Einleitung: Der ökonomisch-ökologische Metabolismus
Als der Club of Rome 1972 wegen der begrenzten Ressourcen des Planeten Erde die „Grenzen des Wachstums“ verkündete (Meadows et al 1972), schlug ihm selbst von kritischen Wissenschaftlern Spott und Häme entgegen. Allerdings hatten sich Meadows und andere mit ihren Prognosen nur im Zeitrahmen geirrt, und die Häme war alles andere als angebracht. Der Club lag völlig richtig mit dem Verweis auf die Endlichkeit der Erde und ihrer Ressourcen, deren Relevanz für die Ökonomie schon sechs Jahre zuvor 1966 Kenneth Boulding in seinem Aufsatz über die „Ökonomik des zukünftigen Raumschiffs Erde“ (Boulding 1966/ 2006) betont hatte. Etwa zeitgleich mit dem Bericht des Club of Rome und längst nicht so prominent, aber wissenschaftlich umso profunder hatte 1971 Nicholas Georgescu-Roegen das Entropiegesetz auf die Ökonomie angewendet (Georgescu-Roegen 1971) und damit eigentlich den neoklassisch-neoliberalen Interpretationen einer raum- und zeitlosen, daher auch unendlich aus dem Vollen schöpfenden Ökonomie den argumentativen Boden entzogen: Auf Erden, d.h. in einem geschlossenen System, wird weder Materie noch Energie vernichtet. Doch im Prozess der Umwandlung von Materie und Energie in Produkte, die obendrein die Warenform annehmen, verschlechtert sich ihre Qualität. Es geht unvermeidlich ein Teil des Gebrauchswerts verloren, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.
Das ist zwar eine anthropozentrische Interpretation des Entropiegesetzes, die von vielen Naturwissenschaftlern kritisiert oder angezweifelt wird. Dennoch erlaubt sie uns, die Irreversibilität ökonomischer Prozesse der Transformation von Stoffen und Energien in ihrem historischen Verlauf zu erkennen und so zugleich die bornierte Geschichtslosigkeit des ökonomischen (nicht nur neoliberalen) Denkens zu kritisieren: Die energetischen oder mineralischen Rohstoffe, die wir aus der Erdkruste kratzen, verringern erstens deren Bestände. Zweitens aber gehen sie bei ihrer Nutzung nicht verloren, sie verändern jedoch ihre Qualität. Also werden uns die fossilen Energieträger in einigen Jahrzehnten ausgehen, wenige Jahrzehnte später als der Club of Rome 1972 angenommen hatte. Die „Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe“ erwähnt in ihrem Bericht von 2005 über die Reserven von Energierohstoffen (BGR 2005: 15), dass bis Ende 2005 143 Gigatonnen Erdöl gewonnen wurden, das sind 47 Prozent aller Reserven. Es bleibt also noch etwas mehr als die Hälfte der Reserven für den zukünftigen Verbrauch. Die BGR vermerkt aber auch, dass die Hälfte der bislang verbrauchten 143 Gt in den letzten 23 Jahren verfeuert worden sind. Auch die Ölkonzerne wissen ebenso wie die Regierungen der Ölverbraucherländer, dass das Ölzeitalter zu Ende geht. In einer zweiseitigen Anzeige in internationalen Tageszeitungen vermeldet der Ölmulti Chevron: „It took us 125 years to use the first trillion barrels of oil. We’ll use the next trillion in 30“ (Financial Times, 26. 7. 2005). Peakoil, der Höhepunkt der Ölverfügbarkeit, heißt also nicht, dass es kein Öl mehr gibt. Noch können die fossilen Energieträger die Systeme von Produktion und Konsumtion der kapitalistischen Gesellschaften zu hohem Wachstum antreiben. Das war und ist ihr Vorzug – noch für einige Jahrzehnte, solange sie noch zur Verfügung stehen.
Zugleich aber lagern sich die Verbrennungsprodukte als CO2 und andere Treibhausgase in der Atmosphäre ab, wo sie, je stärker die in „parts per million“ (ppm) gemessene Konzentration, den Treibhauseffekt auslösen (vgl. dazu Stern 2006; IPCC 2007; Rahmstorf/Schellnhuber 2007). Dieser hat Sekundär- und Tertiärfolgen, die uns heute beschäftigen, weil sie uns wahrscheinlich teuer zu stehen kommen. Das ist ihr Nachteil.
Ähnliches gilt für die mineralischen Rohstoffe. Auch sie verbleiben in den Sphären der Erde und zwar als Müll, nachdem sie in Gebrauchswerte umgewandelt und in der Produktion oder in der individuellen Konsumtion konsumiert worden sind. Jede Produktion ist Kuppelproduktion. In der Ökonomie wird dieser unvermeidliche Sachverhalt als „Externalisierung“ sozialer Kosten verharmlost, so als ob durch „Internalisierung“ von Kosten die Kuppelproduktion ungeschehen gemacht werden könnte. Der Müll kann teilweise recycelt werden, aber häufig nur mit hohem Energieaufwand und durch Ingangsetzung problematischer Stoffkreisläufe, die zur Vergiftung der Umwelt beitragen. Wenn das Entropiegesetz der thermodynamischen Ökonomie weit genug gefasst wird, gibt es aus diesem Kreislauf von Energie und Stoff kein Entrinnen (vgl. Altvater 1992). Rohstoffe werden also extrahiert, verarbeitet, in gewünschte Gebrauchswerte verwandelt und als Müll in die Sphären der Erde entlassen, wo sie nur zu einem Teil mit erneutem Energieaufwand recycelt werden können.
Wenn man sich also mit mineralischen, agrarischen und energetischen Rohstoffen befasst, wird man diesem metabolischen (manche meinen „diabolischen“) Kreislauf Rechnung tragen müssen. Die Vorstellung vieler Ökonomen ist ja absurd, dass die Grenzen von Ressourcen für Ökonomen und politische Macher so lange unerheblich seien, wie wir uns fern davon befinden, als könne man das Müllproblem, darunter auch das Problem des Klimawandels durch den Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ignorieren. Der bereits erwähnte Club of Rome hat 20 Jahre nach seiner Publikation über die Grenzen der nicht-erneuerbaren Ressourcen eine Studie über die „neuen Grenzen des Wachstums“ publiziert (Meadows et al 1993), in der weniger die Bestandsgrenzen der Ressourcen und Reserven als die Tragfähigkeit der Ökosysteme der Erde für den festen, liquiden und gasförmigen Müll thematisiert wurden. Das war im Jahre der UNCED-Konferenz 1992 in Rio de Janeiro.
