Ästhetik und Philosophie stehen bei Ernst Bloch in einer beinahe symbiotisch engen Verbindung: Seine ästhetische Theorie gründet auf philosophischen Prämissen, wie er sie insbesondere mit seinem Konzept der Ontologie des Noch-Nicht-Seins dargelegt hat. Sie erhält durch dieses philosophische Fundament einen logischen Bezugsrahmen sowie eine Vermittlung mit der außerkünstlerischen Realität. Umgekehrt gewinnt Bloch viele seiner philosophischen Erkenntnisse aus der Verfolgung ästhetischer Fragestellungen. Er entwickelt zahlreiche philosophische Kategorien auf der Grundlage ästhetischer Begriffe, die er häufig zu diesem Zweck einer Neudefinition unterzieht, und gibt mit der antizipatorisch-performativen Erkenntnisfunktion, die er der Kunst beimisst, eine Antwort auf die für sein philosophisches Denken zentrale Frage nach der Erkennbarkeit des noch-nicht-seienden Seins.
Kälte- und Wärmestrom im Marxismus
Innerhalb des wissenschaftlichen Marxismus unterscheidet Ernst Bloch zwischen einem „Kälte-“ und einem „Wärmestrom“[1]. Während der Kältestrom des Marxismus von Zweckrationalität geprägt und auf die Erforschung der gegebenen ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen als Grundlage gesellschaftlicher Veränderung im Sinne von relativ kurzfristig umsetzbaren Etappenzielen ausgerichtet ist, schreibt Bloch dem Wärmestrom einen Ausgriff auf eine umfassend humanisierte, ausbeutungs- und unterdrückungsfreie Gesellschaft im Sinne eines utopischen Fernziels zu, das auch die Emanzipation des Individuums, die Harmonisierung der sozialen Beziehungen und das Ende der Ausbeutung der Natur durch den Menschen umfasst: „Zum Wärmestrom des Marxismus gehören aber die befreiende Intention und materialistisch-humane, human-materialistische Realtendenz, zu deren Ziel all diese Entzauberungen [durch den Kältestrom] unternommen werden. Von hier der starke Rekurs auf den erniedrigten, geknechteten, verlassenen, verächtlich gemachten Menschen, von hier der Rekurs auf das Proletariat als die Umschlagstelle zur Emanzipation. Das Ziel bleibt die in der sich entwickelnden Materie angelegte Naturalisierung des Menschen, Humanisierung der Natur.“[2]
Als Bestimmungen dieses utopischen Fernziels werden dabei die Leitbilder Freiheit, Gleichheit und Solidarität kenntlich. Bloch betont, dass beide „Ströme“ unabdingbare Bestandteile des wissenschaftlichen Marxismus seien: So fungiert der Kältestrom als Korrektiv gegen eine „völlig verstiegene, abstraktest-utopische Schwärmerei“, die eine Verabsolutierung des Wärmestromes nach sich zöge. Der Wärmestrom hingegen hindere mit seiner umfassenden Zielrichtung auf ein „gesamthistorisch-utopisches Totum“ die „bedingungsanalytische Forschung“ daran, in „Ökonomismus und zielvergessenen Opportunismus“ zu verfallen[3]: „Ohne solche Erwärmung der historischen wie erst der aktuell-praktischen Bedingungsanalyse unterliegt letztere der Gefahr des Ökonomismus und des zielvergessenen Opportunismus; dieser vermeidet die Nebel der Schwärmerei nur insofern, als er in den Sumpf des Philistertums gerät, des Kompromisses und schließlich des Verrats. Erst Kälte und Wärme konkreter Antizipation zusammen also bewirken, dass weder Weg an sich noch Ziel an sich undialektisch voneinander abgehalten und so verdinglicht-isoliert werden.“[4]
Innerhalb des zeitgenössischen Marxismus erkannte Bloch ein Übergewicht des Kältestroms, das dazu führte, dass die Emanzipation des menschlichen Individuums als Maßstab und Ziel aus dem Blick geriet und dass der Mensch auf seine gesellschaftliche und ökonomische Funktionalität reduziert wurde. Bereits in Erbschaft dieser Zeit spricht Bloch von einem „allzu großen Fortschritt des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“[5]. In seinem Werk versucht Bloch, diesem Übergewicht des Kältestroms zu begegnen und die Bedeutung des Wärmestroms durch konkret-utopische Bestimmung des erhofften Fernziels zu stärken. Dieses Ziel, das als übergeordnetes weltanschauliches Movens des Blochschen Gesamtwerkes gelten kann, verfolgt er unter zwei Voraussetzungen; nämlich einerseits unter der Prämisse, dass es prinzipiell möglich ist, auf die utopische Zielbestimmung vorzugreifen, und andererseits, dass der kulturelle Überbau zumindest partiell eine Gestaltungsmacht auf die gesellschaftlich-ökonomische Basis ausübt.
Ästhetische Erkenntnis
als Zentrum der Einheit von Ästhetik und Philosophie
Die prinzipielle Möglichkeit eines antizipierenden Ausgriffs auf das utopische Fernziel, das sich möglicherweise am Ende des Weltprozesses realisieren wird[6], begründet Bloch mit seiner Ontologie des Noch-Nicht-Seins: Der Weltprozess bringt fortwährend neue „Prozessgestalten“ hervor, die sich im Moment ihrer Entstehung bereits wieder in einem Zustand des „Noch-Nicht“ befinden, in einem Zustand des „Mangels“, der ihren Abstand von ihrem zukünftigen vollen Sein bezeichnet und der auf die Aufhebung eben dieses „Mangels“, auf die eigene Vollendung drängt[7]. Diese aufeinander folgenden Prozessgestalten formieren sich so zu Gestaltreihen, die im weiteren Prozessverlauf auf die volle Entfaltung des Seins tendieren. Indem alle realen Erscheinungen auf ihre jeweils nachfolgenden Prozessgestalten und – durch diese vermittelt – auf das „Totum“ am Ende des Weltprozesses tendieren, ist in ihnen das utopische Fernziel bereits latent angelegt: Wenn den Gestalten der Welt eine „Tendenz“ zur Vollendung zu Eigen ist, dann ist diese Vollendung in den Gestalten latent als Möglichkeit bereits ‚anwesend‘ und ergo zumindest vom theoretischen Ansatz her der menschlichen Erkenntnis antizipatorisch zugänglich. Mit der ontologischen Kategorie „Tendenz“ bezeichnet Bloch die Bewegungsrichtung des historischen und Naturprozesses hin auf das „Ultimum“ als objektivem Korrelat zur subjektiven „Intention“ des Menschen, die sich in dessen Arbeit als aktive Gestaltung des Weltprozesses manifestiert: „Der einsamen Intention kommt ein Drängen des gesellschaftlichen Außen, ja sogar der äußeren Natur entgegen, worin eine objektive Tendenz gesellschaftlicher und nicht zuletzt außermenschlich-physischer Art angelegt sein kann. Daß die subjektive Intention nicht allein bleibt, daß ein Arbeitenkönnen an der gesellschaftlichen Welt und durch sie hindurch an der physischen Natur konkret vorsichgehen kann, hängt von eben dieser objektiven Tendenz ab, als einem Streben, das der Intention entgegenzukommen nicht unfähig ist.“[8]
Das Potenzial zu diesem antizipatorischen Erkenntnisausgriff, dessen prinzipielle Möglichkeit Bloch als ein „transzendenzloses Transzendieren“[9] mit den Kategorien „Tendenz“ und „Latenz“ begründet, verortet er in der Kultur und insbesondere in der Kunst: „Derart bringt bedeutende Dichtung einen beschleunigten Strom von Handlung, einen verdeutlichten Wachtraum von Wesentlichem ins Bewußtsein der Welt; sie will dazu verändert werden. […] Und gerade heute stirbt der poetisch genaue Traum an keiner Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht Abbildung von Fakten, sondern von Prozessen, sie ist letzthin die Aufzeigung der Tendenz und Latenz dessen, was noch nicht geworden ist und seinen Täter braucht.“[10]
Von diesem Potenzial der Kunst, einen „Vor-Schein“ des künftigen Prozessverlaufs zu antizipieren, rührt die große Wertschätzung her, die Bloch den Künsten entgegenbringt[11]. Zugleich ist die antizipatorische Erkenntnisfunktion der Kunst als Antwort auf die Frage nach der Erkennbarkeit des zukünftigen vollen Seins das Zentrum der unaufhebbaren Einheit seiner Ästhetik und Philosophie.
