Editorial

September 2007

Die kapitalistische Weltwirtschaft boomt. Die Asienkrise von vor zehn Jahren – der tiefste Einbruch seit der Weltwirtschaftskrise der 1970er – scheint vergessen. Die Hauptdynamik geht, so die Analyse von Jörg Goldberg, von den großen Schwellenländern des Südens aus. Der internationale Kapitalismus, den wir gestern noch mit dem Konzept der „Triade“ analysierten, befindet sich in einer Umstrukturierung. Dies war schon Thema von Z 67 (BRICS-Länder). Hier bauen sich neue Konfliktkonstellationen auf. Goldberg kritisiert die klassische Dependenztheorie, die den Aufstieg der Peripherieländer analytisch nicht zu fassen vermag.

Teil dieser Weltwirtschaftskonjunktur ist die Jagd nach Energieressourcen und Rohstoffen. Deren Preise überschreiten alle bisher bekannten Grenzen. Die Rede von der digitalisierten Scheinwelt, in der Ressourcen und Grenzen keine Rolle mehr spielen, „Die Entstofflichung und Entgrenzung der Ökonomie“ – so der Titel eines für die sozialwissenschaftliche Diskussion der 1990er charakteristischen Suhrkamp-Bandes – , wird durch die Realität Lügen gestraft. Für ein Barrel Öl müssen um die 75 US-Dollar bezahlt werden. Die vierzigjährige Tendenz zum Preisverfall auf den Agrarmärkten hat sich umgekehrt. Geostrategische Konflikte und Kriege um „blaues“, „schwarzes“ oder „grünes Gold“ kehren auf die Tagesordnung zurück. Naht ein globaler Paradigmenwechsel oder erleben wir nur eine kurze Episode der Ressourcenverknappung? Was bedeutet dies für die innere – ökonomische, soziale, politische – Krisenkonstellation des internationalen Kapitalismus? Diesen Fragen wird im vorliegenden Heft nachgegangen.

Elmar Altvater leitet den Themenkomplex ein. Ausgehend von der Feststellung, dass der Höhepunkt der Verfügbarkeit von fossilen Energieträgern überschritten ist, skizziert er verschiedene Dynamiken, die hierdurch angestoßen werden: Tendenzen zu einem neuen Energieimperialismus und auch veränderte Terms of Trade. Die Alternative ist, so Altvater, eine solidarische Gesellschaft, die auf ein solares Energiesystem gründet.

Tom Keefer untersucht die US-amerikanische Energiestrategie. Für die Bush-Regierung stand von Anfang an die zunehmende Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von Erdölimporten im Zentrum ihrer Strategiebestimmung. Im Jahr 2020 werden voraussichtlich zwischen 54 und 67 Prozent der globalen Ölproduktion im Nahen Osten erwirtschaftet. Damit geriet diese Region ins Fadenkreuz der US-Militärstrategen. Der Einmarsch in den Irak ist, so Keefer, die logische Konsequenz dieser geostrategischen Ausrichtung.

Stephan Heidbrink wirft die Frage auf, inwieweit von einer einheitlichen europäischen Energiestrategie gesprochen werden kann und welche Ausrichtung diese hat. In der EU haben sich die „Atlantiker“ durchgesetzt, die auf eine Partnerschaft mit den USA setzen. Gleichzeitig sind mit Russland und Gazprom eigenständige geostrategische Player entstanden. Die EU nimmt die Rolle eines Brückenkopfs des Westens ein. Kathrin Drews und Jens Beckmann untersuchen Entstehung und Expansionsstrategien der europäischen Energiekonzerne, die sich Ende der 1980er Jahre herausgebildet haben und ihre Aktivitäten – nach einigen teuren außereuropäischen Fehlschlägen – auf Eurasien und die Kerngebiete Strom, Gas und Wasser konzentrieren. Klaus Henning und David Meienreis beschreiben die Reaktion der bundesdeutschen Politik auf die seit 2003 steigenden Rohstoffpreise. Auf Druck der Wirtschaftsverbände erfolgte eine Umorientierung der Außen- und Sicherheitspolitik zu einer Diversifizierungsstrategie, um billige Rohstoffimporte zu sichern.

Welche Probleme stellen sich in den Ländern der Peripherie? Minqi Li diskutiert die stofflichen und ökologischen Grenzen des chinesischen Wachstumsprozesses. Die enorme Dynamik Chinas beim Konsum von Energie, Rohstoffen und Nahrungsmitteln sowie beim Ausstoß von Treibhausgasen tragen zu einer globalen Energie- und Ernährungskrise bei. Die kapitalistische Produktionsweise sei nicht fähig, diese Krise zufrieden stellend zu lösen. Jürgen Wagner zeigt, wie Afrika als ressourcenreicher Kontinent zum neuen Objekt imperialistischer Begierden wird. Auch hier erweist sich Öl als Katalysator des Bedeutungswandels und der Militarisierung des Kontinents durch interne und externe Interventionen seitens NATO, EU, USA und anderer Mächte. Bea Müller beschreibt die Politik der venezolanischen Linksregierung Hugo Chávez. Diese nutzt die hohen Erdöleinnahmen, um vermehrt Sozialprogramme zu finanzieren und progressive politische Projekte in Lateinamerika zu unterstützen. Diese Umorientierung ging nicht ohne schwere Konflikte um die Kontrolle des Staatsunternehmen PDVSA ab. Zugleich sind die Grenzen für eine mögliche Veränderung des Öl-abhängigen Entwicklungspfads zu bedenken; ein von der Öl-Rente abhängiges Land bedarf dringend der wirtschaftlichen Diversifizierung. Klemens Laschefski untersucht am brasilianischen Beispiel die sozialen und ökologischen Probleme des Biomasseenergieexports. Seine Kritik gilt dabei der neoliberalen Ausrichtung verschiedener ökologisch modernisierten Produktionsvarianten, wie dem Zertifizierungssystem. Dieser „grüne Imperialismus“ könnte ähnlich negative Folgen hervorrufen wie die Klimakatastrophe, die mit dem Umstieg auf Biomasseenergie ja eigentlich bekämpft werden soll. Den Heft-Schwerpunkt betreuten unser Gastredakteur Stefan Schmalz und Jörg Goldberg, der nun auch zum festen Redaktionsstamm gehört. Beiden ist herzlich zu danken.

Weitere Beiträge: Joscha Wullweber gibt einen kritischen Überblick zu den „Versprechungen der Nanotechnologie“; Lothar Peter stellt Thesen zur neoliberalen Hegemonie Sarkozys in Frankreich vor; die Debatte um Äquivalenzökonomie, die in Z 69 mit Beiträgen zur Kritik der Sozialismus-Vorstellungen von Dieterich, Cockshott/Cotrell u.a. begonnen wurde, setzt Ingo Stützle fort. Er betont die Notwendigkeit, hierbei die werttheoretische Dimension stärker aufzunehmen.

Geplanter Schwerpunkt für Z 72 (Dezember): „Medien, Macht, Hegemonie“.