Unter dem Titel „Macht Netze: Widerständige Praxis zwischen Flachwasser und Tiefsee“ feierte die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) am Osterwochenende in Leipzig ihr dreißigjähriges Jubiläum – ein im Vergleich zur Halbwertzeit mancher linker Zusammenschlüsse durchaus respektables Alter. Auch dieses Mal war der BUKO Treff- und Vernetzungspunkt für Gruppen und Einzelpersonen der radikalen Linken, die jenseits von etablierten Partei- und Organisationsstrukturen theoretische und praktische Probleme linker Politik diskutieren wollten. 30 Jahre BUKO gaben Anlass, über bisher Erreichtes zu reflektieren und über zukünftig Mögliches zu spekulieren, sind doch Begriff und Praxis des Internationalismus während der letzten Jahre stark in die Krise gekommen. Nach dem Motto „Revolution ist gut, aber es ist besser, wenn andere sie für uns machen“ sei für die klassische Dritte-Welt-Solidarität die Beschäftigung mit sozialen Kämpfen in der Peripherie vielfach die Flucht vor der frustrierenden politischen Realität im eigenen Land gewesen, so die Kritik von BUKO-Urgestein Andreas Schüssler. Die Unfähigkeit, den systemischen und strukturellen Charakter von Entwicklung und Unterentwicklung zu erkennen, habe dazu geführt, dass das Objekt der Solidarität kurzerhand ausgetauscht werden konnte, sobald die Entwicklungen nicht den auf sie projizierten Erwartungen entsprachen.
Beim Auftaktpodium wurden unter dem Titel „Wie denn nun eine andere Welt?“ adäquate Formen von Organisation und Institutionalisierung der Bewegung diskutiert. Im Mittelpunkt standen Kontroversen im Bezug auf Strategie (Lobby oder Gegenbewegung) und Ebene der Organisierung (global, national oder lokal). Sven Giegold (ATTAC) hob hervor, dass die Schaffung von Ressourcen und Handlungsfähigkeit keineswegs in Widerspruch zur Basisorientierung stehen müsse. Allerdings sei ein Abbau von Hierarchien immer auch im Rahmen der Handlungsfähigkeit zu begutachten. Er betonte seine Skepsis gegenüber radikalen Widerstandsformen, womit er wohl auf die im Zuge der G8-Mobilisierung geführte Gewaltdebatte anspielte, und sprach sich für die Notwendigkeit einer breiten Bündnispolitik und der Präsenz im öffentlichen Diskurs aus. Uli Brand (Uni Kassel) wies auf das seiner Meinung nach verkürzte Staatsverständnis dieser Orientierung hin und warnte vor dem Irrglauben, allein über die Präsenz in der Öffentlichkeit, „als rationaler Akteur mit den besseren Argumenten“, Veränderungen herbeiführen zu können (womit er auf den jüngsten Auftritt von Sven Giegold bei Sabine Christiansen anspielte). Brand hob demgegenüber hervor, dass es dem BUKO gelungen sei, sich der Professionalisierung und Hinwendung zur Lobbyarbeit zu entziehen, einem Weg, den viele der klassischen Soli-Gruppen während der 1990er Jahre eingeschlagen hätten. Allerdings ginge die so erhaltene Autonomie zulasten des Gewichts in realpolitischen Auseinandersetzungen. Dem BUKO komme in der aktuellen Organisationsdebatte vor allem die Aufgabe zu, gegen den „NGO-Hype“ zu intervenieren. In Anbetracht der Proteste gegen den G8-Gipfel, die Brand skeptischer beurteilte als noch in früheren Diskussionen, hob er insbesondere die Bedeutung einer Protestkultur im Alltag zur Verbindung der Kritik am globalen Neoliberalismus mit den lokalen Auswirkungen hervor. Christine Müller von der Evangelischen Landeskirche Sachsen legte dar, warum man sich auch als Christin die Systemfrage stellen kann, betonte aber gleichzeitig aus ostspezifischer Perspektive die Schwierigkeit der Anschlussfähigkeit tiefer gehender Kritik für sie als Kirchenvertreterin.