Unter Rückgriff auf die ästhetischen Begriffe „Fragment“ und „Montage“ beschreibt Bloch die Wirklichkeit als montagehafte Struktur ungleichzeitiger Realfragmente: Anknüpfend an den künstlerischen Fragmentbegriff bestimmt Bloch die „Prozessgestalten“ als zukunftsoffene „Realfragmente“, weshalb sich auch die Wirklichkeit insgesamt nicht als geschlossene Totalität, sondern als lose gefügter Zusammenhang voller „Unterbrechungen“ konstituiert. Diese unabgeschlossene, fluktuierende Struktur der Wirklichkeit charakterisiert Bloch unter Bezugnahme auf die künstlerische Montage als montagehaft: „Das [künstlerische] Experiment mittels Montage ist nicht abstrakt, kein ‚zersetzender‘ Eingriff in eine angeblich geschlossen zusammenhängende Wirklichkeit; vielmehr die Wirklichkeit ist selber voller Unterbrechung. Sie ist in ihrem durchgehends dialektischen Zusammenhang und eben wegen seiner intermittierend, das heißt voller Sprünge und voll noch nicht entschiedener, als fertig gesetzter Wendungen.“[12]
Die Metapher als Kulminationspunkt
der ästhetischen Erkenntnis
Als Antwort auf das Problem der Erkennbarkeit des derart montagehaft strukturierten und prozesshaft-unabgeschlossenen Realitätszusammenhangs findet Bloch in der Metapher ein geeignetes Instrument zur antizipatorischen Erkundung des noch nicht herausprozessierten vollen Seins am Ende des Wirklichkeitsprozesses, indem er die fragmentarischen „Prozessgestalten“ zugleich als „Real-Symbole“ und „-Allegorien“ kennzeichnet, die metaphorisch in sich selbst auf ihr zukünftiges volles Sein verweisen. Denn „die Chiffern, Allegorien und Symbole, an denen“ der Realitätsprozess „so reich ist, sind allesamt selber noch Fragmente, Realfragmente, durch die der Prozeß ungeschlossen strömt und zu weiteren Fragmentformen dialektisch vorangeht. […] Das also macht die Bedeutung des Fragments aus, von der Kunst und nicht bloß von der Kunst her gesehen“[13]: „Was die Welt in Wahrheit ist, nicht hinsichtlich ihrer jeweils faktischen, sondern ihrer noch un-faktischen, das heißt un-gewordenen Essenz-Wahrheit […]: das ist in ihr selber noch ein Utopikum und um ihre Gestalten ein Bedeutungshof, ein meist erst realallegorisch vieldeutiger, selten schon realsymbolisch geordneter.“[14]
Wie schon mit dem Fragment und der Montage greift Bloch also auch mit den metaphorischen Formen der Allegorie und des Symbols ästhetische Begriffe auf und misst ihnen als „Real-Allegorien“ und „-Symbole“ eine philosophische Bedeutung bei, die ihrerseits auf deren ästhetische Dimension zurückwirkt: Entscheidend ist, dass Bloch bei der Definition dieser auf Metaphorik basierenden Formen das Verhältnis von Inhalt und Ausdruck neu bestimmt. Anders als in der vornehmlich subjektiv-idealistischen Tradition des Symbolbegriffs, in der „jeder Symbol-Inhalt nur als ein für den beschränkten Menschenverstand verhüllter dargestellt wurde, während der Inhalt als völlig ausgemacht galt“, teilt sich das Symbolische bei Bloch „einzig vom Objektinhalt her seinem Ausdruck mit“[15]: Allegorie und Symbol erscheinen bei ihm nicht mehr nur als Zeichen eines bereits bekannten Sinns, vielmehr schwingt im Zeichen unbekannter Sinn mit, der noch zu entschlüsseln bleibt. Somit „ist das Symbolische […] nicht nur in seinem Ausdruck, sondern […] ebenso in seinem Inhalt selber noch verhüllt. Denn der echte symbolische Inhalt selber ist noch im Abstand von seiner vollen Erscheinung, er ist darum auch objektiv-real eine Chiffer“[16]. Indem die Abbildlichkeit der Allegorien und Symbole die Verhülltheit der realen Objekte, also ihren ontologischen Status des Noch-Nicht-Seins, einschließt, führt Bloch Ästhetik und Philosophie in ihrem Bezug auf die Wirklichkeit zusammen: „Auch besteht alles Erscheinende […] qua Erscheinung in einem Andern, als es selbst unmittelbar ist; das ist sein Mangel. Dieser Mangel leiht sich kreuz und quer durch die Welt Züge, die der Bedeutung des Ungesagten, sich nicht gleich Gewordenen wenigstens Spiegel vorhalten. Als Träger solcher Spiegel wirkt das Gleichnis, geht zwischen entfernten Dingen hin und her, lässt die Tendenz des einen durch einen Zug am andern bedeuten und ebenso umgekehrt. […] Alle Dinge sind derart schwanger von Bedeutung […]; der Dichter sieht im Gleichnis Dingelemente als Zeichen […] eines um Luft, um Bild schnappenden Inhalts. […] Die pure Möglichkeit des Gleichnisses notiert ein Stück Widerspruch des Objekts zu seinem stummen, stillen, sozusagen prosaischen Faktum.“[17]
Die Allegorien und Symbole sind als „Real-Allegorien“ und „-Symbole“ unmittelbar auf die Wirklichkeit bezogen und erhalten dadurch den Charakter von Medien der antizipatorischen Erkenntnis. Es „ist einzig diese Abbildlichkeit einer Realchiffer […], welche schließlich“ Allegorien und „Symbolen ihre Echtheit mitteilt. Die Echtheit eines Konvergierens der Bedeutung, welche sich mit der Realität dieser Bedeutung in bestimmten besonders latenzhaltigen Objekten der Außenwelt verbindet“[18]. Analog zu den „Real-Allegorien“ und „-Symbolen“ verweisen also auch die künstlerischen Allegorien und Symbole metaphorisch auf einen noch unbekannten Sinn, der sich im Denken und in der Realität noch nicht herausprozessiert hat.
