Berichte

„... und bauet der Freiheit Haus" – 60 Jahre Hessische Verfassung

Tagung der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag, 25. November 2006, Frankfurt/Main

März 2007

Die Verfassung, die sich die Hessen am 1. Dezember 1946 per Volksentscheid gaben, enthält neben dem Verbot der Aussperrung, einem Bekenntnis zum Antifaschismus und einem Recht auf Arbeit ein klares Friedensgebot und eine Pflicht zum Widerstand gegen „verfassungswidrig ausgeübte Gewalt“. Sie fordert außerdem die Sozialisierung wichtiger Schlüsselindustrien, antimonoloplistische Maßnahmen zur Verhinderung der missbräuchlichen „Machtzusammenballung“ von kapitalistischen Unternehmen und eine Bodenreform, und nicht zuletzt ein kostenloses Bildungssystem. Damit ist die hessische Verfassung ein Produkt des antifaschistischen und antikapitalistischen Neubeginns nach der Befreiung vom Faschismus. Wolfgang Abendroth nannte sie auch deshalb „die Mutter aller Verfassungen“. Ihr sechzigster Geburtstag war der Anlass einer Tagung, die die Fraktion DIE LINKE. im deutschen Bundestag mit Unterstützung u.a. durch die hessischen Landesverbände von Linkspartei, WASG und DKP in Frankfurt am Main organisierte.

In seiner Eröffnungsrede erinnerte Bodo Ramelow an die Väter und Mütter der Verfassung und hob die Bedeutung hervor, die insbesondere auch Kommunisten und religiöse Sozialisten bei ihrer Entstehung hatten. Drei grundlegende Elemente seien es vor allem, die die Verfassung geprägt hätten: Die Erfahrung der faschistischen Barbarei, die daraus resultierende Erkenntnis, dass Banken und wirtschaftliche Macht kontrolliert werden müssten und das Bekenntnis zum Genossenschaftswesen. Die auf die Verfassung folgende Geschichte habe die Verfassungswirklichkeit immer weiter von diesen grundlegenden Erkenntnissen entfernt. Als einen tiefen Einschnitt bezeichnete Ramelow das Betriebsrätegesetz Adenauers, in dem die Einheit von betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenvertretung aufgegeben wurde. Zur offiziellen Feier der hessischen Regierung, auf der die Verfassung mit einem großen Zapfenstreich zelebriert wurde, meinte Ramelow: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Roland Koch mit Militärmusik die hessische Verfassung erschlägt.“

Auf dem sich anschließenden Podium berichtete Gerhard Fisch, der Sohn des „Verfassungsvaters“ und hessischen KPD-Vorsitzenden Walter Fisch, von den Verhandlungen, die dann zum verabschiedeten Verfassungstext führten. Die Verfassung, so Fisch, sei geprägt von „antifaschistischem und antikapitalistischem Geist“. Zugleich erinnerte er jedoch auch daran, dass die SPD sich damals – obwohl es die Möglichkeit gegeben hätte, eine linke Mehrheit zu bilden – dafür entschied, an der KPD vorbei einen Kompromiss mit der CDU zu suchen, der unter anderem eine einheitliche Sozialversicherung für Arbeiter, Angestellte und Beamte verhinderte, die chemische Industrie aus der Liste der in Gemeineigentum zu überführenden Industrien strich und Religions- und Privatschulen zuließ.

An den kommunistischen „Verfassungsvater“ Leo Bauer erinnerte Gehard Zwerenz. Bauer wurde im Zusammenhang mit der „Field-Affäre“ 1950 in der DDR verhaftet und 1952 von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt – eine Strafe, die nach Stalins Tod in 25 Jahre Arbeitslager umgewandelt wurde. 1955 wurde er – zusammen mit den letzten Kriegsgefangenen – von Adenauer freigekauft und trat in die SPD ein.

Der Bielefelder Jurist Andreas Fisahn machte deutlich, wie die spätere Verfassungsgeschichte stets bemüht war, die fortschrittlichen Elemente der hessischen Verfassung zu relativieren. Schon im Grundgesetz, so Fisahn, tauchte vieles nicht mehr oder nur abgeschwächt auf. Mit der geplanten EU-Verfassung würde ein weiterer Rechtsruck auch den Gehalt der hessischen Verfassung betreffen. Die Verteidigung der Landesverfassung sei somit eine zentrale Aufgabe der Linken.

In moderierten Arbeitsgesprächen wurden am späten Nachmittag unter anderem Fragen der sozialen und politischen Rechte (Axel Gerntke), (plebiszitärer) Demokratie (Volker Mittendorf) und der Friedenspolitik (Ursula Schumm Garling) vertieft. Um die von einer vorerst gescheiterten Enquete-Kommission geplanten Verfassungsänderungen ging es in einem Workshop, den Jan Schalauske von [’solid] Hessen anbot. Unter anderem war im Entwurf der Kommission vorgesehen, den Sozialisierungsartikel (Art. 41) zu streichen und das Verbot der Aussperrung (Art.29) aufzuweichen. Die Diskussion war auch deshalb sehr lebendig, weil mit dem grünen Landtagsabgeordneten Andreas Jürgens ein Mitglied der Kommission anwesend war.

Im zusammenfassenden Plenum, an dem neben Jürgens Stefan Körzell vom DGB-Hessen, Ulrich Wilken, der Landesvorsitzende der Linkspartei in Hessen und Hermann Schaus von der WASG teilnahmen, spielte die Frage der Verfassungsänderung ebenfalls eine zentrale Rolle.

Die Tagung, die auch ein von Erich Schaffner gestaltetes ausgezeichnetes Kulturprogramm zu bieten hatte, könnte ein Anfang sein, die Debatte um die hessische Verfassung in der linken Gegenöffentlichkeit wiederzubeleben. Schade war nur, dass – obwohl die DKP-Hessen zum Unterstützerkreis gehörte – kein Vertreter der Partei mit einem Vortrag präsent war. Dass ein anderes Hessen nicht nur möglich, sondern auch verfassungsmäßig geboten ist, ist sicherlich eine der „Lehren“, die man aus der Tagung ziehen konnte. Am Schluss brachte es Wolfgang Gehrcke auf den Punkt: „Die Linke ist Verfassungspartei.“