Im Folgenden wird nach einer Diskussion des Unterschieds zwischen Extraktions- und Produktionsökonomien der Austausch zwischen beiden untersucht, um danach auf die Folgen der Grenzen von Rohstoff- und Energieversorgung für das kapitalistische Weltsystem zurückzukommen und die Fragen der Alternativen des fossilen Energiesystems zu diskutieren. Aus Platzgründen geht es im Folgenden vor allem um den Rohstoff Öl.
Extraktion, Produktion und die Tendenz eines neuen
Energieimperialismus
Rohstoffe stammen aus der Erdkruste. Sie können nur dort extrahiert werden, wo sie gefunden werden. Rohstoffökonomien sind also an den Standort gebunden und folglich den Bedingungen des natürlichen Raums unterworfen. Das ist für Produktionsökonomien anders, wo „der Standort“ künstlich gestaltet werden kann. Daher findet man Produktionsökonomien überall dort, wo es möglich ist, wettbewerbsfähige „Kunstwelten“ zu schaffen, auch dort, wo die zu verarbeitenden Rohstoffe nicht vorkommen. Dies gilt in allererster Linie für fossile Energien, weil diese zum Antrieb der kapitalistischen Produktionssysteme in jedem Fall benötigt werden. Die Ungleichverteilung der Rohstofflager auf dem Planeten Erde und die Tatsache, dass Produktionsökonomien zumeist nicht dort entstanden sind, wo Öl und andere Rohstoffe lagern, wird durch die Errichtung globaler logistischer Ketten überbrückt. Extraktions- und Produktionsökonomien sind durch Schifffahrtsrouten, Fluglinien, Straßen- und Eisenbahnnetze, Pipelines und Hochspannungsleitungen, aber auch durch Telefonie und Internet, und besonders strikt durch die globalen Finanzmärkte verbunden. Sie bilden ein globales System.
Die Erschöpfbarkeit von Rohstoffen hat durchaus Folgen für die Art und Weise, wie das globale System von Extraktion und Produktion (und Emission in die Senken des Planeten Erde) funktioniert. So lange aus „dem Vollen geschöpft“ werden kann, sind extrahierte Rohstoffe durchaus den reproduzierbaren Waren der Produktionsökonomien vergleichbar. Dann könnte man denken, dass Preisbildung und Allokation der (mineralischen und energetischen) Rohstoffe den Gesetzen freier Märkte überlassen werden können. Allerdings funktionieren freie Märkte nicht unbedingt zu Gunsten der Rohstoffländer. Der Tausch von verarbeiteten Manufakturprodukten gegen Rohstoffe ist vorteilhafter als umgekehrt. Dies hatte schon in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts Friedrich List herausgefunden. In seiner Auseinandersetzung mit „der Schule”, wie er die klassische politische Ökonomie abschätzig zu bezeichnen pflegte, schrieb er: „Es ist eine gänzliche Verkennung der Natur der nationalökonomischen Verhältnisse von seiten der Schule, wenn sie glaubt, dass dergleichen Nationen durch den Tausch von Agrikulturprodukten gegen Manufakturwaren ebensowohl ihre Zivilisation, ihren Wohlstand und überhaupt die Fortschritte in den gesellschaftlichen Zuständen befördern könne, wie durch die Pflanzung einer eigenen Manufakturkraft ...” (List 1841/ 1982: 195).
Diese Feststellung aus den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde von der Dependenztheorie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgegriffen und vielfach untermauert. Im Austausch auf dem Weltmarkt haben industrielle Produktionsökonomien die besseren Karten. Die Produktionsweise von Rohstoffen ist eine andere als die von Industriegütern. Produktionsökonomien der Metropolen im globalen Norden haben ihren Wohlstand nicht allein der Vertiefung der Arbeitsteilung auf „freien Märkten“ wegen steigern können, wie seit Adam Smith in den Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre behauptet wird, sondern weil sie die Technik beherrschten, die ökonomische Organisation kapitalistisch geformt und politische Macht entwickelt hatten, um mit fossiler Energie alle Prozesse zu beschleunigen und die Rohstoffe in immer größeren Mengen zu verarbeiten. Sie beherrschten also die ökonomischen und technischen Voraussetzungen zur Steigerung der Produktivität und in deren Gefolge auch zur Steigerung des Wohlstands ihrer Nationen.
In diesem Prozess verlieren Extraktionsökonomien in aller Regel ihren Rohstoffreichtum, ohne dass sie am „Wohlstand der Nationen“ teilnehmen könnten. Bei der bloßen Extraktion von Rohstoffen können keine kohärenten ökonomischen Strukturen einer kapitalistischen Gesellschaft und die erforderlichen sozialen Kompetenzen ausgebildet werden. Die politische Souveränität nach innen und nach außen in der „Staatenwelt“ ist schwach, zu schwach, um nach dem Ende des Rohstoffreichtums die Erzeugung von Wohlstand in einer Produktionsökonomie abzusichern. Rohstoffökonomien bleiben daher abhängige Gesellschaften, gekennzeichnet durch „strukturelle Heterogenität“. Die Abhängigkeit von Technologieimport, von Kapital aus dem Ausland, von der überlegenen politischen und zumeist auch militärischen Macht der entwickelten Produktionsökonomien ist ein Hauptmerkmal der Geschichte des kapitalistischen Weltsystems. Der natürliche Reichtum der Rohstoffländer ist in den seit Adam Smith versprochenen „Wohlstand der Nationen“ der überlegenen Produktionsökonomien, zuallererst in die Profite der großen transnationalen Konzerne, umgewandelt worden. In den Rohstoffe extrahierenden Ländern bleibt davon nicht viel, wie Hirschman mit seinem „linkages-Modell“ gezeigt hat (Hirschman 1981).