Die Begriffe „Fragment“, „Montage“ und „Metapher“ beruhen bei Bloch jeweils auf einer reziproken Vermittlung ästhetischer und philosophischer Konnotationen. Ihre ästhetische und philosophische Doppelfunktion belegt nicht nur die symbiotische Verbindung von Ästhetik und Philosophie bei Bloch, sondern offenbart zugleich, dass diese unauflösliche Verbindung die ästhetische Erkenntnis zum Zentrum hat. Während Fragment und Montage Bloch zur analytischen Beschreibung der Realitätsstruktur dienen, schreibt er der Metapher das Potenzial zu, einen Ausgriff auf die zukünftige Prozessrealität zu ermöglichen. Fragment und Montage bedingen sich gegenseitig und stellen zugleich die Voraussetzung der Metapher als Organon der ästhetischen Erkenntnis dar.
Erkenntnis als „Schlüssel“ und „Hebel“
Die zweite Voraussetzung, unter der Bloch den Wärmestrom innerhalb des Marxismus zu stärken trachtet, eine partielle Gestaltungsmacht des kulturellen Überbaus über die gesellschaftlich-ökonomische Basis, begründet Bloch mit seinem handlungszentrierten Erkenntnisbegriff: Bloch unterscheidet, „je nachdem, ob der erkennende Gedanke sich auf Gewordenes oder Werdendes richtet“, zwischen „zwei Haltungen“ der Erkenntnis[19], die er metaphorisch mit den Begriffen „Schlüssel“ und „Hebel“ umschreibt[20]. Obgleich auch die „historisch-realistische Schlüssel-Erkenntnis“ nicht rein „betrachtend“ und somit „nicht unbeteiligt am Umbau der Welt“ ist, bezieht sie sich als „Erkenntnis des Gewordenen“ mit „ihren Abbildungen auf“ einen „bereits begonnenen Weg“ und vollzieht mit „ihrer Methodologie nur“ das „klarlegende Darstellen“, das „Nochmals dieses Wegs“, nicht jedoch dessen „Fortbildung“[21]. Indem sich die „Schlüssel-Erkenntnis“ jedoch auch auf die Gegenwart bezieht, „geht sie an ihr […] sogleich in Hebel-Erkenntnis, in Theorie-Praxis über. Abbildung bleibt selbstverständlich auch hier, doch Abbildung eines an und durch den lebenden Menschen Geschehenden; die Abbildung ist dadurch zugleich Fortbildung“[22]: Fortbildung als „dialektische Abbildung ist im Denken wie im gedachten Tendenz-Gegenstand eine des ‚Bildes‘, das mit dieser – in-formierenden – Abbildung von dem Überschuß, von den Möglichkeiten in der Welt entsteht, und woran die Welt vorarbeitet, mitarbeitet. Zweifellos bildet erst konkrete Praxis die Realisierung dieser In-formationen […].“[23]
So wirkt die Erkenntnis des Werdenden „als Schlüssel und Hebel zugleich“[24]; sie „ist nicht nur eine konkrete, sondern eine konstituierende und realisierende“ und erweist sich so als „Erkenntnisart“ eines „sofortigen Übergangs zur konkreten Praxis“[25]. Durch die Ausweitung der Erkenntnis auf den Gegenstandsbereich des Werdenden erhält sie eine starke praktisch-tätige Orientierung, da sich die Wahrheit des Zukünftigen nur im praktisch-tätigen Vollzug der Prozessrealität manifestieren kann: „Über die Welt philosophieren, heisst nicht, die Welt schaffen, doch – sofern die Philosophie den materiellen Erzeuger und seine materiellen Beziehungen blosslegt – die Welt weiterschaffen“[26].
Diese Differenzierung des Erkenntnisbegriffs hat für Blochs Ästhetik und für die ästhetisch vermittelte Erkenntnis weit reichende Konsequenzen. Der aus der Ausweitung der Erkenntnis auf den Gegenstandsbereich des Werdenden resultierende Praxis- und Handlungsbezug der Erkenntnis zieht eine Auffassung von Kunst als prozesshafte Gestaltung mit aktivem Bezug auf den realen Weltprozess nach sich, deren spezifischer Wahrheitsanspruch als ‚eingreifendes Erkennen‘ oder ‚erkennendes Eingreifen‘ aufzufassen ist. Resultat ist eine prozessbezogene, gleichermaßen handlungsmotivierende, -stiftende und -leitende Auffassung von Ästhetik, in der das Kunstwerk selbst als eigenständige Tat erscheint und die als performative Ästhetik charakterisiert werden kann. Mit dem Begriff der „performativen Ästhetik“ soll eine Kunstauffassung bezeichnet werden, der nicht nur das Kunstwerk selbst als Handlung mit Bezug auf den außerkünstlerischen Realitätsprozess gilt, sondern die dem Kunstwerk auch eine handlungsmotivierende und -leitende Funktion im Hinblick auf den Wirklichkeitsprozess beimisst. Dies impliziert einerseits eine Auffassung, wonach sich die Wirklichkeit, eben als vollendbare, in einem Zustand der Unvollendetheit befindet. Andererseits wird so dem Kunstwerk das Vermögen zuerkannt, die ihm zugrundeliegenden Handlungsimpulse gewissermaßen zu ‚konservieren‘ und im rezeptiven Nachvollzug des Kunstwerks erneut freizusetzen. In diesem Sinne kann Blochs Kunstauffassung als performative Ästhetik gekennzeichnet werden, in der überdies ‚Handlung‘ und ‚Erkenntnis‘ in einer engen Verbindung stehen: „Die Kunst ist die Brücke, der Heizfaden, der die Fähigkeit des Menschen zum ‚voraus Träumen‘ gespeichert hat, um diese Energie freizusetzen, sobald sie wieder in Berührung mit einem revolutionären Publikum kommt“[27].
