Berichte

Marxismus-Konferenz

Berlin, 20. bis 22. April 2007

Juni 2007

Zehn Jahre nach der Hannoveraner Tagung „Marxismus an der Schwelle zum 21. Jahrhundert“1 vom 14.-16. März 1997 fand, diesmal in den Räumen der Technischen Fachhochschule Berlin, eine zweite „Marxismus-Tagung“ unter dem Titel „Marxismus für das 21. Jahrhundert“ statt. Zu der Konferenz aufgerufen hatte im Februar 2006 ein Kreis von 17 Wissenschaftlern und Publizisten aus dem Bereich der marxistischen Linken. Das Programm der Konferenz (vgl. Beilage in Z 69) sah fünf Plenarrunden, zwei Plenarvorträge, ein abendliches Brecht-Programm sowie etwa 25 workshops vor, veranstaltet von Zeitschriften, Initiativen und Einzelpersonen. Als gemeinsame Veranstalter traten insgesamt sechzehn Stiftungen und Zeitschriften der Linken auf.2 Z war in der Vorbereitungsgruppe durch Gerd Wiegel vertreten. Die Teilnehmerzahl lag bei über 700. Es ist daran gedacht, die Tagung als regelmäßiges Forum in zwei bis drei Jahren zu wiederholen. Die nachstehenden Berichte beschränken sich aus Platzgründen auf die Plenarveranstaltungen der Tagung, die i.d.R. stärker politischen Charakter hatten als die hinsichtlich der notwendigen theoretischen Debatte unter Marxisten z.T. gehaltvolleren workshops.

Eröffnungsplenum: Sozialismus im 21. Jahrhundert

Mit Frank Deppe, Wolfgang Fritz Haug, Uwe-Jens Heuer, Manuel Kellner und Sarah Wagenknecht. Moderation: Robert Steigerwald.

Die Tagung wurde eröffnet mit zwei längeren Beiträgen von Uwe-Jens Heuer (Berlin) und Frank Deppe (Frankfurt/M.), beide auch Aufrufer und Beteiligte der Hannoveraner Tagung von 1997.

Heuer (Marxistisches Forum in der Linkspartei.PDS) plädierte für eine nüchterne Bestandsaufnahme: Über den Marxismus wird heute mehrheitlich als „Anachronismus“ und in Kategorien der Kriminalisierung („Verbrechen“) gesprochen. Bei Teilen der Linken besteht die Neigung, aus der Notwendigkeit der Überwindung des Dogmatismus einen Verzicht auf marxistisches Denken („mit dem geschichtsphilosophischen Denken brechen“) zu machen. Der Kollaps des Realsozialismus hat, so Heuer, eine neue Epoche eingeläutet, die unter der Hegemonie des US-Imperialismus steht. In Anspielung auf die Luxemburg-Formulierung („Sozialismus oder Barbarei“) unterstrich er, dass heute nicht „mit Sicherheit“ vom Sozialismus als der Zukunft gesprochen werden könne. Um so mehr brauche die linke, marxistische Bewegung eine „solidarische Streitgenossenschaft“. Marxismus sei keine Politikberatung, sondern Kampf um Veränderung des Massenbewusstseins. Der aber setze einen in Theorie und emanzipativem Denken von Marx verankerten, „stabilen Kern des individuellen Denkens und Fühlens“ voraus, „Glauben“ in der Heuerschen Diktion, „Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“ in einer von Gramsci zitierten Formulierung von Romain Rolland.

Frank Deppe (Beirat von Z und Mitherausgeber von sozialismus) stellte die Ausgangsfrage: Wo stehen wir heute, zehn Jahre nach der von Heinz Jung initiierten Tagung von 1997? Damals sei für die Sieger der Geschichte klar gewesen: Der Sozialismus ist dabei, Geschichte zu werden. In ihrer Sicht war Karl Marx „aus der Realität wieder in die Library des British Museum zurückgekehrt“ (so Joachim Fest 1991). Dem könne man entgegenhalten: Irrtum, „er ist nach Lateinamerika gereist“. Standen wir, so Deppe, damals unter dem Schock der tiefen welthistorischen Zäsur von 1989/90 als einer offenbar für eine lange historische Periode bestimmenden Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit auf der ökonomischen, politischen und ideologischen Ebene, so beginnen sich heute die inneren Widersprüche der neoliberalen Herrschaftskonstellation zu entfalten. Die sich in den verschiedenen Regionen der Welt artikulierenden Formen des Widerstand gegen den Neoliberalismus sind Ausdruck dieser Veränderung und beleben die wissenschaftliche und politische Diskussion des Marxismus. Die Formierung gegenhegemonialer Kräfte der Linken, die „refondazione“ des sozialistischen Projekts ist noch kaum in Gang gekommen. Die Linke in Westeuropa ist keineswegs im Aufschwung. Im Prozess des Hinaufarbeitens aus der Phase des unmittelbaren Protests – hier war Gramscis Begriff der „Katharsis“ Bezugspunkt – auf die politische Ebene des Zusammenführens eines gegenhegemonialen Blocks und eines mehrheitsfähigen alternativen Programms befinde sie sich noch ganz am Anfang. Es gehe jetzt darum, neue Räume und Orte für marxistische Theoriearbeit zu schaffen, zu klären, wie marxistische Theoriearbeit für linke Bewegungen heute geleistet werden könne.

