Möglichkeiten politischer Bildung und zivilgesellschaftlichen Engagements betrachtet Roth eher skeptisch, da überhaupt nicht klar sei, wie sich diese Instrumente bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus auswirken. Die Programme politischer Bildung kommen nach Roth im allgemeinen biografisch zu spät. Sie seien nicht unbedingt in der Lage die Zielgruppe zu erreichen, Der Abschied vom zivilgesellschaftlichen Ansatz in den Bundesprogrammen sei allerdings nicht wissenschaftlich begründet, auch wenn es sich bei vielen Modellprogrammen hauptsächlich um „Symbolpolitik“ handle.

Roth benannte am Ende seines Vortrags verschiedene Felder, auf denen strategisches Handeln gegen Rechts möglich und erforderlich sei: Er kritisierte, dass Familienpolitik dabei völlig ausgespart bleibe. Als wichtigsten Faktor gegen Rechtsextremismus nannte er eine demokratische Schulkultur. Außerdem müsste die Vergabepolitik der Kommunen mit entsprechenden Auflagen verbunden sein, d.h. es müsste verbindliche Qualitätsstandards für die Vergabe öffentlicher Mittel geben.

Professor Stöss(FU Berlin) befasste sich in seinem Referat hauptsächlich mit folgenden Fragen: Ist Rechtsextremismus ein Jugendphänomen? Worin besteht die Attraktivität des Rechtsextremismus für junge Menschen? Wie ist die Beziehung zwischen dem organisierten Rechtsextremismus und rechten Subkulturen? Einstellungsuntersuchungen zeigen, dass Rechtsextremismus kein Jugendproblem ist. Rechtsextreme Einstellungen sind bei älteren Menschen sogar stärker verbreitet als bei jungen. Allerdings ist bei Jugendlichen Politikverdrossenheit und politische Apathie stärker verbreitet als bei alten Menschen. Des weiteren begründe sich Rechtsextremismus bei jungen Menschen durch Unzufriedenheit mit den politischen und sozialen Bedingungen. Bei der Untersuchung des Wählerverhaltens sei hingegen festzustellen, dass die NPD v.a. von jungen Menschen gewählt wird, vor allem von jungen Männern. Stöss wies aber darauf hin, dass dir Resonanz rechtsextremer Parteien kein Indikator für die Bedeutung oder Gefährlichkeit des Rechtsextremismus ist. Am Ende der Tagung fassten die Veranstalter die wichtigsten Punkte thesenhaft zusammen:

- Rechtsextremismus nimmt neue qualitative und quantitative Ausmaße an.

- Rechtsextremismus ist kein Jugendproblem. Allerdings steht Jugendarbeit im Fokus der Rechtsextremen.

- Das Wegbrechen der existierenden Regelangebote in der Jugendarbeit gefährdet immer stärker die (pädagogischen) Strategien zur Bekämpfung des Rechtsextremismus vor Ort.

- Eine mögliche Strategie zur Bekämpfung des Rechtsextremismus könnte es sein, an Widersprüchen anzusetzen. Rechte Erlebnismuster und Gesinnungen könnten (möglicherweise) durch Dissonanzen aufgebrochen werden.