Die Kunst selbst erscheint als Handlung unter erkenntnistheoretischem Vorzeichen, wobei die ästhetisch vermittelte Erkenntnis nicht etwa als bereits vorgefasste nur in eine künstlerische Form gebracht wird, sondern im künstlerischen Vollzug überhaupt erst entsteht, wodurch die Kunst zu einem philosophischen Organon mit engem Bezug auf den zukunftsoffenen, außerkünstlerischen Realitätsprozess wird. Aus ihrem Vermögen, realitätsbezogene und kunstimmanente Handlungsimpulse in der Rezeption des Kunstwerks zu reproduzieren, erwächst der Kunst eine weitere handlungsbezogene, performative Funktion, nämlich eine appellative und postulative Qualität, die den Rezipienten zu Handlungen im Sinne eines aktiven Eingreifens in den Realitätsprozess motivieren kann. Der kulturelle Überbau wird folglich nicht einseitig durch die gesellschaftlich-ökonomische Basis determiniert, sondern er ist auch umgekehrt in der Lage, die Basis in ihrer weiteren Entwicklung zu beeinflussen und damit aktiv zu gestalten[28]. Dies wiederum stellt den Hintergrund für Blochs Betonung eines Wärmestroms des Marxismus als wesentlichen Faktor zur Herausbildung des utopischen Fernziels des vollen Seins an einem angenommenen Ende des Weltprozesses dar.
Aufgabe der Ästhetik ist bei Bloch also nicht die gesellschaftsabgewandte Kontemplation einer abstrakten Schönheit in Kunst und Natur[29], sondern ein erkennendes Eingreifen in den historischen und Naturprozess. So konstituiert sich seine Ästhetik gleichermaßen als ‚Ergreifen‘ unter erkenntnistheoretischem und als ‚Eingreifen‘ unter gesellschaftlichem Gesichtspunkt. Diese performative Auffassung von Ästhetik ist an seinem Verständnis der Metapher und des ihr zugehörigen Erkenntnisverfahrens besonders gut erkennbar.
Die Metapher als performatives Verfahren
antizipatorischer Erkenntnis
Wie bereits dargestellt, konstituiert sich Wirklichkeit bei Bloch analog zum künstlerischen Verfahren der Montage nicht als abgeschlossene Totalität, sondern als ein loser, dennoch gefügter Zusammenhang disparater Teile, als eine montagehafte Struktur „ungleichzeitiger“ „Realfragmente“. Als „Realfragmente“ beinhalten die Prozessgestalten latent die Potenz und Potenzialität, sich in „qualitativen Sprüngen“ zu neuen Gestalten zu verändern, die sich als „echtes Novum“ durch ein qualitatives „Mehr“[30] auszeichnen, aus dem die Unumkehrbarkeit des Prozesses resultiert: „Was sich lediglich bewegt, also lediglich seinen Ort ändert, kann noch das Gleiche bleiben. Wogegen sich bewegendes Entstehen qualitativ ändert, vor allem auch im Sich-Bewegenden selber. Es kommt ein Neues dabei heraus, und dieses Neue ist, im weiteren Unterschied zur Bewegung, nicht umkehrbar. […] Ein Ball kann zurückkehren, als wäre er nie fortgewesen, aber Eierkuchen ist nicht zu Eiern umkehrbar.“[31]
Als „qualitative Mehr-Gefüge“[32] sind „alle echten Gestalten […] das vermehrend-vermehrte Mehr über der Summe ihrer Teile wie ihrer selbst“[33], „das Ganze“ ist „mehr als die Summe seiner Teile; – und dieses objektive Mehr gibt das untrügliche Kriterium echter Gestalt“[34]. Dieses qualitative „Mehr“ stellt, indem es die Grenzen analytischer Erkenntnisverfahren aufzeigt, ein epistemologisches Problem dar: „Gewiß, wird ein Etwas untersucht, so ist erst vonnöten, es zu teilen. Nur durch forschenden Abbau auf die einfachsten Teile und ihre Bewegungen ist Gewordenes analytisch zugänglich. Nur darf auch bei diesem Aufteilen nicht stehengeblieben werden, so sehr es immer Ganzheiten, gar allzu hohe, kausal anzustechen hat.“[35]
Vielmehr ist zur erkenntnistheoretischen Erschließung des qualitativen „Mehr“ eine „kompositive Methode“[36], in dialektischer Terminologie: ein „dialektisch-synthetisches“ Verfahren[37] erforderlich: „Derart stellt, was immer gestaltet ist, kein Beieinander dar. Auch keine Leine, an die das Beieinander sozusagen gebunden ist. Vielmehr ein In- und Miteinander ging auf; als dieses wird es auch nicht durch ein Verallgemeinern vieler Fälle, sondern zugleich, mit einem Male erfaßt. Solches Erfassen ist methodisch so möglich wie nötig, indem das Zusammen, das Gestalt ist, dies Mit-einem-Male objektiv an sich hat.“[38]
Die Erkenntnis einer montagehaft strukturierten Realität, die sich als qualifizierendes „Mehr-Gefüge über der jeweiligen Summe der jeweiligen Teile“[39] charakterisieren lässt, erheischt folglich eine Methode des simultanen Erfassens, eine ‚Zusammenschau‘, die Bloch häufig bildhaft in der Gestalt des „Blitzes“[40], eines „Bilderblitzes“ zur Erschließung der „gleichnishaft belichteten Bedeutung“[41] evoziert. Als vorzügliches Instrument dieser Erkenntnis in Form einer ‚blitzhaften Zusammenschau’ erweist sich die Metapher, wobei sich die montagehaft „unterbrochene“ Struktur der Realität selbst als Ausgangspunkt metaphorischer Erkenntnis erweist: „Die Sinne melden sich immer neu und was sie zeigen. Es ist ein Einzelnes, das wird immer wieder dem reihenden Darstellen, sammelnden Gedanken übergeben. Und genau daran sticht das minder oder gar nicht Eingemeindete heraus, ein Unterbrechen, das gesammelt in die Schule mehr schlecht als recht benannter Dinge gehen läßt und ins Wirkliche als selber Unterbrechendes. Was eben aber nicht endloses Entlaufen, Verlaufen bedeutet, schreibenden Seitensprung um jeden Preis. Sondern hierher gehört das Ineinander eines sogar bindenden Zerbrechens, nämlich quer hindurch, bisher Entferntes nah zusammenbringend, eines zusammenhängend Unterbrechenden, wie es in der Welt und nicht etwa nur in einem sich wendenden Kopf ist.“[42]
Obwohl Bloch hier die Metapher nicht explizit nennt, wird doch deutlich, dass das entscheidende Verfahren zur Erkenntnis einer montagehaft „unterbrochenen“ Realität darin besteht, bisher Entferntes zusammenzubringen, durch simultane Auffassung neu zu fügen, wie es Gleichnisse und – als deren unausgeführte und dadurch gesteigerte Form – Metaphern vorzüglich leisten: „Nichts kommt nur an dem Ort vor, wo es steht. Eins läßt sich durch ein anderes ausdrücken, auf hin und herzielende Art. Merkmale tauschen sich dann aus, hallen, wie echohaft, von ganz anderer Gegend wider. […] Von einem Ding zum anderen, das mit ihm verglichen wird, verbindet nun sprachlich ein Bild. Was sich so auch im Wort als übertragen kenntlich macht, bedeutsam beziehen läßt. Trotz weit entfernter Orte geht vieles derart verspellt auf.“[43]
Gleichnis und Metapher ermöglichen folglich nicht nur die ‚blitzhafte Zusammenschau‘ disparater Teile, sondern gewähren überdies als nicht additives Verfahren den Raum für die performative Erkundung des „Mehr“, welches das Ganze über die bloße Summe seiner Teile erhebt. Bezogen auf den „einfachen Vergleich“, dem er als Grundform von Gleichnis und Metapher nur eine relativ eingeschränkte Erkenntnisfunktion beimisst, deutet Bloch dieses „Mehr“ als ein tertium comparationis, das freilich nicht wie in der traditionellen Rhetorik als bereits bekannter „Vergleichs- oder Berührungspunkt zwischen den beiden Analogiesphären“[44] erscheint, wodurch der Vergleich lediglich einem bereits bekannten Sachverhalt eine sprachlich reizvolle Gestalt verleiht. Vielmehr entspringt das tertium comparationis als das unbekannte „Mehr“ erst der ‚Zusammenschau‘ der disparaten Teile, und zwar mit ansteigender Erkenntnisqualität, je weiter sie voneinander entfernt sind: „Da ist nicht ein Drittes, Gemeinsames außerhalb, mit dem verglichen wird, sondern dies Tertium springt zwischen den Gliedern selber an“[45]. Dieser Vorgang der ‚metaphorischen Zusammenschau‘ hat mithin nicht nur eine darstellende, sondern – viel wesentlicher auch eine performative Qualität: Er evoziert im Künstler einen Erkenntnisprozeß, der vermittelt über die Darstellung im Rezipienten erneut angestoßen wird und diesen unter Umständen sogar zur aktiven Realitätsgestaltung mobilisieren kann.