Rohstoffreichtum kann sich in einen „Rohstofffluch“ verkehren, dessen Mechanismen schon oft beschrieben worden sind. Die Dependenztheorie der 1960er und 1970er Jahre hat vor allem auf die Entwicklung der „terms of trade“ zu Ungunsten der Rohstoffe exportierenden Länder und zu Gunsten der Industrieländer verwiesen. Die These von der „säkularen Verschlechterung“ der terms of trade für die Rohstoffländer ist zuerst in den späten 1940er Jahren von Raúl Prebisch, dem Direktor der CEPAL aufgestellt worden (Prebisch 1968). Das war der theoretisch-empirische Ausgangspunkt für das politische Projekt der Importe substituierenden Industrialisierung und des Entwicklungsstaates. Heute müssen wir uns freilich fragen, ob die These noch Gültigkeit beanspruchen kann, wenn die Vorräte von Öl nach und nach zur Neige gehen, wenn der Höhepunkt der Ölförderung („Peakoil“) erreicht bzw. überschritten ist. Darauf wird zurück zu kommen sein.
Auf freien Märkten haben obendrein hohe Rohstoffexporte eine Währungsaufwertung zur Folge, so dass andere Sektoren, Industrie und Landwirtschaft, ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht ausbilden können oder verlieren. Hinzu kommt die hohe Volatilität der Rohstoffpreisentwicklung auf nicht regulierten Weltmärkten, die eine verlässliche Planung wirtschaftlicher Aktivitäten zumindest erschwert.[1] Meistens entstehen obendrein wegen der hohen Kapitalintensität der Rohstoffförderung (besonders ausgeprägt im Ölsektor) Enklaven mit geringer oder prekärer Vernetzung zur übrigen Ökonomie. Rohstoffe werden exportiert, und manchmal bleibt nichts davon, um die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung befriedigen zu können.[2]
In vielen Fällen kommt es zu einer blockierenden Kooperation der transnationalen Konzerne mit einer nationalen Bourgeoisie, die an nationalstaatlicher Entwicklung kein Interesse hat, weil ihre Einkommen und Vermögen aus dem Rohstoffsektor abgezweigt werden. Umfassende Korruption zur Selbstbereicherung der Kompradorenbourgeoisie, an der die transnationalen Konzerne aktiv beteiligt sind, weil sie nur so ohne Hindernisse den natürlichen Reichtum aneignen und in Profit umsetzen können, ist eine Folge. Durch politische Repression und autoritäre Maßnahmen wird dieses System der Aneignung natürlicher Ressourcen und der Enteignung der lokalen Bevölkerung abgesichert (Groundwork 2005: 41).
Auch wenn die akademische Disziplin der Geopolitik wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus keinen besonders guten Ruf hat (vgl. Teschke 2007; Foster 2006), enthalten die Strategien der Energie- und Rohstoffsicherheit der Industrieländer beiderseits des Atlantik eine klare geopolitische Komponente. Es ist inzwischen bekannt und wird nicht einmal verschwiegen, dass der verbrecherische und völkerrechtswidrige Krieg der USA gegen die irakische Bevölkerung (und die Inkaufnahme der hohen Opfer unter den US-Soldaten) des Öls wegen geführt wird. Das hat der damalige Vize-Verteigungsminister Wolfowitz zynisch zugegeben. Auch der australische Verteidigungsminister Brendan Nelson erklärte freimütig, dass „der Nahe Osten, nicht nur der Irak, sondern die gesamte Region,… offensichtlich ein bedeutender Lieferant von Energie, insbesondere von Öl, für den Rest der Welt“ sei und deshalb die australischen Truppen im Irak bleiben müssten (nach: junge Welt, 6.7.2007, S. 8). Auch die Kriege in Afrika von Darfur bis zum Kongo wurden ausgelöst durch Konflikte über den Zugang zu Ressourcen, zu Öl und zu mineralischen Rohstoffen, zu Diamanten oder Coltan. Geopolitik kommt aber auch dann ins Spiel, wenn es um die Sicherheit der logistischen Netze geht, insbesondere um jene, durch die Öl und Gas von den Fördergebieten in die industriellen Verbrauchszentren geleitet werden. Daher haben die USA das Centcom auf der Grundlage der Carter-Doktrin aus dem Jahre 1980 errichtet, nach der jeder Angriff auf den Ölreichtum des Mittleren Ostens als Angriff auf die USA interpretiert und entsprechend beantwortet wird. Die USA haben den Jugoslawien- und den Afghanistankrieg (mit Beteiligung der europäischen Verbündeten in der NATO) geführt, um Russland in die Zange zu nehmen und in Zentralasien und auf den Pipeline-Routen durch Georgien, Aserbeidschan, die Ukraine, Turkmenistan bis Kirgisien militärisch präsent zu sein. Auch die Bildung einer afrikanischen Kommandozentrale im Jahre 2007 trägt der neuen Bedeutung Afrikas als Rohstoff- und Öllieferant Rechnung. Dass die G8 auf ihren Gipfeln 2005 und 2007 Afrika besondere Aufmerksamkeit widmen hat auch damit zu tun, dass die sehr aktiv operierende Volksrepublik China in Afrika Fuß gefasst hat. Die afrikanischen Staaten allerdings sehen Africom gar nicht gern auf ihrem Kontinent (vgl. Frankfurter Rundschau, 29.6.2007: „Gastgeber für US-Armee gesucht. Staaten Afrikas wollen neues Militärkommando ‚Africom’ nicht …“). Sie haben aus den Erfahrungen, die die irakische Bevölkerung mit Carter-Doktrin und Centcom hat machen müssen, offenbar gelernt.
Alle diese Aktivitäten verweisen darauf, dass dann, wenn die Rohstoff- und insbesondere die Ölversorgung nicht mehr aus Reserven des „homeland“ stammt, Versuche gemacht werden, die Reserven anderer Länder für die eigene Versorgung zu sichern: durch die entsprechende logistische Infrastruktur und deren „Schutz“ durch politische Bündnisse und politischen Druck, durch militärische Präsenz, die zur militärischen Intervention befähigt.
