Berichte

Cochabamba statt Kopenhagen: Ist ein anderer Klimagipfel möglich?

Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Berlin, 14. April 2010

Juni 2010

Unmittelbar nach dem Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen hat der bolivianische Präsident Evo Morales die Weltgemeinschaft zu einer „Weltkonferenz der Völker zum Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde“ nach Cochabamba vom 19.-22. April eingeladen. Angesprochen waren alle, die sich konsequent gegen die globale Erwärmung, menschliche Unterdrückung und Zerstörung der Natur engagieren (wollen) – soziale Bewegungen, Regierungen und Vertreter/innen der UN, progressive Parteien und Verbände, Intellektuelle und Wissenschaftler/innen. Ziel war es, eine globale Zusammenkunft zu schaffen, aus der heraus eine neue Dynamik in den Verhandlungen zum Klimawandel entstehen konnte. So sollten in Cochabamba die strukturellen Ursachen des Klimawandels analysiert und gleichzeitig Aktionen und Strategien verabredet werden, mit denen auf den globalen Prozess Einfluss genommen werden kann (von Vorschlägen über neue Verpflichtungen zum Kyoto Protokoll bis hin zu Vorschlägen zu neuen Vereinbarungen beim nächsten Klimagipfel, COP 16, in Cancún). Neue globale Partizipationsmodelle, so z.B. die Idee eines globalen Referendums der Völker zum Klimawandel, sollten in Cochabamba entwickelt wie auch ein Aktionsplan für ein Tribunal zu Klimagerechtigkeit und eine „Allgemeine Erklärung zu den Rechten von Mutter Erde“ diskutiert werden.

Viele soziale Bewegungen, Umweltorganisationen, Verbände und linke Parteien aus dem Süden und dem Norden begrüßten diese Initiative, griff sie doch Forderungen der sich neu formierenden Bewegung für „Klimagerechtigkeit“ auf und rückt neue globale Bündnisse in den Bereich des Möglichen. Und machten nicht auch die jüngsten Klimazwischenverhandlungen in Bonn Anfang April 2010 einmal mehr die globalen Machtverhältnisse deutlich? Staaten wie Bolivien, die dem von den USA initiierten Copenhagen Accord (die unverbindliche „Abschlusserklärung“, die nur von einer kleinen Gruppen von Staaten ohne verbindliche Verpflichtungen verfasst wurde) die Unterschrift verweigerten und damit das Scheitern von Kopenhagen offiziell machten, werden nun Gelder aus dem schon versprochenen Fonds für Klimaanpassungsmaßnahmen verweigert. Für die junge Klimabewegung ist es dabei jedoch eine neue Situation, zusammen mit (progressiven) Regierungen (besonders aus dem ALBA Verbund) und anderen Staaten, mit linken Parteien und anderen Organisationen Bündnisse bilden zu können.

Umso wichtiger, eine Debatte über das Verhältnis von „Klimapolitik von unten“ und einem staatlich initiierten und organisierten Prozess sowie wie über Strategien zur Durchsetzung einer alternativen Klimapolitik zu beginnen. Anlass genug also für die Rosa Luxemburg Stiftung (rls), vor (und nach) dem Gipfel zur Diskussion mit dem bolivianischen Botschafter, Vertreter/innen der Klimabewegung (Ines Koburger von Climate Justice Action/gegenstrom Berlin), Umweltorganisationen (Stefan Krug, Greenpeace) und Bolivien-Experten (Benjamin Beutler, Journalist) einzuladen.

Vor ca. 60 Teilnehmer/innen aus der Klimabewegung und Interessierten aus dem Umfeld der rls erläuterte der bolivianische Botschafter, Walter Prudencio Magne Veliz, dass mit dem alternativen Gipfel anderes verbunden sei als bei den üblichen Klimaverhandlungen der UN. Zum einen ginge es bei der Konferenz um ein offenes Diskussionsklima, ein Geschachere hinter geschlossenen Türen werde dort nicht stattfinden. Zudem soll dem ethisch-philosophischen Konzept des „Buen vivir“, dem aus indigenen Traditionen entlehnten Konzept des „Guten Lebens“, deutlich mehr Raum gegeben werden. Die bolivianische Regierung macht kein Hehl daraus, dass die indigene Weltsicht des „Vivir bien“ und der hohen Wertschätzung der Pacha Mama (Mutter Erde) im Widerspruch zum kapitalistischen System stehe und für eine Umkehrung und Ausgleich zu sorgen sei (z.B. mit Hilfe eines Straftribunals und eines Fonds für Klimaschulden).

Interessant an dem Diskussionsabend war, dass niemand im Raum oder auf dem Podium fundamentale Einwände gegen diese Initiative einbringen wollte oder konnte. Sogar Greenpeace, die bisher primär auf den offiziellen UN-Prozess gesetzt hatten, wollte Vertreter/innen nach Cochabamba schicken. Während Greenpeace jedoch hoffte, dass mit Cochabamba auch ein Neubeginn im UN-Prozess in Gang komme, betonte die Klima-Aktivistin Ines Koburger, dass der Prozess, wenngleich „von oben“ angestoßen, einen neuen Raum für das Nachdenken über Alternativen zum Kapitalismus und die Ausbildung linker Klimaallianzen eröffnen würde.

Dennoch, so erinnerte der Bolivienexperte Benjamin Beutler, dürfe man die Initiative nicht „romantisieren“ – auch in Bolivien gäbe es Auseinandersetzung um das, was „Ökonomie des Neuen Extraktivismus“ (Eduardo Gudynas) genannt werde. Auch in Bolivien, das ja weiterhin auf Devisen angewiesen sei, werde fortwährend auf den Abbau von Silber, Lithium, Gas, Kohle ebenso wie auf Sojamonokulturen, das Bauen von Dämmen usw. gesetzt – oft im Konflikt mit den betroffenen Anwohner/innen.

Gerade Letzteres hat beim Gipfel in Cochabamba, der zwischenzeitlich mit 31.000 Teilnehmer/innen aus 140 Ländern stattgefunden hat, auch zu „internen“ Konflikten geführt. So wurde kurzerhand die Arbeitsgruppe 18, die sich mit eben diesen Problemen beschäftigen und Problemlösungen erarbeiten wollte, aus dem offiziellen Veranstaltungsraum ausgewiesen. Die AG fand trotzdem statt, verweigerte darüber hinaus rechten Politiker/innen aus Bolivien, die diese Situation politisch nutzen wollten, den Zutritt, und versucht, ihre Ergebnisse in das Abschlussdokument einfließen zu lassen.

Hiermit wird gleichzeitig deutlich, was ein solcher alternativer Gipfel leisten kann: Er wird zum Ort für die vielfältigen, lokalen und globalen und eben komplexen Auseinandersetzungen und Konflikte. Das macht die „Problemlösung“ und eine „Klimapolitik von unten“ nicht unmittelbar einfacher. Er ist aber alternativlos, da sich erst im gemeinsamen Prozess der verschiedenen Akteure neue Kräftekonstellationen wie auch strategische Schwerpunktsetzungen herausbilden können – ein weiterer alternativer Klimagipfel wird geplant, und die nächste UN-Klima-Verhandlungsrunde Ende des Jahres 2010 in Cancún ist als Ort der Auseinandersetzung ins Visier genommen.

Corinna Genschel