Als vereinfachende Illustration für eine solche ‚blitzhafte Zusammenschau‘ in ihrem Zusammenwirken erkenntnistheoretischer und performativer Aspekte kann der metaphorische Impuls dienen, der von der paradoxen Metapher „rundes Viereck“[46] ausgeht: Die paradoxe Metapher „rundes Viereck“ evoziert die bildhafte Vorstellung eines Kreises, der ein Quadrat so umschreibt, dass er dessen Eckpunkte berührt. Die unmittelbare Anschauung führt zu der Einsicht, dass die Fläche des Quadrats kleiner ist als die des Kreises. Ebenfalls auf der Ebene der Anschauung leitet sich daraus die Erkenntnis ab, dass die Differenz zwischen den Flächeninhalten eines Kreises und eines regelmäßigen Vielecks, durch dessen Eckpunkte der Kreis verläuft, um so geringer ist, je mehr Ecken dieses Polygon hat. Die nun nicht mehr anschauliche Vorstellung, dass die Flächeninhalte des Kreises und eines regelmäßigen Polygons identisch sein müssten, wenn letzteres unendlich viele Ecken hat, wird zur Grundlage der rechnerischen Bestimmung von Kreisflächeninhalten und dient zur „Definition des Kreises als eines unendlichen Vielecks“[47]. So führt der Versuch, die paradoxe Verbindung der Eigenschaften „rund“ und „eckig“ in einer einfachen bildhaften Vorstellung aufzulösen, zu einem mathematischen Verfahren und zu einer nicht mehr anschaulichen, sondern begrifflich abstrakten Definition. Mit anderen Worten: Die Suche nach einem tertium comparationis zu den beiden unvereinbaren Eigenschaften führt zur Erkenntnis eines „Mehr“, das zwischen den beiden Eigenschaften in einem ‚Ideenblitz‘ aufgeht und das zugleich diese beiden gegensätzlichen Eigenschaften in Gestalt der Kreisdefinition einschließt. Indem die Kreisdefinition sowohl die Ausgangselemente „Kreis“ und „Viereck“ als auch die Auflösung des paradoxen Verhältnisses zwischen den beiden Elementen umfasst, geht sie über das additive Verfahren der bildhaften Anschauung hinaus und konstituiert sich so als ein „Mehr“ über der bloßen Summe ihrer Teile. Ferner wird deutlich, dass die paradoxe Metapher „rundes Viereck“ auf performative Weise die dargestellte Assoziationskette in Gang setzt und deren Ablauf umfasst. Beides, Assoziationsimpuls wie -ablauf, wird gleichsam in der Metapher ‚konserviert‘ und kann so jederzeit erneut vollzogen werden. Und auch von ihrem Fluchtpunkt, der Kreisdefinition, her erwächst der Metapher eine performative Qualität, indem nämlich die Kreisdefinition zu einem mathematischen Verfahren zur Bestimmung von Kreisfläche und ‑umfang führt, das seinerseits in der konkreten Anwendung, etwa bei der Konstruktion eines runden Tisches, operational eingesetzt werden kann.
In diesem Sinne erscheint die ‚blitzhafte Zusammenschau‘ von Disparatem, der „Wettstreit der Sehfelder“ als das die Metapher und ihre performative Erkenntnisfunktion konstituierende Prinzip. Folglich gründen die erkenntnistheoretische Qualität und die „kämpfende“, „expeditionshafte“, also performative Funktion der Metapher weniger auf Analogie als auf Widerspruch und Paradoxie, wird die Metapher bei Bloch zu einem dialektischen Verfahren der Erkenntnisfindung: „Das genuine Gleichnis […] zeigt gerade einen Wettstreit der Sehfelder, Überspiegelungsbilder auch im kämpfenden, expeditionshaften Sinn […], und zwar einen ungelegten Wettstreit, einen, dessen Gleichnisse nirgends schon ins Gleiche gestellte, also angelangte Gleichungen sind. Von daher […] kommt […] letzthin dem Gleichnis sein echtes Paradox (je stärker, je bedeutender es ist), ebenso der keineswegs ruhende Glanz.“[48]
Damit korrespondiert Blochs Metaphernbegriff mit einer Erkenntnis der neueren Metaphernforschung, welche die Metapher – im Gegensatz zur traditionellen Metapherntheorie – nicht auf „Ähnlichkeit“ und „Analogie“ zurückführt, sondern – unter dem Schlagwort „paradoxe Metapher“ – als eine „widersprüchliche Prädikation“[49] definiert, wobei die „paradoxen Anteile der Metapher“[50] zum Ausgangspunkt ihrer erkenntnistheoretischen Funktion werden: „In dem Maße, in dem das nach-metaphysische Interesse an der Metapher der Paradoxie ihres Ursprungs auf die Spur gekommen ist, hat Metapherntheorie meta-metaphorologische Fragen aufgeworfen, die in Umwertung des alten philosophischen Vorurteils ein mehr als (nur mehr) triviales epistemologisches Interesse in der Rhetorik erkennen lassen und folglich eine andere als die schlichte kompensatorische Rolle von Ästhetik vorsehen.“[51]
Zugleich bekräftigt die „Paradoxie“ als Kulminationspunkt der erkenntnistheoretischen und performativen Funktion der Metapher deren engen Zusammenhang mit dem Fragment und der Montage: Einerseits findet die fragmentierte, montagehaft strukturierte Realität in der Metapher das erforderliche Erkenntnisinstrument, das die simultane ‚Zusammenschau‘ ihrer disparaten Teile ermöglicht. Auf der anderen Seite ist die simultane Auffassung disparater Fragmente und des sie überwölbenden „Mehr“ ihrerseits ein performatives, montagehaftes Verfahren, dem die Metapher ihre erkenntnistheoretisch bedeutsame Fähigkeit zu „Paradoxie“ und „Widerspruch“ verdankt. In diesem Sinne ist die Montage das grundlegende Strukturprinzip der Metapher.