Ohne die global ausgreifenden logistischen Netzwerke wäre beispielsweise die „Lissabon-Strategie“ der Europäischen Union, die EU zur wettbewerbsfähigsten Region in der globalisierten Wirtschaft zu machen, noch unrealistischer als sie es sowieso ist. Die Strategie setzt implizit, d.h. nirgendwo politisch offen thematisiert, voraus, dass die Energie- und Rohstoffversorgung aus Extraktionsökonomien gesichert ist und dass die Rohstoffe für die Industrie der EU zur Verfügung stehen. Denn die EU verfügt nicht über genügend eigene Ressourcen, sie ist auf deren Import angewiesen. Ähnliches gilt für die USA, mit einem wesentlichen Unterschied. Die USA umfassen einen halben Kontinent, auf dem nahezu alle benötigten Rohstoffe für die Entwicklung des industriellen Systems verfügbar waren – es aber nicht mehr sind. Die Erschöpfung vieler Ressourcenbestände in den USA ist ein deutlicher Beweis für den entropiesteigernden Metabolismus moderner kapitalistischer Gesellschaften. Das Ölzeitalter begann 1859 in den USA und etwa 100 Jahre lang bis Anfang der 1970er Jahre konnten die USA den eigenen fossilen Energiebedarf aus heimischen Reserven befriedigen. Doch nach dem Höhepunkt der Ölförderung in den USA im Jahre 1972 sind sie zu einem Importeur von ÖL geworden, das sie über logistische Ketten aus allen Weltregionen heranschaffen. Bis 2020 werden in den USA an die 70 Prozent des Energieverbrauchs importiert werden müssen (vgl. die Prognosen des Cheney-Report 2001). Ähnliches gilt für die EU. Auch dort steigt der Anteil importierter mineralischer und energetischer Rohstoffe an. Öl und Gas werden zu 80-90 Prozent importiert werden müssen, wenn die Öl- und Gasfelder der Nordsee erschöpft sein werden, was in etwa einem Jahrzehnt der Fall sein wird. Produktionsökonomien neigen also schon deshalb zu imperialistischem Verhalten, weil sie auf Energie- und Rohstoffversorgung aus den Extraktionsökonomien angewiesen sind und alles daran setzen, die Sicherheit der Versorgung zu gewährleisten, indem sie ihre politische Souveränität territorial ausdehnen.
In dieser Hinsicht ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit der Tornado-Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan mit dem Grundgesetz vom 3. Juli 2007 interessant. Die Argumentation des Urteils ist etwa so: Man charakterisiere einen Staat irgendwo in der Welt als schwach mit „begrenzt effektiver Staatsgewalt“. Daraus schlussfolgere man, dass der „failed state“ einen Rückzugsraum für international operierende (also „uns“ bedrohende) terroristische Bestrebungen biete. Daraus folgt mit rabulistischer Logik, dass der schwache Staat die territoriale Souveränität nicht mehr ausüben könne oder, wenn er dies nicht wolle, ein „Schurkenstaat“ sei. Nun seien starke Staaten gerufen, mit ihrem Militär sozusagen als Ersatzvornahme die Souveränität zur Verteidigung ihrer (und der Bevölkerung des schwachen Staates) Sicherheit herzustellen. Die globalen Netze zwischen Extraktions- und Produktionsökonomien erhalten also eine militärische Komponente, und diese hat in Deutschland ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung gefunden. Wenn dann das Territorium des schwachen oder Schurkenstaats für die Rohstoffversorgung bedeutsam ist, entweder weil es dort Rohstofflager gibt oder wichtige logistische Routen das Territorium kreuzen, kann obendrein der „erweiterte Sicherheitsbegriff“ von NATO, EU, USA etc. bemüht werden, um eine Begründung dafür zu haben, dass weite Territorien der Extraktionsgesellschaften kontrolliert werden – bis zum erzwungenen „regime change“. Darauf zielt die US-Strategie in allen Weltregionen. Deutschlands Interessen werden am Hindukusch, aber mehr und mehr nicht nur dort, verteidigt. Das Bundesverfassungsgericht gibt grünes Licht für einen neuen Ölimperialismus.
Terms of Trade nach Peakoil
Raúl Prebisch begründete seine These vom säkularen Verfall der Rohstoffpreise im Vergleich zu den Preisen von Industriegütern damit, dass erstens die Preiselastizitäten der Nachfrage von Industriegütern größer sei als die von Rohstoffen, dass zweitens auf den Rohstoffmärkten monopolistische Nachfrageverhältnisse wegen der dominierenden Rolle von großen transnationalen Konzernen herrschten, drittens der technische Fortschritt zu abnehmender Nachfrage nach Rohstoffen im Vergleich zum Anstieg des Sozialprodukts führe. Aus dieser Diagnose wurden weit reichende entwicklungspolitische Schlussfolgerungen gezogen. Diese sollen hier nicht diskutiert werden. Vielmehr steht die Frage an, ob nicht die Endlichkeit der Ressourcen, insbesondere des Öls dem „säkularen Verfall“ ein Ende bereitet und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Peakoil ist also nicht nur ein geologisches Faktum, sondern hat Konsequenzen für die politische Ökonomie des Nord-Süd-Verhältnisses.
Die Größe der Ölreserven, obwohl natürlich in erdgeschichtlichen Äonen entstanden, ist in sozialen und politischen Diskursen strittig, zumal Geologen keine „objektiven Daten“ liefern sondern sehr häufig interessengebundene Informationen. So kommt es, dass die Internationale Energieagentur mit 1.150 Milliarden Barrels noch zu extrahierender Ölreserven kalkuliert, die „Association for the study of Peakoil“ (ASPO) aber nur mit rund 750. Die IEA verbreitet den Trost, dass die wachsende Ölnachfrage durch ein steigendes Angebot in den nächsten Jahrzehnten befriedigt werden könnte. Auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe gibt leicht steigende Reserven der Kohlenwasserstoffe von 515 Gt SKE im Jahre 2004 auf 521 Gt SKE 2005 an; allein die konventionellen Reserven von Kohlenwasserstoffen steigen in diesem kurzen Zeitraum von 419 auf 425 Gt SKE (BGR 2005: 8). Wäre der Anstieg der Reserven trotz hohen Verbrauchs real, dann müsste sich am fossilen Energiesystem nichts ändern und ein System des Freihandels würde auch weiterhin zu fallenden terms of trade den Erdöl verbrauchenden Industrieländern Vorteile bringen.