Der zweite Gedankengang Deppes betraf den Umgang der sozialistischen Bewegung mit ihrer Geschichte. Das herrschende Bewusstsein kriminalisiert sie. Die Neigung, sie zu ignorieren oder in Kategorien von „Schmutz“ zu charakterisieren, ist auch auf der Linken zu finden. Demgegenüber müsse die eigene Geschichte – einschließlich ihrer nicht zu leugnenden Verbrechen – als Bewegungsform von Widersprüchen begriffen werden. Deppe verwies auf die global gestaltende Kraft des Sozialismus in der Vergangenheit – Ausstrahlung auf die dritte Welt und Entkolonialisierung, Setzung von Maßstäben für den Kapitalismus (bürgerliche Demokratie, Sozialstaatlichkeit), die heute wieder eingerissen würden. Die Geschichtsinterpretation bleibe insofern ein erstrangiges Feld der hegemonialen Auseinandersetzung.

Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts artikuliert sich heute in erster Linie, so Sarah Wagenknecht (Berlin, Antikapitalistische Linke in der Linkspartei.PDS), in Lateinamerika. Zentrale Fragen seien hier Macht und Eigentum in Form von Verstaatlichung und Kontrolle nationaler Ressourcen. Für die lateinamerikanische Linke sei der Rückhalt in Bewegungen entscheidend. Hiervon könne und müsse die europäische Linke lernen. Für Europa, wo die Linke „weit von einem Aufschwung entfernt“ sei, konstatierte Wagenknecht „erhebliche Veränderungen in den Köpfen“. Es sei bemerkenswert, in welchem Maße linke Auffassungen mehrheitsfähig seien. Zahlreiche Umfragen zeigten dies. Die verbreitete Politikverdrossenheit interpretierte sie als „in vieler Hinsicht zutreffendes Gefühl oder Denken“. Zu fragen sei, warum die Menschen trotzdem nicht nach links gingen und ihren Protest auf der Straße zum Ausdruck brächten. Die Ursache ist nach ihrer Ansicht darin zu sehen, dass europaweit die Glaubwürdigkeit der Linken beschädigt sei – nicht so sehr wegen ihrer Geschichte, sondern weil sie selbst „als Teil des heutigen Machtkartells wahrgenommen werde“. Die Linke müsse offensiver agieren, deutlicher an Alltagserfahrungen anknüpfend die Macht- und Eigentumsfrage stellen und „deutlich machen, dass eine sozialistische Gesellschaft funktionieren könnte“. Die außerparlamentarischen Bewegungen seien entscheidend. Freilich blieb gerade unerörtert, wie dies erfolgen kann und wie die Widersprüchlichkeit des in Umfragen zum Ausdruck kommenden Alltagsbewusstseins mit seiner breiten Zustimmung zu neoliberalen Parteien trotz Kritik der „sozialen Grausamkeiten“ zu interpretieren ist.

Wolfgang Fritz Haug (Esslingen, Herausgeber von Das Argument und des Historisch kritischen Wörterbuchs des Marxismus) konstatierte für die Tagung einen „Hauch von Neufang“, nach dessen Ernsthaftigkeit freilich zu fragen sei. Gegenüber 1989/90 habe sich die Konstellation in verschiedener Hinsicht geändert: Die Erfahrung mit der neuen Weltordnung unter US-Hegemonie und dem neuen Imperialismus führe bei vielen Menschen zu dem Gefühl, dass es so nicht weitergehen könne; die Klimadiskussion zeige, dass die Produktionsweise der Westens nicht nachhaltig und zukunftsfähig sei. Neu sei auch die Möglichkeit der Etablierung einer Partei mit zehn Prozent Wählereinfluss links der SPD. Die Marxisten müssten sich über ihr Verhältnis zu dieser Neugründung verständigen. Es werde keine marxistische Partei sein. Dies sei auch nicht notwendig. Die Marxisten müssten aber der weitertreibendste Teil der Bewegung sein.

Zu klärende Fragen aus Sicht von Haug: Verhältnis zur Arbeiterklasse und zur Arbeiterbewegung. Wird es ein neues weltweites Proletariat geben? Verhältnis der Marxisten zum Reformismus. Auf lange Sicht könne es bestenfalls einen reformistisch erneuerten Marxismus geben. Was heißt heute revolutionäre Realpolitik? An Wagenknecht anknüpfend empfahl er, das ABC der Nahprobleme durchzubuchstabieren und dabei deren Zusammenhang, den Kapitalismus als das den Problemen gemeinsame Band herauszuarbeiten und darzustellen. Was die Geschichte des Sozialismus betrifft – Haug hatte hier im Vorfeld der Tagung davon gesprochen, „den Dreck abzuwaschen“ – so gäbe es keinen neuen Marxismus, wenn er sich nicht marxistisch zur eigenen Geschichte verhalte. Auch heute treffe die Marx‘sche Formulierung zu, dass jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger geht. Vor der Linken stehe dabei die Aufgabe, etwas zu schaffen, was es bisher noch nicht gegeben habe.