Innerhalb des metaphorischen Erkenntnisvorgangs als performativ-kompositive Methode einer ‚blitzhaften Zusammenschau‘, wie sie der zukunftsoffene, in qualitativen Sprüngen verlaufende Realitätsprozess mit seiner montagehaften Struktur erfordert, wirken Montage und Metapher fast zeitgleich zusammen. Indem die Montage „aus dem gewohnten Zusammenhang gerissene Elemente“ blitzhaft zusammenzustellen[52] vermag, fungiert sie als auslösender Impuls der metaphorischen Erkenntnis und stellt somit deren performative Grundlage dar. Dagegen umfasst die Metapher, indem sie wie „das Gleichnis […] zwischen“ diesen montagehaft kombinierten „entfernten Dingen hin und her“ geht und so „die Tendenz des einen durch einen Zug am andern bedeuten“ lässt[53], den performativen Vollzug des Erkenntnisprozesses insgesamt. In dieser performativen Sichtweise der metaphorischen Erkenntnis kann die Montage als auslösender Anstoß der Metapher und insofern auch als deren logische Voraussetzung gelten, wodurch sie sich zugleich als unverzichtbarer, integraler Bestandteil des metaphorischen Erkenntnisverfahrens erweist. Insofern die Metapher jedoch auf performative Weise die ‚synthetisierende‘ Zusammenschau der durch Montage kombinierten disparaten Fragmente vollzieht, stellt sie den eigentlichen Kulminationspunkt der antizipatorischen ästhetischen Erkenntnis dar.
Allerdings erweist sich die analytische Aufspaltung des performativen Vorgangs der antizipatorischen Erkenntnis in einen impulsgebenden montagehaften Teil und einen vollziehenden metaphorischen Teil gemessen an der Dynamik des konkreten Erkenntnisprozesses als problematisch. Diese Problematik liegt darin begründet, dass sowohl der Montage als auch der Metapher innerhalb des Erkenntnisvorgangs eine ausgeprägte handlungsbasierte, performative Qualität zukommt: Der konkrete metaphorische Erkenntnisvorgang ist als ‚blitzhafte Zusammenschau‘ derartig dynamisch, dass eine Aufspaltung dieses performativen Aktes in aufeinander folgende Bestandteile, also in einen impulsgebenden, montagehaften und einen vollziehenden, metaphorisch ‚synthetisierenden‘ Teil, in der Wahrnehmung nicht nachvollzogen werden kann und sich somit als künstlich erweist.
Das fast zeitgleiche Zusammenwirken von Montage und Metapher innerhalb des metaphorischen Erkenntnisvorgangs spiegelt sich darin wider, dass Bloch beide Begriffe fließend ineinander übergehen lässt[54]. Ebenso wie die Montage in Blochs Bestimmung als prekäres Gleichgewicht destruktiver und konstruktiver Momente vermittelt über ihren konstruktiv-kombinatorischen Aspekt in seiner Montagetheorie gegenüber der Metapher durchlässig wird, ist auch sein Metaphernbegriff durch die Betonung des Paradoxen als ‚destruktives‘, disparates Moment zur Montage hin offen. Montage und Metapher gehen so als „Prozesskategorien“ ineinander über, ohne ihre begriffliche Eigenständigkeit zu verlieren, wodurch ihr Wechselverhältnis neu bestimmt und im Hinblick auf ihr enges Zusammenwirken im metaphorischen Erkenntnisvorgang präzisiert werden kann.
Aus Blochs Überzeugung, dass die Realisierung des künftigen vollen Seins einer aktiv eingreifenden Beförderung bedarf, erwächst eine handlungszentrierte Ausrichtung seines Erkenntnisbegriffs, was wiederum eine performative Auffassung von Ästhetik nach sich zieht, der auch die Metapher als Organon der antizipatorischen Erkenntnis gerecht wird. Die Erkenntnisfunktion der Metapher ist überhaupt nur möglich, weil in ihr auf performative Weise durch das Zusammentreffen paradoxer Elemente in einer ‚blitzhaften Zusammenschau‘ als ein bis dahin unbekanntes tertium comparationis eine neue Einsicht erzeugt wird. Die erkenntnisauslösende Spannung zwischen den paradoxen Elementen wird in der Metapher als sprachlichem Ausdruck aufbewahrt, wodurch der Erkenntnisvorgang in der Rezeption als aktiver Vollzug der ursprünglichen Erkenntnishandlung erneut angestoßen werden kann.
Es wäre von Interesse, eine weitere Differenzierung der antizipatorischen Erkenntnisfunktion, die Bloch der Metapher zuweist, anhand seiner Bestimmung und Unterscheidung der Begriffe „Allegorie“ und „Symbol“ vorzunehmen. Obwohl Bloch die klassizistische Abwertung der Allegorie gegenüber dem Symbol zurückweist[55] und sich ausdrücklich auf Benjamins „Berichtigung“ dieser negativen Bewertung der Allegorie beruft[56], konstatiert er doch einen „Vorrang des Symbolischen vorm Allegorischen“[57], den er sowohl auf dessen künstlerische als auch auf dessen naturobjekthafte Ausprägung als „Real-Symbol“ bezieht. Dies überrascht zunächst, weil die größere Variabilität der auf „Mehrdeutigkeit“ gerichteten Allegorie gegenüber dem auf die „Unitas eines Sinns“ abzielenden Symbol[58] gerade mit Blick auf den Aspekt der antizipatorischen Erkenntnis eine höhere Produktivität verspricht, wie Bloch selbst anzudeuten scheint:
„Nicht nur die dramatischen Personen, sondern alle von der Kunst recht gefaßten Stoffe und Dingfiguren betreiben allegorisch das Metier ihres Charakters. Dies ergibt gerade eigentümliche und unverwechselbare künstlerische Wahrheit; dabei ist ein wichtiger Unterschied bemerkenswert: die Kunst […] will im Gegensatz zur Religion […] die vorhandene Welt, ihre vorhandene Immanenz nicht unterbrechen, gar sprengen. […] Der allegorische Vor-Schein in der Kunst ist als solcher vieldeutig, beherrsche man diese Vieldeutigkeit als unblutigen Ort zur Durchführung und Anschauung offener Experimente, hypothetischer Modelle, fragmentarischer Lösungen.“[59]
Und dieser Widerspruch setzt sich fort, wenn er, wie hier ersichtlich ist, die Allegorie eher dem künstlerischen Bereich zuordnet, während er dem Symbol eher eine Verbindung zur Sphäre der Religion zuschreibt[60], deren „Vor-Schein“ er jedoch ein geringeres Erkenntnispotential zuerkennt als dem der Künste, weil der künstlerische „Vor-Schein“ weltimmanent bleibt, während die „Welt […] im christlich-religiösen Vor-Schein […] apokalyptisch verschwindet“[61]. Dieser Widerspruch kann sich in der weiteren Forschung als Inkonsistenz der Theorie Blochs erweisen. Es ist jedoch auch denkbar, dass er dem Symbol wegen seiner größeren antizipatorischen Reichweite einen Vorrang vor der Allegorie einräumt und letztere dennoch als das geeignetere erkenntnistheoretische Instrument betrachtet – ähnlich wie er auch dem musikalischen „Vor-Schein“ zwar den Vorrang vor dem literarischen einräumt, dem literarischen „Vor-Schein“ aufgrund seiner besseren Verständlichkeit letztendlich aber doch in der Praxis den Vorzug gewährt: „Wird aber für Geistesohren tönend der neue Tag geboren, so ist diesem als Puppenstand, Symbolstand Musik das durchtönendste Subjekt-Objekt-Signal“[62].