Doch auch Peakoil bedeutet nicht, dass kein Öl mehr zur Verfügung stünde. Im Idealfall kann noch so viel Öl aus dem Boden gepumpt werden wie in der Zeit zuvor, seitdem die Reserven angezapft werden, bevor der Planet Erde „ölfrei“ ist. Aber die Kosten der Förderung steigen, weil der Druck in den Ölfeldern abnimmt, sich die Viskosität verändert und weil immer mehr „nicht-konventionelle“ Öllagerstätten erschlossen werden müssen: Polares Öl, das nur zu fördern ist, wenn das Bohrgestänge beheizt wird; Ölsand und Ölschiefer, deren Förderung in Kanada oder Venezuela große Umweltschäden verursacht. Dabei kann es geschehen, dass die Energieerträge geringer ausfallen als der Energieaufwand zur Förderung (der „energy return on energy input“ wird negativ). Das ganze Projekt fossiler Energieversorgung wird irrational, zumal ja, wie Chevron angibt, beim gegenwärtigen Verbrauch schon in 30 Jahren Schluss ist.
In solcher Situation sind militärische Abenteuer nicht auszuschließen, zumal diese in Deutschland eine verfassungsrechtliche Weihe erhalten. Das Militär versucht mit seiner instrumentellen Rationalität das Problem der Energieversorgung angesichts von Peakoil durch Zugriff auf die Ölfelder zu lösen, entweder direkt wie im Fall des Irak oder indirekt durch die Aufstellung international operierender Eingreiftruppen. Zumeist haben die militärischen Akteure aus den mächtigen Industriestaaten leichtes Spiel mit den Rohstoffländern. Denn die Überlegenheit der Produktionsökonomie der USA oder der EU und ihrer Mitgliedsländer, allesamt verbündet in der NATO, ist kaum einzuholen. Doch dass die Militärs erfolgreich sein können, ist trotz militärischer Überlegenheit fast ausgeschlossen. Denn sie bekämpfen einen Feind, der in keinem Friedensvertrag nach rühmlichem Sieg wie nach den Opiumkriegen der Briten gegen China in den 40er und 50er Jahren des 19. Jahrhunderts in „ungleichen Verträgen“ zu Zugeständnissen verpflichtet werden könnte. Die Kriegstaktik in Zeiten der Globalisierung ermöglicht es ja, den Krieg auf anderes Terrain zu transferieren, auf das der Selbstmordattentate und des „Terrorismus“ genannten „asymmetrischen“ Handelns. Die gleichen logistischen Ketten, die Produktions- und Extraktionsökonomien verbinden, dienen den „Terroristen“ dazu, den Krieg, den die Militärs so rational geplant haben, aus den Extraktionsgebieten in die Produktionszentren zu tragen und dort Chaos zu erzeugen. Die Konsequenzen von Peakoil lassen sich also militärisch nicht verhindern. Daher ist die instrumentelle Rationalität der Militärs der Sache überhaupt nicht angemessen und gemessen am Ziel der dauerhaften Energieversorgung von Industrieländern irrational. Statt militärischer Sicherung der letzten Barrels Öl wäre eine Politik des Umsteuerns in Richtung eines nicht-fossilen, auf alternativen, erneuerbaren Energien basierten Energiesystems gefragt, zumal die Reserven fossiler Energieträger geringer sein dürften als in den Reservestatistiken ausgewiesen wird.
Die Daten über die fossilen Reserven dürfen nicht zu genau und für bare Münze genommen werden. Sie werden in manchen Ländern wie ein Staatsgeheimnis gehütet, so dass man den offiziellen Verlautbarungen ohne Möglichkeit einer Überprüfung vertrauen muss (wie in Russland, wo Gefängnisstrafe auf die ungenehmigte Publikation von Reservezahlen steht). Häufig werden sie nach politischen und ökonomischen Opportunitätserwägungen geschönt. Für die Reserveschätzungen gibt es zwar Richtlinien, ob sie nachgewiesen sind und mit 95-prozentiger Sicherheit (sichere Reserven) oder nur mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit gefördert werden können (wahrscheinliche Reserven) oder ob sie zu den Ressourcen gehören, die noch gar nicht entdeckt sind, aber evtl. zukünftig noch gefunden werden. Aber ob die Richtlinien auch angewendet werden ist eine andere Frage. Der Fall des Ölmultis Shell ist bekannt, der die Reserven zu hoch angab und von der New Yorker Börsenaufsicht (New York Stock Exchange Commission) gezwungen wurde, die in der Bilanz geführten Reserven von 14,5 Mrd Barrel auf 10,1 Mrd Barrel herabzustufen. Mit dem Kapitalwert der reduzierten Reserven sank auch der Börsenwert, und mit ihm mussten die Gehälter des Managements gekürzt werden (und der CEO von Shell seinen Hut nehmen). Hier zeigt es sich, dass nicht nur geologisches Wissen und ökonomisches Kalkül der Förderkosten für die Reserven von Bedeutung sind, sondern die Notwendigkeit der Transparenz des Zustandekommens von Kapital- und Börsenwerten für global operierende Finanzanleger, wenn erst einmal das physische „wet oil“ in Wert gesetzt worden ist und als verselbständigter Kapitalwert, als handelbares „paper oil“ auf Börsenplätzen zirkuliert.
Als die OPEC Mitte der 1980er Jahre die Ölförderquoten der Mitgliedsländer an den Reserven ausrichtete, stiegen die Reserven der OPEC-Länder auf wundersame Weise sprunghaft an: im Iran von 48,8 Mrd b auf 93 Mrd b, im Irak von 47 auf 100 Mrd b, eine Zahl, die später nochmals auf 113 Mrd b erhöht wurde. Diese Angabe ist trotz der Kriege nicht verändert worden. In Venezuela stiegen die Reserven von 25 auf 56,3 Mrd b und im Jahre 2004 auf 78 Mrd b, obwohl in der Zwischenzeit viel Öl extrahiert worden ist und keine neuen großen Ölvorkommen erschlossen worden sind. Daher muss vermutet werden, dass in Venezuela unkonventionelle Ölreserven eingerechnet werden, die nur schwer und teuer (und sehr umweltschädlich) zu fördern sind.