Deutlich einfacher stellt sich der Sachverhalt aus der Sicht von Manuel Kellner (Salz e.V.) dar. Der Kapitalismus biete keine lebenswerte Perspektive, er sei „zum Untergang verurteilt“. Das herrschende System lebe nur noch von der Glaubwürdigkeitskrise des Sozialismus. Zwar werde anerkannt, dass die Arbeiterbewegung etwas erkämpft hatte und dass im Sozialismus die Produktionsmittel keinen Warencharakter mehr gehabt hätten. Aber die Menschen in den realsozialistischen Gesellschaften seien nach wie vor Untertanen gewesen und hätten nicht selbstbestimmt gelebt. Eine sozialistische Partei ohne Konfliktbereitschaft mit den Reichen sei dieses Namens nicht wert. „Wenn viele Menschen gemeinsam die Fremdbestimmung durchbrechen, entsteht Gegenmacht und letztlich eine zum bürgerlichen Staat alternative Macht, die den Keim des Absterbens der Herrschaft von Menschen über Menschen in sich trägt.“ Der Sozialismus, für den zu kämpfen sich lohne, zeichne sich dadurch aus, dass niemand mehr um seine nackte Existenz kämpfen müsse, dass freie Zeit für die Beteiligung an politischen Entscheidungen geschaffen werde und dass über die betriebliche Selbstverwaltung hinaus tätige Mitwirkung der Bevölkerungsmehrheit an den Entscheidungen über die großen Richtungsfragen der Politik einschließlich der Wirtschaftspolitik möglich sei.

Robert Steigerwald (Eschborn, Marx-Engels-Stiftung e.V.), begann mit einigen kritischen Bemerkungen zum Konzept des „Computersozialismus“ (Arno Peters, Konrad Zuse, Heinz Dieterich, Verfasser des mit dem Thema der Eröffnungsrunde gleichnamigen Buches „Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts“). Der Fehler dieser Konzeption bestehe u.a. darin, nicht von den Produktions-, sondern von den Austauschverhältnissen auszugehen. Das grundlegende Problem des Sozialismus sei die Eigentumsfrage und die Tatsache, dass ohne politische Gewalt dem Kapital das Eigentum nicht genommen werden könne. Die Notwendigkeit, die Eigentumsfrage zu stellen, gelte für den Kapitalismus des 19., 20. und 21. Jahrhunderts. Als aktuelle Problemfelder für Sozialisten nannte Steigerwald: Sozialökonomische Kämpfe gegen sogenannte Reformen; die globalen Ökologieprobleme, die zeigten, dass wir in Zukunft nicht weiterleben könnten wie bisher; Kampf gegen Rüstung als Machtapparat des Kapitals. Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts könne nur „in breitem Massenkampf, nur in breiten Koalitionen“ errungen werden, daher müsse auch seine Macht anders aussehen als in der Vergangenheit.

In der Diskussion zu diesem Plenum wurde freilich deutlich, dass es nicht ausreicht, plakativ die Eigentumsfrage als zentrale Frage sozialistischer Orientierung zu benennen, sondern dass gerade dann, wenn das ABC der Nahfragen angegangen werden soll geklärt werden muss, wie sich die Eigentumsfrage heute stellt und worin die Unterschiede und Veränderungen zum Kapitalismus des 19. und 20. Jahrhunderts in dieser Hinsicht zu sehen sind: Was heißt heute Vergesellschaftung, worin besteht heute die Aneignungsfrage, was ist unter Demokratisierung heute zu verstehen? Es muss, anders ausgedrückt, die Analyse des heutigen Kapitalismus und seiner inneren Widersprüche als Ansatzpunkte sozialistischer Strategie in den Mittelpunkt gerückt werden. Hier, das wurde deutlich, besteht ein weites Feld offener theoretischer Fragen, bei denen sich die „Diesseitigkeit“ des marxistischen Denkens zu beweisen hat, oder, um mit Lenin zu sprechen, auf der konkreten Analyse der konkreten Situation zu bestehen ist. Nur so wird auch die marxistische Linke jenseits aller Selbstbestätigung gegenüber reformistischen Tendenzen Masseneinfluss und Terrain gewinnen können.

Plenum „Demokratie verteidigen – Neofaschismus stoppen“

Mit Ulla Jelpke, Hermann Klenner, Wolfgang Richter und Werner Röhr, Moderation: Eckart Spoo

In dieser nur mit Berliner Teilnehmern besetzten Runde (Arno Klönne hatte aus Gesundheitsgründen absagen müssen) machte Ulla Jelpke (Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag) den rapiden Abbau von Grund- und Freiheitsrechten im Zuge des „Kampfes gegen den Terror“ zum Ausgangspunkt der Diskussion. Er richte sich vor allem auch gegen zahlreiche Migrantinnen und Migranten, die unter einem pauschalen Terrorverdacht stünden. Bezogen auf den ansteigenden Neofaschismus in der Bundesrepublik konstatierte Jelpke, dass es sich hierbei um keine Randphänomene, sondern um ein Problem aus der Mitte der Gesellschaft handele. Die Wahlerfolge der extremen Rechten dürften nicht als kurzfristige Protestphänomene verharmlost werden, sondern seien Zeichen einer sich verfestigenden Tendenz. Die Linke müsse in den breiten Bündnissen gegen diese Tendenzen mit ihren Positionen erkennbar bleiben, zu denen auch der Kampf gegen Rassismus, für Migration und für sexuelle Selbstbestimmung gehöre, die nicht als Nebenwidersprüche beiseite gewischt werden dürften.