Obwohl sich Bloch auf Benjamins Allegoriebegriff beruft, lässt die Differenz, die in bezug auf Blochs und Benjamins Sicht der Montage festzustellen ist[63], vermuten, dass auch seine Auffassung der Allegorie von Benjamins Begriffsbestimmung abweicht. Es ist zu erwarten, dass Benjamins Allegoriebegriff im Vergleich zu demjenigen Blochs – ähnlich wie schon hinsichtlich der Montage – das konstruktive Moment und die Ausrichtung auf die antizipatorische Erkenntnis fehlt. Dies wird zumindest auf den ersten Blick durch die vielzitierte Passage über die Allegorie aus Benjamins Trauerspielbuch bestätigt: „Wird der Gegenstand unterm Blick der Melancholie allegorisch, läßt sie das Leben von ihm abfließen, bleibt er als toter, doch in Ewigkeit gesicherter zurück, so liegt er vor dem Allegoriker, auf Gnade und Ungnade ihm überliefert. Das heißt: eine Bedeutung, einen Sinn auszustrahlen, ist er von nun an ganz unfähig; an Bedeutung kommt ihm das zu, was der Allegoriker ihm verleiht.“[64]
Dieser erste Befund wäre allerdings wegen Benjamins spezifischer Art der Begriffsbildung im Hinblick auf sein Gesamtwerk weiter zu überprüfen, um zu einem aussagekräftigen Vergleich mit Blochs Verständnis der Allegorie zu gelangen: „Einmal ausgearbeitete Begriffe sind ihm nicht applikativ und klassifikatorisch zur Hand, sondern müssen am neuen Gegenstand neu entfaltet und ausgearbeitet werden“[65].
Schluss
Entsprechend seinem Ziel, den „Wärmestrom“ innerhalb der marxistischen Wissenschaft hervorzuheben, plädiert Bloch engagiert für die formale und inhaltliche Freiheit der Kunst, um ihr den Spielraum zu sichern, dessen sie bedarf, um jenseits des empirisch Gegebenen und des politisch Opportunen in die Ferne, ins Utopische herüberreichen zu können.
Dies zeigt sich schon in der so genannten „Expressionismus-Debatte“, in der sich Blochs prozessbezogenes, auf weitreichende ästhetische Antizipation zielendes Konzept eines „utopischen Realismus“ deutlich abzeichnete. Zugleich griff er mit seiner Stellungnahme zugunsten der Freiheit zu Formexperimenten und mit seiner Hervorhebung der Bedeutung der Subjektivität beherzt in eine Debatte ein, deren Gefahr einer Reglementierung der künstlerischen Gestaltungsfreiheit er erkannte.
Es zeigt sich, dass sich Bloch bereits in den dreißiger Jahren für eine Ästhetik und auch für eine Kulturpolitik engagierte, die der Kunst die Freiheit eröffnet, für künftige Entwicklungen offen und sensibel zu sein. Dieses Engagement ordnet sich ebenso in Blochs Insistieren auf dem Wärmestrom des Marxismus ein wie seine ästhetische Theorie, die als „utopischer Realismus“ vermittelt über seine Neubestimmung des Fragments, der Montage und der Metapher auf den antizipatorischen Erkenntnisausgriff auf das utopische Fernziel einer humanen Welt abzielt.
Dieses kompromisslose Festhalten am Wärmestrom des Marxismus – unter Zurückweisung jeglicher pragmatischer Opportunität – ist es letztlich, was die fortwirkende Aktualität des Werkes Ernst Blochs begründet. Ernst Blochs Werk ist nach wie vor produktiv wirksam und aktuell. Seine Neubestimmung der Montage und der Metapher und ihrer Wechselbeziehung kann für die weitere Forschung von Bedeutung sein. Seine Theorie der metaphorischen Erkenntnis nahm wichtige Ergebnisse der neueren Metaphernforschung vorweg. Seine Ästhetik kann als Methode der Literatur- und Kunstinterpretation das Verständnis vieler künstlerischer Werke vertiefen helfen. Und wie ein Vergleich mit der der Frühromantik zeigen kann, ist diese sogar dazu geeignet, utopische Spuren in der Vergangenheit aufzufinden.
[1] Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung. In fünf Teilen. Gesamtausgabe Band 5. Frankfurt am Main 1959, S. 235-242.
[2] Ebd., S. 241.
[3] Ebd., S. 240.
[4] Ebd.
[5] Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit. Erweiterte Ausgabe. Gesamtausgabe Band 4. Frankfurt am Main 1962, S. 66.
[6] Immer wieder betont Bloch, dass der Ausgang des Weltprozesses noch vollkommen offen ist. Die Unterstellung, Blochs Geschichtsphilosophie beinhalte „eine ontologische Gewißheit […], daß Geschichte gelingen muß“ (Paetzold, Heinz: Neomarxistische Ästhetik. Teil 1: Bloch, Benjamin. Düsseldorf 1974, S. 57), ist also nicht zutreffend. Evident ist hingegen, dass sich Bloch in seinem Werk nahezu ausschließlich mit solchen Traditionen und Antizipationen beschäftigt, die mutmaßlich auf ein Gelingen des Weltprozesses tendieren.
[7] „Das Nicht ist Mangel an Etwas und ebenso Flucht aus diesem Mangel; so ist es Treiben nach dem, was ihm fehlt“. BLOCH, ERNST: Tübinger Einleitung in die Philosophie. Neue, erweiterte Ausgabe. Gesamtausgabe Band 13. Frankfurt am Main 1970, S. 218.
[8] Bloch, Ernst: Experimentum Mundi. Frage, Kategorien des Herausbringens, Praxis. Gesamtausgabe Band 15. Frankfurt am Main 1975, S. 144f.
