Berichte

2. Alternativer ECOFIN – Wirtschaftspolitik für ein anderes Europa

Berlin, 20./21. April 2007

Juni 2007

In der Überzeugung, dass ein geeintes, wirtschaftlich erfolgreiches, friedliches, solidarisches und ökologisch nachhaltiges Europa zu wertvoll ist, um es den Regierenden und den EU-Institutionen zu überlassen, haben Attac, BUND, EuroMemorandum, IG Metall, Ver.di und Weed den „2. Alternativen Ecofin“ veranstaltet.1 Parallel zum informellen Treffen der EU-Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) debattierten Vertreter von Gewerkschaften, kritischer Wissenschaft sowie von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen zwei Tage öffentlich über die Wirtschaftspolitik eines anderen Europas. Die unterschiedlichen Blickwinkel der Veranstalter sorgten dafür, die (Fehl)-Entwicklung der EU einer umfassenden Kritik zu unterziehen und in Ansätzen verschiedenste Elemente einer Alternativstrategie zusammenzufügen.

Den Auftakt bildete Guillaume Duval (Chefredakteur von Alternatives Economiques) mit einem Referat „Das räuberische Deutschland – Zur Rolle des Exportweltmeisters in der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik“. Demnach hat Deutschland sich in den vergangen zehn Jahren über eine Politik der massiven Senkung der Arbeitskosten große Wettbewerbsvorteile zu Lasten seiner Nachbarn verschafft. Dem großen Außenhandelsüberschuss Deutschlands stehen wachsende Bilanzdefizite vieler anderer EU-Länder gegenüber. Dies hat innerhalb der 27 EU-Mitgliedsstaaten zu massiven Ungleichgewichten und innergesellschaftlich zu verstärkter sozialer Ausgrenzung und Polarisierung geführt. Zudem ist die Ausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik wesentlich dafür verantwortlich, dass Europa in Sachen Wachstum und Beschäftigung große Defizite aufweist.

Näher auf die Ausrichtung der EU-Wirtschaftspolitik ging der Bremer Ökonomieprofessor Jörg Huffschmid ein. Demnach ist die im Jahr 2000 verabschiedete Lissabonstrategie das Symbol einer neoliberal ausgerichteten EU-Kommission. Hinter der Formulierung, Europa bis zum Jahr 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen“, verstecken sich Huffschmid zufolge drei Elemente:

1.) Marktöffnung und Deregulierung sind zu den Leitprinzipen der europäischen Integration geworden. Demnach geht es wettbewerbspolitisch nicht um den Aufbau und die Etablierung gemeinsamer Regeln und Standards zwischen den Mitgliedsstaaten. Wesentlich ist vielmehr der Abbau sämtlicher Marktbeschränkungen. Anstelle eines „Leistungswettbewerbs“ ist heute ein „Dumpingwettbewerb“ bestimmend geworden.

2.) Die Vorgaben für die Finanzpolitik engen die Mitgliedsstaaten rigide auf die Haushaltskonsolidierung ein. Die konjunkturpolitische Verantwortung wird untergraben, öffentliche Dienstleistungen bleiben strukturell unterfinanziert. Zwar zeigt das Beispiel der skandinavischen Länder, dass Spielräume für eine auf soziale Dienstleistungen setzende Politik vorhanden sind, doch sind die restriktiven finanzpolitischen Vorgaben vor allem eine Belastung für die Sozialpolitik.

3.) Bei der in fast allen Mitgliedsstaaten zu beobachtenden „Modernisierung“ der sozialen Sicherungssysteme geht es im wesentlichen um einen Rückbau sozialer Rechte. Zwar verfügt die EU selbst über keine eigene sozialpolitische Kompetenz, doch steht mit der Methode der offenen Koordinierung ein Instrument zur Verfügung, durch das der Abbau sozialer Leistungen europaweit koordiniert wird. Getrieben wird die EU-Politik dabei vor allem von den Interessen der privaten Versicherungskonzerne, die sich das lukrative Geschäft der Gesundheitswirtschaft und der Alterssicherung unter den Nagel reißen wollen.

Das Ergebnis dieser Strategie ist nicht nur auf dem Feld der Ökonomie (schwache Wachstumsraten) und der Beschäftigung (Massenarbeitslosigkeit) ernüchternd, vor allem ist sie in Sachen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums fatal. Die an neoliberalen Vorgaben ausgerichtete EU-Politik ist zudem dafür verantwortlich, dass Europa bei den Bürgerinnen und Bürger in ausnahmslos allen Mitgliedsstaaten unter einem zunehmenden Vertrauensverlust leidet. Eine Fortsetzung der europäischen Einigung unter neoliberalen Vorzeichen ist deshalb, so Huffschmid, zum Scheitern verurteilt. Es besteht die reale Gefahr, dass das gesamte europäische Projekt an Zustimmung verlieren wird. Ein Rückfall in Nationalismus ist dabei nicht auszuschließen, wenn die Linke dem neoliberalen Europa kein attraktives Leitbild entgegenstellen kann.