In den folgenden Tagen diskutierten die Teilnehmenden in rund 80 Workshops Themen von Militarisierung und Energie über Migration und Geschlechterverhältnisse bis zu Privatisierung. Dabei war klar, dass hier unter linker Politik mehr verstanden wird, als in kahlen Seminarräumen die konkreten Ausprägungen neoliberaler Politik theoretisch zu fassen. Nach dem Motto „macht Netze gegen Machtnetze“ wurde das Zusammensein der verschiedenen Gruppen und AktivistInnen genutzt, um gemachte Widerstandserfahrungen gemeinsam zu diskutieren und in bestehende oder zukünftige Kampagnen zu integrieren. Diejenigen, die eine Pause vom Diskutieren brauchten, konnten etwa beim Blockadetraining gegen G8 oder in einem Theaterworkshop der Clownsarmy körperliche Betätigung unter freiem Himmel mit subversiver Praxis verbinden.
Gleich sechs Workshops setzten sich mit den Aktivitäten der Bertelsmann-Stiftung auseinander. An ihrem Beispiel wurde der Einfluss privatwirtschaftlicher Akteure auf die staatliche Inwertsetzung öffentlicher Räume und Institutionen analysiert. Dabei war die Wahl des Gütersloher Medienriesen keinesfalls willkürlich. Anders als die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, deren Agenda vor allem auf die Gestaltung des öffentlichen Diskurses ausgerichtet ist, ist die Bertelsmann Stiftung für das breite Publikum meist gar nicht wahrnehmbar, da sie sich mit ihrer Arbeit direkt an die Politik wendet. Mit einem Jahresetat von 65 Millionen Euro ist sie die finanzstärkste Stiftung Deutschlands. Dabei beschränken sich ihre Lobbyaktivitäten – etwa die Entwicklung von Konzepte für die Ausgestaltung von Studiengebühren und Hartz-IV – nicht nur auf die nationale Ebene. Mit dem „Bertelsmann Transformation Index“ (BTI), der jährlich vom hauseigenen Think Tank, dem „Zentrum für Angewandte Politikforschung“ (CAP) herausgegeben wird und die „Reformbereitschaft“ von 116 Schwellen- und Entwicklungsländern misst, gelingt es zunehmend, sich auch auf internationaler Bühne als geopolitischer Akteur zu positionieren und auch bei IWF und Weltbank auf offene Ohren zu stoßen. Jörn Hagenloch vom Medienkombinat Berlin betonte die dezidierte Orientierung der geopolitischen Agenda von Bertelsmann auf eine Stärkung der EU-Militärpolitik als „verlängertem Arm der Zivilmacht Europa“. An diesem Punkt setzte die AG „Du bist Bertelsmann“ an und diskutierte mit TeilnehmerInnen mögliche Formen zur Organisation effektiver Widerstandsstrategien. Diese reichten von der Anstrengung eines Gerichtsverfahrens gegen den Missbrauch des Gemeinnützigkeitspostulats bis zu Initiativen, das Image des Konzerns als „deutschem Saubermann“ durch den Austausch mit dessen Belegschaften im Ausland öffentlichkeitswirksam anzukratzen.
Für den unerlässlichen Blick über den bundesdeutschen Tellerrand sorgten unter anderem Filme zu der seit Juni 2006 andauernden Rebellion in der mexikanischen Stadt Oaxaca mit Miriam Fischer und zur selbstverwalteten argentinischen Textilfabrik Brukman. Cecilia Gray, die sich in ihrer Dokumentation über Brukman vor allem auf den Politisierungsprozess der an der Besetzung beteiligten Näherinnen konzentrierte, warnte vor einer naiven Glorifizierung derartiger Projekte solidarischer Ökonomie und vor Versuchen, derlei Erfahrungen vorbehaltlos nach Deutschland übertragen zu wollen. Als Akteure in kapitalistischem Umfeld seien selbstverwaltete Fabriken den gleichen Konkurrenzbedingungen ausgesetzt wie privatwirtschaftlich geführte Unternehmen. Schon nach kurzer Zeit sei in vielen Fällen zu beobachten gewesen, wie die Projekte nach anfangs erfolgreich durchgesetzten Enthierarchisierungsprozessen zumindest informell in alte Hierarchien zurückfielen. Wichtig für die Beteiligten sei jedoch in allen Fällen eine Erfahrung der Politisierung und ein Bewusstsein der eigenen Bedeutung im Produktionsablauf gewesen.