[9] Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung, a. a. O., S. 241.
[10] Bloch, Ernst: Marxismus und Dichtung. (Gelesen auf dem Congrès pour la Défense de la Culture, Paris 1935). In: Bloch, Ernst: Literarische Aufsätze. Gesamtausgabe Band 9. Frankfurt am Main 1965, S. 135–143, hier S. 141.
[11] Vgl. Kessler, Achim: Ernst Blochs Ästhetik – Fragment, Montage, Metapher. Würzburg 2006, S. 9f. und S. 13.
[12] Bloch, Ernst: Ein Leninist der Schaubühne. (1938). In: Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit, a. a. O., S. 250–255, hier S. 253.
[13] Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung, a. a. O., S. 255.
[14] Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 226.
[15] Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung, a. a. O., S. 276.
[16] Ebd.
[17] Bloch, Ernst: Gleichnis, Allegorie, Symbol. (Zürich-Zollikon, 1934). [Manuskript, ohne Titel, Ernst-Bloch-Archiv Ludwigshafen, Nachlass Ernst Bloch, Mappe 6, Nr. 1, S. 530–584, die Seiten 540–542, 548, 552, 553, 567, 568 fehlen, hier S. 531f.]. In: Bloch, Ernst: Logos der Materie. Eine Logik im Werden. Aus dem Nachlass 1923–1949. Herausgegeben von Gerardo Cunico. Frankfurt am Main 2000, S. 373–394, hier S. 374f.
[18] Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung, a. a. O., S. 276.
[19] Bloch, Ernst: Erkenntnis als Schlüssel und Hebel des Wirklichen. (1930). In: ders.: Tendenz – Latenz – Utopie. Ergänzungsband zur Gesamtausgabe. Frankfurt am Main 1978, S. 117–121, hier S. 118. Die Datierung des Textes auf 1930 ist falsch, tatsächlich wurde er im Sommer 1937 geschrieben (vgl. BLOCH: Logos der Materie, a. a. O., S. 523).
[20] Bloch, Ernst: Einfluss, Abbild und Problem des naiven Realismus. In: ders.: Logos der Materie, a. a. O., S. 73–89, hier S. 89; Bloch, Ernst: Erkenntnis als Schlüssel und Hebel, a. a. O., S. 118–120.
[21] Ebd., S. 118.
[22] Ebd., S. 119.
[23] Bloch, Ernst: Wahrheit als eingreifende Abbildung von Tendenzen – Latenzen. (Prag 1936). In: ders.: Tendenz – Latenz – Utopie, a. a. O., S. 250–260, hier S. 260.
[24] Bloch, Ernst: Erkenntnis als Schlüssel und Hebel, a. a. O., S. 118.
[25] Ebd., S. 120.
[26] Bloch, Ernst: „Idealismus“ im dialektisch-praktischen Realitätsbezug. In: BLOCH: Logos der Materie, a. a. O., S. 117–119, hier S. 119.
[27] Solomon, Maynard: Vorwärtsblickender Rückblick in künstlerischem Gestalten. 1973. In: Schmidt, Burghart (Hrsg.): Materialien zu Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“. Frankfurt am Main 1978, S. 391–403, hier S. 400.
[28] Vgl. Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 122.
[29] Vgl. Bloch, Ernst: Subjekt-Objekt. Erläuterungen zu Hegel. Erweiterte Ausgabe. Gesamtausgabe Band 8. Frankfurt am Main 1962, S. 276.
[30] Vgl. B Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 325.
[31] Ebd., S. 322.
[32] Ebd., S. 325.
[33] Ebd., S. 327.
[34] Ebd., S. 325, vgl. S. 323.
[35] Ebd., S. 332.
[36] Ebd.
[37] Vgl. ebd., S. 333.
[38] Ebd., S. 327.
[39] Ebd., S. 330.
[40] Vgl. ebd., S. 277 und S. 365; Bloch, Ernst: Subjekt-Objekt, a. a. O., S. 19 und S. 25. In Erbschaft dieser Zeit charakterisiert Bloch dieses Erkenntnisverfahren auch als „jähe Vermittlung“ (Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit, a. a. O., S. 276f.).
[41] Bloch, Ernst: Gleichnis, Allegorie, Symbol, a. a. O., S. 375, siehe auch S. 383 und S. 393 (Manuskript, S. 532, siehe auch S. 556 und S. 582).
[42] Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 302.
[43] Ebd., S. 334.
[44] Stichwort „Vergleich“ in: Schweikle, Günther; Schweikle Irmgard (Hrsg.): Metzler-Literatur-Lexikon. Stichwörter zur Weltliteratur. Stuttgart 1984, S. 460.
[45] Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 335.
[46] Vgl. Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung, a. a. O., S. 259.
[47] Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 186.
[48] Ebd., S. 338.
[49] Weinrich, Harald: Semantik der kühnen Metapher. In: Haverkamp, Anselm (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt 21996, S. 316–339, hier S. 330.
[50] Haverkamp, Anselm: Einleitung. Die paradoxe Metapher. In: ders. (Hrsg.): Die paradoxe Metapher. Frankfurt am Main 1998, S. 7–25, hier S. 18.
[51] Ebd., S. 16.
[52] Bloch, Ernst: Bruchstück und Rundung. [Manuskript, Ernst-Bloch-Archiv Ludwigshafen, Nachlass Ernst Bloch, Mappe 23, Nr. 2, S. 667–688]. In: ders.: Logos der Materie, a. a. O., S. 197–206, hier S. 198.
[53] Bloch, Ernst: Gleichnis, Allegorie, Symbol, a. a. O., S. 374 (Manuskript, S. 531).
[54] Kessler, Achim: Ernst Blochs Ästhetik, a. a. O., S. 194f. und S. 196f.
[55] Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung, a. a. O., S. 183, vgl. S. 200; Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 338.
[56] Ebd., S. 338; vgl. Bloch, Ernst: Experimentum Mundi, a. a. O., S. 202f.
[57] Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 341; vgl. Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung, a. a. O., S. 200.
[58] Bloch, Ernst: Experimentum Mundi, a. a. O., S. 203.
[59] Ebd., S. 205.
[60] Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 340; vgl. BLOCH: Prinzip Hoffnung, a. a. O., S. 202.
[61] Ebd., S. 248, vgl. S. 947f.
[62] Bloch, Ernst: Tübinger Einleitung, a. a. O., S. 342.
[63] Kessler, Achim: Ernst Blochs Ästhetik, a. a. O., S. 188–192.
[64] Benjamin, Walter: Ursprung des deutschen Trauerspiels. In: BENJAMIN, WALTER: Gesammelte Schriften. Band I, Teilband 1: Abhandlungen. Herausgegeben von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main 1991, S. 203–430, hier S. 359.
[65] Lindner, Burkhardt: Allegorie. In: Opitz, Michael; Wizisla, Erdmut (Hrsg.): Benjamins Begriffe. Zwei Bände. Frankfurt am Main 2000, Band I, S. 50–94, hier S. 51.