Anstelle eines detaillierten Berichts aus den 15 angebotenen Workshops sollen hier die wesentlichen Diskussionspunkte der Konferenz vorgestellt werden. Angesichts der gravierenden Fehlentwicklungen der offiziellen EU-Politik sind sich die Initiatoren einig, dass es um einen Mix aus Protest und politische Alternativen gehen muss.

Eine produktive Kontroverse der Konferenz bildete das Konfliktfeld Ökonomie contra Ökologie. Die vor allem nachfrageseitig bedingte Wachstumsschwäche innerhalb der Europäischen Union soll vom linken Standpunkt her neben einer Stärkung der Masseneinkommen auch durch eine aktive Investitions- und Strukturpolitik des Staates überwunden werden. Perspektivisch bietet sich hierzu eine Europäische Wirtschaftsregierung an, durch die die Wirtschafts- und Finanzpolitiken stärker konjunkturgerecht ausgerichtet werden und wachstums- und beschäftigungspolitische Ziele berücksichtigen. Die Umweltverbände betonten, dass ein fortgesetztes Wirtschaftswachstum nicht mit einer nachhaltigen Umweltentwicklung vereinbar sei. Sie stellten dabei für sich klar, dass sie stärker als bislang die sozialen Auswirkungen einer solchen Orientierung zu berücksichtigen hätten. Die Gewerkschaftsvertreter setzten darauf, ökologisch verträgliche Produkte und Verfahren voranzutreiben und eine Effizienzstrategie zu verfolgen. In diesem Zusammenhang sind laut IG Metall auch strenge rechtliche Vorgaben für die Automobilindustrie notwendig. Insgesamt besteht für die Linke die Aufgabe, stärker den Sinn und Zweck einer auf Wachstum ausgerichteten Politik zu klären und sich deutlich stärker der Ökologiefrage und einer am Klimaschutz orientierten Energiepolitik zu widmen.

Zudem gelang es, die sonst oft nur auf entwicklungspolitische Gruppen beschränkte Diskussion über die EU-Außenwirtschaftspolitik in einer größeren Öffentlichkeit stärker zu thematisieren. Als grundsätzlich ähnlich wurden dabei die Außenwirtschaftsstrategien der EU und der USA analysiert. Anders als in der oft verwendeten EU-Rhetorik erweist sich die entwicklungspolitische Ausrichtung oft als nicht gegeben. Besonders in der Kritik standen die „Economic Partnership Agreements“, die derzeit auf bilateraler Ebene zwischen der EU und den einzelnen AKP-Staaten verhandelt werden. Verlangt wird ein Europa, dass den Entwicklungsländern wirtschafts- und umweltpolitische Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet.

Einen wichtigen Kristallisationspunkt für das andere Europa bietet die anstehende Diskussion um die Europäische Verfassung. Offensichtlich sind auch die tonangebenden politischen EU-Eliten derzeit ratlos, wie sie aus der festgefahrenen Verfassungsdiskussion herauskommen können. Eine Auseinandersetzungslinie könne, so die Diskussion, darin bestehen, die neoliberalen Vorgaben für die Wirtschafts- und Finanzpolitik aus dem Verfassungsentwurf zu streichen und die sozialen Rechte zu stärken. Als wesentlich für eine neue EU-Vertragsgrundlage ist dabei, dass die EU-Bürgerinnen und Bürger in einer europaweiten Volksabstimmung mitentscheiden können.

Die politischen Forderungen der Initiatoren sind nach wie vor unterschiedlich gewichtet. Gemeinsam getragen werden aber Forderungen nach rechtlichen und sozialen Mindeststandards, einem starken öffentlichen Sektor, einem auf Vollbeschäftigung und ökologischen Umbau gerichteten gesamtwirtschaftlichen Steuerungsrahmen, einer sozialpolitischen Konvergenz nach oben und einer auf Kooperation und Entwicklungsförderung ausgerichteten Politik bei den Außenwirtschaftsbeziehungen. Das abschließende Podium sowie die von den Initiatoren vorgelegte Kongresserklärung verdeutlichen, dass die Linke neben einer Kritik der EU auch über Bausteine für ein anderes Europa verfügt. Jetzt wird es auf die notwendige Beharrlichkeit ankommen, auch über die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hinaus europapolitisch präsent zu sein und handlungsfähig zu werden.

1 Der erste „alternative ECOFIN“ fand vom 4.-6. April 2006 in Wien statt. Vgl. den Bericht von Jörg Reitzig in Z 66, Juni 2006, S. 179-183.