Einen Anknüpfungspunkt für hiesige Kämpfe lieferten Alix Arnold und Christian Frings (Wildcat) bei der Vorstellung des Buches „Auf den Geschmack gekommen…“[1] zum sechsmonatigen Streik der Beschäftigten des Catering-Unternehmens Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen. Zentrales Moment des Streiks war Arnold zufolge weniger der materielle Aspekt – die NGG hatte eine Lohnerhöhung von 4,5 Prozent gefordert – als vielmehr, ähnlich wie im Fall von Brukman, das Wiedererlangen von Würde und Selbstachtung der Lohnabhängigen sowie die Erfahrung, dass selbstständige und kollektive Organisation auch ohne gewerkschaftliche Unterstützung und unter schwierigsten Arbeitsbedingungen möglich sein kann. Arnold und Frings stellten den Fall Gate Gourmet in den Kontext einer neuen Welle von autonom geführten Arbeitskonflikten, die mit dem wilden Streik bei Opel im Oktober 2004 begonnen habe.
Für viel Ärger und Diskussionsstoff sorgte ein Anfang März erschienenes NGO-Positionspapier zum G8-Gipfel in Heiligendamm, in dem 40 Unterzeichnerorganisationen (u.a. WEED) mit Appellen – von A wie Afrika bis Z wie Zollpolitik – die G8 zur Stärkung der Zivilgesellschaft und zu verteilungspolitischen Orientierungen aufriefen. Einhellig interpretierte der BUKO dieses Papier als einen gezielten Versuch, den Konsens der bis dato von einem breiten Mobilisierungsbündnis getragenen Delegitimierungsstrategie der G8 zu kündigen und durch einen Dialog mit den Herrschenden zu ersetzen.
Auf dem moderierten Abschlussplenum sollte versucht werden, sich gemeinsam über die emanzipatorischen Aussichten nach dem G8-Gipfel zu verständigen: Dies blieb allerdings in einer Debatte über den Sinn- und Unsinn des Protestes gegen G8 stecken. Mag Wompel (labournet germany) kritisierte auf der einen Seite, dass es der Linken nicht gelungen sei, eine schlüssige Verbindung zwischen dem Gipfel und den lokalen und regionalen Ausprägungen neoliberaler Politik herauszuarbeiten. Diese Verbindung müsse im alltäglichen Widerstand, etwa gemeinsam mit Ein-Euro JobberInnen oder Studierenden, auch in der Mobilisierung geschaffen werden. Auf der anderen Seite stellte sie den symbolischen Gehalt der Proteste und die Formierung breiter Bündnisse während der Vorbereitung als äußerst ermutigend heraus. In eine ähnliche Kerbe schlug Ariane Brennussel (Antipatriarchales Netz Berlin), die in ihrem Statement darauf verwies, dass sich Herrschaft vor allem im Alltag reproduziere. Die starke Fokussierung der Linken auf die Gipfelmobilisierung wertete sie dementsprechend eher als Zeichen der Schwäche denn als Stärke.
Insgesamt fällt die Bilanz des dreißigsten BUKO wohl gespalten aus: Einerseits ist es ermutigend, dass immer noch 500 sich als linksradikal verstehende Menschen zusammentreffen, um gemeinsam Politik links von Attac zu machen. Gleichzeitig bleibt ein fader Beigeschmack angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Teilnehmenden als nicht organisierte Einzelpersonen auftraten. Die BUKO scheint eben nicht mehr das politisch relevante Netzwerk mehr oder minder wichtiger Einzelgruppen zu sein, das es mal war. Die verstärkte Orientierung auf partizipative Lernformen und Vernetzung bewies aber, dass auch ohne hochrangig besetzte Podien zielführende Diskussionen angestoßen werden können.
[1] Flying Pickets (Hg.): Auf den Geschmack gekommen … Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet, Berlin 2006.