Argentiniens Reserven gehen 2003 sprunghaft nach oben, um im darauf folgenden Jahr ebenso sprunghaft wieder reduziert zu werden. Zwischenzeitlich erlebte Argentinien eine Energiekrise und die Gründung der staatlichen Energiegesellschaft (ENARSA), die die Reserveangaben auch später noch korrigierte. Zwei Hauptgründe waren dafür verantwortlich: Erstens musste die argentinische Ölgesellschaft nach dem Skandal mit den überhöhten Reserveangaben von Shell die vorsichtigen Regeln der New York Stock Exchange Commission anwenden und die legten eine Abschreibung der Reserven nahe. Zweitens führte der Regierungswechsel zu Evo Morales in Bolivien zu Konflikten mit dem Nachbarland Argentinien, weil die argentinische Repsol Reserven auf bolivianischem Territorium als argentinische ausgegeben hatte. Das war nicht mehr mit dem Anspruch der bolivianischen Bewegungen auf die „Hidrocarburos“ zu vereinbaren (vgl. Página/12 vom 27.1.2006). Auch hier zeigt es sich, dass die Reserveschätzungen nicht nur von technischen, geologischen und ökonomischen Faktoren abhängig sind, sondern auch von der Stärke sozialer Bewegungen.
Mexiko ist ein besonderer Fall. 1998 wurden die Ölreserven mit 47,8 Mrd b angeben, 1999 waren es nur noch 28,4 Mrd b und 2002 mit 12,6 Mrd b weniger als die Hälfte, die aber 2004 rückwirkend für 2002 auf 17,2 Mrd b hochgerechnet wurden – ohne Angabe von Gründen für die Neubewertung. Das größte mexikanische Ölfeld Cantarell (eines der neben dem kuweitischen Bhuran und dem saudischen Ghawar wenigen weltweiten „giant oil fields“), aus dem gegenwärtig noch mehr als 2 Millionen Barrel pro Tag herausgeholt werden, dürfte noch in diesem Jahrzehnt fast leergepumpt sein. Um den Rückgang der Förderung auszugleichen wären sehr hohe Investitionen notwendig, die weder die Ölmultis noch der mexikanische Staat aufzubringen geneigt sind, weil auf dem Peak bzw. schon jenseits von Peakoil nicht mehr sicher ist, dass sich die Investitionen trotz eines hohen Ölpreises auch rentieren. Bei den Angaben über Reserven ist daher Politik im Spiel. Dies ist der Anlass für die vorsichtigen Schätzungen der Ölreserven durch die „Association fort the Study of Peakoil“ (ASPO), die die Weltreserven von Öl um etwa ein Drittel geringer ansetzt als BP oder die International Energy Agency. Im Falle Mexikos (ebenso wie für Algerien) aber kalkuliert ASPO mit höheren Reserven als BP und IEA (vgl. die Angaben in Altvater 2005: 151ff). Die brasilianischen Reserveangaben hält ASPO hingegen ebenso wie diejenigen Venezuelas für überhöht.
Ein aufschlussreiches Beispiel für die beträchtliche Willkür bei den Reserveangaben ist die Schätzung der ecuadorianischen Reserven. Davon schreibt Alberto Acosta, der Energieminister in den Regierung Correa, im Jahre 2004: „Interessant ist auch wie in diesem Zusammenhang mit den Daten über die Erdölvorkommen umgegangen wurde. Denn offensichtlich wurden diese regelmäßig manipuliert. Zu bestimmten Anlässen sind die verfügbaren Erdölreserven zu niedrig eingeschätzt worden, um den Ruf nach privaten Erdölkonzernen zu rechtfertigen. So etwa 1981, als eine Reihe von Rechtsreformen erzwungen wurde. In anderen Momenten wurden die Reserven zu hoch geschätzt, um die Produktion erhöhen zu können – sei es mit der Absicht, den externen Schuldendienst zu finanzieren, sei es um den Ausbau der transecuadorianischen Erdölpipeline zu rechtfertigen …“ (Acosta 2004: 210).
Nach dem Höhepunkt von Ölreserven und Ölproduktion neigt sich die physische Angebotskurve nach unten. Dann müsste die Nachfrage eigentlich sinken. Doch sie nimmt zu. Denn die westlichen Produktionsmethoden und Konsummuster werden globalisiert. Der Druck der globalen Finanzmärkte erzwingt hohe reale Wachstumsraten, die nur mit fossilen Treibstoffen erreicht werden können und nicht zuletzt drängen die großen neu industrialisierten Länder Asiens und Lateinamerikas und vielleicht zukünftig auch einige Länder Afrikas auf die Energiemärkte. Hinzu kommt, dass trotz Peakoil die notwendigen Investitionen zur Errichtung nicht-fossiler Energiesysteme ausbleiben. Dies liegt an der konservativen Trägheit der großen Energiekonzerne, der Automobilindustrie und anderer auf fossile Energien eingestellten Unternehmen. Sie haben viel Kapital in die Systeme der Förderung, der Logistik und Verarbeitung fossiler Energien investiert, das durch eine Umstellung des Energiesystems teilweise entwertet würde. Im Verein mit der politischen Klasse sorgt der fossile Komplex (CalTex – White House, Wall Street in den USA; in der EU gibt er ebenso den Ton an) dafür, dass die Versorgung mit fossilen Brennstoffen möglichst lange problemlos läuft. Daher haben die USA ebenso wie China oder Indien und die EU einen steigenden Importbedarf von Öl und Gas. Nach dem Peak steigt daher der Preis der fossilen Brennstoffe. Das hat für Ölländer den Vorteil, dass sich nun die terms of trade, anders als in den vergangenen Jahrzehnten vor dem Peak, verbessern und nicht verschlechtern. So können Ölförderländer nach dem Peak ein besseres Geschäft machen als mit den ersten barrels, die sie gefördert haben.