Der Verortung des aktuellen Neofaschismus im internationalen Maßstab widmete sich Wolfgang Richter (Gesellschaft für Bürgerrechte und Menschenwürde, Zeitschrift Icarus). Ausgehend von Brechts Formulierung, dass der „Schoß noch fruchtbar“ sei, benannte Richter die Verbindung Kapitalismus-Faschismus als nach wie vor bestimmendes Verhältnis für die Deutung des Neofaschismus. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage nach einem neuen Faschismus im Zusammenhang mit der aktuellen US-Hegemonialpolitik. Der Satz, Hitler sei in Bush wieder auferstanden, erscheine in Deutschland als fast nicht sagbar, der Referent konnte ihm jedoch einige Wahrheiten abgewinnen. Die systematische Zerschlagung und Durchdringung des ehemaligen sowjetischen Territoriums (Bsp. Kaukasus) durch die USA ist laut Richter mit dem „Fall Barbarossa“ vergleichbar.

Dieser Form der emotionalen Ausweitung des Faschismusbegriffs rückte Werner Röhr (Herausgeber des Bulletins zur Weltkriegs- und Faschismusforschung) mit einer Bestimmung der historischen Funktion des Faschismus im Sinne der herrschenden Klasse zu Leibe: Diese haben im Kampf gegen die Arbeiterbewegung und im Krieg nach außen gelegen – beides würde heute auch ohne faschistische Herrschaftsformen erreicht. Röhr warnte vor jeder inflationären Ausweitung des Faschismusbegriffs und verwies darauf, dass Völkermord und Kriege kein Monopol des Faschismus seien. Unabhängig davon billigte Röhr dem Neofaschismus eine wichtige und funktionale Rolle für die gegenwärtige Politik zu, was er an der Abschaffung des Asylrechts in den neunziger Jahren verdeutlichte.

Hermann Klenner (Professor für Rechtswissenschaft) widmete sich in seinem Beitrag dem rapiden Abbau demokratischer Rechte, wie er gegenwärtig zu beobachten sei. Es sei keine marxistische Theorie nötig, um Folter und Sicherheitswahn anzugreifen. Dennoch habe sie für den Kampf ihren Nutzen. Am antagonistischen Verhältnis von Privatisierung und Demokratie verdeutlichte Klenner dies an einem aktuellen Beispiel.

In der abschließenden Debatte wurde vor allem die leichtfertige Verwendung des Faschismusbegriffs durch Wolfgang Richter angegriffen. Dieser dürfe nicht unter politischen Nützlichkeitskriterien verwendet werden. Insgesamt mangelte es der Debatte an einem klaren thematischen Zusammenhang, so dass die interessanten Einzelaspekte des Themas relativ unverbunden blieben.

Plenarvortrag: Frigga Haug „Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik“

Motivation für eine Relektüre der Schriften von Rosa Luxemburg ist aus Sicht von Frigga Haug (Mitherausgeberin von „Das Argument“ und des Historisch-Kritischen Wörterbuchs des Marxismus) ihre zunehmende Vereinnahmung und Verdrehung in der anhaltenden Krise des Marxismus.

Als erstes widmete sich Haug unter Bezugnahme auf Luxemburgs Schriften zur Oktoberrevolution dem Verhältnis von Demokratie und Diktatur. Beide sind in Rosa Luxemburgs Verständnis von sozialistischer Demokratie kein Widerspruch; proletarische Revolution und Diktatur müssten demokratisch sein, wollten sie nicht scheitern. Was das Verhältnis von Parlamentarismus und revolutionärer Realpolitik betrifft, so machte Frigga Haug auf den Widerspruch zwischen der „verächtlichen“ Sichtweise Luxemburgs auf den bürgerlichen Parlamentarismus („parlamentarische[r] Kretinismus“, „selbstgefällige[s] Redegeplätscher von ein paar hundert Abgeordneten“3) und ihrer Ansicht aufmerksam, die Sozialdemokratie solle das Parlament verteidigen und als Bühne nutzen. Das Parlament müsse neben Straße, Betrieb und Presse als eine von vielen Arenen genutzt werden, um den Zerfall des Parlamentarismus als Tat der herrschenden Klasse darzustellen, um auf die Verbesserbarkeit der Lage des Proletariats hinzuweisen und die Unzulänglichkeit des reformistischen Flickwerks deutlich zu machen. Ansonsten bestehe die Gefahr, eine Partei von vielen zu werden. „Das schreibe ich alles der Linkspartei ins Stammbuch“, so Haug. Was Fehler betrifft, so sind sie aus Sicht Luxemburgs unvermeidlich, weil die proletarische Revolution einen historisch neuen Weg gehe. Irrtum, der auf Unwissenheit beruht, ist etwas anderes als Verrat. Abschließend ging es um den Parteibegriff und die Bedeutung von Selbstkritik. In der Diskussion spielten historische Fragen – die Bewertung der Oktoberrevolution, die Rolle Lenins und das Verhältnisses von Demokratieabbau und äußerer Bedrohung der Sowjetunion – ebenso eine Rolle wie aktuell politische Fragen, so die Beurteilung der Linkspartei.

Plenum „Mit Keynes aus der Krise?“

Mit Elmar Altvater, Joachim Bischoff und Conrad Schuhler. Moderation: Jörg Goldberg

Über seine ökonomietheoretischen Leistungen als Kritiker des Marktradikalismus gab es im Plenum zu Keynes keine Meinungsverschiedenheiten. Elmar Altvater, Joachim Bischoff und Conrad Schuhler waren sich ebenfalls einig, dass Keynes als Geldtheoretiker stets auf quantitative Aspekte beschränkt blieb und folglich auch heute zu qualitativen Problemen der Produktion, wie etwa ihrer ökologischen Dimension, keinen Beitrag leisten kann.

Unterschiedliche Ansichten gab es dagegen in der Frage, welche Bedeutung der Keynesianismus heute im Rahmen eines Programms der antikapitalistischen Linken haben kann, um die Krisenerscheinungen des Kapitalismus zu überwinden. Diese Krisenerscheinungen, darüber gab es ebenfalls keine großen Differenzen, sind nicht konjunktureller, sondern struktureller Natur, wobei vor allem auf die Dominanz der Finanzmärkte und die ökologische Dimension verwiesen wurde.

Joachim Bischoff (Redaktion sozialismus, Hamburg) befasste sich vor allem mit der Rolle der Finanzmärkte. Auch wenn er den Keynesianismus nicht als zentralen Bezugspunkt eines antikapitalistischen Programms sah, betonte er doch die wichtigen Beiträge von Keynes als Kritiker der „Herrschaft des Geldes“. Hier könne man anknüpfen bei der Entwicklung von Positionen und Strategien, die letzten Endes zu einer Überwindung des Kapitalismus führen könnten. Bedeutung hätten heute auch noch Keynes Nachfragepolitik zur Lösung des Beschäftigungsproblems sowie seine Beiträge zur Regulierung der großen Ungleichheiten in der Weltwirtschaft zur Friedenssicherung.

Conrad Schuhler (isw – Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung München e.V.) hingegen stellte heraus, dass Keynes eben auf Grund der qualitativen Dimension der Krisenerscheinung des heutigen Kapitalismus keine Antwort auf die Probleme des modernen Kapitalismus geben könne. Wirtschaftsdemokratisierung in Zeiten des dominanten Finanzkapitals bedeute eine unmittelbare Konfrontation mit dem „Produktionsdiktat des Finanzkapitals“ und damit den Eigentums- bzw. Verfügungsverhältnissen. Keynes dagegen habe die Eigentumsfrage immer im Sinne des Kapitalismus beantworten wollen. Schuhler betonte aber, dass Keynes für die Krise der Herrschenden – nämlich die Stabilisierung der Finanzmärkte – sehr wohl aktuell sei und verwies auf die Agenda der G8 in Heiligendamm. Die gegenwärtige Debatte über eine Re-Regulierung des globalisierten Kapitalismus biete keine Ansatzpunkte für progressive Positionen. Dem wurde allerdings von den anderen Diskussionspartnern lebhaft widersprochen. Es gehe vielmehr darum, in der Regulierungsdebatte inhaltlich fortschrittliche Positionen zu entwickeln und durchzusetzen – und hier könne man durchaus an Keynes Positionen u.a. in der Auseinandersetzung um das System von Bretton Woods im Jahre 1944 anknüpfen.

Auch Elmar Altvater (Berlin, Prof. für Wirtschaftswissenschaften) befasste sich überwiegend mit dem Problem der Finanzmärkte. Keynes sei vor allem ein Geldtheoretiker gewesen und er sei vor allem in dieser Eigenschaft aktuell. Eine Stabilisierung der Finanzmärkte sei – auch im Interesse der abhängigen Bevölkerung – nötig. Allerdings könne dies die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus nicht beseitigen. Dieses wichtige Thema sollte auf keinen Fall dem Finanzkapital überlassen werden. Im Rahmen des Kapitalismus sei eine Beseitigung der Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft nicht möglich, da – wie Marx gezeigt habe – diese sich eben aus den Widersprüchen der Kapitalakkumulation ergäben. Weniger relevant sei Keynes heute als Nachfragetheoretiker – eine Wachstums- und Vollbeschäftigungspolitik zum sozialen Ausgleich stünde nicht mehr auf der Tagesordnung, auch weil der Kapitalismus sich heute nicht mehr durch die Systemkonkurrenz gefährdet sehe. Schließlich sei auch darauf zu verweisen, dass für Keynes die stofflich-ökologische Dimension der Produktion kein Thema gewesen sei – hier sei Marx aktueller als Keynes.

Insgesamt zeigte die Debatte trotz unterschiedlicher Positionen, dass Keynes – auch wenn er den Kapitalismus niemals in Frage gestellt hatte – keineswegs als ‚toter Hund’ behandelt werden darf. Seine Lehre eignet sich nicht als zentraler Bezugspunkt antikapitalistischer Alternativen, aber viele seiner praktischen Vorschläge sind heute durchaus noch aktuell.

Plenarvortrag: Leo Mayer „Das moderne Finanzkapital“

Ausgehend von der Definition des Finanzkapitals bei Hilferding und Lenin befasste sich Leo Mayer (isw – Institut für sozialökologische Wirtschaftsforschung München e.V.) mit den modernen Beziehungen zwischen den Sektoren der Finanzökonomie einerseits und dem Produktionsbereich andererseits. Hauptkennzeichen sei das rasche Wachstum der Finanzökonomie und damit die zunehmende Bedeutung der Institutionen des Finanzbereichs wie Banken, Versicherungen und anderen Kapitalsammelstellen. Triebkraft dafür sei die relative Überakkumulation im Produktionsbereich, wobei er einerseits den steigenden Anteil des in der Produktion angeeigneten Mehrwerts und andererseits die relative Freisetzung von fixem Kapital im Zuge des technischen Fortschritts als Ursache bezeichnete. Dies drückt sich empirisch in steigender Arbeits- und Kapitalproduktivität aus; obwohl nicht explizit diskutiert bezog er sich damit auf einen neuen Typ der Produktivkraftentwicklung, der sowohl arbeits- als auch kapitalsparend wäre und damit der von Marx angenommenen Tendenz zum Ersatz von lebendiger Arbeit durch vergangene Arbeit entgegenarbeiten würde.