Allerdings sind zwei Einwände zu beachten. Erstens müssen Regierungen und andere Akteure rechtzeitig einkalkulieren, dass eine ökonomische Strategie, die auf die weitere Verwendung fossiler Energieträger setzt, keinerlei Zukunftschancen für die kommenden Generationen bietet, da diesen die Kohlenwasserstoffe nicht mehr im Überfluss wie den Generationen im 20. Jahrhundert zur Verfügung steht. Daher müsste das sich nach dem Peakoil öffnende Zeitfenster für den Übergang zu einer solaren Gesellschaft genutzt werden, die erneuerbare Energien nutzt und ihre sozialen Strukturen und ökonomischen Reproduktionsbedingungen an die nicht-fossilen, erneuerbaren, solaren Energien anpasst. Ob dies im Rahmen des „Kapitalismus, wie wir ihn kennen“ (vgl. dazu Altvater 2005) gelingen kann, darf bezweifelt werden. Denn es gibt ja nur zwei Möglichkeiten der Anpassung, wenn die fossilen Energieträger ausgehen oder wegen der desaströsen Folgen ihrer Verbrennungsprodukte für das Klima nicht mehr so eingesetzt werden können wie in der Vergangenheit. Entweder man findet alternative, erneuerbare Energieträger, die an die Stelle der fossilen treten können, weil sie ähnliche Eigenschaften vor allem im Hinblick auf die Energiedichte aufweisen oder man muss so reagieren, wie es bisher in der Menschheitsgeschichte immer war. Das Energieregime der Zukunft, basierend auf solaren Energieträgern, verlangt auch Anpassung von Produktions- und Konsumtionsweise.
Zweitens aber gibt es keine Garantie dafür, dass sich die ölabhängigen, ökonomisch und militärisch starken Produktionsökonomien mit einer Verteilung der nach Peakoil zurückgehenden Ölreserven gemäß dem Marktmechanismus abfinden. Die USA, aber in immer stärkerem Maße auch die EU sind in wichtigen Ölregionen präsent. China erweitert seinen Einfluss in Afrika und Zentralasien. Indien wird, wenn seine rasante Wirtschaftsentwicklung fortgesetzt wird, ebenfalls in dieses geopolitische Wettrennen um die letzten Tropfen Öl gezogen. Der Kampf um das Öl hat bereits begonnen. Alle großen Verbraucherstaaten rüsten ihr Militär auf, um es zu weltweiten Einsätzen zu befähigen. Die Sicherheitsstrategien und -doktrinen sind bereit oder werden dieser Lage angepasst. Anstatt Mittel und Anstrengungen für den sowieso unvermeidlichen Übergang zu solaren Energien zu bündeln, werden diese zur Fortsetzung des fossilen Energieregimes verwendet, bis zum bitteren Ende.
Agro-Kraftstoffe für fossile Produktionssysteme oder solare Energie für eine solidarische Gesellschaft?
Dabei wäre es schon heute im Prinzip möglich, die fossilen Energieträger durch solare Energie zu ersetzen (vgl. Scheer 2007). Allerdings darf man sich den Ersatz nicht einfach so vorstellen, als ob es ausreichend wäre, statt Benzin und Diesel aus Erdöl Ethanol aus Biomasse in den Autotank zu füllen. Ist die Produktion von Biomasse zur Erzeugung von Ethanol, also von „Agrosprit“[3] eine Lösung des Energieproblems nach Peakoil? Zweifel sind angebracht.
Denn erstens ist die Nutzung der Biomasse zur Produktion von Ethanol „die energetisch verlustreichste Möglichkeit, Biomasse im wirtschaftlichen Energiekreislauf zu verwenden: Nur etwa 20 Prozent der Energie landet letztlich in den Fahrzeugtanks“ (Dröge 2007: 5), jedenfalls unter den heute gängigen Bedingungen. Zweitens bestimmen die fossilen und atomaren Energien immer noch zu bis zu neun Zehnteln den Energiemix, und dies hat nicht nur zur Folge, dass der politische Einfluss der fossilen Lobby in der Energiepolitik überwältigend hoch ist. Sie hat zumindest in der Vergangenheit die Einführung erneuerbarer Energien behindern können. Besonders wichtig ist drittens, dass nun auch die Preise der erneuerbaren Energieträger von der Preisentwicklung fossiler Energieträger, an deren Stelle sie treten sollen, bestimmt werden. Denn die gleichen Agro-Kulturen können Nahrungsmittel für Menschen und Energie für Motoren produzieren. Folglich wird der Preis von Nahrungsmitteln durch die Preisentwicklung für fossile Energieträger beeinflusst. Nach dem Peakoil hat aber die Preisentwicklung, wie bereits ausgeführt wurde, eine Aufwärtstendenz. Der Mais ist Nahrungsmittel und Rohstoff für die Erzeugung von Ethanol. Daher kommt es zu Konflikten zwischen Energiesicherheit und Nahrungssicherheit, „food against fuel“ (FAO-OECD 2007) wie in Mexiko im Februar 2007.[4]
Die sozialen und politischen Konflikte um die Verwandlung von Biomasse in Ethanol für Automobile wurden auch anlässlich des Besuchs des US-Präsidenten Bush in Lateinamerika im März 2007 deutlich. Bush ging es vor allem um eine verstärkte Kooperation zwischen den USA und Brasilien bei der Produktion von Ethanol. Brasilien hat seit seinem „Pro-Alcool-Programm“ von 1975 (als Antwort auf die Ölpreiskrise von 1973) die Ethanol-Produktion ausgeweitet[5] und es zum weltgrößten Erzeuger gebracht. Brasilien und die USA zusammen kontrollieren 72 Prozent der Weltproduktion. Für die USA wäre eine Kooperation mit Brasilien günstig, weil der Energiemix erweitert und die Abhängigkeit von Ölimporten (aus Venezuela und dem mittleren Osten) reduziert werden könnte. Obendrein könnten durch bilaterale Kooperation zwischen den USA und dem größten Land Lateinamerikas die Ansätze regionaler Integration in Lateinamerika (ALBA) behindert und das Projekt der von den USA präferierten Freihandelszone erneut in die politische Arena Lateinamerikas geschmuggelt werden (so jedenfalls Zibechi 2007).