Das so im Produktionsbereich freigesetzte Kapital sucht und findet Anlage im Finanzbereich; das Ergebnis sei eine Tendenz zur Dominanz und Verselbständigung des Finanzkapitals gegenüber dem Industriekapital, die aber krisenhaft immer wieder zurückgeholt werden müsse. Denn da nach wie vor Mehrwert nur im Produktionsbereich geschaffen würde, könne es keine völlige Loslösung des Finanzkapitals von Industriekapital geben – die Verwertung des Finanzkapitals wird begrenzt vom Umfang der im Produktionsbereich erzeugten Profite.

Während der vom ISW entwickelte Ansatz in der Analyse des modernen Kapitalismus schlüssig abgeleitet wurde, erscheint der Bezug zu den politischen Konsequenzen nicht durchdacht. Versuche zur Re-Regulierung des Finanzsektors, wie sie auf internationaler Ebene diskutiert werden, hält Leo Mayer und mit ihm das ISW für reaktionär, da sie lediglich die Stärkung des Finanzkapitals im Auge hätten. Diese Schlussfolgerung kann allerdings nicht geteilt werden – sinnvoll wäre es vielmehr, sich an der Auseinandersetzung um die Inhalte dieser Regulierung aktiv zu beteiligen und dabei alternative Konzepte zu entwickeln, die sowohl die Krisenhaftigkeit in der Entwicklung des Finanzkapitals begrenzen und gleichzeitig demokratische Kontrollen gewährleisten könnten. Die Auseinandersetzung um die supranationale Re-Regulierung des Finanzsektors dem Kapital und seinen Einrichtungen zu überlassen bedeutet letzten Endes die Kapitulation vor dem Finanzkapital. Die stattdessen empfohlene Konzentration auf betriebliche Auseinandersetzungen im Bereich der Produktion – jedes Prozent Lohnerhöhung setze der Expansion des Finanzkapitals Grenzen – geht an der Tatsache vorbei, dass die für den Produktionsbereich relevanten Entscheidungen inzwischen wesentlich im Finanzsektor getroffen werden. Hier sollte sich das ISW bemühen, die Konsequenzen seines produktiven und teilweise auch innovativen Ansatzes in der Analyse des modernen Kapitalismus für die Strategie im antikapitalistischen Kampf noch mal zu durchdenken.

Plenum „Für eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung“

Mit Tom Adler, Stefan Hoelzer, Angelo Lucifero, Horst Schmitthenner. Moderation: Daniel Behruzi

Auf dem letzten Plenum am Samstagabend fragten Stefan Hölzer von der IGM Braunschweig, der Daimler-Chrysler Betriebsrat Tom Adler, Horst Schmitthenner – bei der IG Metall verantwortlich für die Koordination zwischen der Gewerkschaft und neuen sozialen Bewegungen – und Angelo Lucifero von ver.di-Thüringen nach den Möglichkeiten einer „kämpferischen Gewerkschaftsbewegung.“

Im ersten Referat hob Hölzer mit Verweis auf den Vortrag Leo Mayers das Problem „weltweiter Überkapazitäten“ hervor: Die Produktivität steige schneller als der Absatz. Insbesondere große Konzerne versuchten den Kostendruck auf die Zuliefererbetriebe abzuwälzen. Mit dem Steigen dieses Drucks wachse auch die Gefahr von Arbeitsplatzverlust durch Schließungen und der Verlagerung von Produktionstechnologie. Letzteres sei für Konzerne nicht nur wegen der Lohndifferenz lukrativ, sondern auch, weil es mitunter Möglichkeiten gebe, Fördermittel und Subventionen einzustreichen. Neben steigenden Rohstoffpreisen erhöhe insbesondere die Ausrichtung der Konzerne auf kurzfristige Aktionärsinteressen den Druck auf die Beschäftigten. Erpressungen zur Reduzierung von Lohnstandards seien an der Tagesordnung. Nach Hölzel haben die Gewerkschaften auch weiterhin die zentrale Aufgabe, für die Sicherung von Standorten und Beschäftigung einzutreten und weitere Unterschreitungen von Mindestlohnstandards zu verhindern. Dabei konstatierte Hölzel eine strukturelle Defensive: „Wir bestimmen noch nicht einmal das Tempo des Rückzugs.“ Zudem sei auch in den Betrieben das Klima nicht unbedingt günstig: „Wir werden nicht gewählt, weil wir Linke sind, sondern obwohl wir Linke sind.“ Wichtig sei, dass die Kollegen eine langfristige Perspektive erwarten.

Im Gegensatz hierzu sieht Angelo Lucifero das Hauptproblem bei den Gewerkschaften selbst: „Statt Generalstreiks zu organisieren und Widerstandskultur zu schaffen jammert ein Teil der Gewerkschaften bloß.“ Dagegen forderte Lucifero ein verstärktes Engagement im Sinne moderner Organizing-Strategien und einer Globalisierung engagierter „Leute von der Basis“. Angesichts der Tiefe der Krise scheinen voluntaristische Konzepte, wie sie Lucifero vertrat, allerdings eher als ein linksradikaler Traum denn als tragfähiges Handlungskonzept für einen Weg aus der Krise.

Wie Hölzel betonte auch Horst Schmitthenner den strukturellen Charakter der Defensive: Schuld daran sei nicht so sehr persönliches Verhalten einzelner Gewerkschafter, sondern die Verschiebung von einem regulierten Kapitalismusmodell zum Finanzkapitalismus. In diesem Zusammenhang sei eine Neuausrichtung von Unternehmensstrukturen zu beobachten, der eine „neue Maßlosigkeit“ in Bezug auf Einkommenskürzung, Arbeitszeitverlängerung und Leistungserwartung entspreche. Gleichzeitig sieht Schmitthenner das kollektive Arbeitsrecht unter Druck, während die betriebliche Ebene an Bedeutung gewinne. Dies äußere sich nicht zuletzt in der Erosion der Flächentarifverträge und einem Rückbau des Sozialstaats. Zudem sei das alte Bündnis zwischen SPD und Gewerkschaften dadurch zerbrochen, dass sich die „neue SPD“ zu einem Antreiber kapitalkonformer Politik entwickelt habe und sich aktiv an der Schwächung der Verhandlungsposition der Gewerkschaften beteilige. Dabei handele es sich nicht um eine vorübergehende Zwistigkeit, sondern um einen fundamentalen Wandel, der nicht mehr zurückgenommen werden könne. Um wieder in die Offensive zu kommen, sei es für die Gewerkschaften nun geboten, ein politisches Mandat wahrzunehmen und z.B. auf Plebiszite als eine Möglichkeit der gesellschaftlichen Einflußnahme zu setzen.

Tom Adler kritisierte das Motto des Plenums „Für ein kämpferische Gewerkschaftsbewegung“ als zu allgemein. Abgesehen von Hubertus Schmoldt würde dem wohl jeder Gewerkschafter zustimmen können. Jenseits oberflächlicher Kampfrhetorik sei jedoch eine genaue Analyse der inneren Kräfteverhältnisse notwendig. So fungierten nicht zuletzt Betriebsräte häufig als ein „konservatives Machtzentrum“. Eine Gewerkschaftspolitik, die Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sein wolle, müsse darum ringen, die „totalitären Ansprüche“ des Kapitals zurückzudrängen und radikale Arbeitszeitverkürzungen fordern, um für die Beschäftigen Lebensqualität zurückzuerobern. Das sei auch dann wichtig, wenn man den Kampf unmittelbar nicht gewinnen könne. Die Tiefe der Defensive, betonte Adler, habe auch zur Konsequenz, dass einige Gewerkschaftsführer das „neoliberale Gift in die Köpfe pflanzen helfen.“

Workshop „Die Linke und die Einheit der Linken“

Mit Uwe-Jens Heuer, Nele Hirsch, Michael Mäde, Hans Modrow, Till Petersen und Robert Steigerwald. Moderation: Jochen Traut.

Die Diskussionsrunde war stark von den aktuellen strategisch-programmatischen Auseinandersetzungen um die neue Linkspartei geprägt. Einige Diskussionsteilnehmer schienen die Basis der linken Einheit offensichtlich in einer vehementen, manchmal auch unfairen Kritik an der neuen Linkspartei zu sehen, wobei vielfach Berliner Konflikte ausgetragen wurden. Nele Hirsch, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, plädierte jedoch explizit dafür, dem Einigungsprozess eine Chance zu geben und dafür zu kämpfen, dass die Marxisten dabei eine wichtige Rolle spielen. Hans Modrow bezog eine inhaltlich begründete Position zum Charakter der neuen Linkspartei – sie solle sich als radikale sozialistische Partei verstehen. Für Robert Steigerwald (DKP) scheint die neue Linkspartei dagegen nur Sinn zu machen, wenn sie sich als geschlossene Weltanschauungspartei versteht – sein Rat an den Einigungsprozess war es, die Auseinandersetzung um wichtige strategische Fragen vor die Einigung zu setzen – nach wie vor erscheinen aus einer solchen Sicht innerparteiliche Diskussionen um strategische Fragen kontraproduktiv zu sein. Was die Erfahrungen aus dem Zusammenbruch des Sozialismus angeht – ein Diskussionsteilnehmer verstieg sich dazu, dies als „historischen Stromausfall“ zu verharmlosen – so empfahl Steigerwald „Nachdenken“. Uwe-Jens Heuer befasste sich vor allem mit dem zukünftigen Status des von ihm vertretenen Marxistischen Forums; trotz dessen aktueller organisatorischer Schwäche sah er Möglichkeiten zur Erhaltung dieser konzeptionell produktiven Formation als Teil der Linkspartei. Michael Mäde von der Berliner WASG (Mehrheit) trug Berliner innerorganisatorische Konflikte aus, während Till Petersen vom Geraer Sozialistischen Dialog die neue Linkspartei als Bündnis verschiedener Strömungen sah.