Grundsätzlicher sind die ökologischen Einwände gegen die Ausweitung der Anbauflächen von Zuckerrohr, (Babaçu-)Palmen, Maniok, Mais oder Soja zur Erzeugung der in Ethanol umzuwandelnden Biomasse. Zwar ist Biomasse eine erneuerbare Energiequelle, doch wenn die Natur in Wert gesetzt und in Ware verwandelt und als solche zur Erzielung von Profiten in den kapitalistischen Kreislauf integriert wird, richtet sich die Produktion nicht mehr nach biologischen Rhythmen, sondern nach den Verwertungsbedingungen von Kapital (Boron 2007). Das ist nicht nur eine Mentalitätsfrage, wie Herrmann Scheer (2007) meint, sondern eine Frage von ökonomischer und politischer Macht. Die Ausweitung der Produktion von Agrodiesel verlangt nach einer Ausweitung der Anbauflächen von Energiepflanzen und daher nach einer Verdrängung der ökonomisch nicht genutzten Naturflächen (die für den Erhalt der Biodiversität von zentraler Bedeutung sind) und der Produktion von Nahrungsmitteln. Diese Anbauflächen finden sich vor allem im globalen Süden. Um die fossilen Energieträger zu fünf Prozent zu ersetzen, muss die Anbaufläche um 20 Prozent ausgeweitet und diejenige zur Produktion von Nahrungsmitteln entsprechend reduziert werden. Aber auch die Regenwälder fallen dem Anbau von Energiepflanzen mehr und mehr zum Opfer, in Brasilien allein 21 Millionen Hektar, in Argentinien 14 Millionen Hektar (Boron 2007). Die ökologische Zerstörung ist enorm und in den Preis des Agrodiesels nicht eingerechnet, d.h. die Gesellschaften tragen die horrend hohen negativen externen Effekte, die „sozialen Kosten der Privatwirtschaft“ (Kapp 1950).
Dies ist der Grund, warum Joao Pedro Stedile vom brasilianischen Movimento sem terra (MST) das Abkommen zwischen der Regierung Lula und der Regierung Bush über die gemeinsame Entwicklung der Ethanol-Produktion als „diabolische Allianz“ bezeichnet. Darin haben die großen transnationalen Konzerne aus der Erdölbranche, der Automobilindustrie, der Pharma- und Agroindustrie das Sagen, um – wie auch betont wird – Ackerfläche des globalen Südens in Produktionsstätten für Treibstoff der Automobilflotte im globalen Norden zu verwandeln (Boron 2007; Castro 2007).
Der bloße Ersatz der fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energie aus Biomasse ist keine Lösung des Energieproblems nach Peakoil. Eine Alternative könnte die Veränderung der gesamten Energiekette von den Inputs der Energieträger über deren Nutzung in Produktion und Konsumtion bis zu den Emissionen sein. Dann würde sich zeigen, dass Biomasse sehr wohl eine Energiequelle einer Wirtschaft jenseits des Ölzeitalters neben anderen, wie Wind, Wasser, Photovoltaik, sein könnte. Solare Energie hat eine geringere Energiedichte als fossile, und daher müssten die wirtschaftlichen Strukturen des „Post-Fossilismus“ dezentral, langsamer, kleiner und vernetzter sein als im Ölzeitalter. Die desaströsen Wirkungen des Austausches von fossiler Energie, die immer teurer wird, durch Agrodiesel müssen erkannt und in Rechnung gestellt werden, um mit den Illusionen, die mit dem Begriff der erneuerbaren Energien verbunden sind, aufzuräumen und dabei gleichzeitig ihr Potential für die zukünftige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft zu nutzen. Zukunft hat nur ein soziales Projekt, das auf solarer Energie und auf Solidarität in Wirtschaft und Gesellschaft gründet.
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[1] Daher enthielten die verschiedenen Lomé-Abkommen mit den AKP-Staaten auch die Etablierung von Rohstofffonds, deren Aufgaben es sein sollte, die Preise zu stabilisieren. Die Fonds scheiterten im Verlauf der neoliberalen Deregulierung der Weltmärkte im Verlauf der 1980er Jahre.
[2] Dies ist in jüngster Zeit besonders tragisch in Nigeria, wo die lokale Bevölkerung wegen Treibstoffmangels im erdölreichen Land die Pipelines illegal anzapft und dabei schreckliche Unfälle mit vielen Toten verursacht hat. Doch gibt es in allen Rohstoffregionen zumeist weniger spektakuläre und tragische Zeichen dafür, dass die lokale Bevölkerung vom Rohstoffreichtum nichts hat. Auch im ölreichen Iran ist der Treibstoff rationiert worden. Dagegen hat es Massenproteste gegeben und Tankstellen sind in Brand gesetzt worden (vgl. Süddeutsche Zeitung, 28.6.07, S. 7 „Iraner protestieren gegen Benzin-Rationierung“).
[3] Holt-Giménez (2007) schreibt, dass „der Ausdruck Biokraftstoff… immer nur eine Seite der Medaille (zeigt) und … damit ein besseres Verständnis der tief greifenden Folgen (behindert), die sich aus der industriellen Transformation unserer Nahrungsmittel- und Kraftstoffsysteme ergeben“. Es handele sich also nicht um Bio-, sondern um Agrokraftstoffe, erzeugt in einem neuen agroindustriellen Komplex.
[4] Mexikanischer Mais ist in großen Mengen von US-amerikanischen Agrodiesel-Unternehmen zur Produktion von Treibstoff für US-Autos auf dem freien Markt der nordamerikanischen Freihandelszone aufgekauft worden. Der hohe Preis des Mais als Biomasse zur Treibstoffproduktion hatte eine Preissteigerung der Tortilla, eines Grundnahrungsmittels der einfachen Leute Mexikos (Spiegel-online, 1.2.2007), auf 15 Pesos per Kilo (etwa einem Euro) zur Folge. Es kam zu Protesten auf Mexikos Straßen.
[5] Neben dem Pro-Alcool-Programm begann die brasilianische Militärregierung auch ein größeres Nuklearprogramm zur Produktion von Atomstrom, an dem neben der Firma Westinghouse auch Siemens führend beteiligt war und ist. Allerdings war das Programm unter dem Aspekt der Energieerzeugung nicht erfolgreich. Eine dritte Säule der brasilianischen Energiepolitik der 1970er Jahre war der Ausbau der Elektrizitätsproduktion aus Wasserkraft, vor allem mit dem Bau des Kraftwerks von Itaipu an der argentinisch-paraguayischen Grenze und von Tucuruí am Tocantins, einem großen Nebenfluss des östlichen Amazonas im Bundesstaat Pará.