Insgesamt versäumte es das Diskussionsforum, die inhaltlichen Beiträge von Marxisten zum Erfolg der Linkspartei zu skizzieren – der einfache Appell, dort müssten Marxisten ihren Platz haben, dürfte langfristig kaum überzeugen. Vorschläge, die darauf hinauslaufen, die neue Formation als Weltanschauungspartei zu begreifen, gehen an der Realität vorbei; statt dessen sollte die Vielfalt der ethischen und theoretischen Begründungen und Motive im Kampf um soziale und ökologische Reformen mit antikapitalistischer Perspektive als Stärke begriffen werden. Was die umstrittene Frage der Regierungsbeteiligung angeht, so sind fundamentaloppositionelle Empfehlungen, wie sie vielfach zu hören waren, wenig hilfreich: Eine parlamentarische Positionen anstrebende Formation kann Regierungsbeteiligungen nicht prinzipiell ausschließen; entscheidend ist allerdings nicht die jeweilige Mehrheitskonstellation im Parlament, sondern die Frage der Beziehungen zu den außerparlamentarischen sozialen und ökologischen Bewegungen und deren Kraft, die Hegemonie des neoliberalen Mainstream in wichtigen Fragen zu brechen.

Plenum „Ausbeutung und Krieg“

Mit Anton Latzo, Norman Paech, Lucy Redler, Peter Strutynski und Winfried Wolf. Moderation: Angela Klein

Im Abschlussplenum der Tagung ging es um die zentrale Frage gegenwärtiger imperialistischer Kriege. Norman Paech (Mitglied der Bundestagsfraktion DIE LINKE) machte den imperialistischen Ansatz der US-Interventionspolitik am Afghanistan-Krieg deutlich, der schon weit vor dem 11.9. 1991 geplant gewesen sei. Den Grund sah Paech in der Erringung strategischer Positionen in Mittelasien durch die USA; das Ziel sei weiterhin der Iran, wobei Afghanistan als „Kollateralschaden“ zu betrachten sei. Zwar sei auch aus US-Sicht der Krieg nur die ultima ratio – ein Quasi-Protektorat wie in Saudi-Arabien die bessere Lösung. Das neodemokratische Vokabular des „regime change“ diene der Verschleierung, tatsächliche und auch wünschenswerte Veränderungen in Ländern wie Afghanistan und Iran müssten aus der Gesellschaft selber kommen. Ziel und Aufgabe der Linksfraktion sei es, Deutschland aus der Kriegskoalition herauszuhalten.

Lucy Redler von der Berliner WASG hob hervor, dass auch der deutsche Imperialismus nicht friedlicher sei und der Kampf gegen ihn zu den vordringlichen Aufgaben der Linken gehöre. Die UN seien in ihrer gegenwärtigen Form kein Instrument zur Friedensschaffung, weshalb auch UN-mandatierte Einsätze abzulehnen seien. Schließlich müsse die Linke die Frage des Krieges immer auch mit der sozialen Frage verbinden und auch den Widerstand im Irak vor diesem Hintergrund sehen. Das Verhältnis der historischen Arbeiterbewegung zur Friedensbewegung war der Ausgangspunkt von Peter Strutynski (Kasseler Friedensforum). Die enge Verknüpfung der Friedensfrage mit der grundsätzlichen Systemfrage habe die Arbeiterbewegung daran gehindert eine eigenständige Friedenspolitik zu entwickeln und bürgerliche Bündnispartner zu suchen. Die Linke müsse heute aber in dieser Frage bündnisfähig sein und dürfe, ohne auf ihre eigenständige Position zu verzichten, keinen Exklusivanspruch in dieser Frage vertreten.

Zumindest für den Punkt der Analyse kriegerischer Entwicklungen setzte Anton Latzo hier einen Kontrapunkt, in dem er die friedenspolitischen Forderungen der Linkspartei als einen Katalog von Forderungen charakterisierte, ohne dass diese aus der sozialen Frage oder dem gegenwärtigen Kapitalismus abgeleitet würden. Abschließend stütze Winfried Wolf (Zeitung gegen den Krieg) noch einmal die Ausrichtung auf den Kampf auch gegen den deutschen bzw. EU-Imperialismus. Zwar sei es richtig, dass die USA gegenwärtig die aggressivste Macht seien aber die EU bereite sich zielstrebig auf eine mögliche Beerbung der USA vor.

Die durch die Statements angestoßenen zahlreichen Debattenstränge konnten nur im Ansatz verfolgt werden, wobei von vielen Rednern die Möglichkeit einer positiven Anknüpfung an terroristischen Widerstandsaktionen im Irak verneint wurde.

1 Vgl. die Beiträge und Berichte in Z 30, Juni 1997 „Marxismus – Bilanz und Perspektive“, S. 21-116.

2 Europäisches Friedenszentrum/Deutsche Sektion (epf), Heinz-Jung-Stiftung, Icarus/GBM, isw-München, Jakob-Moneta-Stiftung, junge Welt, Marx-Engels-Stiftung, Marxistische Blätter, Marxistisches Forum, Ossietzky, SALZ e.V., Solidarität-Sozialistische Zeitung, Sozialismus, Sozialistische Zeitung/SoZ, Unsere Zeit/UZ, Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Zeitung gegen den Krieg/ZgK. Vgl. www.marxismuskonferenz.de

3 Rosa Luxemburg, Sozialdemokratie und Parlamentarismus, in: Gesammelte Werke Bd. 1/2. Halbband, Berlin 1974. S. 448.